VwGH 2012/07/0278

VwGH2012/07/027826.3.2015

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bumberger und die Hofrätin Dr. Hinterwirth sowie die Hofräte Dr. N. Bachler, Dr. Lukasser und Mag. Brandl als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Pitsch, über die Beschwerde der X Kraftwerke GmbH in G, vertreten durch Kaufmann & Lausegger Rechtsanwalts KG in 8020 Graz, Mariahilfer Straße 20, gegen den Bescheid des Bundesministers für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft vom 29. Oktober 2012, Zl. BMLFUW-UW.4.1.12/0236-I/6/2012, betreffend Abweisung eines Devolutionsantrages in einer wasserrechtlichen Angelegenheit, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §73 Abs1;
AVG §73 Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z1;
AVG §73 Abs1;
AVG §73 Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der beschwerdeführenden Partei Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin suchte mit Schreiben vom 22. August 2011, bei der Erstbehörde (Landeshauptmann von Kärnten) eingelangt am 25. August 2011, um wasserrechtliche Bewilligung zur Errichtung und zum Betrieb einer Wasserkraftanlage an der V im Gemeindegebiet E an. Mit Schreiben vom 26. August 2011, bei der Erstbehörde eingelangt am 29. August 2011, legte die Beschwerdeführerin ergänzend zu den Einreichunterlagen die Optionsverträge für die benötigten Grundstücke vor.

Im Rahmen des Vorprüfungsverfahrens nach § 104 iVm § 104a WRG 1959 übermittelte die Erstbehörde die Einreichunterlagen am 7. September 2011 an den wasserbautechnischen Amtssachverständigen (ASV) und am 8. September 2011 an die ASV für Gewässerökologie bzw. fachlichen Naturschutz. Die ASV wurden jeweils um telefonische Rücksprache gebeten, sollten weitere Punkte einer Erörterung bedürfen. Ein Termin für die abgeforderten Stellungnahmen wurde den ASV nicht gesetzt.

Während der wasserbautechnische ASV seine Beurteilung am 12. Oktober 2011 abgab, langte die mit 2. August 2012 datierte Stellungnahme des gewässerökologischen ASV, die unter anderem auf einer hydromorphologischen Erhebung der V zwischen km 28 und km 13 durch das Kärntner Institut für Seenforschung (im Folgenden: KIS) im November 2011 basierte, erst am 8. August 2012 bei der Erstbehörde ein, nachdem diese Stellungnahme bereits am 31. Oktober 2011, am 23. Jänner 2012 und am 21. Mai 2012 jeweils telefonisch von der Erstbehörde urgiert wurde. Anlässlich der Urgenz am 31. Oktober 2011 führte der gewässerökologische ASV aus, dass für die Stellungnahme eine hydromorphologische Erhebung der V durch das KIS notwendig sei. Auf Anfrage vom 23. Jänner 2012 teilte der ASV mit, dass diese Erhebungen des KIS noch nicht vorlägen. Anlässlich der Urgenz vom 21. Mai 2012 wies der gewässerökologische ASV darauf hin, dass der Bericht des KIS in Ausarbeitung sei und er seine Stellungnahme in zwei bis drei Wochen der Behörde übermitteln werde.

Am 18. September 2012 langte die Stellungnahme des naturschutzfachlichen ASV vom 3. September 2012, unter anderem aufbauend auf den öko- und hydromorphologischen Untersuchungen durch das KIS vom Februar 2012, bei der Erstbehörde ein, nachdem die Erstbehörde die Vorprüfung telefonisch am 15. Mai 2012 beim naturschutzfachlichen ASV urgiert hatte.

Bereits zuvor, am 6. September 2012, brachte die Beschwerdeführerin bei der belangten Behörde einen Devolutionsantrag ein. Sämtliche Projektunterlagen seien augenscheinlich vollständig eingereicht worden. Die Tatsache, dass die Entscheidung bereits seit über einem Jahr ausstehe, lasse zwingend auf das überwiegende Verschulden der Behörde schließen.

Mit dem angefochtenen Bescheid vom 29. Oktober 2012 wies die belangte Behörde den Devolutionsantrag gemäß § 73 AVG ab.

Laut Aktenlage habe die säumige Behörde das Ermittlungsverfahren durch die Setzung nachvollziehbarer, zielführender und unbedingt notwendiger Verfahrensschritte, wie der Einholung eines gewässerökologischen bzw. eines naturschutzfachlichen sowie eines wasserbautechnischen Gutachtens im Vorprüfungsverfahren sowie der gemeinsamen Übermittlung der eingeholten Fachgutachten nach deren Vorliegen, in einem angemessenen zeitlichen Rahmen prozessökonomisch vorangetrieben. Sowohl das gewässerökologische als auch das naturschutzfachliche Gutachten würden sich auf die vom KIS erhobenen, ökomorphologischen und hydromorphologischen Untersuchungen an der V beziehen. Der gewässerökologische ASV habe gegenüber der belangten Behörde die lange Dauer der Gutachtenserstellung plausibel damit begründet, dass aus fachlicher Sicht die öko- und hydromorphologische Zustandserhebung der V notwendig gewesen sei, wobei sich die lange Erhebungsstrecke von 15 km aus verfahrensökonomischen Gründen ergeben habe, um für weitere Projekte fundierte Daten zu erhalten und um auch die bestehenden Kraftwerksnutzungen, welche für die Beurteilung notwendig gewesen seien, zu berücksichtigen. Aufgrund des erheblichen Untersuchungsaufwandes sei erst im April 2012 eine Rohfassung des KIS vorgelegt worden. Diese Rohfassung sei jedoch vom gewässerökologischen ASV betreffend die zum Teil bewilligten bzw. vorbegutachteten Kraftwerke als unzureichend bemängelt worden. Der Endbericht des KIS sei erst im August 2012 vorgelegen.

