VwGH Ra 2016/08/0090

VwGHRa 2016/08/009014.9.2016

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldstätten und den Hofrat Dr. Strohmayer, die Hofrätin Dr. Julcher und die Hofräte Mag. Berger und Mag. Stickler als Richter und Richterin, unter Mitwirkung der Schriftführerin Dr. Gruber, über die Revision der A GesmbH in Wien, vertreten durch die Gillhofer & Plank Rechtsanwälte GesBR in 1010 Wien, Herrengasse 6-8/3/5, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 4. April 2016, Zl. W147 2113544- 1/6E, betreffend Aufnahme in den Erstattungskodex nach dem ASVG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger in Wien, vertreten durch die Preslmayr Rechtsanwälte OG in 1010 Wien, Universitätsring 12; weitere Partei: Bundesministerin für Gesundheit), zu Recht erkannt:

Normen

ASVG §31 Abs3 Z12 litb;
ASVG §351c Abs8;
ASVG §351c Abs9;
ASVG §351c;
ASVG §351g Abs2 Z1;

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufgehoben.

Der Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger hat der revisionswerbenden Partei den Aufwand von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 1. Mit dem in Revision gezogenen Erkenntnis hat das Verwaltungsgericht den Antrag der revisionswerbenden Partei vom 30. Jänner 2015 auf Aufnahme der Arzneispezialität "Vesomni 6 mg/0,4 mg Tabletten mit veränderter Wirkstofffreisetzung" mit den Wirkstoffen Tamsulosin und Solifenacin (im Folgenden: Vesomni) in den Gelben Bereich des Erstattungskodex (im Folgenden: EKO) gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG abgewiesen.

2 Dem Antrag zu Folge sollte für Vesomni folgende Verschreibungsregel für eine Untergruppe von Patienten gelten (vgl. die im Akt erliegende undatierte "Zusammenfassung Antrag in den EKO"):

"Bei durch Lower Urinary Tract Symptom (LUTS) bzw. benigne Prostatahyperplasie (BPH) hervorgerufenen moderaten bis schweren Speichersymptomen (Dranginkontinenz, erhöhte Miktionsfrequenz) und Harnentleerungsstörungen bei Männern, die durch einen Alpha-Rezeptorblocker und aufgrund von therapiebegrenzender Sicca-Symptomatik durch mindestens zwei orale Anticholinergika mit unterschiedlichen Wirkstoffen (ATC-Code G04BD) aus dem Grünen Bereich nach Titration auf die maximal verträgliche Dosis nachweislich (Miktionsprotokoll) nicht ausreichend behandelt werden konnte. Therapiefortsetzung nur bei anhaltender Symptomkontrolle bei gleichzeitig reduzierter Sicca-Symptomatik."

3 Pharmakologisch stufte die revisionswerbende Partei ihr Produkt iSd § 23 Abs. 2 Z 3 VO-EKO ein (die beantragte Arzneispezialität hat eine neue Kombination von Wirkstoffen, die bereits im EKO angeführt sind). Aus medizinisch-therapeutischer Sicht stufte sie ihr Produkt iSd § 24 Abs. 2 Z 2 VO-EKO ein (die beantragte Arzneispezialität ist eine weitere Therapieoption mit gleichem oder ähnlichem therapeutischen Nutzen für Patienten im Vergleich zu den im Rahmen der pharmakologischen Evaluation festgelegten Arzneispezialitäten).

4 Das Verwaltungsgericht führte begründend aus, die belangte Behörde habe iSd § 23 Abs. 1 Z 2 VO-EKO (insbesondere für die Durchführung der medizinisch-therapeutischen Evaluation der beantragten Arzneispezialität) folgende - teilweise im Grünen Bereich, teilweise im Gelben Bereich des EKO angeführten - "therapeutischen Alternativen" festgelegt:

 

