Normen
BAO §250 Abs1 litc;
BAO §250 Abs1 litd;
VwRallg;
BAO §250 Abs1 litc;
BAO §250 Abs1 litd;
VwRallg;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird im Umfang der Anfechtung, somit hinsichtlich der Abweisung der Berufung vom 21. Oktober 2009 gegen die Zurücknahmebescheide gemäß § 85 Abs. 2 BAO sowie der Erklärung der Berufung vom 18. August 2009 als zurückgenommen jeweils betreffend Umsatzsteuer 2008 samt Verspätungszuschlag sowie Einkommensteuer 2008 samt Verspätungszuschlag, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer reichte die Einkommen- und Umsatzsteuererklärungen für die Jahre 2007 und 2008 nicht fristgerecht ein. Mit Bescheiden vom 17. Juli 2009 setzte das Finanzamt u.a. die Umsatz- und Einkommensteuer für 2008 samt Verspätungszuschlägen, die Umsatzsteuer für den Zeitraum 1-4/2009 samt Verspätungszuschlag sowie die Einkommensteuervorauszahlung für 2009 fest, wobei es die Besteuerungsgrundlagen gemäß § 184 BAO im Schätzungsweg ermittelte. Gegen diese Bescheide erhob der Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom 18. August 2009 Berufung mit folgender Begründung:
"Die gegenständlichen Bescheide wurden im Schätzungswege erlassen. Die tatsächlichen Erklärungen 2008 bzw. 01-04/2009 konnten noch nicht fertiggestellt werden, werden jedoch ehestmöglich nachgereicht.
Wir beantragen die Aufhebung der gegenständlichen Bescheide sowie die Neufestsetzung aufgrund der tatsächlichen Steuererklärungen 2008 bzw. Umsatzsteuervoranmeldungen 01-04/2009."
Mit Bescheid vom 20. August 2009 forderte das Finanzamt den Beschwerdeführer auf, die der Berufung nach § 250 BAO anhaftenden inhaltlichen Mängel bis zum 15. September 2009 zu beheben. Der Berufung fehle "A) die Erklärung, in welchen Punkten der Bescheid angefochten wird; B) die Erklärung, welche Änderungen beantragt werden; C) eine Begründung (zB durch Vorlage der Umsatz- und Einkommensteuererklärungen 2008, die Jahresabschlüsse für 2007 und 2008, die Umsatzsteuervoranmeldungen für 1-4/2009)".
Der Mängelbehebungsauftrag wurde vom Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom 14. September 2009 wie folgt beantwortet:
"Die in den Berufungen angeführten Bescheide werden vollinhaltlich angefochten.
Die gegenständlichen Bescheide wurden im Schätzungswege erlassen. Die tatsächliche Einkommensteuererklärung 2007 wurde bereits übermittelt, der Jahresabschluss 2007 liegt bei.
Die Buchhaltung 2008 konnte aufgrund von Geldmangel bisher nicht erstellt werden, ist jedoch bereits in Arbeit und wird voraussichtlich bis Ende September 2009 fertiggestellt werden.
Gemäß § 184 BAO ist die Schätzung nur als letztes Mittel einzusetzen, wenn die Behörde die Grundlage für die Abgabenerhebung nicht anders ermitteln kann. Dabei sind alle Umstände zu berücksichtigen, die für die Schätzung von Bedeutung sind.
Die Erklärungen 2007 wurden bereits abgegeben. Für 2008 und 2009 wurden Schätzungsbescheide ohne vorherige Ankündigung bzw. Aufforderung, Steuererklärungen abzugeben, ausgestellt.
Daher stellen wir den Antrag, diese Bescheide ersatzlos aufzuheben und zwar unabhängig davon, wann die Steuererklärungen abgegeben werden."
Mit Bescheiden vom 21. September 2009 erklärte das Finanzamt die Berufung vom 18. August 2009 gegen den Umsatz- und den Einkommensteuerbescheid für 2008, den Einkommensteuervorauszahlungsbescheid für 2009 sowie den Bescheid über die Umsatzsteuerfestsetzung für 1-4/2009 gemäß § 275 BAO als zurückgenommen. Mit Bescheid vom 22. September 2009 wurde weiters die Berufung gegen die Verspätungszuschlagsbescheide gemäß § 275 BAO als zurückgenommen erklärt. In den gleichlautenden Bescheidbegründungen führte das Finanzamt aus, dass der Beschwerdeführer dem Auftrag, die Mängel der Berufung bis zum 15. September 2009 zu beheben, mit dem Schriftsatz vom 14. September 2009 nicht vollinhaltlich entsprochen habe und bis zum Ablauf der gesetzten Frist keine weiteren Unterlagen eingelangt seien. Es sei daher nach § 275 BAO auszusprechen gewesen, dass die Berufung als zurückgenommen gelte.
