VwGH Ra 2015/01/0114

VwGHRa 2015/01/011417.11.2015

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Blaschek und die Hofräte Dr. Kleiser, Mag. Eder, Dr. Hofbauer und Dr. Fasching als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Schweda, über die Revision des A A M in W, vertreten durch Dr. Manfred Wiener, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Nibelungengasse 1, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 23. April 2015, Zl. W161 2106199- 1/4E, betreffend eine Angelegenheit nach dem Asylgesetz 2005 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Normen

32003R0343 Dublin-II Art15;
32003R0343 Dublin-II Art3 Abs2;
32013R0604 Dublin-III Art17 Abs1;
32013R0604 Dublin-III Art17 Abs2;
32013R0604 Dublin-III Art17;
62012CJ0394 Abdullahi VORAB;
AsylG 2005 §5;
B-VG Art133 Abs4;
EURallg;
EMRK Art3;
EMRK Art8;
VwGG §34 Abs1;
VwRallg;
32003R0343 Dublin-II Art15;
32003R0343 Dublin-II Art3 Abs2;
32013R0604 Dublin-III Art17 Abs1;
32013R0604 Dublin-III Art17 Abs2;
32013R0604 Dublin-III Art17;
62012CJ0394 Abdullahi VORAB;
AsylG 2005 §5;
B-VG Art133 Abs4;
EURallg;
EMRK Art3;
EMRK Art8;
VwGG §34 Abs1;
VwRallg;

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1.1. Der Revisionswerber, ein irakischer Staatsangehöriger, stellte am 30. Juni 2014 einen Asylantrag in Belgien. Die belgischen Behörden leiteten ein "Dublin-Verfahren" mit Spanien ein und Spanien erklärte sich mit Schreiben vom 24. September 2014 zur Wiederaufnahme des Revisionswerbers nach Art. 12 Abs. 2 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates (Dublin III-VO) bereit. Die Überstellungsfrist wurde in der Folge auf 18 Monate verlängert, weil der Revisionswerber "untertauchte". In der Folge reiste der Revisionswerber in das österreichische Bundesgebiet ein, wo er am 18. August 2014 internationalen Schutz beantragte. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) richtete am 15. Oktober 2014 ein Wiederaufnahmegesuch an Spanien. Die spanischen Behörden stimmten der Wiederaufnahme des Revisionswerbers am 26. November 2014 gemäß Art. 12 Abs. 2 der Dublin III-VO zu.

Die Ehefrau des Revisionswerbers stellte ebenso am 18. August 2014 einen Antrag auf internationalen Schutz und wurde am 1. Oktober 2014 zum Asylverfahren in Österreich zugelassen.

1.2. Mit Bescheid vom 25. März 2015 wies das BFA den Antrag gemäß § 5 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) als unzulässig zurück und sprach aus, dass gemäß Artikel 12 Abs. 2 Dublin III-VO für die Prüfung des Antrages auf internationalen Schutz Spanien zuständig sei (Spruchpunkt I). Gleichzeitig ordnete das BFA gegen den Revisionswerber die Außerlandesbringung gemäß § 61 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) an und erklärte gemäß § 61 Abs. 2 FPG die Abschiebung nach Spanien für zulässig (Spruchpunkt II).

1.3. Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 23. April 2015 wies das BVwG die dagegen erhobene Beschwerde gemäß § 5 AsylG und § 61 FPG als unbegründet ab (Spruchpunkt A) und erklärte die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig (Spruchpunkt B).

Hinsichtlich Art. 8 EMRK führte das BVwG aus, die Ehefrau des Revisionswerbers befinde sich in Österreich, ihr Verfahren in Österreich sei zugelassen worden. Der Revisionswerber habe nicht dargetan, aus welchen Gründen es ihm und seiner Ehefrau nicht möglich gewesen sei, gemeinsam zu reisen. Dem Ehepaar sei angeboten worden, eine gemeinsame Verfahrensführung nach Art. 10 Dublin III-VO zu beantragen, dies sei jedoch abgelehnt worden mit dem Hinweis, dass sie auf einer Verfahrensführung in Österreich bestünden. Die Ehe sei erst am 3. April 2014 geschlossen worden. Bereits zwei Monate später habe der Revisionswerber internationalen Schutz in Belgien beantragt. Die Außerlandesbringung des Revisionswerbers stelle zweifellos einen Eingriff in dessen Familienleben dar. Der Rechtsansicht des BFA, wonach dieser Eingriff durchaus statthaft sei, sei beizupflichten. Der Revisionswerber und seine Ehefrau hätten auch in der Folge die Möglichkeit, eine Familienzusammenführung unter Zugrundelegung der gesetzlichen Bestimmungen zu beantragen. Das BVwG sei daher zu dem Ergebnis gelangt, dass im vorliegenden Fall keine Verletzung der Grundrechtecharta oder der Europäischen Menschenrechtskonvention zu befürchten sei und daher auch keine Veranlassung bestanden habe, von dem in Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO vorgesehenen Selbsteintrittsrecht Gebrauch zu machen.

