VwGH Ra 2016/17/0057

VwGHRa 2016/17/005728.6.2016

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Holeschofsky, Hofrätin Mag.a Nussbaumer-Hinterauer und Hofrat Mag. Brandl als Richterin bzw Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag.a Kratschmayr, über die Revision der Bürgermeisterin der Landeshauptstadt Innsbruck in 6020 Innsbruck, Maria-Theresien-Straße 18, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Tirol vom 30. Dezember 2015, LVwG- 2015/21/3110-1, betreffend Übertretung des Tiroler Parkabgabegesetzes (mitbeteiligte Partei: C M M in W), zu Recht erkannt:

Normen

MRK Art7 Abs1;
ParkabgabeG Tir 2006 §14 Abs1 lita;
ParkabgabeG Tir 2006 §8;
VStG §1 Abs2;
VwRallg;
MRK Art7 Abs1;
ParkabgabeG Tir 2006 §14 Abs1 lita;
ParkabgabeG Tir 2006 §8;
VStG §1 Abs2;
VwRallg;

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts aufgehoben.

Das Kostenbegehren der revisionswerbenden Partei wird abgewiesen.

Begründung

1 Mit dem Straferkenntnis der Bürgermeisterin der Landeshauptstadt Innsbruck vom 4. November 2015 wurde ausgesprochen, der Mitbeteiligte habe das dem Kennzeichen nach näher bestimmte Fahrzeug am 15. Juni 2015 von 20:24 Uhr bis 20:38 Uhr in Innsbruck an einem näher bezeichneten Ort in der dortigen gemäß § 52 Z 13 lit d und e StVO gekennzeichneten, abgabepflichtigen Kurzparkzone ohne angebrachten Parkschein abgestellt und dadurch die Kurzparkzonenabgabe hinterzogen. Der Mitbeteiligte habe dadurch eine Verwaltungsübertretung nach § 14 Abs 1 lit a iVm § 8 Tiroler Parkabgabegesetz begangen. Über ihn wurde eine Geldstrafe in der Höhe von EUR 50,-- (Ersatzfreiheitsstrafe ein Tag) verhängt.

2 Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Landesverwaltungsgericht Tirol der Beschwerde des Mitbeteiligten Folge, behob das angefochtene Straferkenntnis, stellte das Verfahren gemäß § 45 Abs 1 Z 2 VStG ein und sprach aus, dass die ordentliche Revision unzulässig sei.

3 Das Landesverwaltungsgericht legte seinem Erkenntnis nachfolgende, soweit wesentlich auszugsweise wiedergegebenen Sachverhaltsfeststellungen zugrunde:

"Der Beschwerdeführer hat am 15.06.2015 von 20.24 Uhr bis 20.38 Uhr in Innsbruck in der S-straße gegenüber Haus Nr 1 den Pkw mit dem deutschen behördlichen Kennzeichen XX-XXXX (anonymisiert) geparkt. Dieser Bereich ist Teil der innerstädtischen gebührenpflichtigen Kurzparkzone. Der Beschwerdeführer hatte keinen Parkschein gelöst und somit auch keinen Parkschein hinter der Windschutzscheibe gut sichtbar angebracht.

Der Internetseite der Stadt Innsbruck ist zu entnehmen, dass im Tatortbereich bis zum 30.08.2015 eine gebührenpflichtige Kurzparkzone in der Zeit von Montag bis Freitag von 09.00 Uhr bis 21.00 Uhr und am Samstag von 09.00 Uhr bis 13.00 Uhr verordnet war. Die Höchstparkdauer betrug damals 90 Minuten.

Seit 31.08.2015 ist im Tatortbereich in der S-straße sowohl die Bewirtschaftungszeit, als auch die erlaubte Höchstparkdauer geändert. Ab 31.08.2015 gilt die Bewirtschaftung werktags Montag bis Freitag von 09.00 Uhr bis 19.00 Uhr mit einer Höchstparkdauer von 180 Minuten.

...

Zum Zeitpunkt der Fällung des nunmehr angefochtenen

Straferkenntnisses ... wäre daher eine Verwaltungsübertretung

durch den Beschwerdeführer nicht gegeben gewesen. Der Beschwerdeführer hatte sein Fahrzeug zwischen 20.24 Uhr und 20.38 Uhr in der S-straße gegenüber Haus Nr 1 geparkt. Dieser Zeitraum lag zum Zeitpunkt der Fällung des angefochtenen Straferkenntnisses am 04.11.2015 bereits außerhalb der Bewirtschaftungszeit von jeweils 09.00 Uhr bis 19.00 Uhr."

4 Rechtlich führte das Landesverwaltungsgericht aus, es stehe außer Streit, dass das für den Mitbeteiligten zum Zeitpunkt der Fällung des Bescheides durch die Verwaltungsstrafbehörde geltende Recht für ihn insofern günstiger gewesen sei, als das Parken seines Fahrzeuges außerhalb des Bewirtschaftungszeitraumes in der S-straße gelegen sei und somit eine Kurzparkzonenabgabe nicht zu entrichten gewesen wäre. Nach der Judikatur des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) enthalte das Unionsrecht als allgemeinen Grundsatz das Prinzip der Rückwirkung der günstigeren Strafnorm. Auch nach der jüngsten Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) gebiete Art 7 Abs 1 EMRK die Rückwirkung der günstigeren Strafnorm.

