VwGH Ra 2016/02/0065

VwGHRa 2016/02/006520.6.2016

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Beck, den Hofrat Mag. Dr. Köller und die Hofrätin Mag. Dr. Maurer-Kober als Richter, unter Beiziehung der Schriftführerin Mag. Harrer, über die Revision des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz, gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichtes Wien vom 4. Dezember 2015, Zl. VGW- 042/007/30607/2014-3, betreffend Übertretungen arbeitnehmerschutzrechtlicher Bestimmungen (mitbeteiligte Partei:

N in N, vertreten durch Mag. Wolfgang Lindle, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Falkestraße 1/6), zu Recht erkannt:

Normen

BauKG 1999;
VStG §45 Abs1 Z4 idF 2013/I/033;
VStG §45 Abs1 Z6 idF 2013/I/033;
VStG §5 Abs1;
VStG §9;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2016:RA2016020065.L00

 

Spruch:

Der angefochtene Beschluss wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.

Begründung

1 Mit Straferkenntnis vom 31. Juli 2014 hat der Magistrat der Stadt Wien den Mitbeteiligten als handelsrechtlichen Geschäftsführer und somit als gemäß § 9 Abs. 1 VStG zur Vertretung nach außen Berufenen der D GmbH mehrerer Übertretungen nach dem Bauarbeitenkoordinationsgesetz (BauKG) für schuldig erachtet und zu Geldstrafen samt Ersatzfreiheitsstrafen verurteilt.

2 Der gegen dieses Straferkenntnis erhobenen Beschwerde des Mitbeteiligten hat das Verwaltungsgericht Folge gegeben, das Verfahren gemäß § 45 Abs. 1 Z 4 VStG eingestellt und die ordentliche Revision für unzulässig erklärt.

3 In der Begründung gibt das Verwaltungsgericht den Verfahrensgang sowie den Inhalt von Beschwerde und Rechtfertigung des Mitbeteiligten wieder und führt aus, dass nach der im Wesentlichen wiedergegebenen Aktenlage es letztlich keinen Grund gebe, am Vorbringen des Mitbeteiligten zu zweifeln, dass er sich nämlich um die Befolgung der verfahrensgegenständlichen Bestimmungen des BauKG deutlich bemüht habe und die festgestellten Mängel entweder nicht von seinem Verschulden umfasst seien oder, sofern ein ohne nachteilige Folgen gebliebener, kleiner Fehler vorgelegen sei, dieser umgehend behoben worden sei. Das Verschulden des Mitbeteiligten werde daher als lediglich geringfügig beurteilt und durch die vorübergehende Außerachtlassung der Bestimmungen sei das strafrechtlich geschützte Rechtsgut nur in eher geringem Maße verletzt. Auf Grund der Aktenlage sei daher vom Vorliegen der Voraussetzungen zur Anwendung des § 45 Abs. 1 Z 4 VStG auszugehen, weshalb der Beschwerde Folge zu geben und das Verwaltungsstrafverfahren einzustellen gewesen sei.

4 Gegen diesen Beschluss richtet sich die vorliegende Amtsrevision wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.

5 Der Mitbeteiligte hat die Revision beantwortet und deren kostenpflichtige Zurück- bzw. Abweisung beantragt.

 

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

6 Das Verwaltungsgericht geht offenbar von der Verwirklichung der dem Mitbeteiligten vorgeworfenen Tatbestände aus, bejaht jedoch das Vorliegen der Voraussetzungen für eine Verfahrenseinstellung nach § 45 Abs. 1 Z 4 VStG.

7 Die revisionswerbende Partei rügt das Unterlassen einer rechtlichen Würdigung der im § 45 Abs. 1 Z 4 VStG genannten Umstände durch das Verwaltungsgericht. Ob die Kriterien für eine Verfahrenseinstellung vorliegen, werde im angefochtenen Beschluss nicht begründet.