Gegen die Zurücknahmebescheide vom 21. und 22. September 2009 erhob der Beschwerdeführer am 21. Oktober 2009 Berufung.
Das Finanzamt wies die Berufung gegen die Zurücknahmebescheide mit Berufungsvorentscheidung vom 30. Oktober 2009 als unbegründet ab und hielt fest, dass die Ausführungen des Beschwerdeführers im Schriftsatz vom 14. September 2009 "nicht einmal ansatzweise geeignet" seien, um die im Mängelbehebungsauftrag dargelegten Mängel zu beseitigen.
Der Beschwerdeführer beantragte die Entscheidung über die Berufung durch die Abgabenbehörde zweiter Instanz.
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung gegen die Zurücknahmebescheide vom 21. und 22. September 2009 als unbegründet ab und erklärte die Berufung vom 18. August 2009 gegen die Sachbescheide für zurückgenommen. Das Finanzamt habe die Zurücknahmebescheide auf § 275 BAO gestützt. Diese Bestimmung sei zwar durch das AbgVRefG, BGBl. I Nr. 20/2009, mit 25. März 2009 außer Kraft getreten, jedoch sei § 85 Abs. 2 BAO entsprechend erweitert worden, sodass insoweit keine inhaltliche Änderung der Rechtslage eingetreten sei. Gestützt auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 7. Juli 2011, 2010/15/0024, wonach ein auf § 275 BAO, anstatt auf die anzuwendende Bestimmung des § 85 Abs. 2 BAO, gestützter Mängelbehebungsauftrag nicht rechtswidrig sei, kam die belangte Behörde zum Ergebnis, dass auch ein nach Inkrafttreten des (neuen) § 85 Abs. 2 BAO auf § 275 BAO gestützter Zurücknahmebescheid keine Rechtswidrigkeit nach sich ziehe.
Weiters vertrat die belangte Behörde die Auffassung, dass der Mängelbehebungsauftrag zu Recht ergangen sei. Der Beschwerdeführer habe in der Berufung vom 18. August 2009 den Antrag auf Aufhebung der Sachbescheide und Neufestsetzung "aufgrund der tatsächlichen Steuererklärungen 2008 bzw. Umsatzsteuervoranmeldungen 1-4/2009" gestellt. Der Beschwerdeführer habe somit eine Veranlagung auf Basis der zu erstellenden Erklärungen und die Abänderung der ergangenen Schätzungsbescheide erwirken wollen. Unter Bezugnahme auf die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes (Hinweis auf die Erkenntnisse vom 29. September 1976, 1093/76, vom 20. Jänner 1993, 92/13/0192, und vom 20. Juli 1999, 93/13/0312) führte die belangte Behörde aus, dass die Beantragung einer "erklärungsgemäßen" Veranlagung nur dann dem Erfordernis des § 250 Abs. 1 lit. c BAO gerecht werden könne, wenn eine solche Abgabenerklärung (aus der sich die beantragten Änderungen ableiten ließen) auch tatsächlich eingereicht werde. Im Übrigen enthalte die Berufung auch keine erkennbare Begründung im Sinne des § 250 Abs. 1 lit. d BAO. Die Feststellung, dass die Bescheide im Schätzungsweg ergangen seien, genüge dafür nicht. Auch der bloße Hinweis auf erst später vorzulegende Abgabenerklärungen stelle ebenso wenig wie die Behauptung, dass die Schätzung der Besteuerungsgrundlagen nicht den tatsächlichen Verhältnissen entspreche, eine Begründung im Sinne des § 250 Abs. 1 lit. d BAO dar. Mit dem Schriftsatz vom 14. September 2009 habe der Beschwerdeführer dem Mängelbehebungsauftrag hinsichtlich der inhaltlichen Erfordernisse des § 250 Abs. 1 lit. c und d BAO nicht hinreichend entsprochen, sodass die Berufung vom 18. August 2009 nach § 85 Abs. 2 BAO als zurückgenommen gelte.
Die dagegen erhobene Beschwerde bekämpft den angefochtenen Bescheid im Umfang seines Abspruches über die Berufungszurücknahme hinsichtlich Umsatzsteuer 2008 samt Verspätungszuschlag sowie Einkommensteuer 2008 samt Verspätungszuschlag.
