VwGH Ra 2015/19/0066

VwGHRa 2015/19/006630.9.2015

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zorn, den Hofrat Mag. Feiel und die Hofrätin Mag. Rossmeisel als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Schmidt, über die Revision des F M A in H, vertreten durch Mag. Martin Spernbauer, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Schubertring 8, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 2. Februar 2015, W105 1426994-1/12E, betreffend eine Angelegenheit nach dem AsylG 2005 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 2005 §2 Abs1 Z13;
AsylG 2005 §3 Abs1;
AsylG 2005 §75 Abs19;
AsylG 2005 §8 Abs1;
B-VG Art133 Abs4;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
AsylG 2005 §2 Abs1 Z13;
AsylG 2005 §3 Abs1;
AsylG 2005 §75 Abs19;
AsylG 2005 §8 Abs1;
B-VG Art133 Abs4;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1. Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger von Somalia, stellte am 22. November 2011 einen Antrag auf internationalen Schutz.

Dazu gab er in seiner Erstbefragung an, dass die Sicherheitslage und die wirtschaftliche Situation in Somalia schlecht seien. Zudem gebe es Gruppen, die junge Menschen zwingen würden am Krieg teilzunehmen und sie bei Weigerung umbringen würden.

In seiner Einvernahme vor dem Bundesasylamt (nunmehr: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl) führte der Revisionswerber aus, dass er in Mogadischu von den al-Shabaab bedroht worden sei. Die al-Shabaab hätten Schutzgeld in einer Höhe gefordert, die seine finanziellen Möglichkeiten überschritten habe und ihn aufgefordert, gegen die Regierung zu kämpfen sowie sie zu ihrem Stützpunkt zu begleiten. Der Revisionswerber habe dies verweigert - auch, weil sein Bruder 2006 auf so einem Stützpunkt gestorben sei - und sich in einem anderen, von der Regierung kontrollierten, Bezirk versteckt. Zwei Monate später sei er mangels einer geeigneten Wohnung zurück zu seiner Mutter gezogen, habe sich allerdings weiterhin versteckt gehalten. Die al-Shabaab hätten ihn während dieser Zeit ständig telefonisch bedroht. Von seiner Mutter wisse er, dass nach wie vor nach ihm gefragt werde. Dass er dies nicht schon in der Erstbefragung erwähnt habe, erklärte der Revisionswerber damit, dass er sehr müde gewesen sei und nicht die Möglichkeit gehabt habe, alle Fragen zu beantworten.

2. Das Bundesasylamt wies den Antrag auf internationalen Schutz mit Bescheid vom 14. Mai 2012 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) ab, erkannte ihm jedoch den Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 zu. Die Abweisung begründete es damit, dass der Revisionswerber keine begründete Angst vor einer Verfolgung im Sinn der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) glaubhaft gemacht habe. So sei etwa - trotz der Müdigkeit des Revisionswerbers - nicht nachvollziehbar, dass er die Schwierigkeiten mit den al-Shabaab nicht schon in der Ersteinvernahme erwähnt habe. Selbst wenn man davon ausgehe, dass der Revisionswerber verfolgt worden sei, wäre er - unter anderem - in Mogadischu keiner Verfolgung ausgesetzt gewesen.

3. Der Revisionswerber erhob gegen diesen Bescheid, soweit ihm der Status des Asylberechtigten nicht zuerkannt wurde, Beschwerde an den Asylgerichtshof. Das Beschwerdeverfahren wurde gemäß § 75 Abs. 19 AsylG 2005 ab 1. Jänner 2014 vom Bundesverwaltungsgericht weitergeführt.

In der Beschwerde legte der Revisionswerber näher dar, weshalb er in der Erstbefragung nicht genauer auf seine Fluchtgründe eingegangen sei. Er sei mitten in der Nacht aus dem Schlaf gerissen worden, habe Angst vor der Polizei gehabt und ihm sei gesagt worden, dass es in der Erstbefragung nicht so sehr um die Fluchtgründe gehe. Zudem sei die Verwaltungsbehörde ihren Ermittlungspflichten nicht nachgekommen, weil sie ihre eigenen Länderfeststellungen, wonach die al-Shabaab gewaltsam die Übergabe junger Männer zum Kampf fordere und Mogadischu nicht frei von al-Shabaab sei, nicht berücksichtigt habe. Die al-Shabaab seien nach wie vor quasi überall vorhanden.

4. Das Bundesverwaltungsgericht wies mit dem nunmehr beim Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Erkenntnis die Beschwerde gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ab. Die Revision erklärte es gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig.

Das Bundesverwaltungsgericht gab zunächst den Verfahrensgang, inklusive der dem Revisionswerber im Zuge seiner Einvernahme vor dem Bundesasylamt zur Kenntnis gebrachten Länderberichte aus 2011, wieder. Unter der Überschrift "Feststellungen" fasste es erneut das Vorbringen des Revisionswerbers zusammen.

Beweiswürdigend führte das Bundesverwaltungsgericht aus, dass die Erstbefragung auch der Abklärung des zentralsten Punktes der Fluchtmotivation diene und die grobe Divergenz zwischen den erstinstanzlichen (offenbar gemeint: in der Erstbefragung) und den weiteren Angaben vor dem Bundesasylamt dringend die mangelnde Glaubhaftigkeit des Vorbringens des Revisionswerbers indizieren würde. Zudem sei der Revisionswerber bis zu seiner Ausreise nie persönlich durch die al-Shabaab bedroht worden. Das Argument, dass der Revisionswerber auch wegen der Nachtzeit nicht detailliert zu seinen Fluchtgründen Stellung genommen habe, sei eine Schutzbehauptung, weil er zu seiner Reiseroute umfassendes und detailliertes Vorbringen erstattet habe.

