VwGH 2013/15/0186

VwGH2013/15/018630.1.2014

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zorn und die Hofrätin Dr. Büsser sowie die Hofräte MMag. Maislinger, Mag. Novak und Dr. Sutter als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Zaunbauer, in der Beschwerdesache des Finanzamtes Linz in 4020 Linz, Bahnhofplatz 7, gegen den Bescheid des unabhängigen Finanzsenates, Außenstelle Linz, vom 16. April 2013, Zlen. RV/0073-L/11, RV/0074-L/11, RV/0801-L/12, RV/0802-L/12, RV/0798-L/12, betreffend Feststellung Gruppenmitglied 2006 bis 2010 (mitbeteiligte Parteien: 1. I AG, und 2. I GmbH, beide in T, beide vertreten durch die LeitnerLeitner GmbH, Wirtschaftsprüfer und Steuerberater in 4040 Linz, Ottensheimer Straße 32), den Beschluss gefasst:

Normen

11997E043 EG Art43;
11997E048 EG Art48;
11997E087 EG Art87;
11997E088 EG Art88 Abs3;
12010E049 AEUV Art49;
12010E054 AEUV Art54;
12010E107 AEUV Art107;
12010E108 AEUV Art108 Abs3;
12010E267 AEUV Art267;
32001R0069 De-minimis Beihilfen;
32006R1998 De-minimis Beihilfen;
61999CJ0143 Adria-Wien Pipeline VORAB;
62004CJ0347 Rewe Zentralfinanz VORAB;
62004CJ0393 Air Liquide Industries Belgium VORAB;
62008CJ0337 X Holding VORAB;
62012CJ0006 P Oy VORAB;
KStG §1 Abs2;
KStG §10 Abs2;
KStG §10 Abs3;
KStG 1988 §9 Abs7 idF 2004/I/180;
VwGG §38b;

 

Spruch:

Dem Gerichtshof der Europäischen Union werden gemäß Art. 267 AEUV folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1. Steht Art. 107 AEUV (früher Art. 87 EG) in Verbindung mit Art. 108 Abs. 3 AEUV (früher Art. 88 Abs. 3 EG) einer nationalen Maßnahme entgegen, nach der eine - die Steuerbemessungsgrundlage und damit die Steuerlast verringernde - Firmenwertabschreibung bei Anschaffung einer inländischen Beteiligung im Rahmen der Gruppenbesteuerung vorzunehmen ist, während bei Anschaffung einer Beteiligung in anderen Fällen der Einkommens- und Körperschaftbesteuerung eine derartige Firmenwertabschreibung nicht zulässig ist?

2. Steht Art. 49 AEUV (früher Art. 43 EG) in Verbindung mit Art. 54 AEUV (früher Art. 48 EG) Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaates entgegen, nach denen bei Anschaffung einer inländischen Beteiligung im Rahmen der Gruppenbesteuerung eine Firmenwertabschreibung vorzunehmen ist, während bei Anschaffung einer Beteiligung an einer nicht ansässigen Körperschaft (insbesondere mit Sitz in einem anderen EU-Mitgliedstaat) eine derartige Firmenwertabschreibung nicht vorgenommen werden darf?

Begründung

A. Sachverhalt und bisheriges Verfahren

Die IFN Beteiligungs GmbH (in der Folge: IFN GmbH) hält 99,71% der Anteile am Grundkapital der IFN-Holding AG (in der Folge: IFN AG), die ihrerseits wiederum an einer Reihe von großteils in die Unternehmensgruppe eingebundenen beschränkt und unbeschränkt steuerpflichtigen Kapitalgesellschaften (mehrheitlich) beteiligt ist. Zu den Beteiligungen der IFN AG zählte in den Jahren 2006 und 2007 unter anderen auch die 100%ige Tochtergesellschaft CEE Holding GmbH (in der Folge: CEE). Diese erwarb neben bereits bestehenden anderen Beteiligungen im Jahr 2005 100% der Anteile an der HSF s.r.o. Slowakei (in der Folge HSF). Die CEE war ab 2005, die HSF ab 2006 Gruppenmitglied einer steuerlichen Gruppe im Sinn des § 9 KStG 1988. Mit Verschmelzungsvertrag und Hauptversammlungsbeschluss vom 17. Juni 2008 wurde die CEE (rückwirkend per 31. Dezember 2007) als übertragende Gesellschaft mit der IFN AG als übernehmende Gesellschaft verschmolzen. Die IFN AG trat damit als Gesamtrechtsnachfolgerin in sämtliche Rechtspositionen der CEE ein und hält seitdem auch unmittelbar die Beteiligung an der HSF.

