VwGH Ra 2014/20/0146

VwGHRa 2014/20/014620.5.2015

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Beck und die Hofräte Mag. Eder und Mag. Straßegger, die Hofrätin Dr. Leonhartsberger und den Hofrat Dr. Schwarz als Richter, im Beisein der Schriftführerin MMag. Ortner, über die Revision des A K M in M, geboren am 1. Januar 1988, vertreten durch Dr. Gerhard Mory, Rechtsanwalt in 5020 Salzburg, Wolf-Dietrich-Straße 19/5, gegen den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 10. September 2014, Zl. W212 1427805-1/8E, betreffend eine Angelegenheit nach dem AsylG 2005, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §37;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwGVG 2014 §28 Abs3;
VwGVG 2014 §28;
AVG §37;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwGVG 2014 §28 Abs3;
VwGVG 2014 §28;

 

Spruch:

Der angefochtene Beschluss wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger Somalias, stellte am 19. Juli 2011 einen Antrag auf internationalen Schutz und begründete diesen bei seinen Einvernahmen zusammengefasst damit, dass er von der islamistischen Rebellengruppe Al Shabaab verdächtigt worden sei, mit der Regierung zusammenzuarbeiten, weshalb er von einem "Al Shabaab Gericht" zu Tode verurteilt worden sei.

Mit Bescheid vom 25. Juni 2012 wies das Bundesasylamt den Antrag I. auf Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) ab, II. auf Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 ab und sprach III. gemäß § 10 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 die Ausweisung des Revisionswerbers aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Somalia aus.

Das Bundesasylamt führte begründend im Wesentlichen aus, der Revisionswerber habe keinen asylrelevanten Fluchtgrund glaubhaft machen können, weil sich sein Vorbringen als gesteigert und widersprüchlich dargestellt habe. Die Situation in Mogadischu habe sich stabilisiert, die Al Shabaab seien aus Mogadischu abgezogen, weshalb er im Falle seiner Rückkehr nicht Gefahr liefe, einer unmenschlichen Behandlung oder Strafe unterworfen zu sein.

Dagegen erhob der Revisionswerber Beschwerde an den Asylgerichtshof, in der er auch die Durchführung einer Verhandlung beantragte. Das Verfahren über die Beschwerde wurde gemäß § 75 Abs. 19 AsylG 2005 ab 1. Jänner 2014 vom Bundesverwaltungsgericht zu Ende geführt.

Mit dem nunmehr beim Verwaltungsgerichtshof in Revision gezogenen Beschluss hob das Bundesverwaltungsgericht den Bescheid der Verwaltungsbehörde in vollem Umfang gemäß § 28 Abs. 3

2. Satz VwGVG auf und verwies die Angelegenheit zur neuerlichen Feststellung des Sachverhaltes und Erlassung eines neuen Bescheides an das nunmehr zuständige Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurück. Die Revision wurde vom Bundesverwaltungsgericht gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zugelassen.

Begründend führte das Bundesverwaltungsgericht im Wesentlichen aus, dass nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes mit Erkenntnis vom 26. Juni 2014, Ro 2014/03/0063, grundsätzlich eine meritorische Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte bestehe und die Möglichkeit der Zurückverweisung der Sache nur dann in Betracht komme, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen habe, wenn sie zur Ermittlung des maßgeblichen Sachverhalts lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt habe.

