VwGH Ro 2014/10/0021

VwGHRo 2014/10/002121.12.2016

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stöberl und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Lukasser, Dr. Hofbauer und Dr. Fasching als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Uhlir, über die Revision des F Z in Wien, vertreten durch Dr. Herbert Pochieser, Rechtsanwalt in 1070 Wien, Schottenfeldgasse 2-4/2/23, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom 23. Dezember 2013, Zl. UVS-SOZ/V/53/11865/2013-4, betreffend Abweisung eines Devolutionsantrages in einer Sozialhilfesache (weitere Partei: Wiener Landesregierung), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §58 Abs2;
AVG §59 Abs1;
AVG §68 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;
AVG §58 Abs2;
AVG §59 Abs1;
AVG §68 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Wien hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Mit dem angefochtenen Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom 23. Dezember 2013 wurde ein Devolutionsantrag des Revisionswerbers vom 10. Oktober 2013 gemäß § 73 AVG abgewiesen.

2 Begründend führte die belangte Behörde aus, der Revisionswerber habe in seinem Devolutionsantrag vorgebracht, er habe am 12. Juli (richtig:) 2005 beim Magistrat der Stadt Wien einen Antrag auf Zuerkennung einer Geldleistung zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Wiener Sozialhilfegesetz gestellt. Über diesen Antrag sei lediglich für den Zeitraum 12. Juli 2005 bis 11. August 2005 abgesprochen und eine Leistung gewährt worden. Ab dem 6. Februar 2012 sei es zu einer neuerlichen Gewährung von Leistungen nach dem Wiener Mindestsicherungsgesetz gekommen. Für den Zeitraum zwischen 12. August 2005 und 5. Februar 2012 "existiere jedoch keine Entscheidung" des Magistrats der Stadt Wien.

3 Wie eine Einsicht in den Verwaltungsakt des Magistrats der Stadt Wien ergeben habe, entspreche das Vorbringen des Revisionswerbers zwar im Hinblick auf die Zeiträume der zuerkannten Leistungen den Tatsachen, jedoch übersehe der Revisionswerber, dass zu der von ihm aufgeworfenen Rechtsfrage bereits der an ihn gerichtete Berufungsbescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom 14. August (richtig:) 2013 ergangen sei, in dem dieser den Standpunkt vertreten habe, dass der Antrag des Revisionswerbers lediglich den Zeitraum bis 11. August 2005 erfasse. Da der Magistrat der Stadt Wien an diese Rechtsmeinung der Berufungsbehörde gebunden sei, könne in dem nicht erfolgten Abspruch über den Zeitraum ab 12. August 2005 keine Säumigkeit erkannt werden, weshalb der Devolutionsantrag abzuweisen gewesen sei.

4 Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Übergangsrevision (§ 4 Abs. 1 erster Satz Verwaltungsgerichtsbarkeits-Übergangsgesetz - VwGbk-ÜG).

5 Das Verwaltungsgericht Wien legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor, verzichtete jedoch auf die Erstattung einer Gegenschrift.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

6 Vorauszuschicken ist, dass gemäß § 4 Abs. 5 VwGbk-ÜG die Revision gegen den Bescheid einer unabhängigen Verwaltungsbehörde unzulässig ist, wenn die Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht vorliegen, und dass für die Behandlung der Revision die bis zum Ablauf des 31. Dezember 2013 geltenden Bestimmungen des VwGG sinngemäß weiter anzuwenden sind.

7 Die Bestimmung des § 73 AVG idF BGBl. I Nr. 65/2002 lautet

auszugsweise:

"Entscheidungspflicht

§ 73. (1) Die Behörden sind verpflichtet, wenn in den Verwaltungsvorschriften nicht anderes bestimmt ist, über Anträge von Parteien (§ 8) und Berufungen ohne unnötigen Aufschub, spätestens aber sechs Monate nach deren Einlangen den Bescheid zu erlassen. Sofern sich in verbundenen Verfahren (§ 39 Abs. 2a) aus den anzuwendenden Rechtsvorschriften unterschiedliche Entscheidungsfristen ergeben, ist die zuletzt ablaufende maßgeblich.