Insgesamt habe der Revisionswerber daher keine Verfolgungsgefahr aus einem vom Schutzzweck der GFK umfassten Grund glaubhaft machen können. Die allgemeine Situation in Somalia sei hinreichend durch die Gewährung von subsidiärem Schutz berücksichtigt worden.

Die Erhebung einer ordentlichen Revision sei gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil sich das Bundesverwaltungsgericht bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sowie auf eine ohnehin klare Rechtslage habe stützen können.

5. Dagegen wendet sich die vorliegende außerordentliche Revision. Eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet.

6. Der Verwaltungsgerichtshof hat nach Vorlage der Verfahrensakten durch das Bundesverwaltungsgericht sowie nach Einleitung des Vorverfahrens in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

6. Die Revision bringt vor, das Bundesverwaltungsgericht sei von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Verhandlungspflicht (Erkenntnis vom 28. Mai 2014, Ra 2014/20/0017 und 0018) abgewichen. Der Revisionswerber habe in seiner Beschwerde den vom Bundesasylamt festgestellten Sachverhalt substantiiert bestritten, indem er angeführt habe, dass junge Männer in Somalia immer noch zwangsrekrutiert würden und indem er bestritten habe, in der Erstbefragung alles Erhebliche hinsichtlich seiner Fluchtgründe vorgebracht zu haben.

Die Revision ist zulässig und auch begründet.

7. Der Verwaltungsgerichtshof hat sich im Erkenntnis vom 18. Mai 2014, Ra 2014/20/0017 und 0018, auf das gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG verwiesen wird, bereits mit den Voraussetzungen für die Abstandnahme von der Durchführung einer Verhandlung nach § 21 Abs. 7 BFA-VG näher auseinandergesetzt und ist zum Ergebnis gekommen, dass für die Auslegung der Wendung "wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint" folgende Kriterien beachtlich sind:

Der für die rechtliche Beurteilung entscheidungswesentliche Sachverhalt muss von der Verwaltungsbehörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben worden sein und bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweisen. Die Verwaltungsbehörde muss die die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in ihrer Entscheidung in gesetzmäßiger Weise offen gelegt haben und das Bundesverwaltungsgericht die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung teilen. In der Beschwerde darf kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinaus gehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet werden, wobei bloß unsubstantiiertes Bestreiten des von der Verwaltungsbehörde festgestellten Sachverhaltes ebenso außer Betracht bleiben kann wie ein Vorbringen, das gegen das in § 20 BFA-VG festgelegte Neuerungsverbot verstößt. Auf verfahrensrechtlich festgelegte Besonderheiten ist bei der Beurteilung Bedacht zu nehmen.

Ist der Sachverhalt im Sinne dieser Rechtsprechung nicht geklärt, hat das Verwaltungsgericht auch ohne Antrag von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 27. Jänner 2015, Ra 2014/19/0085).

Gegen diese Verpflichtung hat das Bundesverwaltungsgericht entsprechend den dargelegten Kriterien verstoßen.

Der Revisionswerber hat die erstinstanzliche Beweiswürdigung in seiner Beschwerde nicht bloß unsubstantiiert bestritten. Er trat der Beweiswürdigung des Bundesasylamtes insofern konkret entgegen, als er nachvollziehbar ausführte, weshalb er nicht schon bei seiner Erstbefragung genau auf seine Fluchtgründe eingegangen sei. Zudem wendete er sich gegen die Annahme, er hätte in einem anderen Teil von Mogadischu Schutz suchen können, indem er darauf hinwies, dass die al-Shabaab nach wie vor überall in Mogadischu aktiv seien.

Das Bundesverwaltungsgericht schloss sich zwar der Beurteilung der Verwaltungsbehörde, das Vorbringen des Revisionswerbers sei nicht glaubwürdig, an; untermauert dies aber - offenbar wegen der der behördlichen Beweiswürdigung anhaftenden Mängel und des Inhalts der Beschwerde - mit dem Aufzeigen weiterer, in dieser Ausführlichkeit von der Verwaltungsbehörde nicht aufgegriffener und somit erstmals thematisierter Aspekte, aus denen sich die Unglaubwürdigkeit des Vorbringens ergebe. Eine solche Beweiswürdigung hat regelmäßig erst nach einer mündlichen Verhandlung, in der auch ein persönlicher Eindruck vom Asylwerber gewonnen werden konnte, zu erfolgen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 28. April 2015, Ra 2014/19/0125 sowie erneut das hg. Erkenntnis vom 27. Jänner 2015, Ra 2014/19/0085).

Schon vor diesem Hintergrund kann nicht gesagt werden, dass die - oben dargestellten - Voraussetzungen zur Abstandnahme von der Verhandlung nach § 21 Abs. 7 BFA-VG erfüllt gewesen wären.

Im Hinblick darauf, dass es für die Asylgewährung auf das Vorliegen der Flüchtlingseigenschaft im Sinn der GFK zum Zeitpunkt der Entscheidung ankommt (vgl. den hg. Beschluss vom 24. Juni 2014, Ra 2014/19/0046), wird im fortzusetzenden Verfahren anhand aktueller Länderfeststellungen zu klären sein, ob dem Revisionswerber bei Rückkehr eine asylrelevante Verfolgung durch die al-Shabaab droht.

Das angefochtene Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes war daher wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben. Auf die weiteren Punkte in der Revision war daher nicht weiter einzugehen.

Von der Durchführung der vom Revisionswerber beantragten Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 3 und Z 5 VwGG abgesehen werden.

8. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 30. September 2015

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