VwGH Ra 2015/18/0090

VwGHRa 2015/18/00908.9.2015

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer sowie die Hofrätin Mag. Dr. Maurer-Kober und den Hofrat Dr. Sutter als Richterinnen und Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag.a Berger, über die Revision des A H in W, vertreten durch Dr. Johannes Stowasser, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Führichgasse 6, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 23. Februar 2015, Zl. W1052015381- 1/3E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 2005 §19 Abs1;
AsylG 2005 §3 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
AsylG 2005 §19 Abs1;
AsylG 2005 §3 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger Somalias, beantragte am 15. Juli 2014 internationalen Schutz in Österreich.

Als Fluchtgrund gab er im Wesentlichen an, von Al Shabaab bedroht worden zu sein. Er habe auf einem Markt Kleider verkauft, wo auch Regierungsmitglieder eingekauft hätten, weswegen Al Shabaab ihm vorgeworfen habe, mit der Regierung zusammen zu arbeiten. Er sei bei einem Vorfall auch geschlagen worden. Aus Angst um sein Leben habe er seine Heimat verlassen.

Mit Bescheid vom 17. November 2014 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) den Antrag gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) ab, erkannte dem Revisionswerber den Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 zu und erteilte ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung.

Begründend führte das BFA im Wesentlichen aus, das Vorbringen des Revisionswerbers sei unglaubwürdig. So habe er in der Erstbefragung angegeben, aufgrund des herrschenden Bürgerkriegs und der allgemeinen Lage Somalia verlassen zu haben. Erst in der Einvernahme vor dem BFA habe er gegen ihn gerichtete Verfolgungshandlungen geschildert. Überdies habe sich der Revisionswerber in Widersprüchlichkeiten hinsichtlich seines letzten Aufenthaltsortes verwickelt.

In der gegen den verwaltungsbehördlichen Bescheid erhobenen Beschwerde beantragte der Revisionswerber die Durchführung einer mündlichen Verhandlung und trat den beweiswürdigenden Erwägungen des BFA mit konkreten Argumenten entgegen. Unter anderem brachte er vor, dass er bei der Erstbefragung von der Polizei sehr eingeschüchtert gewesen sei, ihm die Dolmetscherin gesagt habe, dass er seine Ausführungen aufs Wesentliche reduzieren solle und dass er weitere Angaben machen habe wollen, ihm jedoch gesagt worden sei, dass seine bisherigen Angaben ausreichend seien. Außerdem habe er versucht, die vermeintlichen Widersprüche hinsichtlich seines letzten Aufenthaltsortes aufzuklären.

Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die Beschwerde ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ab. Die Revision erklärte es für nicht zulässig.

In seiner Entscheidung schloss sich das BVwG den beweiswürdigenden Erwägungen des BFA im Wesentlichen an und ging ebenfalls von der Unglaubwürdigkeit des Revisionswerbers aus. Insbesondere habe er "eine konkrete Bedrängung von Al Shabaab-

Leuten unter gleichzeitiger schwerer Misshandlung ... gänzlich im

Rahmen seiner erstniederschriftlichen Einvernahme ausgeblendet bzw. nicht ansatzweise erwähnt, dass er allenfalls direkten und einschneidenden Kontakt mit den Al Shabaab-Milizen gehabt hätte". Auch wenn die erstniederschriftliche Einvernahme bei einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes nicht zentral der Erhebung der Fluchtgründe diene, hätte dem Revisionswerber bewusst sein müssen, dass er "zumindest ansatzweise eine ihn treffende individuelle Verfolgungssituation anzugeben bzw. anzudeuten hätte".

Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, in der zur Zulässigkeit ein Abweichen von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Verhandlungspflicht vorgebracht wird.

