VwGH Ro 2014/17/0118

VwGHRo 2014/17/011820.1.2015

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Holeschofsky und die Hofrätinnen Mag. Dr. Zehetner und Dr. Leonhartsberger als Richter, unter Beiziehung der Schriftführerin Mag. Schubert-Zsilavecz, über die Revisionen 1. der Bezirkshauptmannschaft Perg in 4320 Perg, Dirnberger Straße 11, und 2. des Bundesministers für Finanzen in 1010 Wien, Johannesgasse 5, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Oberösterreich vom 8. Mai 2014, Zlen. LVwG-410269/6/Gf/Rt und LVwG-410285/4/Gf/Rt, betreffend Beschlagnahme nach dem Glücksspielgesetz (mitbeteiligte Parteien:

1. R P in B, vertreten durch Hochleitner Rechtsanwälte GmbH in 4020 Linz, Honauerstraße 2, 2. A a.s. in P), zu Recht erkannt:

Normen

12010E056 AEUV Art56;
12010P/TXT Grundrechte Charta Art47;
62012CJ0390 Pfleger VORAB;
AVG §45 Abs3;
GSpG 1989 §53;
EMRK Art6;
VStG §24;
VStG §25 Abs1;
VwGG §39 Abs2 Z6;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwGVG 2014 §38;
VwGVG 2014 §44;
12010E056 AEUV Art56;
12010P/TXT Grundrechte Charta Art47;
62012CJ0390 Pfleger VORAB;
AVG §45 Abs3;
GSpG 1989 §53;
EMRK Art6;
VStG §24;
VStG §25 Abs1;
VwGG §39 Abs2 Z6;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwGVG 2014 §38;
VwGVG 2014 §44;

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

Mit Bescheiden der Bezirkshauptmannschaft Perg jeweils vom 12. Juni 2012 wurde gegenüber dem Erstmitbeteiligten als Veranstalter und gegenüber der Zweitmitbeteiligten als Eigentümerin gemäß § 53 Abs. 1 Z 1 lit. a, Abs. 2 und Abs. 3 Glücksspielgesetz (GSpG) die Beschlagnahme von fünf Glücksspielgeräten ausgesprochen.

In den dagegen erhobenen Berufungen brachten die Mitbeteiligten vor, nicht Betreiber bzw. Eigentümer der beschlagnahmten Glücksspielgeräte zu sein.

Der Unabhängige Verwaltungssenat (UVS) des Landes Oberösterreich stellte in der Folge einen Antrag auf Vorabentscheidung gemäß Art. 267 AEUV an den EuGH und setzte das Verfahren aus.

Mit Urteil vom 30. April 2014, Rs C-390/12 , Robert Pfleger ua, sprach der EuGH aus, dass der Verstoß eines Wirtschaftsteilnehmers gegen eine Regelung im Glücksspielbereich nicht zu Sanktionen führen könne, wenn diese Regelung mit Art. 56 AEUV nicht vereinbar sei (bezüglich des näheren Inhaltes dieses Urteils wird auch auf das hg. Erkenntnis vom 15. Dezember 2014, Ro 2014/17/0121, verwiesen).

Ohne ein weiteres Verfahren durchzuführen, sprach das gemäß Art. 151 Abs. 51 Z 8 zweiter Satz B-VG nunmehr zuständige Landesverwaltungsgericht Oberösterreich mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis vom 8. Mai 2014 aus, den Beschwerden werde gemäß § 50 VwGVG dahin stattgegeben, dass die angefochtenen Bescheide aufgehoben würden (Spruchpunkt I.). Weiters wurde ausgesprochen, dass gegen dieses Erkenntnis eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof zulässig sei (Spruchpunkt II.).

In der Begründung gelangte das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich zu dem Ergebnis, dass den Beschwerden gemäß § 50 VwGVG dahin stattzugeben gewesen sei, dass die angefochtenen Bescheide, mit denen jeweils eine nach § 53 GSpG wegen eines unzulässigen Eingriffs in das Glücksspielmonopol des Bundes angeordnete Beschlagnahme bestätigt worden sei, wegen Widerspruchs der diese Beschlagnahmen tragenden nationalen Regelungen zum Unionsrecht aufzuheben gewesen seien. Bezüglich der weiteren - inhaltsgleichen - Begründung wird ebenfalls auf das hg. Erkenntnis vom 15. Dezember 2014, Ro 2014/17/0121, verwiesen.