Im Fall des Revisionswerbers sei entscheidend, dass dieser während des gesamten Verfahrens im Kern dieselben Angaben gemacht habe. Die Durchsicht der Einvernahmeprotokolle zeige jedenfalls, dass der Revisionswerber den Tag seiner Verurteilung, das Gericht und den Namen des ihn "verurteilenden Richters" habe nennen können, sodass seine dahingehenden Angaben nicht von vornherein abwegig erscheinen würden. Das Bundesverwaltungsgericht könne entgegen der Ansicht der Behörde auch keine Steigerung seines Vorbringens (zwischen Erstbefragung und Einvernahme) erkennen, zumal es in der Erstbefragung in erster Linie um die Erhebung der persönlichen Daten und die Ermittlung der Fluchtroute gehe, auf die genauen Fluchtgründe jedoch nicht weiter einzugehen sei. Dem Revisionswerber könne auch nicht angelastet werden, bei seiner Zeugenvernehmung vom 18. Juli 2011 als Opfer gemäß § 65 Z 1 lit. c StPO wirtschaftliche Ausreisemotive angegeben zu haben. Er habe bei seiner Erstbefragung auch zusätzlich ausgeführt, dass die wirtschaftliche Situation im Land schlecht sei und er dort keine Zukunft hätte, wodurch sich seine Aussage bei der Zeugenvernehmung gegenüber jener in der Erstbefragung nicht als falsch erweise. Außerdem gehe es in einer solchen Zeugeneinvernahme nicht darum, die Fluchtgründe eines Asylwerbers zu eruieren.

Der Verwaltungsbehörde sei es insgesamt nicht gelungen, eine stichhaltige und schlüssige Begründung für ihre Annahme zu finden, warum den Angaben des Revisionswerbers hinsichtlich seines Fluchtvorbringens kein Glauben zu schenken sei. Sie habe sich zwar mit der Herkunftsregion, der Clanzugehörigkeit sowie seinen persönlichen Verhältnissen befasst, sich jedoch nicht ausreichend mit den Fluchtgründen auseinandergesetzt und lediglich darauf verwiesen, dass mit einer Rückkehr der Al Shabaab nach Mogadischu nicht zu rechnen sei. Die Berichte, auf die die Behörde sich dabei gestützt habe, würden jedoch keine klaren Aussagen zur aktuellen Lage in Mogadischu enthalten. Auch die Annahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative in Somaliland sei aufgrund der dem Bescheid zugrunde liegenden Länderberichte nicht nachvollziehbar.

Aufgrund des augenscheinlich mangelnden Ermittlungsverfahrens habe die Behörde daher gegen ihre Pflichten zur Durchführung eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens verstoßen. Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG könne somit nicht davon ausgegangen werden, dass der maßgebliche Sachverhalt feststehe oder die Feststellung durch das Bundesverwaltungsgericht im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden sei.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diese Entscheidung erhobene außerordentliche Revision nach Vorlage derselben sowie der Verfahrensakten durch das Bundesverwaltungsgericht und nach Einleitung des Vorverfahrens - Revisionsbeantwortungen wurden nicht erstattet - erwogen:

Der Revisionswerber macht zur Zulässigkeit der Revision geltend, das Bundesverwaltungsgericht habe die Pflicht zur meritorischen Entscheidung verletzt und sei von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen (mit Verweis auf das hg. Erkenntnis vom 26. Juni 2014, Ro 2014/03/0063). Der Verwaltungsgerichtshof habe den Verwaltungsgerichten "aufgetragen", § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG nur in Ausnahmefällen anzuwenden. Das Bundesverwaltungsgericht interpretiere § 28 Abs. 3 2. Satz leg. cit. jedoch dahingehend, dass schon bei jeglicher Mangelhaftigkeit des Verwaltungsverfahrens (vor allem bezüglich der Beweiswürdigung und der Ermittlung des entscheidungserheblichen Sachverhalts) die Möglichkeit zur Erlassung einer Zurückweisungsentscheidung bestehen würde. Damit würde jedoch das durch die Einrichtung der Verwaltungsgerichte geschaffene, neue Rechtsschutzsystem unterlaufen und ausgehöhlt werden.

Die Revision erweist sich im Hinblick auf dieses Vorbringen als zulässig und berechtigt.

