VwGH Ra 2015/12/0080

VwGHRa 2015/12/008022.6.2016

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Köhler, die Hofräte Dr. Zens und Dr. Pfiel, die Hofrätin Mag.a Nussbaumer-Hinterauer und den Hofrat Mag. Feiel als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Artmann, über die außerordentliche Revision der I H in P, vertreten durch Dr. Martin Riedl, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Franz Josefs Kai 5, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich vom 29. September 2015, Zl. LVwG-AV-639/001-2015, betreffend Feststellung der beitragsgedeckten Gesamtdienstzeit gemäß § 115f LDG 1984 (vor dem Landesverwaltungsgericht Niederösterreich belangte Behörde: Landesschulrat für Niederösterreich), zu Recht erkannt:

Normen

ABGB §6;
ABGB §7;
ABGB §861;
AVG §56;
AVG §59 Abs1;
B-VG Art133 Abs4;
LDG 1984 §115f Abs2 Z4;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;
ABGB §6;
ABGB §7;
ABGB §861;
AVG §56;
AVG §59 Abs1;
B-VG Art133 Abs4;
LDG 1984 §115f Abs2 Z4;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Niederösterreich hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Zur Vorgeschichte wird auch auf deren Darlegung im hg. Erkenntnis vom 27. Mai 2015, Ra 2014/12/0022, verwiesen, wobei folgende Umstände hervorzuheben sind:

2 Die 1956 geborene Revisionswerberin steht als Volksschuldirektorin in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis zum Land Niederösterreich.

3 Nach Maßgabe einer Erledigung des Landesschulrates für Niederösterreich vom 3. September 1997 wurde ihr gemäß § 58 Abs. 1 und 2 des Landeslehrer-Dienstrechtsgesetzes 1984, BGBl. Nr. 302 (im Folgenden: LDG 1984), ein Karenzurlaub für die Zeit vom 1. September 1997 bis 8. Februar 1998 gewährt und ausgesprochen, dass die Zeit des Karenzurlaubes für Rechte, die von der Dauer des Dienstverhältnisses abhingen, nicht zu berücksichtigen sei, jedoch werde die Urlaubszeit mit dem Tag des Wiederantrittes des Dienstes zur Hälfte für die Vorrückung in höhere Bezüge wirksam.

4 Eine Zustellung dieser Erledigung an die Revisionswerberin ist nicht ausgewiesen.

5 Am 13. Jänner 1998 richtete der Landesschulrat für Niederösterreich eine Erledigung an die Revisionswerberin, deren Spruch wie folgt lautete:

"Gemäß § 58 Abs. 1 und 2 LDG 1984, BGBl. Nr. 302/84, wird der mit ha. Bescheid vom 3.9.97, ..., gewährte Urlaub gegen Entfall der Bezüge für die Zeit vom 9.2.98 bis 6.9.98 verlängert. Die Zeit des Karenzurlaubes ist für Rechte, die von der Dauer des Dienstverhältnisses abhängen, nicht zu berücksichtigen, jedoch wird die Urlaubszeit mit dem Tag des Wiederantrittes des Dienstes zur Hälfte für die Vorrückung in höhere Bezüge wirksam."

6 Über Antrag der Revisionswerberin wurde mit Bescheid des Landesschulrates für Niederösterreich vom 16. Oktober 2013 festgestellt, dass die beitragsgedeckte Gesamtdienstzeit der Revisionswerberin mit Ende Oktober 2013 35 Jahre 1 Monat und 24 Tage betrage.

7 Bei dieser Feststellung berücksichtigte die Dienstbehörde den nach der Begründung des öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnisses der Revisionswerberin gelegenen Zeitraum vom 1. September 1997 bis 6. September 1998 nicht.

8 Die Revisionswerberin erhob Berufung.

9 Mit Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich vom 15. Oktober 2014 wurde die als Beschwerde gewertete Berufung der Revisionswerberin als unbegründet abgewiesen und ausgesprochen, dass die ordentliche Revision unzulässig sei.