"Günstiger" sei das zur Zeit der Fällung des erstinstanzlichen Bescheides geltende Recht auch dann, wenn die Verwaltungsstrafnorm nach Begehung, aber vor Erlassung des erstinstanzlichen Bescheides ersatzlos außer Kraft tritt. Im Ergebnis sei der Beschwerde daher Folge zu geben und das Strafverfahren gemäß § 45 Abs 1 Z 2 VStG einzustellen gewesen.

5 Die Unzulässigkeit der ordentlichen Revision begründete das Landesverwaltungsgericht mit dem Fehlen der Voraussetzungen des Art 133 Abs 4 B-VG.

6 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision der vor dem Landesverwaltungsgericht Tirol belangten Behörde mit dem Antrag, der Verwaltungsgerichtshof möge in der Sache selbst entscheiden und das angefochtene Erkenntnis dahin abändern, dass die Beschwerde des Mitbeteiligten als unbegründet abgewiesen werde; hilfsweise das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und der Verletzung von Verfahrensvorschriften kostenpflichtig aufheben.

7 Der Mitbeteiligte erstattete keine Revisionsbeantwortung.

8 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

9 Die revisionswerbende Partei macht zu Recht ein Abweichen der angefochtenen Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes geltend. Die Amtsrevision ist somit zulässig und berechtigt.

10 Zusammengefasst wendet die revisionswerbende Behörde ein, dass im Tatzeitpunkt am 15. Juni 2015 in der S-straße am Tatort die gebührenpflichtige Kurzparkzone von Montag bis Freitag von 09:00 Uhr bis 21:00 Uhr (Höchstparkdauer 90 Minuten) verordnet gewesen sei und der Mitbeteiligte sein Kraftfahrzeug ohne 20:24 Uhr bis 20:38 Uhr ohne Parkschein dort geparkt habe, weshalb jedenfalls die Abgabepflicht entstanden sei. Deren tataktuelle Verletzung werde durch eine spätere Substituierung durch eine für den Abgabepflichtigen günstigere Bestimmung nicht beseitigt. Eine nachträgliche außerstrafrechtliche Rechtsänderung ändere nichts an der bereits eingetretenen Strafbarkeit.

11 Die Tiroler Parkabgabe ist eine Abgabe, die nach den Bestimmungen des Tiroler Parkabgabegesetz 2006, LGBl Nr 9/2006, zu entrichten ist. Im Falle schuldhafter Nichtentrichtung begeht der Täter gemäß § 14 Abs 1 lit a Tiroler Parkabgabegesetz 2006 eine Verwaltungsübertretung.

12 Nach § 1 Abs 2 VStG richtet sich die Strafe nach dem zur Zeit der Tat geltenden Recht, es sei denn, dass das zur Zeit der Entscheidung geltende Recht in seiner Gesamtwirkung für den Täter günstiger wäre.

13 Damit wird ausdrücklich bestimmt, dass im Falle einer Änderung der Rechtslage zwischen Tat und Entscheidung in Ansehung eines zu beiden Zeitpunkten strafbaren Verhaltens, das für den Täter günstigere Recht anzuwenden ist. Allerdings stellt § 1 Abs 2 VStG nur auf die Änderung der strafrechtlichen Vorschriften ab. Bei Gesetzesänderungen im außerstrafrechtlichen Bereich der Abgabenfestsetzung kommt diese Bestimmung nicht zum Tragen. Ob eine Abgabepflicht überhaupt entstand, ist nach Maßgabe der zur Tatzeit geltenden Abgabenvorschriften zu prüfen, deren tataktuelle Verletzung durch eine allfällige spätere Substituierung durch andere für den Abgabenpflichtigen günstigere Bestimmungen nicht beseitigt wird, weshalb eine nachträgliche außerstrafrechtliche Gesetzesänderung an der bereits eingetretenen Strafbarkeit nichts ändere (vgl VwGH vom 10. November 1995, 95/17/0422).

14 Demnach hatte die Änderung der in der S-straße verordneten Kurzparkzeiten, wonach im Tatortbereich zwar im Tatzeitpunkt (15. Juni 2015) bis 21:00 Uhr, im Zeitpunkt der Erlassung des erstinstanzlichen Straferkenntnisses vom 4. November 2015 sowie des angefochtenen Erkenntnisses vom 30. Dezember 2015 aber nur bis 19:00 Uhr die Parkabgabe zu entrichten war, keinen Einfluss auf die Strafbarkeit der schon am 15. Juni 2015 abgeschlossenen Tat. Die Änderung der Rechtslage zwischen dem Tatzeitpunkt und dem Ergehen des Straferkenntnisses betraf lediglich den Zeitraum, während dem die Abgabepflicht besteht, nicht aber das strafrechtliche Unwerturteil über die Abgabenverkürzung (vgl VwGH vom 26. Jänner 1998, 96/17/0405 sowie vom 24. Jänner 2000, 97/17/0331). Ein Günstigkeitsvergleich iSd § 1 Abs 2 VStG findet insofern keine Anwendung.

15 Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs 2 Z 1 wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

16 Gemäß § 47 Abs 4 VwGG hat die revisionswerbende Partei (unter anderem) in dem hier vorliegenden Fall einer Amtsrevision gemäß Art 133 Abs 6 Z 2 B-VG keinen Anspruch auf Aufwandersatz. Der Antrag der revisionswerbenden Verwaltungsbehörde, der Verwaltungsgerichtshof möge ihr den tarifmäßig festgelegten Kostenersatz für Schriftsatzaufwand zuerkennen, war daher abzuweisen.

Wien, am 28. Juni 2016

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