VwGH Ra 2016/21/0185

VwGHRa 2016/21/018530.6.2016

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterinnen und Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Dobner, über die Revision des S L in T, vertreten durch Mag. Anton Hintermeier, Rechtsanwalt in 3100 St. Pölten, Andreas-Hofer-Straße 8, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 12. April 2016, G306 2110805-1/4E, betreffend Nichterteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG 2005, Erlassung einer Rückkehrentscheidung samt Festsetzung einer Ausreisefrist und Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung sowie Erlassung eines Einreiseverbotes (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl),

Normen

AsylG 2005 §55;
BFA-VG 2014 §9;
EMRK Art8;
VwGG §34 Abs1;
AsylG 2005 §55;
BFA-VG 2014 §9;
EMRK Art8;
VwGG §34 Abs1;

 

Spruch:

1. den Beschluss gefasst:

Die Revision wird, soweit sie sich gegen die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG 2005 richtet, als unzulässig zurückgewiesen.

2. zu Recht erkannt:

Im Übrigen (Rückkehrentscheidung und damit zusammenhängende Aussprüche sowie Einreiseverbot) wird das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

1 Der Revisionswerber ist Staatsangehöriger von Bosnien und Herzegowina und wurde am 15. April 1995 geboren. Er ist seit 1. Februar 2006 im Bundesgebiet gemeldet und verfügt seit Mai 2011 über einen Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt-EU".

2 Mit am 25. April 2015 in Rechtskraft erwachsenem Urteil verhängte das Landesgericht St. Pölten über den Revisionswerber wegen des Verbrechens des Diebstahls durch Einbruch nach §§ 127, 129 Z 1 StGB und des Verbrechens des schweren Raubes als Beteiligter nach §§ 12 dritte Alternative, 142 Abs. 1, 143 zweiter Fall StGB eine 24-monatige Freiheitsstrafe, wobei ein Teil von 16 Monaten unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde. Der Revisionswerber befand sich deswegen von 5. Februar 2015 bis zu seiner bedingten Entlassung am 15. Juli 2015 in Haft.

3 Angesichts des der genannten Verurteilung zu Grunde liegenden strafrechtlichen Fehlverhaltens leitete das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) ein Verfahren zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung samt Einreiseverbot ein. Mit Bescheid vom 25. Juni 2015 sprach es dann aus, dass dem Revisionswerber ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 55 AsylG 2005 nicht erteilt werde. Unter einem erließ es gegen ihn gemäß § 52 Abs. 5 FPG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung und gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG ein auf die Dauer von sechs Jahren befristetes Einreiseverbot. In Verbindung mit der Rückkehrentscheidung stellte das BFA noch gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass die Abschiebung des Revisionswerbers gemäß § 46 FPG nach Bosnien zulässig sei. Außerdem setzte es gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest.

4 Im Hinblick auf die begangenen Verbrechen ging das BFA davon aus, dass vom Revisionswerber eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit ausgehe. Diese Gefahr sei nach wie vor aktuell, da der Revisionswerber auch dringend verdächtig sei, im Tatzeitraum 1. März 2014 bis 1. Februar 2015 "gegen § 27 Suchtmittelgesetz" verstoßen zu haben. Dazu stellte das BFA fest, dass gegen den Revisionswerber eine polizeiliche Anzeige vom 15. Mai 2015 "wegen Verdacht gem. § 27 SMG" vorliege.

5 Der Revisionswerber erhob Beschwerde, verwies u.a. darauf, dass die Staatsanwaltschaft St. Pölten das wegen § 27 SMG geführte Ermittlungsverfahren eingestellt habe und beantragte insbesondere die Durchführung einer mündlichen Beschwerdeverhandlung.

6 Das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) gab der Beschwerde - ohne Durchführung der beantragten Verhandlung - gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG insoweit statt, als die Dauer des Einreiseverbotes auf zwei Jahre herabgesetzt wurde; im Übrigen wies es die Beschwerde als unbegründet ab. Außerdem sprach es aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

Über die gegen dieses Erkenntnis erhobene Revision hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage - Revisionsbeantwortungen wurden nicht erstattet - erwogen:

7 1. Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass im vorliegenden Fall nicht über die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG 2005 abzusprechen gewesen wäre (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 12. November 2015, Ra 2015/21/0101, Punkt 3.4.2. der Entscheidungsgründe, worauf gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen sei). Durch den erfolgten Ausspruch wird der Revisionswerber aber ungeachtet des im Folgenden unter Punkt 2. näher dargelegten Ergebnisses nicht in Rechten verletzt, weil ihm - sofern eine Rückkehrentscheidung endgültig unterbleibt - ohnehin nach wie vor der Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt-EU" zukäme. Soweit sich die vorliegende Revision auch gegen den Abspruch nach § 55 AsylG 2005 richtet, war sie daher gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG zurückzuweisen.