10 Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich ging in dem genannten Erkenntnis von einer wirksamen Zustellung der Erledigungen vom 3. September 1997 und vom 13. Jänner 1998 an die Revisionswerberin aus. Es vertrat in rechtlicher Hinsicht die Auffassung, dass es sich bei den genannten Erledigungen um die Bewilligung von Karenzurlauben im Verständnis des § 58 Abs. 1 und 2 LDG 1984 (und nicht um solche im Sinne des § 58c Abs. 1 LDG 1984) gehandelt habe. Auch eine Berücksichtigung der Zeiten dieses Karenzurlaubes als Zeiten der Kindererziehung im Verständnis des § 115f Abs. 2 Z 4 LDG 1984 komme nicht in Betracht.

11 Auf Grund einer dagegen erhobenen außerordentlichen Revision der Revisionswerberin wurde das vorzitierte Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich mit hg. Erkenntnis vom 27. Mai 2015, Ra 2014/12/0022, aufgehoben.

12 In diesem Erkenntnis vertrat der Verwaltungsgerichtshof die Rechtsauffassung, dass die in Rede stehenden Zeiten als solche eines Karenzurlaubes gemäß § 58 Abs. 1 und 2 LDG 1984 nicht auf die beitragsgedeckte Gesamtdienstzeit gemäß § 115f LDG 1984 anzurechnen wären, wenn die Erledigungen vom 3. September 1997 und vom 13. Jänner 1998 der Revisionswerberin zugestellt worden wären, was Letztere jedoch in ihrer Revision bestritten hätte. In Ermangelung von Zustellnachweisen betreffend diese Erledigungen wäre das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich verpflichtet gewesen, die Frage der Zustellung dieser Erledigungen an die Revisionswerberin amtswegig einer Klärung zuzuführen. Der Verwaltungsgerichtshof billigte in dem zitierten Erkenntnis die Auffassung des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich, wonach eine Berücksichtigung der genannten Zeiten aus dem Grunde des § 115f Abs. 2 Z 4 LDG 1984 nicht in Betracht komme.

13 Nach Ergänzung des Verfahrens wies das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis vom 29. September 2015 die als Beschwerde gewertete Berufung der Revisionswerberin gegen den Bescheid des Landesschulrates für Niederösterreich vom 16. Oktober 2013 neuerlich als unbegründet ab und sprach aus, dass die ordentliche Revision unzulässig sei.

14 Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich ging mit näherer Begründung davon aus, dass die Erledigung des Landesschulrates für Niederösterreich vom 13. Jänner 1998 der Revisionswerberin zugestellt worden sei. Hingegen sei eine Zustellung der Erledigung der Dienstbehörde vom 3. September 1997 nicht feststellbar.

15 Dennoch sei die Dienstbehörde im Ergebnis zu Recht von einer Gewährung eines Karenzurlaubes gemäß § 58 Abs. 1 und 2 LDG 1984 für den Gesamtzeitraum vom 1. September 1997 bis 6. September 1998 ausgegangen. Diese Auffassung begründete das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich im angefochtenen Erkenntnis wie folgt:

"Über die Zustellung des Bescheides des Landesschulrates für NÖ vom 03.09.1997, I/P-0098541/31-1997, liegt zwar kein Zustellnachweis vor. Jedoch wurde laut dem eindeutigen Spruch des Bescheides des Landesschulrates für NÖ vom 13.01.1998, Zl. I/P.- 0098541/33-1997, gemäß § 58 Abs. 1 und 2 LDG 1984 der mit Bescheid des Landesschulrates für NÖ vom 03.09.1997 Zl. I/P.-0098541/31- 1997, gewährte Urlaub gegen Entfall der Bezüge für die Zeit vom 09.02.1998 bis 06.09.1998 ‚verlängert'. Somit wird vom Spruch dieses Bescheides die Genehmigung des gesamten Karenzurlaubes vom 01.9.1997 bis einschließlich 06.09.1998 umfasst. Auch enthält dieser Bescheidspruch die Feststellung, dass die Zeit des Karenzurlaubes für Rechte, die von der Dauer des Dienstverhältnisses abhängen, nicht zu berücksichtigen ist. Die Übernahme dieses Bescheides wurde - wie oben als erwiesen festgestellt wurde - durch Unterschrift der Beschwerdeführerin bestätigt, der Bescheid somit an sie zugestellt und mangels Erhebung eines Rechtsmittels rechtskräftig.