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

8 3. Die Revision führt zu ihrer Zulässigkeit aus, zur Frage der Einordnung und der Preisgestaltung von Kombinationspräparaten fehle eine Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes. Die Rechtsansicht, jede Wirkstoffkomponente müsse einen zusätzlichen Patientennutzen zu den einzelnen Monosubstanzen aufweisen, stehe im Widerspruch zum System des EKO sowie zur bisherigen Judikatur der Unabhängigen Heilmittelkommission. Weder für die Preisbildung im Gelben Bereich noch für die im Grünen Bereich des EKO sei der Nachweis eines zusätzlichen Patientennutzens erforderlich. Das Verwaltungsgericht habe § 24 Abs. 2 Z 1 bis 2 VO-EKO nicht beachtet, wonach (auch) eine Aufnahme von Produkten mit "keinem zusätzlichen therapeutischen Nutzen" bzw. Therapieoptionen mit "gleichem oder ähnlichem therapeutischen Nutzen" vorgesehen ist, was gemäß § 25 Abs. 5 VO-EKO auch für den Gelben Bereich des EKO gelte. Vesomni sei ein Produkt mit einem gleichen oder ähnlichen therapeutischen Nutzen zu bereits im EKO gelisteten Präparaten. Daher habe das Produkt gemäß § 24 Abs. 2 Z 2 VO-EKO iVm § 25 Abs. 2 Z 2 VO-EKO in Verbindung mit den ökonomischen Kriterien der Heilmittel-Evaluierungskommission einen Preis von minus 10 % zu der Summe der Einzelkomponenten zu gewähren. Es sei gängige Judikatur, dass bei Kombinationspräparaten beide im EKO bereits verzeichneten Komponenten in die Preisberechnung einbezogen werden müssten. Die Festlegung der therapeutischen Alternativen nach § 23 VO-EKO müsse beide Referenzprodukte enthalten. Zur Festlegung des therapeutischen Nutzens (oder Zusatznutzens) müsse das beantragte Produkt nach § 24 VO-EKO im Vergleich zu einer freien Kombination der im EKO bereits verzeichneten Komponenten beurteilt werden. Die bisherige Judikatur würde davon ausgehen, dass auch Produkte mit einem "gleichen oder ähnlichen" Nutzen in den Erstattungskodex aufzunehmen seien. Aus den im Formblatt AC 2.1.4 des Antrages geforderten Angaben könne nicht abgeleitet werden, dass ein zusätzlicher Nutzen im Vergleich zu den einzelnen Komponenten darzustellen sei. Es sei verfehlt, über den "Komponentenbeweis" im Punkt 2.1.4 der Anlage zur VO-EKO zu dem Schluss zu kommen, dass ein Patientennutzen der Kombination gegenüber jeder Einzelsubstanz nachzuweisen sei. Keine der Bestimmungen im ASVG und in der VO-EKO würden eine derartige Auslegung zulassen. Als eine die Rechtssicherheit beeinträchtigende unschlüssige Beweiswürdigung betrachtet die Revision die darauf beruhende Feststellung, dass das Verwaltungsgericht "keinen Nutzen in der Kombination gegenüber den Einzelsubstanzen" habe erkennen können.

9 4. Die Revision ist zulässig und berechtigt.

Gemäß § 31 Abs. 3 Z 12 ASVG gehört zu den Aufgaben des Hauptverbandes der österreichischen Sozialversicherungsträger die Herausgabe eines Erstattungskodex der Sozialversicherung (EKO) für die Abgabe von Arzneispezialitäten auf Rechnung eines Sozialversicherungsträgers im niedergelassenen Bereich. Die Arzneispezialitäten sind im EKO gemäß lit. a bis c leg. cit. entweder dem chefarztpflichtigen "Roten Bereich" (zeitlich befristet für jene Arzneispezialitäten, die erstmalig am österreichischen Markt lieferbar sind) oder dem grundsätzlich chefarztpflichtigen "Gelben Bereich" (für jene Arzneispezialitäten, die einen wesentlichen zusätzlichen therapeutischen Nutzen für Gruppen von Patienten und Patienten aufweisen und die aus medizinischen oder gesundheitsökonomischen Gründen nicht in den Grünen Bereich aufgenommen werden) oder schließlich dem "Grünen Bereich" (für jene Arzneispezialitäten, deren Abgabe ohne ärztliche Bewilligung des chef- und kontrollärztlichen Dienstes der Sozialversicherungsträger auf Grund ärztlicher Verschreibung medizinisch und gesundheitsökonomisch sinnvoll und vertretbar ist) zuzuordnen. Die Aufnahme von Arzneispezialitäten in den Gelben oder in den Grünen Bereich kann sich auch auf bestimmte Verwendungen (auf eine Untergruppe von Patienten) beschränken.