Gegen dieses Erkenntnis richten sich die Revisionen der Bezirkshauptmannschaft Perg und des Bundesministers für Finanzen mit den Anträgen, der Verwaltungsgerichtshof möge eine mündliche Verhandlung durchführen und in der Sache selbst entscheiden und die - vor dem Verwaltungsgericht erhobenen - Beschwerden der Mitbeteiligten als unbegründet abweisen, in eventu das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes, eventualiter wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften, aufheben.

Zur Revision des Bundesministers für Finanzen erstattete der Erstmitbeteiligte eine Revisionsbeantwortung, in der er beantragte, die Revision als unbegründet abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Bezüglich der anzuwendenden Rechtslage, der Zulässigkeit der Revisionen, des Inhalts der Revision des Bundesministers für Finanzen (die Bezirkshauptmannschaft Perg tritt in ihrer Revision unter näherer Begründung der Ansicht des Landesverwaltungsgerichtes, dass vorwiegend die Maximierung der Staatseinnahmen das Motiv für die Regelungen im Glücksspielgesetz wären, sowie den Ausführungen, dass die Umkehr der Subsidiarität zugunsten der verwaltungsstrafrechtlichen Verfolgung eine Einschränkung des rechtspolitischen Unwerturteils zum Ausdruck bringe, entgegen) und der Entscheidung in der Sache wird gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG auf das hg. Erkenntnis vom 15. Dezember 2014, Ro 2014/17/0121, verwiesen.

Daraus ergibt sich für den Revisionsfall im Ergebnis Folgendes:

Das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich hätte zunächst zu klären gehabt, ob die Bezirkshauptmannschaft Perg zur Entscheidung in den vorliegenden Verfahren jeweils wegen einer Beschlagnahme nach dem Glücksspielgesetz überhaupt zuständig gewesen ist. Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits im hg. Erkenntnis vom 7. Oktober 2013, 2012/17/0507, auf das gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG verwiesen wird, ausgesprochen, dass es dazu notwendig gewesen wäre, Feststellungen zu auf den gegenständlichen Glücksspielgeräten möglichen Höchsteinsätzen zu treffen.

Hätte sich ergeben, dass zur Entscheidung in den vorliegenden Beschlagnahmeverfahren wegen der Möglichkeit, mit Höchsteinsätzen von mehr als EUR 10,-- pro Spiel an den Glücksspielgeräten zu spielen, die ordentlichen Gerichte und nicht die Verwaltungsbehörden zuständig waren, so wären die Bescheide der Bezirkshauptmannschaft Perg jeweils vom 12. Juni 2012 vom Landesverwaltungsgericht Oberösterreich mangels Zuständigkeit derselben zur Entscheidung aufzuheben gewesen.

Das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich hat aufgrund des Verkennens der Rechtslage keine Feststellungen getroffen, die eine Beurteilung der Frage zulassen, ob die Bezirkshauptmannschaft Perg zur Entscheidung in den vorliegenden Beschlagnahmeverfahren zuständig war. Es hat dadurch das angefochtene Erkenntnis mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes belastet.

Weiters wurde im hg. Erkenntnis vom 15. Dezember 2014, Ro 2014/17/0121, bereits ausgesprochen, dass das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich - bei Bejahung der Zuständigkeit der erstinstanzlichen Verwaltungsbehörde - aufgrund des im Verwaltungsstrafverfahren vor den Verwaltungsgerichten gemäß § 38 VwGVG iVm § 25 Abs. 1 VStG geltenden Amtswegigkeitsprinzips und des Grundsatzes der Erforschung der materiellen Wahrheit Feststellungen hätte treffen müssen, aufgrund derer beurteilt hätte werden können, ob das Unionsrecht in den vorliegenden Beschlagnahmeverfahren überhaupt anzuwenden ist. Bei Bejahung dieser Frage hätte das Landesverwaltungsgericht, um rechtens zu der Beurteilung zu gelangen, dass Bestimmungen des GSpG dem Unionsrecht widersprechen, nach Durchführung eines amtswegigen Ermittlungsverfahrens konkrete Tatsachenfeststellungen zu treffen gehabt, aus denen abzuleiten gewesen wäre, dass durch anzuwendende Bestimmungen des GSpG vorgenommene Beschränkungen der Dienstleistungsfreiheit im Sinne der Rechtsprechung des EuGH nicht gerechtfertigt sind. Dadurch, dass das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich aufgrund seiner unrichtigen Rechtsansicht nicht amtswegig ein Beweisverfahren durchgeführt und derartige Feststellungen getroffen hat, hat es das angefochtene Erkenntnis mit Rechtswidrigkeit seines Inhalts belastet.