Damit wurde im Ergebnis für die gesamte strittige Zeit vom 01.09.1997 bis einschließlich 06.09.1998 der Beschwerdeführerin ein Karenzurlaub gemäß § 58 LDG 1984 rechtskräftig bewilligt und jedenfalls rechtskräftig festgestellt, dass diese Zeit des (gesamten) Karenzurlaubes für Rechte, die von der Dauer des Dienstverhältnisses abhängen, nicht zu berücksichtigen ist."

16 Die ordentliche Revision sei nicht zulässig, weil das vorliegende Erkenntnis weder von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweiche, noch eine solche fehle oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes uneinheitlich beantwortet werde.

17 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die außerordentliche Revision vor dem Verwaltungsgerichtshof. Die Revisionswerberin macht Rechtswidrigkeit des Inhaltes des angefochtenen Erkenntnisses sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften mit dem Antrag geltend, es aus diesen Gründen aufzuheben.

18 In der Revision wird als Zulassungsgrund geltend gemacht, das Verwaltungsgericht habe die als Bescheid qualifizierte Erledigung vom 13. Jänner 1998 zu Unrecht als auch auf den Zeitraum vom 1. September 1997 bis 8. Februar 1998 bezogen ausgelegt.

19 Die vor dem Landesverwaltungsgericht Niederösterreich belangte Behörde erstattete eine Revisionsbeantwortung, in welcher die Abweisung der Revision als unbegründet beantragt wird.

20 In Ansehung der maßgeblichen Rechtslage wird in sinngemäßer Anwendung des § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG auf deren Wiedergabe im hg. Erkenntnis vom 27. Mai 2015, Ra 2014/12/0022, verwiesen.

21 Die außerordentliche Revision ist - entgegen der den Verwaltungsgerichtshof nicht bindenden Rechtsauffassung des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich - zulässig, weil Letzteres - wie in der Folge noch zu zeigen sein wird - dem Spruch der Erledigung vom 13. Jänner 1998 in unvertretbarer Weise die Bedeutung zugemessen hat, dass hiedurch (erstmalig und rückwirkend) ein Karenzurlaub für den Zeitraum vom 1. September 1997 bis 8. Februar 1998 bewilligt bzw. eine auf diesen Zeitraum bezogene Feststellung getroffen worden sei.

22 Jeder Bescheid ist rein objektiv seinem Wortlaut nach - insoweit also gleich einem Gesetz nach den §§ 6 und 7 ABGB - auszulegen (vgl. hiezu etwa das hg. Erkenntnis vom 28. Jänner 2004, 2000/12/0311).

23 Der Wortlaut des Spruches der Erledigung vom 13. Jänner 1998, welcher eine Verlängerung eines (nach Auffassung des Approbanten dieser Erledigung offenbar bereits mit einer Erledigung vom 3. September 1997 bewilligten) Karenzurlaubes für die Zeit vom 9. Februar 1998 bis 6. September 1998 anordnet, schließt es aus, dass damit auch eine rückwirkende Rechtsgestaltung für den Zeitraum vom 1. September 1997 bis 8. Februar 1998 hätte vorgenommen werden sollen. Aus der Verwendung des Wortes "verlängert" ergibt sich vielmehr klar, dass sich die mit dieser Erledigung intendierte Rechtsgestaltung ausschließlich auf den Verlängerungszeitraum, also auf jenen vom 9. Februar 1998 bis 6. September 1998 beziehen sollte.

24 Neben der Wortinterpretation spricht aber auch der Grundsatz der gesetzeskonformen Auslegung von Bescheidsprüchen offenkundig gegen die vom Landesverwaltungsgericht Niederösterreich vertretene Interpretation, wäre doch eine rückwirkende Bewilligung eines Karenzurlaubes in Ermangelung einer diesbezüglichen ausdrücklichen gesetzlichen Ermächtigung offenkundig rechtswidrig (vgl. zur rückwirkenden Beendigung eines Karenzurlaubes das hg. Erkenntnis vom 13. November 2014, Ro 2014/12/0011, zur rückwirkenden Beendigung der Herabsetzung der regelmäßigen Wochendienstzeit das hg. Erkenntnis vom 20. Oktober 2014, 2010/12/0134, zur rückwirkenden Herabsetzung der regelmäßigen Wochendienstzeit die hg. Erkenntnisse vom 29. April 2011, 2010/12/0064, und vom 12. Mai 2010, 2009/12/0062, sowie zur rückwirkenden Ruhestandsversetzung das hg. Erkenntnis vom 10. Oktober 2012, 2011/12/0007).