10 Mit den §§ 351c ff ASVG hat der Gesetzgeber als tragenden Grundsatz zum Ausdruck gebracht, dass eine Arzneispezialität nur dann in den EKO aufgenommen werden soll, wenn sie entweder einen medizinischen oder zumindest einen ökonomischen Zusatznutzen gegenüber anderen im Erstattungskodex angeführten Arzneispezialitäten aufweist. Die Neuartigkeit eines Wirkmechanismus ist insoweit (abgesehen von § 26 Abs. 1 letzter Satz iVm Abs. 2 VO-EKO) nicht ausschlaggebend. Ein Vorteil für die gesetzliche Krankenversicherung - und darauf kommt es beim Erstattungskodex entscheidend an - besteht nur dann, wenn entweder eine wesentliche Verbesserung in den therapeutischen Wirkungen für die Behandlung krankenversicherter Patienten entsteht oder wenn sich Vorteile auf der Finanzierungsseite ergeben, weil es sich im Verhältnis zu den am Markt und nach dem Erstattungskodex verfügbaren Alternativen um ein signifikant kostengünstigeres Medikament handelt.

11 5.1. Was den medizinischen Zusatznutzen betrifft, so kommt es für die Aufnahme einer Arzneispezialität in den "Grünen Bereich" gemäß § 351c Abs. 9 ASVG auf eine "gleiche oder ähnliche therapeutische Wirkung" (Z 1) bzw. auf einen "therapeutischen Mehrwert" (Z 2) (einen "Zusatznutzen" für Patienten bzw. für eine bestimmte Untergruppe von Patienten in den in § 24 VO-EKO genannten Abstufungen) im Vergleich zu anderen Arzneispezialitäten im "Grünen Bereich" an (vgl. die auf dieses Kriterium abzielende Empfehlung der HEK gemäß § 351g Abs. 2 vierter Satz Z 2 ASVG). Bei der auf der Einstufung nach § 24 VO-EKO aufbauenden gesundheitsökonomischen Evaluation ist für die Aufnahme in den "Grünen Bereich" die Wirtschaftlichkeit der Arzneispezialität nach Maßgabe der § 25 Abs. 1 bis 3 VO-EKO zu beurteilen.

12 5.2. Hingegen setzt § 351c Abs. 8 iVm § 31 Abs. 3 Z 12 lit. b ASVG in Bezug auf den medizinischen Zusatznutzen für die Aufnahme einer Arzneispezialität in den "Gelben Bereich" jedenfalls voraus, dass die Arzneispezialität im Vergleich zu den maßgeblichen therapeutischen Alternativen einen wesentlichen zusätzlichen therapeutischen Nutzen für Patienten (bzw. für eine bestimmte Untergruppe von Patienten) aufweist ("Eintrittsvoraussetzung"). Aus den genannten Bestimmungen lässt sich für eine beantragte Aufnahme in den Gelben Bereich ebenfalls der Grundsatz ableiten, dass es sich bei den therapeutischen Alternativen, in Bezug auf die das Vorliegen einer wesentlichen therapeutischen Innovation mit einem wesentlichen therapeutischen Zusatznutzen für Patienten (bzw. für eine Untergruppe von Patienten) zu beurteilen ist, um Arzneispezialitäten aus dem Grünen Bereich handelt. Die Festlegung der therapeutischen Alternativen durch die HEK (§ 23 Abs. 1 Z 2 VO-EKO) als Basis für die durchzuführende medizinisch-therapeutische Evaluation (§ 24 Abs. 1 Z 2 VO-EKO) hat sich daher - wie dies gemäß § 351c Abs. 9 ASVG bereits für die Aufnahme in den Grünen Bereich vorgesehen ist - auch für eine Aufnahme in den Gelben Bereich grundsätzlich nur auf Arzneispezialitäten aus dem Grünen Bereich zu beziehen.

13 Das Kriterium der "wesentlichen therapeutischen Innovation" weist gegenüber dem des "wesentlichen zusätzlichen therapeutischen Nutzens für Patienten" keinen Unterschied auf (vgl. § 351c Abs. 8 ASVG, der eine für den Gelben Bereich allein maßgebliche "wesentliche therapeutische Innovation" im gleichen Sinn verwendet wie § 31 Abs. 3 Z 12 lit. b ASVG und § 351g Abs. 2 vierter Satz Z 1 ASVG einen für den Gelben Bereich allein maßgeblichen "wesentlichen zusätzlichen therapeutischen Nutzen").

14 Kann für eine Arzneispezialität, für die eine Aufnahme in den "Gelben Bereich" angestrebt wird, der Nachweis eines wesentlichen zusätzlichen therapeutischen Nutzens (der "Eintrittsvoraussetzung") nicht erbracht werden, so erübrigt sich eine gesundheitsökonomische Evaluation dieser Arzneispezialität.