Weiters wären den Parteien gemäß § 38 VwGVG iVm § 24 VStG und § 45 Abs. 3 AVG die Ergebnisse des bislang durchgeführten bzw. durchzuführenden Ermittlungsverfahrens vorzuhalten und ihnen die Möglichkeit einzuräumen gewesen, dazu ein Vorbringen zu erstatten und Beweise für die eigenen Behauptungen anzubieten (Grundsatz der Wahrung des Parteiengehörs). In der Folge wären aufgrund eines erstatteten relevanten Parteienvorbringens und Beweisanbotes Ermittlungen durchzuführen und im angefochtenen Erkenntnis Feststellungen hiezu zu treffen gewesen. Indem diese Verfahrensschritte nicht gesetzt wurden, hat das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich das angefochtene Erkenntnis mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften belastet.

Im Übrigen hat das Verwaltungsgericht gemäß § 44 Abs. 1 VwGVG grundsätzlich eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen. In den Abs. 2 bis 5 leg. cit. finden sich zulässige Ausnahmen von der Verhandlungspflicht. Ein Absehen von der Verhandlung wäre nach dieser Bestimmung zu beurteilen und zu begründen gewesen. Das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich hat auch in diesem Zusammenhang das angefochtene Erkenntnis mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften belastet.

Zum notwendigen Inhalt der Entscheidungsbegründung eines Erkenntnisses eines Verwaltungsgerichtes wird auf das hg. Erkenntnis vom 21. Oktober 2014, Ro 2014/03/0076, verwiesen.

Aufgrund obiger Erwägungen war das angefochtene Erkenntnis gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen prävalierender Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Von der Durchführung der von der Bezirkshauptmannschaft Perg beantragten mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 6 VwGG abgesehen werden, weil die Schriftsätze der Parteien erkennen ließen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten ließ und einem Entfall der Verhandlung im Hinblick auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) sowie des EuGH weder Art. 6 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30. März 2010, S. 389, entgegenstanden. Der EGMR hat nämlich in seiner Entscheidung vom 5. September 2002, Speil/Österreich, Nr. 42057/98, unter Hinweis auf seine Vorjudikatur das Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung dann als mit der EMRK vereinbar erklärt, wenn besondere Umstände ein Absehen von einer solchen Verhandlung rechtfertigen. Solche besonderen Umstände erblickte der EGMR darin, dass das Vorbringen des Beschwerdeführers nicht geeignet war, irgendeine Tatsachen- oder Rechtsfrage aufzuwerfen, die eine mündliche Verhandlung erforderlich machte. In seinem Urteil vom 18. Juli 2013, Schädler-Eberle/Liechtenstein. Nr. 56.422/09, hat der EGMR in Weiterführung seiner bisherigen Judikatur dargelegt, dass es Verfahren gebe, in denen eine Verhandlung nicht geboten sei, etwa wenn keine Fragen der Beweiswürdigung aufträten oder die Tatsachenfeststellungen nicht bestritten seien, sodass eine Verhandlung nicht notwendig sei und das Gericht auf Grund des schriftlichen Vorbringens und der schriftlichen Unterlagen entscheiden könne. Davon ist angesichts des Umstandes, dass im vorliegenden Revisionsfall vom Landesverwaltungsgericht Oberösterreich bislang keine Tatsachenfeststellungen getroffen und keine Beweiswürdigung vorgenommen wurde, soweit allein Rechtsfragen, die das bisher abgeführte Verfahren betrafen, zu entscheiden waren, auszugehen. Anhaltspunkte dafür, dass im Revisionsfall unionsrechtlich garantierte Rechte berührt sind, liegen im derzeitigen Verfahrensstadium darüber hinaus nicht vor.

Wien, am 20. Jänner 2015

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