1.4. Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende (außerordentliche) Revision.

2. Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

3. 1. Die außerordentliche Revision bringt als grundsätzliche Rechtsfrage vor, es fehle Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Thematik, unter welchen Voraussetzungen Österreich sein Selbsteintrittsrecht nach Art. 17 Dublin III-VO im Verhältnis zu Art. 16 Dublin III-VO zwingend auszuüben habe.

Zu diesem Vorbringen ist darauf hinzuweisen, dass die grundrechtskonforme Interpretation des AsylG 2005 nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes eine Bedachtnahme auf die - in Österreich in Verfassungsrang stehenden -

Bestimmungen der EMRK notwendig macht. Die Asylbehörden müssen daher bei Entscheidungen nach § 5 AsylG 2005 auch Art. 8 EMRK berücksichtigen und bei einer drohenden Verletzung dieser Vorschrift das Selbsteintrittsrecht nach der Dublin III-VO ausüben (vgl. zu allem den hg. Beschluss vom 29. Juni 2015, Zl. Ra 2015/18/0042, mwN).

Zudem hat der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) im Urteil vom 10. Dezember 2013 in der Rechtssache C-394/12 , Abdullahi, festgehalten, dass "Art. 3 Abs. 2 (sogenannte Souveränitätsklausel) und Art. 15 Abs. 1 (humanitäre Klausel) der Verordnung Nr. 343/2003 die Prärogativen der Mitgliedstaaten wahren" sollen, "das Recht auf Asylgewährung unabhängig von dem Mitgliedstaat auszuüben, der nach den in der Verordnung festgelegten Kriterien für die Prüfung eines Antrags zuständig ist. Da es sich dabei um fakultative Bestimmungen handelt, räumen sie den Mitgliedstaaten ein weites Ermessen ein" (vgl. Rn. 57, mwN). Den in dieser Rechtsprechung angeführten Art. 3 Abs. 2 und 15 Abs. 1 und 2 der Dublin II-VO entsprechen nunmehr die Art. 17 Abs. 1 sowie 17 Abs. 2 Unterabsatz 1 und 16 Abs. 1 der Dublin III-VO (vgl. Anhang II der letztgenannten Verordnung).

3.2. Die außerordentliche Revision macht in der Zulässigkeitsbegründung weiters geltend, das angefochtene Erkenntnis weiche von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes in den Erkenntnissen vom 23. Jänner 2003, Zl. 2000/01/0498, sowie vom 15. Dezember 2011, Zl. 2009/21/0303, ab, wonach das Interesse des Kindes an seinem Familienleben mit dem Vater bei der Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK zu berücksichtigen sei.

Diesem Vorbringen ist entgegen zu halten, dass eine im Einzelfall vorgenommene Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - nicht revisibel ist. Unter den genannten Voraussetzungen hängt eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung vorgenommene Interessenabwägung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung iSd Art. 133 Abs. 4 B-VG ab (vgl. den hg. Beschluss vom 18. Juni 2015, Ra 2015/20/0073, mit Verweis auf den hg. Beschluss vom 25. April 2014, Ro 2014/21/0033).

Die von der Revision ins Treffen geführten Aussagen in den Erkenntnissen vom 23. Jänner 2003, Zl. 2000/01/0498, sowie vom 15. Dezember 2011, Zl. 2009/21/0303, sind nicht geeignet, eine unvertretbare Interessenabwägung im obigen Sinne aufzuzeigen, zumal in den dort entschiedenen Beschwerdefällen die in der vorliegenden Rechtssache bestehende Möglichkeit, die Asylverfahren in einem anderen Mitgliedstaat (nach Art. 10 der Dublin III-VO) gemeinsam zu führen, nicht bestanden hat.

4. In der Revision werden aus diesen Gründen keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher in einem gemäß § 12 Abs. 2 VwGG gebildeten Senat zurückzuweisen.

Wien, am 17. November 2015

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte