VwGH Ra 2016/19/0131

VwGHRa 2016/19/013114.12.2016

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Robl sowie den Hofrat Mag. Eder und die Hofrätin Mag. Rossmeisel als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Tanzer, in der Rechtssache des M M in L, vertreten durch Mag. Edwin Kerschbaummayr, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Museumstraße 6-8, betreffend 1. den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Erhebung der Revision gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 4. Mai 2016, W159 2114126-2/10E, in einer Angelegenheit nach dem AsylG 2005 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), und

2. die Revision gegen das genannte Erkenntnis, den Beschluss gefasst:

Normen

AVG §71 Abs1 Z1;
GOG §89d Abs2;
VwGG §26 Abs1;
VwGG §26 Abs3;
VwGG §46 Abs1 impl;
VwGG §46 Abs1;
VwGG §61;
ZPO §112;
ZustG §37;
ZustG §7;
AVG §71 Abs1 Z1;
GOG §89d Abs2;
VwGG §26 Abs1;
VwGG §26 Abs3;
VwGG §46 Abs1 impl;
VwGG §46 Abs1;
VwGG §61;
ZPO §112;
ZustG §37;
ZustG §7;

 

Spruch:

Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird abgewiesen.

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Mit dem angefochtenen Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes wurde der Antrag des Revisionswerbers, eines Staatsangehörigen von Eritrea, auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) abgewiesen. Dem Revisionswerber wurde gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und diesem gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 eine befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt. Zudem wurde ausgesprochen, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

2 In offener Revisionsfrist beantragte der Revisionswerber hinsichtlich des abweisenden Ausspruchs die Gewährung von Verfahrenshilfe zur Erhebung einer außerordentlichen Revision.

3 Mit Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs vom 11. August 2016 wurde dem Revisionswerber die Verfahrenshilfe für die Abfassung und Erhebung einer außerordentlichen Revision gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 4. Mai 2016 bewilligt und unter anderem die Beigebung eines Rechtsanwaltes gewährt. Der Bescheid der Rechtsanwaltskammer Oberösterreich vom 24. August 2016, mit dem der einschreitende Rechtsanwalt zum Vertreter des Revisionswerbers bestellt wurde, wurde diesem am selben Tag um 15:05 Uhr mittels "Teilnehmer-Direktzustellung" übermittelt.

4 Gegen das genannte Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts brachte der Revisionswerber, vertreten durch den Verfahrenshelfer, eine Revision beim Bundesverwaltungsgericht ein, die er am 6. Oktober 2016 bei der Post aufgab. In der Revision wird zur Rechtzeitigkeit ausgeführt, der Beschluss, mit welchem der einschreitende Rechtsanwalt zum Verfahrenshelfer bestellt wurde, sei "am 24.08.2016 bereitgestellt und somit am 25.08.2016 zugestellt" worden. Die Revision sei somit innerhalb der offenen Frist von 6 Wochen erhoben worden.

5 Mit verfahrensleitender Anordnung vom 20. Oktober 2016 teilte der Verwaltungsgerichtshof dem Revisionswerber mit, dass ausgehend von einer Übermittlung des Bestellungsbescheides am 24. August 2016 die Frist zur Einbringung der Revision mit Ablauf des 5. Oktobers geendet habe. Die am 6. Oktober 2016 zur Post gegebene Revision wäre daher verspätet. Den Parteien des Revisionsverfahrens wurde die Möglichkeit eingeräumt, zu diesen Umständen binnen zwei Wochen Stellung zu nehmen.

6 In seiner Stellungnahme führte der Revisionswerber aus, dass der Bestellungsbescheid seinem Rechtsvertreter am 24. August 2016 übermittelt und daher am 25. August 2016 zugestellt worden sei. Da auch der Bescheid beziehungsweise die Weiterleitung des Beschlusses der Bewilligung der Verfahrenshilfe als gerichtliche beziehungsweise verwaltungsgerichtliche Erledigung zu sehen sei, sei gemäß § 21 Abs. 8 Bundesverwaltungsgerichtsgesetz (BVwGG), § 75 Abs. 2 Verwaltungsgerichtshofgesetz (VwGG) und § 89d Abs. 2 Gerichtsorganisationsgesetz (GOG), der gemäß § 21 Abs. 9 BVwGG sinngemäß anzuwenden sei, von der Zustellung am 25. August 2016 auszugehen.

7 Unter einem stellte der Revisionswerber in eventu einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Dazu brachte er vor, dass der Verfahrenshelfer - ungeachtet seiner dargelegten Rechtsansicht - die ausdrückliche Anweisung an seinen langjährigen, verlässlichen Mitarbeiter gegeben habe, die Revision am 5. Oktober 2016 abzusenden. Der Verfahrenshelfer habe die Kanzlei jedoch um 17:00 Uhr verlassen müssen, wobei der Schriftsatz noch nicht fertig vom Diktat übertragen gewesen sei. Um 17:30 Uhr habe der Rechtsvertreter mit seinem Mitarbeiter telefoniert, der ihm mitgeteilt habe, dass er Schwierigkeiten mit dem Absenden per Web-ERV hätte und den Schriftsatz daher zur Post bringen würde. Es sei tatsächlich erst am 6. Oktober 2016 zur Absendung des Schriftsatzes gekommen, weil der Mitarbeiter die Poststelle verkehrsbedingt zu spät erreicht habe und - ausgehend von der ihm mitgeteilten Rechtsansicht des Verfahrenshelfers, dass die Frist erst am 6. Oktober 2016 ende - an diesem Tag keine weiteren Maßnahmen für eine Absendung des Schriftsatzes gesetzt habe. Der Verfahrenshelfer habe davon erst aufgrund des Schreibens des Verwaltungsgerichtshofes vom 20. Oktober 2016 erfahren. Der Verfahrenshelfer sei seiner Überwachungspflicht nachgekommen. Auch wenn die Handlung des Mitarbeiters dem Verfahrenshelfer und somit dem Revisionswerber zuzurechnen sei, handle es sich aufgrund der Umstände nur um einen minderen Grad des Versehens.

Darüber hinaus sei die Rechtsauffassung, dass eine Zustellung des Verfahrenshilfebescheides keine gerichtliche Handlung sei und somit nicht unter § 21 Abs. 8 beziehungsweise Abs. 9 BVwGG iVm § 89d Abs. 2 GOG falle, dem Verfahrenshelfer nicht bekannt gewesen. Diesbezüglich gebe es - soweit überblickbar - keine Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs. Nach herrschender Judikatur der ordentlichen Gerichte gelte die Zustellung erst mit dem auf die Übermittlung folgenden Werktag als erfolgt.

8 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

9 Zur Rechtzeitigkeit der Revision:

10 Gemäß § 26 Abs. 1 VwGG beträgt die Frist zur Erhebung einer Revision gegen ein Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes sechs Wochen. Hat die Partei innerhalb der Revisionsfrist die Bewilligung der Verfahrenshilfe beantragt (§ 61 VwGG), so beginnt für sie gemäß § 26 Abs. 3 erster Satz VwGG die Revisionsfrist mit der Zustellung des Bescheides über die Bestellung des Rechtsanwaltes an diesen. Die Revision ist beim Verwaltungsgericht einzubringen (§ 25a Abs. 5 VwGG).

11 Der Verwaltungsgerichtshof hat im hg. Beschluss vom 5. Oktober 2016, Ra 2016/19/0109 sowie im hg. Beschluss vom 9. November 2016, Ra 2016/19/0156, unter Hinweis auf Vorjudikatur festgehalten, dass die (im Gesetz nicht ausdrücklich geregelte) "Teilnehmer-Direktzustellung" die - technisch eröffnete - Möglichkeit der direkten Übermittlung von Schriftstücken im Rahmen von für den elektronischen Rechtsverkehr verwendeten EDV-Programmen zwischen Teilnehmern des elektronischen Rechtsverkehrs ist. Sie dient in erster Linie der Übermittlung von für einen Prozessgegner bestimmten Gleichschriften im zivilgerichtlichen Verfahren durch eine Partei des Verfahrens an eine andere Verfahrenspartei (vgl. etwa die im Internet zugänglichen Programmbeschreibungen unter http://www.advokat.at/Advokat-Online/Module/Elektronischer-Rechtsverkehr.aspx#1.3.2 ,http://test.jurxpert.at/hilfe/weberv_teilne hmerdirektzustellung. htm, https://www.imd.at/news--450.html ). Diesbezüglich findet sich eine Rechtsgrundlage etwa in § 112 ZPO, der eine solche Übersendung auch mittels elektronischer Post ermöglicht. Diese Bestimmung wird zuweilen auch für nach anderen Gesetzen zu führende Verfahren für anwendbar erklärt (vgl. § 40 Abs. 4 ASGG und § 24 Abs. 1 AußStrG).

