VwGH Ra 2015/19/0155

VwGHRa 2015/19/015530.6.2016

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Robl sowie die Hofräte Mag. Eder und Mag. Stickler als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Tanzer, 1. über den Antrag des S S (alias S) in W, vertreten durch Mag. Thomas Blecha, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Schubertring 6, auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung einer Revision gegen den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 27. Mai 2015, W228 1435586-1/4E, betreffend eine Asylangelegenheit, und 2. in dieser Revisionssache gegen den genannten Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Normen

AVG §71 Abs1 Z1;
BVwG-EVV 2014;
BVwGG 2014 §19;
BVwGG 2014 §21 Abs7;
GO BVwG 2014 §20 Abs1;
GO BVwG 2014 §20 Abs6;
GO BVwG 2014 §20;
VwGG §25a Abs5;
VwGG §26 Abs3;
VwGG §34 Abs1;
VwGG §46 Abs1 impl;
VwGG §46 Abs1;
VwGG §61;
VwRallg;
ZustG §7;

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2016:RA2015190155.L00

 

Spruch:

Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird abgewiesen.

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Mit dem angefochtenen Beschluss wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde des Revisionswerbers, eines Staatsangehörigen Afghanistans, in einer Asylangelegenheit gemäß § 31 Abs. 1 in Verbindung mit § 9 VwGVG zurück und erklärte die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig.

2 In offener Revisionsfrist beantragte der Revisionswerber die Gewährung von Verfahrenshilfe zur Erhebung einer außerordentlichen Revision gegen diesen Beschluss.

3 Mit Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs vom 13. Juli 2015 wurde dem Revisionswerber die Verfahrenshilfe zur Erhebung einer außerordentlichen Revision - u.a. durch Beigebung eines Rechtsanwalts - bewilligt. Dieser Beschluss und der Bescheid des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer Wien vom 11. August 2015 über die Bestellung zum Verfahrenshelfer wurden dem dazu bestimmten Rechtsanwalt mittels Teilnehmer-Direktzustellung am Freitag, 14. August 2015, übermittelt.

4 Der Verfahrenshelfer brachte am Montag, 28. September 2015, um 17:25:33 Uhr, beim Bundesverwaltungsgericht im Weg des elektronischen Rechtsverkehrs unter Verwendung der Übermittlungsstelle "ADV" die gegen den genannten Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes gerichtete außerordentliche Revision ein, in der er ausführte, der Bescheid des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer Wien vom 11. August 2015 sei ihm am Montag, 17. August 2015 zugegangen.

5 Auf Vorhalt durch den Verwaltungsgerichtshof, dass die Revision am letzten Tag der Revisionsfrist außerhalb der in § 20 der Geschäftsordnung des Bundesverwaltungsgerichtes (GO BVwG) kundgemachten Amtsstunden eingebracht worden sei und somit verspätet scheine, erstattete der Revisionswerber eine Stellungnahme zur Verspätung der Revision und beantragte unter einem die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist für die Einbringung der außerordentlichen Revision, deren Inhalt er abermals ausführte.

6 In seiner Stellungnahme führte der Revisionswerber aus, die Revision sei von ihm rechtzeitig beim Verwaltungsgericht bzw. beim Bundesrechenzentrum eingebracht worden. Zwar seien nach der Rechtsprechung Beschränkungen für die Einbringung von Schriftsätzen zulässig. Durch die Kundmachung dieser Beschränkungen müsse jedoch sichergestellt sein, dass sich die Parteien über die Voraussetzungen eines rechtzeitigen Einlangens ihrer Anbringen informieren könnten. Auf der Homepage des Bundesverwaltungsgerichtes finde sich unter dem Link "Elektronische Einbringung" jedoch kein Hinweis darauf, dass nach Ablauf der Amtsstunden eingebrachte schriftliche Anbringen erst mit Beginn der Amtsstunden des nächsten Arbeitstags als eingebracht anzusehen wären. Die undeutliche bzw. unzureichende Kundmachung sei dem Bundesverwaltungsgericht zuzurechnen und treffe nicht den Revisionswerber. Es sei für Parteien auch nicht nachvollziehbar, dass der Zeitpunkt, mit dem eine Eingabe als eingebracht gelte, nicht mit dem tatsächlichen Einlangen übereinstimmen solle. Da somit im vorliegenden Fall die Kundmachung der Beschränkungen "nicht ausreichend genug" im Sinne des § 13 Abs. 2 AVG erfolgt sei, sei die Revision als rechtzeitig anzusehen.