8 2. Im Übrigen ist die Revision jedoch zulässig und berechtigt. 9 Das BVwG ist insofern von der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen, als es von der nach Maßgabe des hg. Erkenntnisses vom 28. Mai 2014, Ra 2014/20/0017 und 0018, im vorliegenden Fall erforderlichen Beschwerdeverhandlung abgesehen hat. Unter Anlegung der im genannten Erkenntnis dargelegten Kriterien durfte nämlich entgegen der Ansicht des BVwG nicht von einem "geklärten Sachverhalt" im Sinn des § 21 Abs. 7 BFA-VG ausgegangen werden.

10 Das ergibt sich primär daraus, dass das BVwG - wenn auch zum Teil im Rahmen seiner rechtlichen Beurteilung - über die Sachverhaltsannahmen des BFA hinausging. Dieses hatte u. a. ausgeführt, dass gegen den Revisionswerber eine polizeiliche Anzeige wegen § 27 SMG vorliege. Über Einwand des Revisionswerbers in seiner Beschwerde räumte das BVwG dazu ein, dass das Ermittlungsverfahren bereits im Mai 2015 eingestellt worden sei. Der Einstellungserklärung der Staatsanwaltschaft könne aber - so das BVwG ergänzend - entnommen werden, dass die Einstellung nur deshalb erfolgt sei, weil selbst eine Verurteilung "in der

besagten Sache keine Auswirkungen auf die ... Verurteilung des

(Revisionswerbers) wegen Einbruchsdiebstahls und schweren Raubes gezeitigt hätten". Weiters legte das BVwG zu Grunde, dass beim Revisionswerber eine Suchterkrankung gegeben sei, weswegen er seitens des Strafgerichtes zur Absolvierung einer Suchttherapie verpflichtet worden sei; vor diesem Hintergrund könne gegenwärtig ein Rückfall des Revisionswerbers in ein strafgerichtlich relevantes Verhalten nicht ausgeschlossen werden.

11 Insbesondere von Suchterkrankung und Verpflichtung zur Absolvierung einer Suchttherapie war im Bescheid des BFA keine Rede gewesen. Schon deshalb lag kein "geklärter Sachverhalt" vor, wozu kommt, dass Art und Umfang des unterstellten Suchtgiftkonsums des Revisionswerbers völlig offen blieben. Sohin hat insbesondere die Annahme, bei ihm liege eine Suchterkrankung vor, keine ausreichende Grundlage. Soweit sich das BVwG diesbezüglich auf eine Weisung des Landesgerichtes St. Pölten in dessen eingangs genanntem Strafurteil bezog, ist berichtigend klarzustellen, dass nicht die Absolvierung einer Suchttherapie angeordnet, sondern dem Revisionswerber aufgetragen wurde, sich einer Suchtberatung zu unterziehen.

12 "Geklärter Sachverhalt" im Sinn des § 21 Abs. 7 BFA-VG lag zum Zweiten aber auch deshalb nicht vor, weil das BVwG entgegen den Beschwerdebehauptungen des Revisionswerbers davon ausgegangen ist, er habe familiäre Anknüpfungspunkte in seinem Herkunftsstaat Bosnien und Herzegowina.

13 Nach dem Gesagten hätte das BVwG mithin nicht von der Durchführung der in der Beschwerde ausdrücklich beantragten Verhandlung absehen dürfen, zumal der Verschaffung eines persönlichen Eindrucks bei der Erlassung aufenthaltsbeendender Maßnahmen besondere Bedeutung zukommt (vgl. für viele nur das hg. Erkenntnis vom 16. Oktober 2014, Ra 2014/21/0039, Punkt 3.2.2. der Entscheidungsgründe). Das angefochtene Erkenntnis war daher, soweit die Revision nicht zurückzuweisen war, gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

14 Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014. Für den Zuspruch weiterer EUR 15,-- unter dem Titel "Pauschalgebühr" bieten die genannten Grundlagen keine Basis. Das darauf gerichtete Mehrbegehren war daher abzuweisen.

Wien, am 30. Juni 2016

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