Es erscheine schlüssig und nachvollziehbar, dass für die abschließende gewässerökologische bzw. naturschutzfachliche Beurteilung eine Zustandserhebung und Detailuntersuchungen der V notwendig gewesen seien, um den Vorgaben im Fachbereich Gewässerökologie und Naturschutz entsprechen zu können. Die lange Dauer für die Zustandserhebung durch das KIS sei angesichts der langen Erhebungsstrecke zwischen km 28,5 und km 13,5 mit den zahlreichen bestehenden bzw. vorbegutachteten Kraftwerksnutzungen nachvollziehbar. Die zeitliche Verzögerung der Erstellung des gewässerökologischen und naturschutzfachlichen Gutachtens sei sachlich nachvollziehbar begründet.

Zudem habe die säumige Behörde laut den Aktenvermerken vom 31. Oktober 2011, 23. Jänner 2012 und 21. Mai 2012 mehrmals beim gewässerökologischen ASV wegen der Abgabe einer Stellungnahme urgiert. Auch beim naturschutzfachlichen ASV sei laut Aktenvermerk vom 15. Mai 2012 wegen der Gutachtenserstattung urgiert worden.

Die umfassenden und zeitaufwendigen Erhebungen des KIS, die Grundvoraussetzung für die Erstattung des gewässerökologischen und naturschutzfachlichen Gutachtens seien, seien geeignet, das Vorliegen eines unüberwindbaren Hindernisses zu begründen, weshalb die Erstbehörde kein überwiegendes Verschulden an den Verzögerungen treffe.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die gegenständliche Beschwerde, in der Rechtswidrigkeit des Inhaltes und hilfsweise Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden.

Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.

 

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Auf den vorliegenden, mit Ablauf des 31. Dezember 2013 beim Verwaltungsgerichtshof anhängigen Beschwerdefall sind nach § 79 Abs. 11 letzter Satz VwGG die bis zum Ablauf des 31. Dezember 2013 geltenden Bestimmungen weiter anzuwenden.

Gemäß § 73 Abs. 1 AVG sind die Behörden verpflichtet, wenn in den Verwaltungsvorschriften nicht anderes bestimmt ist, über Anträge von Parteien (§ 8) und Berufungen ohne unnötigen Aufschub, spätestens aber sechs Monate nach deren Einlangen den Bescheid zu erlassen.

Gemäß Abs. 2 dieser Bestimmung geht, wenn der Bescheid nicht innerhalb der Entscheidungsfrist erlassen wird, auf schriftlichen Antrag der Partei die Zuständigkeit zur Entscheidung auf die sachlich in Betracht kommende Oberbehörde, wenn aber gegen den Bescheid Berufung an den unabhängigen Verwaltungssenat erhoben werden könnte, auf diesen über (Devolutionsantrag). Der Devolutionsantrag ist bei der Oberbehörde (beim unabhängigen Verwaltungssenat) einzubringen. Er ist abzuweisen, wenn die Verzögerung nicht auf ein überwiegendes Verschulden der Behörde zurückzuführen ist.

Die Beschwerdeführerin wendet sich gegen die Auffassung der belangten Behörde, dass die Verzögerung nicht auf ein überwiegendes Verschulden der Erstbehörde zurückzuführen sei, weil diese bei den ASV die Beibringung der Stellungnahmen urgiert habe und die öko- und hydromorphologische Zustandserhebung der V frühere Stellungnahmen der ASV nicht ermöglicht hätten. Vielmehr sei einerseits die Verzögerung auf unnötige, für das maßgebliche Projekt nicht erforderliche Erhebungsarbeiten, die überdies mehr Zeit als notwendig in Anspruch genommen hätten, zurückzuführen, andererseits habe die Erstbehörde ihre Überwachungs- und Steuerungsobliegenheiten jedenfalls nicht ausreichend gegenüber den ASV wahrgenommen.

Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ist der Begriff des Verschuldens der Behörde nach § 73 Abs. 2 AVG nicht im Sinne eines Verschuldens von Organwaltern der Behörde, sondern insofern "objektiv" zu verstehen, als ein solches "Verschulden" dann anzunehmen ist, wenn die zur Entscheidung berufene Behörde nicht durch schuldhaftes Verhalten der Partei oder durch unüberwindliche Hindernisse an der Entscheidung gehindert war (vgl. das hg. Erkenntnis vom 18. Dezember 2014, 2012/07/0087). Wie die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid zutreffend erwähnte, hat der Verwaltungsgerichtshof bereits ausgesprochen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 27. April 2011, 2009/06/0192), dass Sachverständigengutachten und Ermittlungsergebnisse, die erst nach längerer Zeit abgeliefert werden, für sich allein nicht geeignet sind, das Vorliegen eines unüberwindlichen Hindernisses zu begründen. Auch der Umstand, dass es sich um eine komplexe Materie handelt, kann nicht ausreichen, um vom Vorliegen eines unüberwindlichen, einer im Sinn des § 73 Abs. 1 AVG fristgerechten Entscheidung entgegenstehenden Hindernisses auszugehen (vgl. nochmals das zur Zl. 2012/07/0087 ergangene Erkenntnis). Es ist vielmehr Aufgabe der Behörde, ab Vorliegen eines vollständigen Antrages nicht nur konkrete Aufträge an die Sachverständigen zur Abgabe der für die Entscheidung wesentlichen Stellungnahmen zu erteilen, sondern mit den für die Entscheidung relevanten Sachverständigen sachlich begründete Termine zu vereinbaren, deren Einhaltung zu überwachen und bei Nichteinhaltung entsprechende Schritte zu setzen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 21. September 2007, 2006/05/0145, sowie nochmals die zu den Zlen. 2006/05/0145 und 2009/06/0192 und 2012/07/0087 ergangenen Erkenntnisse).

Die Erstbehörde hat zwar nach Einlangen des vollständigen Antrags am 29. August 2011 ohne Verzögerung die Projektunterlagen im Vorprüfungsverfahren an die jeweiligen ASV übermittelt, jedoch weder zu Beginn noch aus Anlass der telefonischen Urgenzen eine bestimmte Frist für die abverlangten Stellungnahmen gesetzt. Allein die telefonischen Urgenzen reichten für eine ausreichende Überwachung der herangezogenen ASV nicht aus. Zwischen den Urgenzen beim gewässerökologischen ASV lagen fast drei bzw. vier Monate. Die Stellungnahme des naturschutzfachlichen ASV wurde überhaupt nur einmal und zwar mehr als sieben Monate nach Erteilung des Auftrags zur Stellungnahme urgiert. Den jeweiligen Aktenvermerken zu den Urgenzen ist zu entnehmen, dass die ausstehende Stellungnahme vom gewässerökologischen ASV jeweils mit den noch ausstehenden hydromorphologischen Erhebungen durch das KIS begründet wurde. Dass die Erstbehörde die Gründe für die lange Dauer der Erhebungen und für die Erstellung eines Berichts durch das KIS etwa in Bezug auf den Umfang der untersuchten Streckenlänge hinterfragte, um entsprechende Schritte für eine Beschleunigung des Verfahrens zu setzen, ist aus dem Akteninhalt nicht ersichtlich.

Es ist daher der Beschwerdeführerin bereits dahingehend zu folgen, dass die Erstbehörde ihrer Überwachungspflicht gegenüber den von ihr beauftragten ASV nicht ausreichend nachgekommen ist und ihr schon deshalb ein überwiegendes Verschulden an der Verzögerung der Entscheidung anzulasten ist.

Angesichts dessen erübrigt es sich, auf das weitere Beschwerdevorbringen zum Vorwurf, dass die Verzögerungen auch auf grundsätzlich nicht erforderliche - bezogen auf die untersuchte Streckenlänge von 15 km - zu umfangreiche und zu lange dauernde hydromorphologische Erhebungen zurückzuführen seien, näher einzugehen.

Ebenso wenig braucht auf die als Verfahrensmangel geltend gemachte Befangenheit der zuständigen Sachbearbeiterin der belangten Behörde näher eingegangen werden, die die Beschwerdeführerin aus dem Umstand, dass die Sachbearbeiterin die Tochter des Leiters des Sachgebiets Gewässerökologie und Landesfischereiinspektors der Abteilung für Umwelt, Wasser und Naturschutz des Amtes der Kärntner Landesregierung ist und über ein Verschulden der durch diese Abteilung repräsentierte Erstbehörde zu entscheiden hatte, ableitete, zumal für das fortgesetzte Verfahren nicht mehr die belangte Behörde sondern das Landesverwaltungsgericht Kärnten, bei dem die Sachbearbeiterin der belangten Behörde nicht tätig ist, zuständig ist.

Der angefochtene Bescheid war daher wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Von der von der Beschwerdeführerin beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 4 und 6 VwGG abgesehen werden.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz in der begehrten Höhe gründet auf den §§ 47 ff VwGG iVm § 79 Abs. 11 VwGG und § 3 VwGH-Aufwandersatzverordnung BGBl. II Nr. 518/2013 idF Nr. 8/2014 iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung BGBl. II Nr. 455/2008.

Wien, am 26. März 2015

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