12 Eine Rechtsgrundlage für eine Zustellung eines Bescheides im Weg der "Teilnehmer-Direktzustellung" ist im (hier vorliegenden) Fall der Bestellung eines Verfahrenshelfers durch den Ausschuss der Rechtsanwaltskammer allerdings nicht ersichtlich. Insbesondere stellt der vom Revisionswerber ins Treffen geführte § 89d Abs. 2 GOG eine solche nicht dar. Diese Bestimmung stellt - unter ausdrücklichem Verweis auf § 89a Abs. 2 GOG - auf elektronisch übermittelte gerichtliche Erledigungen und Eingaben ab, wozu der gegenständliche Bestellungsbescheid zweifellos nicht zu zählen ist.

13 Auch § 37 ZustG kommt als Rechtsgrundlage für einen solchen Zustellvorgang nicht in Betracht, weil weder Anhaltspunkte für die Mitteilung einer "elektronischen Zustelladresse" durch den Verfahrenshelfer für das gegenständliche Verfahren (vgl. § 2 Z 5 ZustG) noch für die Erteilung eines Auftrages gemäß § 34 Abs. 1 ZustG durch den Ausschuss der Rechtsanwaltskammer vorliegen. Es liegt daher ein Zustellmangel vor (vgl. dazu auch die hg. Beschlüsse vom 30. Juni 2016, Ra 2015/19/0155, und vom 3. Mai 2016, Ra 2015/18/0236, jeweils mwN).

14 Ein solcher Zustellmangel kann jedoch gemäß § 7 ZustG geheilt werden, wenn das zuzustellende Dokument dem Empfänger tatsächlich zukommt. Es kommt im Fall der elektronischen Zustellung auf den Zeitpunkt des Zugriffs auf das am Bereithaltungsserver bereitgehaltene Dokument an (vgl. den zitierten Beschluss vom 3. Mai 2016, Ra 2015/18/0236).

15 Im vorliegenden Fall wurde der Bestellungsbescheid des Ausschusses der Oberösterreichischen Rechtsanwaltskammer dem Verfahrenshelfer - ausgehend von den Angaben zur Rechtzeitigkeit der Revision - am 24. August 2016 (15:05 Uhr) elektronisch übermittelt. Dass der als Verfahrenshelfer bestellte Rechtsanwalt den ab dieser Zeit am Server bereitgehaltenen Bestellungsbescheid nicht sogleich an diesem Tag, sondern erst zu einem späteren Zeitpunkt abgerufen hätte, hat der Revisionswerber zu keiner Zeit behauptet.

16 Da nach den oben stehenden Ausführungen den rechtlichen Überlegungen des Revisionswerbers in seiner Stellungnahme vom 7. November 2016 zum sich seiner Ansicht nach aus dem Gesetz ergebenden Zustellzeitpunkt nicht zu folgen war, steht für die weitere Beurteilung, dass der hier in Rede stehende Bestellungsbescheid dem zum Verfahrenshelfer bestellten Rechtsanwalt am 24. August 2016 infolge tatsächlichen Zukommens durch Abruf vom Bereithaltungsserver zugestellt wurde. Ausgehend davon endete die sechswöchige Frist zur Einbringung der Revision mit Ablauf des 5. Oktober 2016.

17 Sohin erweist sich die Revision wegen Versäumung der nach § 26 Abs. 1 iVm Abs. 3 erster Satz VwGG einzuhaltenden Revisionsfrist als verspätet.

18 Zum Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand:

19 Gemäß § 46 Abs. 1 VwGG ist einer Partei auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis eine Frist versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet. Ein minderer Grad des Versehens hindert die Wiedereinsetzung nicht.