8 Die Revision ist zulässig und auch berechtigt. 9 § 45 Abs. 1 VStG in der Fassung BGBl. I Nr. 33/2013 lautet:

"Die Behörde hat von der Einleitung oder Fortführung eines Strafverfahrens abzusehen und die Einstellung zu verfügen, wenn

1. die dem Beschuldigten zur Last gelegte Tat nicht erwiesen werden kann oder keine Verwaltungsübertretung bildet;

2. der Beschuldigte die ihm zur Last gelegte Verwaltungsübertretung nicht begangen hat oder Umstände vorliegen, die die Strafbarkeit aufheben oder ausschließen;

  1. 3. Umstände vorliegen, die die Verfolgung ausschließen;
  2. 4. die Bedeutung des strafrechtlich geschützten Rechtsgutes und die Intensität seiner Beeinträchtigung durch die Tat und das Verschulden des Beschuldigten gering sind;
  3. 5. die Strafverfolgung nicht möglich ist;
  4. 6. die Strafverfolgung einen Aufwand verursachen würde, der gemessen an der Bedeutung des strafrechtlich geschützten Rechtsgutes und der Intensität seiner Beeinträchtigung durch die Tat unverhältnismäßig wäre.

    Anstatt die Einstellung zu verfügen, kann die Behörde dem Beschuldigten im Fall der Z 4 unter Hinweis auf die Rechtswidrigkeit seines Verhaltens mit Bescheid eine Ermahnung erteilen, wenn dies geboten erscheint, um ihn von der Begehung strafbarer Handlungen gleicher Art abzuhalten."

    10 Nach der Rechtsprechung setzt die Einstellung des Verfahrens voraus, dass die im § 45 Abs. 1 Z 4 VStG genannten Umstände kumulativ vorliegen (vgl. etwa das Erkenntnis vom 20. November 2015, Ra 2015/02/0167, und den Beschluss vom 17. Februar 2015, Ra 2015/09/0004).

    11 Im vorliegenden Fall hat sich das Verwaltungsgericht sachverhaltsbezogen weder mit der Bedeutung des durch die maßgebenden Bestimmungen strafrechtlich geschützten Rechtsgutes noch mit der Intensität seiner Beeinträchtigung durch die Tat auseinandergesetzt und hat auch die von ihm angenommene Geringfügigkeit des Verschuldens des Mitbeteiligten nicht näher begründet. Dabei kann der Hinweis auf ein Bemühen um die Einhaltung arbeitnehmerschutzrechtlicher Bestimmungen für sich allein nicht zu einer Geringfügigkeit des Verschuldens führen. Auch bleibt unklar, weshalb durch eine "vorübergehende Außerachtlassung der Bestimmungen das strafrechtlich geschützte Rechtsgut nur in eher geringem Maße verletzt" wurde.

    12 Zur Bedeutung des strafrechtlich geschützten Rechtsgutes, die vom Verwaltungsgericht offenbar als gering eingestuft wurde, ist darauf hinzuweisen, dass die Bestimmungen des BauKG auf die Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der auf einer Baustelle beschäftigten Arbeitnehmer abzielen (vgl. die Erläuterungen RV 1462 Blg XX. GP). Es ist nicht zu sehen, dass die Rechtsgüter der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes von Arbeitnehmern von vorneherein als geringfügig eingestuft werden können.

    13 Die Frage des Verschuldens kann ohne Auseinandersetzung mit der Fahrlässigkeitsvermutung des § 5 Abs. 1 VStG und einem einen Vertreter im Bereich des § 9 VStG entlastenden Kontrollsystem ebenfalls nicht ohne weiteres beantwortet werden (vgl. etwa das Erkenntnis vom 7. März 2016, Ra 2016/02/0030, mwN). Nach der Aktenlage hat der Mitbeteiligte nicht einmal behauptet, zu seiner Entlastung ein Kontrollsystem eingerichtet zu haben.

    14 Jedenfalls lässt das Verwaltungsgericht in jedem einzelnen Punkt eine nähere Auseinandersetzung mit den eine Einstellung gemäß § 45 Abs. 1 Z 4 VStG tragenden Umständen vermissen.

    15 Damit ist der angefochtene Beschluss mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes belastet und war gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

    Wien, am 20. Juni 2016

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