15 6. Vor dem Hintergrund der Regelungszwecke des EKO ist - insbesondere für die hier maßgebliche Frage der Aufnahme der Arzneispezialität in den "Gelben Bereich" - der Begriff der wesentlichen therapeutischen Innovation (des wesentlichen zusätzlichen therapeutischen Nutzens) für Patienten bzw. für eine bestimmte Untergruppe von Patienten im Sinne einer deutlich günstigeren therapeutischen Wirkung zu verstehen. Es handelt sich um die höchstmögliche Einstufung im Rahmen der medizinischtherapeutischen Evaluation, die nur dann in Betracht kommt, wenn (allenfalls durch anerkannte Surrogatparameter) bedeutende Verbesserungen gegenüber vorhandenen therapeutischen Alternativen nachweisbar sind, etwa - je nach Art der Erkrankung - der (deutlich raschere und/oder vollständigere) Rückgang der Symptome, die Verlängerung der Überlebensdauer, das Vermeiden bzw. Hinauszögern von Folgeschäden oder das Ausbleiben von schweren Nebenwirkungen; bei chronischen Erkrankungen kann auch eine - eindeutig objektivierbare - erhebliche Verbesserung der Lebensqualität einen wesentlichen therapeutischen Zusatznutzen begründen. Liegen derart gewichtige Vorteile im Vergleich zu den therapeutischen Alternativen nicht vor, kommt die Bejahung eines wesentlichen therapeutischen Zusatznutzens für eine Mehrzahl von Patienten bzw. für eine bestimmte Untergruppe von Patienten nicht in Betracht. Zur Beurteilung des medizinisch-therapeutischen Nutzens ist zu ermitteln, welche positiven Effekte mit der Anwendung der Arzneispezialität verbunden sind, inwieweit ihnen klinische Relevanz zukommt und wie sich die neue Arzneispezialität insofern von allfälligen vergleichbaren Arzneispezialitäten unterscheidet (vgl. zum Ganzen das hg. Erkenntnis vom 6. Juli 2016, Ro 2016/08/0012, mwN).

16 7. Wenn eine Arzneispezialität im Gelben Bereich des EKO angeführt ist, dann kann davon ausgegangen werden, dass - jedenfalls so lange kein Verfahren zur Änderung seiner Verschreibbarkeit bzw. seiner Streichung eingeleitet worden ist (§§ 35 ff VO-EKO) - sich diese Arzneispezialität durch einen (allenfalls auf eine Untergruppe von Patienten bezogenen) wesentlichen therapeutischen Zusatznutzen gegenüber den im Grünen Bereich des EKO angeführten Arzneispezialitäten auszeichnet.

17 Der für eine Aufnahme einer beantragten Arzneispezialität in den Gelben Bereich erforderliche Nachweis eines "wesentlichen therapeutischen Zusatznutzens für Patienten" ist somit (mangels konkreter gegenteiliger Anhaltspunkte) auch erbracht, wenn im Gelben Bereich - allenfalls eingeschränkt auf eine bestimmte Patientengruppe bzw. Verschreibungsregel - eine oder mehrere "vergleichbare" Arzneispezialitäten angeführt sind, also der in der beantragten Arzneispezialität enthaltene Wirkstoff mit einem bereits im Gelben Bereich angeführten Wirkstoff ident ist bzw. er diesem gegenüber eine therapeutische Wirksamkeit iSd § 24 Abs. 2 Z 1 VO-EKO oder höher besitzt (an diese "Vergleichbarkeit" knüpft im Übrigen bei der nachfolgenden gesundheitsökonomischen Evaluation auch § 25 Abs. 5 VO-EKO an).

18 8. Kann man bei einer für die Aufnahme in den Gelben Bereich beantragten Arzneispezialität davon ausgehen, dass ein wesentlicher therapeutischer Zusatznutzen für die betreffenden Patienten besteht - sei es durch den dargelegten Vergleich mit den therapeutischen Alternativen aus dem Grünen Bereich (§ 351c Abs. 8 iVm § 31 Abs. 3 Z 12 lit. b ASVG), sei es durch das beschriebene Vorhandensein einer oder mehrerer (auch in Bezug auf die Patientengruppe) vergleichbarer Arzneispezialitäten im Gelben Bereich (§ 25 Abs. 5 VO-EKO) - so ist die ökonomische Bewertung in dem zuletzt genannten Fall des Vorliegens vergleichbarer Arzneispezialitäten im Gelben Bereich durch einen Vergleich mit diesen vorzunehmen (§ 351g Abs. 2 Z 1 iVm § 25 Abs. 4 und 5 VO-EKO). Da sich gemäß § 25 Abs. 5 VO-EKO die analog zu § 25 Abs. 2 VO-EKO vorzunehmende gesundheitsökonomische Evaluation auf die "Fallgruppen" des § 24 Abs. 2 VO-EKO bezieht, ist eine dem entsprechende medizinisch-therapeutische Evaluation erforderlich, die sich aber in dem genannten Fall nicht auf die therapeutischen Alternativen aus dem Grünen Bereich iSd § 23 Abs. 1 Z 2 VO-EKO, sondern auf diese vergleichbaren Arzneispezialitäten (die therapeutischen Alternativen) aus dem Gelben Bereich (§ 25 Abs. 5 VO-EKO) zu beziehen hat.

