Normen
NAG 2005 §19 Abs2;
NAG 2005 §23 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
VwGVG 2014 §24 Abs4;
NAG 2005 §19 Abs2;
NAG 2005 §23 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
VwGVG 2014 §24 Abs4;
Spruch:
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat jeder Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Die Zweitrevisionswerberin ist die Mutter der minderjährigen Erstrevisionswerberin. Beide sind Staatsangehörige der Vereinigten Staaten von Amerika; sie hatten Aufenthaltstitel mit dem Aufenthaltszweck "Familiengemeinschaft mit Sonderfälle unselbstständiger Erwerbstätigkeit", gültig bis 1. September 2014, inne. Zusammenführender war der Ehemann bzw. Vater der Revisionswerberinnen.
Am 28. August 2014 sprachen die Zweitrevisionswerberin und ihr Ehemann bei der Niederlassungsbehörde erster Instanz vor, um - den Ausführungen in der Beschwerde und der Revision zufolge - für die Zweitrevisionswerberin einen Zweckänderungsantrag auf den Aufenthaltszweck "Studierende" und für die Erstrevisionswerberin auf "Familiengemeinschaft mit Studierender" zu stellen. Den Verfahrensunterlagen ist jedoch jeweils ein Antrag (mit Eingangsstempel 28. August 2014) auf Ausstellung einer Aufenthaltskarte bzw. Daueraufenthaltskarte für die beiden Revisionswerberinnen zu entnehmen, auf denen die Worte "Aufenthaltskarte" und "Daueraufenthaltskarte" durchgestrichen sind und handschriftlich jeweils "Sonderfälle FG" vermerkt ist.
Mit Bescheid vom 8. Jänner 2015 wies der Landeshauptmann von Wien die Anträge der Revisionswerberinnen auf Erteilung eines Aufenthaltstitels für den Zweck "Familiengemeinschaft mit Sonderfälle unselbstständiger Erwerbstätigkeit" ab. Dies wurde damit begründet, dass der Antrag des Ehemannes bzw. Vaters der Revisionswerberinnen auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung "Sonderfälle unselbstständiger Erwerbstätigkeit" mit Bescheid vom 5. November 2014 abgewiesen worden sei.
In ihrer Beschwerde vom 10. Februar 2015 brachten die Revisionswerberinnen im Wesentlichen vor, sie hätten keine Verlängerungsanträge für den Aufenthaltszweck "Familiengemeinschaft mit Sonderfälle unselbstständiger Erwerbstätigkeit" gestellt, sondern sie hätten eine Zweckänderung beabsichtigt. Da sie offenbar die falschen Formulare verwendet hätten, hätten die Zweitrevisionswerberin und ihr Ehemann in einem persönlichen Gespräch mit Behördenvertretern versucht, ihre wahre Absicht darzulegen. Die handschriftlichen Anmerkungen "Sonderfälle FG" seien - ohne jegliche Belehrung - von einem Behördenvertreter angebracht worden. Im Rahmen mehrerer persönlicher Vorsprachen habe der Ehemann bzw. Vater der Revisionswerberinnen wiederholt auf die beabsichtigte Zweckänderung hingewiesen. Die Verständigung von der geplanten Abweisung der Anträge hätten die Revisionswerberinnen nie erhalten. Eine Rechtsbelehrung gemäß § 13a AVG sei nie erfolgt. Schließlich beantragten die Revisionswerberinnen die Durchführung einer mündlichen Beschwerdeverhandlung.
Mit dem angefochtenen Erkenntnis hob das Verwaltungsgericht Wien die Bescheide des Landeshauptmannes von Wien vom 8. Jänner 2015 auf und erklärte eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof für unzulässig. In seiner Begründung verwies das Verwaltungsgericht auf das hg. Erkenntnis vom 19. November 2014, Ra 2014/22/0016, und beurteilte auch im gegenständlichen Fall die Änderung der beantragten Aufenthaltstitel von "Familiengemeinschaft für Sonderfälle unselbstständiger Erwerbstätigkeit" in "Studierender" bzw. "Familiengemeinschaft mit Studierender" als konkludente Zurückziehung der ursprünglichen Anträge. Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung habe entfallen können, weil lediglich eine Rechtsfrage zu lösen gewesen sei, deren mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht habe erwarten lassen, und weder Art. 6 Abs. 1 EMRK noch Art. 47 der Grundrechtecharta dem Entfall der mündlichen Verhandlung entgegenstünden.
Gegen dieses Erkenntnis wendet sich die außerordentliche Revision, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:
Die Revisionswerberinnen bringen als Zulassungsvoraussetzung unter anderem vor, das Verwaltungsgericht weiche von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, weil es die von ihnen beantragte mündliche Verhandlung nicht durchgeführt habe (Hinweis auf die hg. Beschlüsse vom 28. Mai 2014, Ra 2014/20/0017, und vom 18. Juni 2014, Ra 2014/20/0002). Demnach dürfe eine mündliche Verhandlung nur dann unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheine oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergebe, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspreche.
Damit zeigt die Revision eine Rechtsfrage auf, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Die Revision ist auch begründet.
Zu der Frage, unter welchen Voraussetzungen von einer beantragten mündlichen Verhandlung gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG abgesehen werden kann, wird gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG auf das hg. Erkenntnis vom 30. Juli 2015, Ra 2015/22/0008, verwiesen.
Das Verwaltungsgericht Wien ging nicht auf das Vorbringen ein, dass die Revisionswerberinnen im behördlichen Verfahren als Aufenthaltszweck "Studierende" bzw. "Familiengemeinschaft mit Studierender" geltend gemacht hätten. Dies wäre aber erforderlich gewesen, um zu klären, ob die Behörde eine Anleitungspflicht gemäß § 23 Abs. 1 NAG, dass für den beabsichtigten Aufenthaltszweck ein anderer Aufenthaltstitel benötigt werde, getroffen hätte (vgl. das hg. Erkenntnis vom 16. September 2015, Ro 2015/22/0026, wonach § 23 Abs. 1 leg. cit. auf den vom Antragsteller beabsichtigten Aufenthaltszweck abstellt, sowie § 19 Abs. 2 NAG). Somit verkannte das Verwaltungsgericht Wien das Beschwerdevorbringen und ging unzutreffend von einem geklärten Sachverhalt aus. Vielmehr wäre im Rahmen einer mündlichen Verhandlung der Sachverhalt zu klären gewesen.
Da die Voraussetzungen für das Absehen von der Durchführung einer Verhandlung gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG somit nicht vorlagen, war das angefochtene Erkenntnis bereits aus diesem Grund wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 17. November 2015
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