20 Der Revisionswerber sieht das die Einhaltung der Revisionsfrist hindernde Ereignis darin, dass der Verfahrenshelfer rechtsirrtümlich davon ausgegangen sei, die Zustellung eines Verfahrenshilfebescheides sei eine gerichtliche Handlung und gelte erst mit dem auf das Einlangen in den elektronischen Verfügungsbereich des Empfängers folgenden Werktag als zugestellt. Zum Vorliegen eines bloß minderen Grad des Versehens wird darauf verwiesen, dass es zu dieser Frage keine Judikate gebe und die vom Verfahrenshelfer vertretene Auffassung herrschende Judikatur in der ordentlichen Gerichtsbarkeit sei.

21 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kann auch ein Rechtsirrtum einen Wiedereinsetzungsgrund darstellen, wenn die weiteren Voraussetzungen, insbesondere mangelndes oder nur leichtes Verschulden vorliegen (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 26. April 2016, Ro 2014/03/0084, Rz. 48 und vom 21. April 2016, Ra 2016/11/0018). Die Unkenntnis einer neuen Gesetzeslage durch einen beruflichen Parteienvertreter stellt nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes jedoch keinen minderen Grad des Versehens dar, weil vor allem eine rezente Änderung der Rechtslage besondere Aufmerksamkeit verdient (vgl. erneut das hg. Erkenntnis vom 26. April 2016, Ro 2014/03/0084, Rz. 49, mwN).

22 Wie oben dargelegt, hat der Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 3. Mai 2016, Ra 2015/18/0236, sowie mit Beschluss vom 30. Juni 2016, Ra 2015/19/0155, ausgeführt, dass bei Zustellung eines Bestellungsbescheides durch eine Rechtsanwaltskammer mittels Teilnehmer-Direktzustellung ein Zustellmangel vorliegt (vgl. auch die mittlerweile ergangenen erwähnten hg. Beschlüsse vom 9. November 2016, Ra 2016/19/0156 und vom 5. Oktober 2016, Ra 2016/19/0109). Das Vorbringen, es habe zur maßgeblichen Rechtsfrage Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes gefehlt, trifft somit nicht zu.

23 Auch das weitere Vorbringen, der sonst verlässliche Mitarbeiter des Verfahrenshelfers habe den Schriftsatz entgegen der ausdrücklichen Anweisung nicht noch am 5., sondern erst am 6. Oktober 2016 bei der Post aufgegeben, vermag keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand auszulösen.

24 Ein zur Wiedereinsetzung führendes "Ereignis" im Sinn des § 46 Abs. 1 VwGG liegt nämlich nur dann vor, wenn es sich um ein Geschehen handelt, das für das Versäumen der Frist kausal war (vgl. erneut den hg. Beschluss vom 15. Dezember 2015, Ra 2015/01/0061, mwN).

25 Kausal in diesem Sinn war jedoch nicht das behauptete Nichtfunktionieren des Absendens per Web-ERV ab 17:00 Uhr, weil dies spätestens bis 15:00 Uhr geschehen hätte müssen, um die Sendung als rechtzeitig zu qualifizieren (vgl. den hg. Beschluss vom 17. November 2015, Ra 2014/01/0198). Kausal war auch nicht die Sperre einer bestimmten Postfiliale, als ein Mitarbeiter des Verfahrenshelfers kurz nach 18:00 Uhr die Sendung aufgeben wollte. Die Kausalität lag behauptetermaßen darin, dass dieser Mitarbeiter deswegen keine weiteren Absendemaßnahmen gesetzt habe, weil er vom Verfahrenshelfer dessen Rechtsansicht mitgeteilt bekommen hatte, dass es sich ohnedies erst um den vorletzten Tag der Frist handle. Damit liegt aber die Kausalität wieder im bereits aufgezeigten Rechtsirrtum des Verfahrenshelfers, der auf einem nicht bloß minderen Grad des Versehens beruhte.

26 Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand war daher gemäß § 46 Abs. 1 und Abs. 4 VwGG abzuweisen und die Revision gemäß § 34 Abs. 1 VwGG wegen Versäumung der Einbringungsfrist ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

Wien, am 14. Dezember 2016

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