19 9.1. Wie die revisionswerbende Partei u.a. in ihrer Beschwerde an das Verwaltungsgericht ausgeführt hat, ist die Arzneispezialität Vesicare, ein Antimuskarinikum (spasmolytisches Anticholinergikum) mit dem Wirkstoff Solifenacin, im Gelben Bereich des EKO mit folgender Verschreibungsregel angeführt:

"Bei Dranginkontinenz, die aufgrund von therapiebegrenzender Sicca-Symptomatik durch mind. zwei orale Anticholinergika mit unterschiedlichen Wirkstoffen (ATC-Code G04BD) aus dem Grünen Bereich nach Titration auf die maximal verträgliche Dosis nachweislich (Miktionsprotokoll) nicht ausreichend behandelt werden konnte. Therapiefortsetzung nur bei anhaltender Symptomkontrolle bei gleichzeitig reduzierter Sicca-Symptomatik."

20 Dem Antrag zufolge sollte wie erwähnt für Vesomni folgende Verschreibungsregel gelten:

"Bei durch Lower Urinary Tract Symptom (LUTS) bzw. benigne Prostatahyperplasie (BPH) hervorgerufenen moderaten bis schweren Speichersymptomen (Dranginkontinenz, erhöhte Miktionsfrequenz) und Harnentleerungsstörungen bei Männern, die durch einen Alpha-Rezeptorblocker und aufgrund von therapiebegrenzender Sicca-Symptomatik durch mindestens zwei orale Anticholinergika mit unterschiedlichen Wirkstoffen (ATC-Code G04BD) aus dem Grünen Bereich nach Titration auf die maximal verträgliche Dosis nachweislich (Miktionsprotokoll) nicht ausreichend behandelt werden konnte. Therapiefortsetzung nur bei anhaltender Symptomkontrolle bei gleichzeitig reduzierter Sicca-Symptomatik."

21 9.2. Ein Vergleich der Verschreibungsregeln für Vesicare auf der einen Seite und Vesomni auf der anderen Seite führt zu zwei sich teilweise deckenden Untergruppen von Patienten, für die die jeweilige Arzneispezialität medizinisch-therapeutische Wirkungen entfalten soll. Vesicare ist für Patienten mit in näher bezeichneter Weise nicht ausreichend behandelbarer Dranginkontinenz vorgesehen. Das beantragte Vesomni ist ebenfalls bei in näher bezeichneter Weise nicht ausreichend behandelbarer Dranginkontinenz vorgesehen, jedoch zusätzlich eingeschränkt auf Harnentleerungsstörungen bei Männern, die durch einen Alpha-Rezeptorblocker nicht ausreichend behandelt werden konnten.

22 9.3. Es steht nach dem oben Gesagten fest, dass das bereits im Gelben Bereich angeführte Vesicare (mit dem Wirkstoff Solifenacin) für die angegebene Untergruppe von Patienten iSd § 31 Abs. 3 Z 12 lit. b ASVG einen wesentlichen therapeutischen Zusatznutzen im Vergleich zu den im Grünen Bereich angeführten Arzneispezialitäten aufweist und für Vesomni (mit dem Wirkstoff Solifenacin) die "Eintrittsvoraussetzung" somit grundsätzlich erfüllt ist.

23 An dem zu bejahenden wesentlichen therapeutischen Zusatznutzen der beantragten Arzneispezialität für die betreffenden Patienten ändert sich - Neutralität der Kombination vorausgesetzt - grundsätzlich nichts, wenn der Wirkstoff, von dem der besagte Nutzen ausgeht, mit einem anderen (neuen oder bereits im EKO angeführten) Wirkstoff kombiniert wird.