Die belangte Behörde vor dem BVwG erstattete keine Revisionsbeantwortung.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Die Revision ist zulässig und begründet.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes seit dem Erkenntnis vom 28. Mai 2014, Ra 2014/20/0017, 0018, auf dessen Entscheidungsgründe gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird, sind für ein Absehen von der mündlichen Verhandlung durch das BVwG nach § 21 Abs. 7 BFA-VG wegen geklärten Sachverhalts folgende Kriterien beachtlich:

Der für die rechtliche Beurteilung entscheidungswesentliche Sachverhalt muss von der Verwaltungsbehörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben worden sein und bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des BVwG immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweisen. Die Verwaltungsbehörde muss die die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in ihrer Entscheidung in gesetzmäßiger Weise offen gelegt haben und das BVwG die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung teilen. In der Beschwerde darf kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinaus gehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet werden, wobei bloß unsubstantiiertes Bestreiten des von der Verwaltungsbehörde festgestellten Sachverhaltes ebenso außer Betracht bleiben kann wie ein Vorbringen, das gegen das in § 20 BFA-VG festgelegte Neuerungsverbot verstößt. Auf verfahrensrechtlich festgelegte Besonderheiten ist bei der Beurteilung Bedacht zu nehmen.

Diese in der hg. Rechtsprechung aufgestellten Kriterien hat das BVwG im vorliegenden Fall nicht erfüllt.

Zu Recht weist die Revision darauf hin, dass die Bestreitung der erstinstanzlichen Beweiswürdigung in der Beschwerde nicht bloß unsubstantiiert erfolgt ist. Soweit das Bundesverwaltungsgericht Divergenzen und ein gesteigertes Vorbringen in den Angaben in der Erstbefragung und der späteren Vernehmung sieht, wird das darauf Bezug nehmende Vorbringen des Revisionswerbers - insbesondere, dass er bei der Erstbefragung von der Polizei sehr eingeschüchtert gewesen sei, ihm die Dolmetscherin dort gesagt habe, dass er seine Ausführungen aufs Wesentliche reduzieren solle und dass er weitere Angaben machen habe wollen, ihm jedoch gesagt worden sei, dass seine bisherigen Angaben ausreichend seien - ausgeblendet. Das BVwG konnte daher nicht von einem geklärten Sachverhalt im Sinne des § 21 Abs. 7 BFA-VG ausgehen, sondern hätte nach den oben dargestellten Kriterien schon deshalb eine mündliche Verhandlung durchführen müssen.

Hinzu kommt, dass sich das BVwG den Erwägungen des BFA zum vermeintlich gesteigerten Vorbringen des Revisionswerbers in der Einvernahme im Vergleich zur Erstbefragung angeschlossen hat. Dabei ist nicht zu erkennen, dass die in der aktuellen Rechtsprechung der Höchstgerichte des öffentlichen Rechts bereits aufgezeigten Bedenken gegen die unreflektierte Verwertung von Beweisergebnissen der Erstbefragung, die sich nach § 19 Abs. 1 AsylG 2005 nicht auf die näheren Fluchtgründe zu beziehen hat, in die Erwägungen eingeflossen wären (vgl. VwGH vom 13. November 2014, Ra 2014/18/0061). Auf dem Boden des § 19 Abs. 1 AsylG 2005 ist es zwar weder der Behörde noch dem Bundesverwaltungsgericht verwehrt, im Rahmen beweiswürdigender Überlegungen Widersprüche und sonstige Ungereimtheiten zu späteren Angaben einzubeziehen, es bedarf aber sorgsamer Abklärung und auch der in der Begründung vorzunehmenden Offenlegung, worauf diese fallbezogen zurückzuführen sind (vgl. VwGH vom 24. Februar 2015, Ra 2014/19/0171, mwN). Da die Begründung der erstinstanzlichen Beweiswürdigung somit nicht mängelfrei erfolgte, durfte das BVwG sie auch nicht ohne weiteres übernehmen und die so gewonnenen Feststellungen ohne mündliche Verhandlung seiner Entscheidung zugrunde legen.

Das angefochtene Erkenntnis war daher wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014. Wien, am 8. September 2015

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