7 Zum Wiedereinsetzungsantrag brachte der Revisionswerber vor, der Revisionsschriftsatz sei am Vormittag des 28. September 2015 von der die Revisionssache kanzleiintern bearbeitenden Rechtsanwältin fertiggestellt und einer in der Kanzlei beschäftigten Sekretärin mit dem Hinweis übergeben worden, diesen "unverzüglich einzubringen". Die Kanzleibedienstete habe den Schriftsatz gleich einbringen wollen, diesen aber zunächst zur Seite gelegt. Er sei dadurch in den Stapel mit der Eingangspost gerutscht und deshalb aus ihrem Blickfeld geraten, sodass sie ihn vergessen habe. Erst wieder bei der Sortierung der Eingangspost sei der Sekretärin gegen 16:00 Uhr der Schriftsatz aufgefallen, worauf sie diesen sofort per Web-ERV eingebracht habe. Die spätere Einbringung habe sie der Rechtsanwältin, die sie an diesem Tag wegen eines Verhandlungstermins nicht mehr gesehen habe, nicht mitgeteilt. Die Sekretärin habe sich "auch nichts dabei gedacht, da für sie der Schriftsatz am letzten Tag der Frist eingebracht" gewesen sei und sie auch eine Bestätigung über das erfolgreiche Einlangen erhalten und im Akt abgelegt habe. Die Rechtsvertreterin des Revisionswerbers hätte die Fehlleistung der Kanzleibediensteten nicht vorhersehen und bei zumutbarer Aufmerksamkeit und Vorsicht nicht damit rechnen können. Sie habe dadurch, dass sie den Schriftsatz rechtzeitig fertig gestellt und der Sekretärin die unverzügliche Eingabe aufgetragen habe, auch organisatorisch dafür Vorkehrung getroffen, dass die Frist gewahrt werde. Die Kanzleibedienstete sei seit ihrer Einstellung vor über zehn Jahren eine ansonsten absolut verlässliche Kraft, der bisher noch nie Fehler bei der Einbringung von Schriftsätzen unterlaufen seien. Da das Versehen der Sekretärin erst aufgrund der Aufforderung zur Stellungnahme durch den Verwaltungsgerichtshof aufgefallen sei, sei der Wiedereinsetzungsantrag rechtzeitig.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Zur Rechtzeitigkeit der Revision:

8 Der Bestellungsbescheid des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer Wien vom 11. August 2015 wurde dem Verfahrenshelfer durch die Rechtsanwaltskammer Wien mit Teilnehmer-Direktzustellung (TLNDZ) am Freitag, 14. August 2015, übermittelt.

Die TLNDZ ist die Möglichkeit der direkten Übermittlung von Schriftstücken mittels Elektronischem Rechtsverkehr (ERV) zwischen Teilnehmern des ERV. Eine Rechtsgrundlage für eine Zustellung durch TLNDZ ist im vorliegenden Fall der Bestellung von Verfahrenshelfern durch die Rechtsanwaltskammer allerdings nicht ersichtlich. Auch § 37 Zustellgesetz (ZustG) kommt als Rechtsgrundlage für den Zustellvorgang nicht in Betracht, weil weder Anhaltspunkte für die Mitteilung einer "elektronischen Zustelladresse" durch den Verfahrenshelfer für das gegenständliche Verfahren (vgl. § 2 Z 5 ZustG) noch für die Erteilung eines Auftrages gemäß § 34 Abs. 1 ZustG durch den Ausschuss der Rechtsanwaltskammer vorliegen. Es liegt daher ein Zustellmangel vor (vgl. die hg. Beschlüsse vom 3. Mai 2016, Ra 2015/18/0236, und vom 22. April 2015, Ro 2014/10/0130).

Ein solcher Zustellmangel kann jedoch gemäß § 7 ZustG geheilt werden, wenn das zuzustellende Dokument dem Empfänger tatsächlich zukommt. Es kommt daher im Falle der elektronischen Zustellung auf den Zeitpunkt des Zugriffs auf das am Bereithaltungsserver bereitgehaltene Dokument an (vgl. den zitierten Beschluss, Ra 2015/18/0236, mwN).

Im vorliegenden Fall ist der Bestellungsbescheid dem Verfahrenshelfer ausgehend vom Vorbringen des Revisionswerbers selbst am Montag, 17. August 2015, tatsächlich zugegangen, sodass mit diesem Tag jedenfalls die Revisionsfrist zu laufen begann und am 28. September 2015 endete.

9 Gemäß § 20 Abs. 2 GO BVwG können Schriftsätze nur innerhalb der Amtsstunden - an Arbeitstagen mit Ausnahme des Karfreitags sowie des 24. und des 31. Dezember von 8:00 Uhr bis 15:00 Uhr (§ 20 Abs. 1 GO BVwG) - physisch oder elektronisch am Sitz des Bundesverwaltungsgerichtes in Wien eingebracht werden. Im Fall einer Einbringung nach Ablauf der Amtsstunden gelten schriftliche Anbringen gemäß § 20 Abs. 6 GO BVwG erst mit Beginn der Amtsstunden des nächsten Arbeitstages als eingebracht.

10 Der Verwaltungsgerichtshof hat in seinem Beschluss vom 17. November 2015, Ra 2014/01/0198, ausgeführt, dass auf dieser Grundlage eine am letzten Tag der Revisionsfrist im Weg des elektronischen Rechtsverkehrs beim Bundesverwaltungsgericht nach Ablauf der in § 20 Abs. 1 GO BVwG festgesetzten Amtsstunden eingebrachte Revision als verspätet anzusehen ist (vgl. dazu auch die Beschlüsse vom 15. Dezember 2015, Ra 2015/01/0061, und vom 23. Februar 2016, Ra 2015/01/0195). Es wird daher zu dieser auch hier maßgeblichen Rechtsfrage gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG auf die Begründung dieses Beschlusses verwiesen.