(2) Wird der Bescheid nicht innerhalb der Entscheidungsfrist erlassen, so geht auf schriftlichen Antrag der Partei die Zuständigkeit zur Entscheidung auf die sachlich in Betracht kommende Oberbehörde, wenn aber gegen den Bescheid Berufung an den unabhängigen Verwaltungssenat erhoben werden könnte, auf diesen über (Devolutionsantrag). Der Devolutionsantrag ist bei der Oberbehörde (beim unabhängigen Verwaltungssenat) einzubringen. Er ist abzuweisen, wenn die Verzögerung nicht auf ein überwiegendes Verschulden der Behörde zurückzuführen ist.

..."

8 Der Revisionswerber bringt zur Zulässigkeit der Revision u. a. vor, die von der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid vertretene Auffassung, weshalb keine Säumigkeit vorliege, sei "juristisch nicht mehr fassbar" und "geradezu paradox", dies stelle behördliche Willkür und einen gravierenden Verstoß gegen die Einzelfallgerechtigkeit dar. Es liege ein grober Fehler der belangten Behörde vor, der im Interesse der Rechtssicherheit korrigiert werden müsse, zumal diese die Rechtslage wesentlich verkannt bzw. eine unvertretbare Rechtsansicht ihrer Entscheidung zugrunde gelegt habe.

9 Die Revision ist zulässig und begründet:

10 Nach Ausweis der oben wiedergegebenen Begründung des angefochtenen Bescheides stützt die belangte Behörde ihre Ansicht, es liege keine Säumigkeit der Erstbehörde in Bezug auf einen Abspruch über den Antrag vom 12. Juli 2005 hinsichtlich des Zeitraumes vom 12. August 2005 bis 5. Februar 2012 vor, ausschließlich darauf, dass die Erstbehörde an die Rechtsmeinung der Berufungsbehörde, die diese im Berufungsbescheid vom 14. August 2013 vertreten habe, gebunden sei. Die Berufungsbehörde habe im genannten Bescheid vom 14. August 2013 den Standpunkt eingenommen, dass der Antrag des Revisionswerbers lediglich den Zeitraum bis 11. August 2005 erfasse.

11 Dazu ist Folgendes auszuführen:

12 Mit dem genannten Berufungsbescheid der belangten Behörde vom 14. August 2013 wurde der Berufung des Revisionswerbers gegen den Bescheid des Magistrats der Stadt Wien vom 14. Jänner 2013 gemäß § 66 Abs. 4 AVG keine Folge gegeben und der angefochtene erstinstanzliche Bescheid bestätigt.

13 In der Begründung des Berufungsbescheides der belangten Behörde vom 14. August 2013 wurde u.a. Folgendes ausgeführt:

"Soweit der (Revisionswerber) in der mündlichen Verhandlung nunmehr die Zuerkennung einer Leistung für einen über den auf die gegenständliche Antragstellung folgenden Monat hinausgehenden Zeitraum beantragt, ist dem entgegenzuhalten, dass der hier zu beurteilende Bescheid, soweit er in der Berufung nicht bekämpft wurde, in Rechtskraft erwachsen ist.

In der hier gegenständlichen Berufung wurde der bekämpfte Bescheid nur in Bezug auf die Höhe der Leistung angefochten. Ein Begehren des Inhalts, dass der Spruch des bekämpften Bescheides zu Unrecht nur einen Abspruch über den auf die Antragstellung folgenden Monat beinhaltet, fehlt. Daher ist trotz gegenteiligen Vorbringens in der mündlichen Verhandlung davon auszugehen, dass innerhalb der zweiwöchigen Berufungsfrist der Zuerkennungszeitraum des bekämpften Bescheides nicht angefochten wurde und der Spruch daher insofern in Rechtskraft erwachsen ist. Auch ist hinsichtlich der Abänderung und Erweiterung von Anträgen im Laufe eines Verfahrens auf die diesbezügliche Rechtsprechung zu verweisen, wonach bei derartigen Änderungen, die das Wesen des ursprünglichen Antrages seinem Inhalt nach maßgebend verändern, von einem neuen Antrag auszugehen ist, weshalb spruchgemäß zu entscheiden war."

14 Der von der belangten Behörde bestätigte Bescheid des Magistrats der Stadt Wien vom 14. Jänner 2013 erkannte in seinem Spruch dem Revisionswerber auf Grund seines "Antrages vom 12.07.2005" eine "Geldleistung zur Sicherung des Lebensunterhaltes für den Zeitraum von 12.07.2005 bis 11.08.2005 in der Höhe von EUR 405,22" zu. Dem Spruch dieses Bescheides ist nicht zu entnehmen, dass der Antrag des Revisionswerbers vom 12. Juli 2005 hinsichtlich des nach dem 11. August 2005 liegenden Zeitraumes abgewiesen wird. Auch der Begründung dieses Bescheides ist kein Hinweis darauf zu entnehmen, dass die Erstbehörde den Antrag des Revisionswerbers vom 12. Juli 2005 hinsichtlich des nach dem 11. August 2005 liegenden Zeitraumes abweisen wollte. Der genannte Bescheid der Erstbehörde enthält auch keine Begründung, warum über den Antrag nur hinsichtlich eines Zeitraumes vom 12. Juli 2005 bis 11. August 2005 abgesprochen wurde.