25 Ausgehend von der der Erledigung vom 13. Jänner 1998 offenbar zugrunde gelegten Auffassung der Dienstbehörde, wonach für den Zeitraum vom 1. September 1997 bis 8. Februar 1998 bereits eine bescheidförmige Bewilligung eines Karenzurlaubes erfolgt sei, würde eine neuerliche rückwirkende Bewilligung eines solchen überdies gegen den Grundsatz ne bis in idem verstoßen.

26 Für die im angefochtenen Erkenntnis vorgenommene Deutung des zweiten Satzes dieser Erledigung als (auch) auf den letztgenannten Zeitraum bezüglich gilt Folgendes:

27 Die Feststellung bezieht sich ihrem Wortlaut nach auf "die Zeit des Karenzurlaubes". Demnach entfaltet sie auch lediglich Feststellungswirkungen für eine solche Zeit. Da - unter Berücksichtigung des Vorgesagten - ein Karenzurlaub für den Zeitraum vom 1. September 1997 bis 8. Februar 1998 nicht bewilligt wurde, kann sich die in Rede stehende Feststellung schon auf Grund einer Wortinterpretation nicht auf diesen Zeitraum beziehen.

28 Wollte man freilich von der der Erledigung vom 13. Jänner 1998 offenbar zugrunde gelegten Auffassung der Dienstbehörde, wonach auch schon der Erledigung vom 3. September 1997 Bescheidcharakter zukommt, ausgehen, bestünde für eine neuerliche rückwirkende Feststellung betreffend die Rechtsfolgen der Bewilligung für den Zeitraum vom 1. September 1997 bis 8. Februar 1998 kein Anlass und würde eine solche gegen den Grundsatz ne bis in idem verstoßen.

29 Vor diesem Hintergrund erweist sich die vom Landesverwaltungsgericht Niederösterreich vorgenommene Interpretation der in Rede stehenden Erledigung als unvertretbare Anwendung der vom Verwaltungsgerichtshof geprägten Rechtsprechung zur Auslegung von Bescheiden, welche eine grundsätzliche Rechtsfrage ungeachtet des Umstandes berührt, dass Bescheidauslegungen in aller Regel einzelfallbezogene Rechtsfragen darstellen.

30 Bei der Feststellung der beitragsgedeckten Gesamtdienstzeit handelt es sich insofern um einen unteilbaren Abspruch, als damit ein bestimmtes zeitliches Ausmaß als beitragsgedeckte Gesamtdienstzeit festgestellt wird.

31 Daraus wiederum folgt, dass der hier aufgezeigte Rechtsirrtum des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich (wonach schon auf Grund des Bescheidcharakters der Erledigung vom 13. Jänner 1998 auch der Zeitraum vom 1. September 1997 bis 8. Februar 1998 nicht als Teil der beitragsgedeckten Gesamtdienstzeit gilt) das angefochtene Erkenntnis in seiner Gesamtheit mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet.

32 Auf Grund des Prävalierens des Aufhebungsgrundes der inhaltlichen Rechtswidrigkeit (vgl. hiezu etwa das hg. Erkenntnis vom 17. März 2016, Ra 2015/08/0206) war das angefochtene Erkenntnis gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aus diesem Grunde zur Gänze aufzuheben, ohne dass (derzeit) auf die im Zusammenhang mit der Annahme des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich, wonach die Erledigung vom 13. Jänner 1998 der Revisionswerberin zugestellt worden sei, erhobenen Verfahrensrügen eingegangen werden musste.

33 Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014, BGBl. II Nr. 518/2013.

Wien, am 22. Juni 2016

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