24 Die revisionswerbende Partei hat Vesomni pharmakologisch iSd § 23 Abs. 2 Z 3 VO-EKO eingestuft (die beantragte Arzneispezialität hat eine neue Kombination von Wirkstoffen, die bereits im EKO angeführt sind). Dem Gesetz bzw. der VO-EKO ist nicht zu entnehmen, dass im Fall eines Antrags um Aufnahme in den Gelben Bereich bei einer Kombination von Wirkstoffen solche ausgeschlossen wären, die bereits im Grünen Bereich angeführt sind. Ist daher für Vesomni auf Grund seiner Wirkstoffkomponente Solifenacin die grundsätzliche "Eintrittsvoraussetzung" in den Gelben Bereich (ein wesentlicher therapeutischer Zusatznutzen für die betreffenden Patienten) zu bejahen, dann ändert daran in der Regel der Umstand nichts, dass die Arzneispezialität Vesomni als zweite Wirkstoffkomponente das in dem Grünen Bereich des EKO angeführte Tamsulosin enthält.

25 9.4.1. Treffen die oben geschilderten Annahmen zu, dann ist im Anschluss eine gesundheitsökonomische Evaluation von Vesomni vorzunehmen, die sich sowohl betreffend das im Grünen Bereich angeführte Tamsulosin als auch - wegen der von § 25 Abs. 5 VO-EKO angeordneten sinngemäßen Anwendung des Abs. 2 leg. cit. - betreffend das im Gelben Bereich angeführte Vesicare (Solifenacin) auf die "Fallgruppen" des § 24 Abs. 2 VO-EKO zu beziehen hat.

26 Durch die gesundheitsökonomische Evaluation der neuen Kombination von zwei bereits im EKO angeführten Wirkstoffen kann dem bereits erwähnten Grundsatz der §§ 351c ff ASVG Rechnung getragen werden, auch eine Arzneispezialität mit bekannten Wirkmechanismen in den EKO aufzunehmen, wenn sie zumindest einen ökonomischen Zusatznutzen gegenüber anderen im Erstattungskodex angeführten Arzneispezialitäten aufweist.

27 9.4.2. Die revisionswerbende Partei hat die beantragte Arzneispezialität Vesomni aus medizinisch-therapeutischer Sicht iSd § 24 Abs. 2 Z 2 VO-EKO eingestuft (die beantragte Arzneispezialität ist eine weitere Therapieoption mit gleichem oder ähnlichem therapeutischen Nutzen für Patienten im Vergleich zu den im Rahmen der pharmakologischen Evaluation festgelegten Arzneispezialitäten).

28 Sie hat allerdings - soweit dem Akt zu entnehmen ist - was die Zielgruppe von Patienten betrifft zusätzlich vorgesehen, dass Vesomni männlichen Patienten verschrieben werden soll, deren Dranginkontinenz in näher bezeichneter Weise nicht ausreichend behandelbar ist und deren Harnentleerungsstörungen durch einen Alpha-Rezeptorblocker nicht ausreichend behandelt werden konnten. In Anbetracht dieser Verschreibungsregel erscheint indes fraglich, wieso bei Patienten, bei denen die Behandlung der Harnentleerungsstörungen mit dem Alpha-Rezeptorblocker Tamsulosin aus dem Grünen Bereich nicht zum Erfolg geführt hat, eine Behandlung mit eben demselben Tamsulosin nur deshalb einen besseren therapeutischen Nutzen versprechen sollte, weil Tamsulosin mit Solifenacin in einem Arzneimittel kombiniert ist. In Anbetracht der oben wiedergegebenen Einstufung nach § 24 Abs. 2 Z 2 VO-EKO dürfte jedoch - vorbehaltlich anderer Ergebnisse im fortzuführenden Verfahren - dieser die zu erreichende Patientengruppe betreffende Antragsteil nicht schaden (vgl. aber zum Ausschluss einer Einschränkung oder Klarstellung des Antragsbegehrens im Beschwerdeverfahren § 351h Abs. 4 ASVG).

29 10. Da das Verwaltungsgericht infolge seiner unrichtigen Rechtsauffassung die beschriebene Vergleichbarkeit von Vesicare und der beantragten Arzneispezialität Vesomni nicht geprüft bzw. von einer gesundheitsökonomischen Evaluation von Vesomni Abstand genommen hat, war das angefochtene Erkenntnis gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufzuheben.

30 11. Die Zuerkennung von Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014, BGBl. II Nr. 518/2013.

Wien, am 14. September 2016

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