§ 28 VwGVG (samt Überschrift) lautet auszugsweise:

"Erkenntnisse

(1) Sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

(2) Über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG hat das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn

  1. 1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder
  2. 2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

(3) Liegen die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vor, hat das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

(4) Hat die Behörde bei ihrer Entscheidung Ermessen zu üben, hat das Verwaltungsgericht, wenn es nicht gemäß Abs. 2 in der Sache selbst zu entscheiden hat und wenn die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder abzuweisen ist, den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufzuheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückzuverweisen. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

(5) Hebt das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid auf, sind die Behörden verpflichtet, in der betreffenden Rechtssache mit den ihnen zu Gebote stehenden rechtlichen Mitteln unverzüglich den der Rechtsanschauung des Verwaltungsgerichtes entsprechenden Rechtszustand herzustellen.

..."

Zur Zulässigkeit einer kassatorischen Entscheidung durch das Bundesverwaltungsgericht ist auf das bereits zitierte hg. Erkenntnis vom 26. Juni 2014, Ro 2014/03/0063, zu verweisen. Der Verwaltungsgerichtshof hat sich dort mit dieser Frage auseinandergesetzt und dargelegt, dass ein prinzipieller Vorrang der meritorischen Entscheidungspflicht durch die Verwaltungsgerichte gesetzlich festgelegt ist. Die nach § 28 VwGVG von der meritorischen Entscheidungspflicht verbleibenden Ausnahmen sind strikt auf den ihnen gesetzlich zugewiesenen Raum zu beschränken. Der Verwaltungsgerichtshof hat in dem Erkenntnis insbesondere auch ausgeführt, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht werden kann. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen kommt daher nur dann in Betracht, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden. Des Näheren wird auf die Begründung dieses Erkenntnisses gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG verwiesen.

Das Bundesverwaltungsgericht begründete die Zurückverweisungsentscheidung damit, der Revisionswerber habe während des gesamten Verfahrens im Kern dieselben Angaben gemacht, indem er angegeben hätte, Somalia aufgrund von Problemen mit den Al Shabaab verlassen zu haben. Dem Bundesasylamt sei es nicht gelungen, eine stichhaltige und schlüssige Begründung für ihre Annahme zu finden, warum den Angaben des Revisionswerbers hinsichtlich seines Fluchtvorbringens kein Glauben zu schenken sei. Die Verwaltungsbehörde habe somit gegen ihre Pflichten zur Durchführung eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens und zur "ganzheitlichen Würdigung des individuellen Vorbringens" verstoßen.

Die Verwaltungsbehörde hat Ermittlungen zum Sachverhalt durchgeführt und sich auf Grundlage dieser Ermittlungen beweiswürdigend mit dem Vorbringen des Revisionswerbers zu dessen Fluchtgründen auseinandergesetzt. Dabei ist sie zu dem Ergebnis gelangt, dass den Angaben des Revisionswerbers zu seinem Fluchtgrund die Glaubwürdigkeit abzusprechen sei und sich aus den herangezogenen Berichten zur Lage in Mogadischu eine Stabilisierung der Situation ergeben habe.

Im angefochtenen Beschluss wird nun in keiner Weise dargelegt, welche notwendigen Ermittlungen die Verwaltungsbehörde unterlassen habe. Vielmehr beschränkt sich das Bundesverwaltungsgericht - ohne selbst Feststellungen zu treffen - darauf, die von der Verwaltungsbehörde vorgenommenen beweiswürdigenden Überlegungen zu kritisieren. Teilt aber ein Verwaltungsgericht die beweiswürdigenden Erwägungen einer Verwaltungsbehörde nicht, so führt dies allein noch nicht dazu, dass von einem Unterlassen gebotener Ermittlungsschritte iSd § 28 Abs. 3 VwGVG gesprochen werden könnte.

Das Verwaltungsgericht nahm somit in Verkennung der Rechtslage von einer Sachentscheidung Abstand und es war daher der angefochtene Beschluss wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014. Da der Revisionswerber aufgrund des von ihm gestellten Antrages auf Gewährung der Verfahrenshilfe von der Entrichtung der Eingabengebühr befreit wurde, war das den Ersatz dieser Gebühr betreffende Mehrbegehren abzuweisen.

Wien, am 20. Mai 2015

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