VwGH Ra 2015/12/0042

VwGHRa 2015/12/004226.2.2016

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Köhler sowie die Hofräte Dr. Zens und Dr. Pfiel als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag.a Lechner, über die außerordentliche Revision der Dipl. Päd. KK in V, vertreten durch Dr. Martin Riedl, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Franz Josefs Kai 5, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich vom 23. Juli 2015, Zl. LVwG-AV-766/001-2015, betreffend amtswegige Ruhestandsversetzung gemäß § 12 LDG 1984 (vor dem Landesverwaltungsgericht Niederösterreich belangte Behörde:

Landesschulrat für Niederösterreich), den Beschluss gefasst:

Normen

12010P/TXT Grundrechte Charta Art47 Abs2;
AVG §13a;
AVG §39 Abs2;
AVG §52;
AVG §67d Abs3;
AVG §67d;
B-VG Art133 Abs4;
LDG 1984 §12 Abs1;
LDG 1984 §12 Abs3;
MRK Art6;
VwGG §34 Abs1;
VwGVG 2014 §17;
VwGVG 2014 §24;
VwGVG 2014 §27;
VwRallg;

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2016:RA2015120042.L00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die Revisionswerberin hat dem Land Niederösterreich Aufwendungen in der Höhe von EUR 553,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Die Revisionswerberin steht als Volksschuldirektorin a. D. in einem öffentlich-rechtlichen Ruhestandsverhältnis zum Land Niederösterreich.

2 Sie wurde mit Bescheid des Landesschulrates für Niederösterreich vom 8. Juni 2015 gemäß § 12 Abs. 1 und 3 des Landeslehrer-Dienstrechtgesetzes 1984, BGBl. Nr. 302, mit Ablauf des 31. Juli 2015 in den Ruhestand versetzt.

3 Die Dienstbehörde stützte sich auf ein amtsärztliches Sachverständigengutachten vom 20. April 2015, wonach die Revisionswerberin auf Grund einer psychischen Erkrankung nicht in der Lage sei, ihren Aufgaben als Volksschuldirektorin bzw. Volksschullehrerin nachzukommen. Von einer Wiedererlangung der Dienstfähigkeit in absehbarer Zeit könne nach Maßgabe dieses Gutachtens derzeit nicht ausgegangen werden.

4 Die Revisionswerberin erhob, vertreten durch die Rechtsschutzsekretärin der Gewerkschaft öffentlichen Dienstes Dr. A, Beschwerde gegen diesen Bescheid vor dem Landesverwaltungsgericht Niederösterreich. Darin vertrat sie die Auffassung, dass es an der Dauerhaftigkeit ihrer Dienstunfähigkeit fehle, wobei seitens der Sachverständigen hiezu keine Aussage getroffen worden sei. Ein Termin für einen Rehabilitationsaufenthalt sei bereits bekanntgegeben worden.

5 Ein Verhandlungsantrag wurde in der Beschwerde nicht gestellt. 6 Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 23. Juli 2015 wies das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich diese Beschwerde als unbegründet ab und sprach aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei.

7 Auch das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich stützte sich im Wesentlichen auf das Gutachten vom 20. April 2015 und führte aus, dass letzteres sehr wohl zur Dauerhaftigkeit der Dienstunfähigkeit der Revisionswerberin Stellung nehme, indem es darlege, dass mit einer Remission in absehbarer Zeit nicht zu rechnen sei. Auch sei festzustellen, dass bereits zwei vorangegangene psychiatrische Rehabilitationsaufenthalte ohne bleibenden Erfolg hinsichtlich einer Besserung des Gesundheitszustandes geblieben seien.

8 Die ordentliche Revision sei unzulässig, weil das angefochtene Erkenntnis weder von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweiche noch eine solche Rechtsprechung fehle und die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht uneinheitlich sei.

9 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die außerordentliche Revision vor dem Verwaltungsgerichtshof, welche sich jedoch aus folgenden Gründen als unzulässig erweist:

10 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

11 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen. Hat das Verwaltungsgericht - wie im gegenständlichen Fall - im Erkenntnis ausgesprochen, dass die Revision nicht gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist, hat die Revision gemäß § 28 Abs. 3 VwGG auch gesondert die Gründe zu enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird.