Der Verwaltungsgerichtshof hat nach Erstattung einer Gegenschrift und Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde erwogen:
Gemäß § 250 Abs. 1 BAO idF vor dem FVwGG 2012, BGBl. I Nr. 14/2013, hat eine Berufung zu enthalten:
- a) die Bezeichnung des Bescheides, gegen den sie sich richtet,
- b) die Erklärung, in welchen Punkten der Bescheid angefochten wird,
- c) die Erklärung, welche Änderungen beantragt werden,
- d) eine Begründung.
Entspricht eine Berufung nicht den im § 250 Abs. 1 BAO idF vor dem FVwGG 2012 umschriebenen Erfordernissen, hat die Abgabenbehörde nach § 85 Abs. 2 BAO idF des AbgVRefG, BGBl. I Nr. 20/2009, dem Berufungswerber die Behebung dieser inhaltlichen Mängel mit dem Hinweis aufzutragen, dass die Berufung nach fruchtlosem Ablauf einer gleichzeitig zu bestimmenden angemessenen Frist als zurückgenommen gilt.
Im Beschwerdefall ist die belangte Behörde zum Ergebnis gelangt, der Beschwerdeführer sei dem ihm erteilten Mängelbehebungsauftrag nicht nachgekommen, da er (mangels Vorlage der entsprechenden Abgabenerklärungen) weder eine Erklärung, welche Änderungen beantragt würden (§ 250 Abs. 1 lit. c BAO), noch eine Begründung seiner Berufung (§ 250 Abs. 1 lit. d BAO) nachgereicht habe.
Wie in der Beschwerde zutreffend aufgezeigt wird, lässt die belangte Behörde damit jedoch außer Acht, dass der Beschwerdeführer im Mängelbehebungsschriftsatz vom 14. September 2008 sein Berufungsbegehren dahingehend geändert hat, dass er nicht mehr die erklärungsgemäße Veranlagung und die entsprechende Abänderung der Schätzungsbescheide begehrte, sondern beantragte, "diese Bescheide ersatzlos aufzuheben und zwar unabhängig davon, wann die Steuererklärungen abgegeben werden". Wie der Verwaltungsgerichtshof im Erkenntnis vom 30. September 1998, 93/13/0258, VwSlg. 7314/F, ausgesprochen hat, stellt das ausdrückliche Begehren der ersatzlosen Behebung eines Abgabenbescheids aber eine ausreichende Erklärung im Sinne des § 250 Abs. 1 lit. c BAO dar. Auf die Schlüssigkeit seiner Begründung kommt es dafür nicht an.
Weiters hat der Beschwerdeführer im Mängelbehebungsschriftsatz vom 14. September 2008 auch eine Begründung seines Berufungsbegehrens nachgereicht und dazu ausgeführt, dass die Schätzung nach§ 184 BAO nur als letztes Mittel einzusetzen sei, wenn die Behörde die Grundlage für die Abgabenerhebung nicht anders ermitteln könne. Dabei seien alle Umstände zu berücksichtigen, die für die Schätzung von Bedeutung seien. Die Schätzungsbescheide seien ohne vorherige Ankündigung bzw. Aufforderung, die Steuererklärungen abzugeben, ergangen. Wenn die belangte Behörde in der Gegenschrift ausführt, dass seitens des Beschwerdeführers eine "taugliche" Berufungsbegründung nicht dargetan worden sei, lässt sie damit die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes unberücksichtigt, wonach auch eine unzulängliche Begründung des Rechtsmittels eine Begründung im Sinne des § 250 Abs. 1 lit. d BAO darstellt (vgl. die Erkenntnisse vom 28. Jänner 1998, 96/13/0081, und vom 20. Jänner 1999, 98/13/0063). Eine unschlüssige oder inhaltlich unzutreffende Begründung ist dem Fehlen einer Begründung nicht gleichzuhalten (vgl. die Erkenntnisse vom 23. April 2001, 99/14/0104, VwSlg. 7605/F, und vom 24. Oktober 2005, 2002/13/0005, 0006).
Da die belangte Behörde dies verkannt hat, war der angefochtene Bescheid - im Rahmen des Anfechtungsumfangs - gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.
Die zitierten Bestimmungen über das Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof waren gemäß § 79 Abs. 11 letzter Satz VwGG in der bis zum Ablauf des 31. Dezember 2013 geltenden Fassung anzuwenden.
Wien, am 29. April 2015
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