Der Revisionswerber zeigt keine Gründe auf, von dieser Rechtsprechung abzugehen, bestreitet er doch - trotz Vorhaltes der Umstände, die die Revision als verspätet erscheinen lassen - weder den dargestellten Inhalt der GO BVwG noch substantiiert, dass diese auf der Homepage des Bundesverwaltungsgerichtes (http://www.bvwg.gv.at unter "Amtstafel - Sonstige Veröffentlichungen") kundgemacht wurde.

Darauf, ob auch noch an anderer Stelle des Internetauftrittes des Bundesverwaltungsgerichtes - insbesondere unter dem Link "Elektronische Einbringung" - auf die Bestimmungen des § 20 GO BVwG hingewiesen wird, kommt es daher entgegen dem Vorbringen des Revisionswerbers ebenso wenig an, wie darauf, ob diese Regelungen für die Parteien "nachvollziehbar" sind.

11 Damit erweist sich die im Weg des elektronischen Rechtsverkehrs am 28. September 2015 um 17:25 Uhr beim Bundesverwaltungsgericht eingebrachte Revision als verspätet.

Zum Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand:

12 Gemäß § 46 Abs. 1 VwGG ist einer Partei auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis eine Frist versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet. Ein minderer Grad des Versehens hindert die Wiedereinsetzung nicht.

13 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist das Verschulden des Vertreters einer Partei an der Fristversäumung dem Verschulden der Partei selbst gleichzuhalten, nicht jedoch ein Verschulden anderer Personen (vgl. z.B. den hg. Beschluss vom 23. September 2005, 2005/15/0083). Das Verschulden eines Kanzleibediensteten stellt für den Vertreter dann ein unvorhergesehenes oder ein unabwendbares Ereignis dar, wenn der Vertreter der ihm zumutbaren und nach der Sachlage gebotenen Überwachungspflicht gegenüber den Kanzleibediensteten nachgekommen ist. Der Rechtsanwalt muss gegenüber seiner Kanzlei als Hilfsapparat, dessen er sich bei Wahrnehmung der ihm durch Bevollmächtigungsvertrag übertragenen Aufgaben bedient, alle Vorsorgen treffen, die ihm nach dem Bevollmächtigungsvertrag obliegen. Insoweit der Rechtsanwalt diese Vorsorgen nicht in der Art und dem Maß getroffen hat, wie es von ihm je nach der gegebenen Situation zu erwarten war, kommt ein Verschulden an einer späteren Fristversäumnis in Betracht (vgl. den hg. Beschluss vom 20. Dezember 2001, 2000/16/0637).

14 Nach dem Vorbringen des Revisionswerbers im Wiedereinsetzungsantrag erteilte die zuständige Rechtsanwältin der Kanzleibediensteten am Vormittag des letzten Tages der Revisionsfrist den Auftrag, die Revision "unverzüglich einzubringen". Selbst wenn damit tatsächlich - wie aufgrund des Vorbringens zur Rechtzeitigkeit der Revision zweifelhaft erscheinen muss - eine Einbringung während der Amtsstunden des Bundesverwaltungsgerichtes gemeint gewesen sein sollte, konnte die Kanzleibedienstete dies aus einer derartigen Weisung nicht mit der erforderlichen Klarheit ableiten. Die Rechtsvertreterin musste vielmehr - unter Beachtung auch der gegenteiligen Rechtslage und Praxis in Zivil- und Strafverfahren vor den ordentlichen Gerichten - davon ausgehen, dass ihr Auftrag so verstanden werden würde, dass eine Einbringung im Laufe des Kalendertages ausreichend wäre.

In Hinblick darauf wäre aber zumindest eine Kontrolle des Zeitpunktes der Einbringung durch die Rechtsvertreterin erforderlich gewesen. Die Frage, binnen welcher Frist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof einzubringen ist, bedarf nämlich jedenfalls einer Beurteilung durch den einschreitenden Rechtsanwalt selbst (vgl. den hg. Beschluss vom 15. Dezember 2015, Ra 2015/01/0061).

15 Damit ist bereits ausgehend vom Vorbringen im Wiedereinsetzungsantrag von einem nicht mehr bloß minderen Grad des Versehens der Rechtsvertreterin des Revisionswerbers auszugehen. Wer aber einen Wiedereinsetzungsantrag auf das Verschulden einer Hilfsperson stützt, hat schon im Wiedereinsetzungsantrag durch ein substantiiertes Vorbringen darzulegen, aus welchen Gründen ihn selbst kein die Wiedereinsetzung ausschließendes Verschulden trifft (vgl. dazu etwa das hg. Erkenntnis vom 23. April 2013, 2012/09/0171, mwN.).

Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand war daher gemäß § 46 Abs. 1 und Abs. 4 VwGG abzuweisen und die Revision gemäß § 34 Abs. 1 VwGG wegen Versäumung der Einbringungsfrist ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

Wien, am 30. Juni 2016

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