12 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof hingegen nur im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

13 In ihrer Zulässigkeitsbegründung bringt die Revision vor, der Verwaltungsgerichtshof habe in seinem Erkenntnis vom 22. Februar 2011, 2010/12/0035, ausgeführt, dass der für die Absehbarkeit einer Remission anzunehmende Zeitraum etwa zwei Jahre betrage. Vorliegendenfalls habe die Sachverständige zwar ausgeführt, mit einer Remission sei "in absehbarer Zeit" nicht zu rechnen. Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich gehe jedoch ohne ergänzende Erhebungen unzulässigerweise davon aus, dass die Sachverständige mit dieser Aussage den von der Judikatur geforderten zweijährigen Zeitraum umschrieben habe.

14 Dem ist zunächst entgegenzuhalten, dass die in diesem Zusammenhang aufgeworfene Frage, ob das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich vorliegendenfalls im Rahmen seiner amtswegigen Ermittlungspflicht auf ergänzende Klarstellungen der Äußerungen der Sachverständigen zu dringen gehabt hätte, eine von der konkret vorliegenden Verfahrenssituation abhängige und somit einzelfallbezogene Verfahrensfrage darstellt. Solchen Fragen kann dann grundsätzliche Bedeutung zukommen, wenn tragende Grundsätze des Verfahrensrechtes auf dem Spiel stehen (vgl. den hg. Beschluss vom 8. September 2015, Ra 2015/02/0156). Dass dies der Fall wäre, wird von der Revisionswerberin vorliegendenfalls nicht aufgezeigt:

15 Vorauszuschicken ist, dass eine von Seiten des medizinischen Sachverständigen in den Raum gestellte bloße Möglichkeit einer ("kalkülsrelevanten") Besserung des Gesundheitszustandes des Beamten für sich genommen noch nicht die Verneinung der Dauerhaftigkeit einer Dienstunfähigkeit rechtfertigt. Dauernd ist eine Dienstunfähigkeit nämlich (schon) dann, wenn sie für einen nicht absehbaren Zeitraum vorliegt. Daraus folgt, dass die Dauerhaftigkeit einer Dienstunfähigkeit nur dann zu verneinen ist, wenn in den Prognosen der medizinischen Gutachter auch jener absehbare Zeitraum umschrieben wird, innerhalb dessen mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit die Wiedererlangung der Dienstfähigkeit am aktuellen Arbeitsplatz erwartet werden kann (vgl. hiezu etwa das hg. Erkenntnis vom 11. Dezember 2013, 2013/12/0003, mwH). Zutreffend weist die Revisionswerberin darauf hin, dass bei Vorliegen der erforderlichen Wahrscheinlichkeit für eine kalkülsrelevante Besserung deren Absehbarkeit zu prüfen ist, wobei der dafür maßgebliche Zeitraum nach der von ihr zitierten Rechtsprechung etwa zwei Jahre beträgt.

16 In der vorliegenden Verfahrenssituation hat die Amtssachverständige nun zwar die Möglichkeit einer Besserung des Gesundheitszustandes der Revisionswerberin nicht schlechthin ausgeschlossen; sie hat aber auch abgesehen von der Frage des Zeithorizontes überhaupt kein konkretes Szenario für eine ins Gewicht fallende Wahrscheinlichkeit einer kalkülsrelevanten Besserung aufgezeigt. Auch die Beschwerde der Revisionswerberin enthielt dazu kein konkretes Vorbringen, sondern beschränkte sich auf die Rechtsbehauptung, es fehle an der Dauerhaftigkeit der Dienstunfähigkeit, im Zusammenhalt mit der unzutreffenden Behauptung, die Sachverständige habe sich zu dieser Frage überhaupt nicht geäußert.

17 Es stellt somit - worauf es hier allein ankommt - jedenfalls keine grundsätzliche Verkennung tragender Verfahrensgrundsätze dar, wenn das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich in dieser Verfahrenskonstellation von einer amtswegigen Ergänzung des Sachverständigengutachtens Abstand nahm. Ob die genannte Vorgangsweise verfahrensrechtlich in jeder Hinsicht richtig war, stellt keine grundsätzliche Rechtsfrage dar.