15 Was Gegenstand eines in Rechtskraft erwachsenen Bescheides einer Behörde ist, bestimmt sich ausschließlich nach dem Inhalt des Spruches des Bescheides. Nur er erlangt rechtliche Geltung (Verbindlichkeit) und legt dadurch die Grenzen der Rechtskraft fest. Die Bescheidbegründung spielt hierfür nur insoweit eine Rolle, als (auch) sie zu der (nach den für Gesetze maßgebenden Regeln vorzunehmenden) Auslegung (Deutung), nicht aber zur Ergänzung eines in sich unklaren Spruches heranzuziehen ist (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 25. Februar 2016, Zl. Ro 2015/07/0031, mwN). Die Begründung eines Bescheides ist nicht der Rechtskraft fähig und entfaltet damit - von (hier nicht vorliegenden) Ausnahmefällen abgesehen - keine Bindungswirkung (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 24. Mai 2016. Zl. 2013/07/0227, mwN).

16 Im vorliegenden Fall wurde mit dem Berufungsbescheid der belangten Behörde vom 14. August 2013 - nach dem Inhalt seines Spruches in Verbindung mit dem Spruch des bestätigten erstinstanzlichen Bescheides - rechtskräftig darüber entschieden, dass dem Revisionswerber aufgrund seines Antrages vom 12. Juli 2005 eine Geldleistung zur Sicherung des Lebensunterhaltes für den Zeitraum von 12. Juli 2005 bis 11. August 2005 in der Höhe von EUR 405,22 zuerkannt wird. Entgegen der Annahme der belangten Behörde entfaltet die in der Begründung des Berufungsbescheides vom 14. August 2013 vertretene Ansicht, dass mangels rechtzeitiger Anfechtung des "Zuerkennungszeitraumes" des erstinstanzlichen Bescheides dessen Spruch "insofern" - offenbar gemeint: im Sinne einer Nicht-Zuerkennung von Leistungen hinsichtlich des nach dem 11. August 2005 liegenden Zeitraumes - "in Rechtskraft erwachsen" sei, aber keine Bindungswirkung.

17 Entgegen der von der belangten Behörde in der Begründung des Berufungsbescheides vom 14. August 2013 vertretenen Ansicht ist - wie bereits angemerkt - dem Spruch des Bescheides des Magistrats der Stadt Wien vom 14. Jänner 2013 kein Abspruch hinsichtlich des nach dem 11. August 2005 liegenden Zeitraumes zu entnehmen. Die in der Begründung des Berufungsbescheides vom 14. August 2013 zum Ausdruck gebrachte Annahme, der Spruch des erstinstanzlichen Bescheides sei hinsichtlich des nach dem 11. August 2005 liegenden Zeitraumes "in Rechtskraft erwachsen", trifft demnach nicht zu (vgl. zu einem Fall, in dem die Erstbehörde beantragte Sozialhilfeleistungen nicht etwa zum Teil zuerkannt und im Übrigen abgewiesen, sondern die Anträge in Ansehung bestimmter Zeiträume unerledigt gelassen hat, das hg. Erkenntnis vom 24. Juni 2015, Zl. 2012/10/0178).

18 Da die belangte Behörde somit in Verkennung der Rechtslage von einer Bindungswirkung der Begründung des Berufungsbescheides der belangten Behörde vom 14. August 2013 ausgegangen und darauf gestützt eine Säumigkeit der Erstbehörde verneint hat, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

19 Von der beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 4 und 5 VwGG abgesehen werden.

20 Der Ausspruch über den Kostenersatz gründet sich auf die die §§ 47 VwGG in Verbindung mit der (auf "Übergangsfälle" gemäß § 4 iVm § 3 Z. 1 der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014, BGBl. II Nr. 518/2013 idF BGBl. II Nr. 8/2014, weiter anzuwendenden) VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.

Wien, am 21. Dezember 2016

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