18 Weiters führt die Revisionswerberin in ihrer Zulässigkeitsbegründung aus, dass keine höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage vorliege, inwieweit die Verwaltungsgerichte die Bestimmungen des AVG über die beizuziehenden Amtssachverständigen anzuwenden haben. Sie stehe auf dem Standpunkt, dass das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich einen gerichtlich beeideten Sachverständigen beizuziehen habe und nicht jene Amtssachverständige, die die belangte Behörde bereits konsultiert habe. Weiters macht sie geltend, dass noch keine höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage vorliege, ob die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, wonach einem Amtssachverständigengutachten nur mit einem Vorbringen auf gleichem fachlichen Niveau oder mit einem fachlich fundierten Gegengutachten entgegengetreten werden könne, auch auf das Verfahren vor den Verwaltungsgerichten übertragbar sei.

19 Insofern genügt es gemäß § 43 Abs. 2 und 9 VwGG auf die Begründung des hg. Beschlusses vom 22. Oktober 2015, Ra 2015/12/0039, zu verweisen, aus welchem sich ergibt, dass damit keine grundsätzliche Rechtsfrage aufgezeigt wird.

20 Soweit die Revisionswerberin das Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung rügt, ist ihr Folgendes entgegenzuhalten:

21 Im vorliegenden Fall lag zunächst kein ausdrücklicher Verzicht auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor. Freilich hat der Verwaltungsgerichtshof zu § 24 VwGVG bereits festgehalten, dass sich die bisher zu § 67d AVG (in der bis zum 31. Dezember 2013 geltenden Fassung) ergangene Rechtsprechung auf das Verfahren vor den Verwaltungsgerichten erster Instanz insoweit übertragen lässt, als sich die diesbezüglichen Vorschriften weder geändert haben noch aus systematischen Gründen sich eine geänderte Betrachtungsweise als geboten darstellt. Zu der zuletzt zitierten Bestimmung vertrat der Verwaltungsgerichtshof den Grundsatz, wonach ein wirksamer Verzicht auf die Durchführung einer auf Grund des Art. 47 Abs. 2 GRC gebotenen mündlichen Verhandlung etwa dann anzunehmen ist, wenn ein rechtskundig vertretener Berufungswerber keinen Verhandlungsantrag im Sinne des § 67d Abs. 3 AVG stellt. Die genannte Rechtsprechung ist auch auf die Frage eines Verzichtes auf eine sonst gemäß Art. 6 EMRK gebotene mündliche Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht zu übertragen (vgl. hiezu etwa das hg. Erkenntnis vom 18. September 2015, Ra 2015/12/0012).

22 Vorliegendenfalls hat es die durch die Rechtsschutzsekretärin der Gewerkschaft öffentlicher Dienst Dr. A, also rechtskundig, wenn auch nicht anwaltlich, vertretene Revisionswerberin unterlassen, in der Beschwerde einen Verhandlungsantrag zu stellen. Auch konkrete Beweisanbote, wie etwa die Einvernahme von Zeugen, wurden nicht erstattet.

23 Vor diesem Hintergrund hat das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich in vertretbarer Weise von der amtswegigen Durchführung einer mündlichen Verhandlung Abstand genommen.

24 Insoweit die Revisionswerberin schließlich eine grundsätzliche Rechtsfrage darin erblickt, dass es das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich verabsäumt habe, sie zur Einbringung eines Privatgutachtens bzw. zur Antragstellung auf Beiziehung eines "gerichtlich beeideten Sachverständigen" anzuleiten, ist ihr entgegenzuhalten, dass die Manuduktionspflicht des Verwaltungsgerichtes gemäß § 17 VwGVG iVm § 13a AVG sich ausschließlich auf die zur Vornahme von Verfahrenshandlungen nötigen Anleitungen und auf die Belehrung über die mit diesen Handlungen oder Unterlassungen unmittelbar verbundenen Rechtsfolgen beschränkt. Sie geht insbesondere nicht so weit, dass die Parteien dahin beraten werden müssten, mit welchen Mitteln sie bereits von der Behörde aufgenommene Beweise widerlegen oder in Frage stellen könnten (vgl. hiezu die bei Walter/Thienel,

Die österreichischen Verwaltungsverfahrensgesetze I2, E. 9 und 15 zu § 13a AVG wiedergegebene Rechtsprechung).

25 Aus diesen Gründen war die Revision wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung geeignet und daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.

26 Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet auf die §§ 47 ff, insbesondere auf § 51 VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014, BGBl. II Nr. 518/2013.

Wien, am 26. Februar 2016

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