Im Rahmen der Körperschaftsteuererklärungen 2006 bis 2010 wurde zunächst von der CEE, später von deren Rechtsnachfolgerin IFN AG jeweils eine Firmenwertabschreibung gemäß § 9 Abs. 7 KStG 1988 im Zusammenhang mit der slowakischen Tochtergesellschaft HSF in Höhe von jeweils 1/15 der Hälfte des Kaufpreises von EUR 5,5 Mio. geltend gemacht. In einer Beilage zur Körperschaftsteuererklärung wurde darauf hingewiesen, dass die Einschränkung der Firmenwertabschreibung auf inländische Beteiligungen gemäß § 9 Abs. 7 KStG 1988 gegen die Niederlassungsfreiheit gemäß Art. 43 EG (nunmehr Art. 49 AEUV) verstoße und somit unionsrechtswidrig sei.

Das Finanzamt als Abgabenbehörde erster Instanz anerkannte im Rahmen der für die Jahre 2006 bis 2010 ergangenen "Feststellungsbescheide Gruppenmitglied" betreffend die CEE bzw. die IFN AG (als deren Rechtsnachfolgerin) diese Firmenwertabschreibung nicht. Nach § 9 Abs. 7 KStG 1988 könne eine Firmenwertabschreibung nur für Beteiligungen an unbeschränkt steuerpflichtigen Körperschaften erfolgen.

Gegen diese Bescheide erhoben die IFN AG (auch als Rechtsnachfolgerin der CEE) und (betreffend die Jahre 2006 und 2007) die IFN GmbH Berufungen; sie machten geltend, die Einschränkung der Firmenwertabschreibung gemäß § 9 Abs. 7 KStG 1988 auf inländische Beteiligungen verstoße gegen die Niederlassungsfreiheit gemäß Art. 43 EG (nunmehr Art. 49 AEUV) und sei daher unionsrechtswidrig.

Mit dem beim Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde (unabhängiger Finanzsenat, Außenstelle Linz) den Berufungen Folge und hob die Bescheide des Finanzamtes unter Zurückverweisung der Sache an die Abgabenbehörde erster Instanz auf. Begründend führte die belangte Behörde zusammengefasst aus, die Einschränkung der Firmenwertabschreibung gemäß § 9 Abs. 7 KStG 1988 auf Beteiligungen an unbeschränkt steuerpflichtigen Körperschaften verstoße gegen die Niederlassungsfreiheit und könne durch keine zwingenden Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt werden. Zur Herstellung der Unionsrechtskonformität im konkreten Fall sei die Firmenwertabschreibung auf die Beteiligung an der Körperschaft, die zwar nicht unbeschränkt steuerpflichtig sei, aber ihren Sitz in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union habe, auszudehnen. Da zur Ermittlung der Höhe des Firmenwertes weitere Erhebungen erforderlich seien, seien die Bescheide des Finanzamtes aufzuheben und das Verfahren an das Finanzamt zurückzuverweisen gewesen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vom Finanzamt gemäß § 292 Bundesabgabenordnung erhobene Beschwerde an das vorlegende Gericht.

Im Beschwerdefall ist strittig, ob im Hinblick auf die Beteiligung der CEE bzw. der IFN AG als deren Rechtsnachfolgerin an der slowakischen Gesellschaft HSF eine Firmenwertabschreibung gemäß § 9 Abs. 7 KStG 1988 zusteht.

B. Maßgebliche Bestimmungen des nationalen Rechts

Mit dem Steuerreformgesetz 2005, BGBl. I Nr. 57/2004, wurden in das österreichische Körperschaftsteuergesetz 1988 (KStG 1988) Bestimmungen über die "Gruppenbesteuerung" aufgenommen.

§ 9 Abs. 7 KStG 1988 lautet (in der Fassung des Abgabenänderungsgesetzes 2004, BGBl. I Nr. 180/2004):

"(7) Bei der Gewinnermittlung sind Abschreibungen auf den niedrigeren Teilwert (§ 6 Z 2 lit. a des Einkommensteuergesetzes 1988) und Veräußerungsverluste hinsichtlich von Beteiligungen an Gruppenmitgliedern nicht abzugsfähig. Im Falle der Anschaffung einer Beteiligung (Abs. 4) durch ein Gruppenmitglied bzw. den Gruppenträger oder eine für eine Gruppenbildung geeignete Körperschaft an einer betriebsführenden unbeschränkt steuerpflichtigen Beteiligungskörperschaft (Abs. 2), ausgenommen unmittelbar oder mittelbar von einem konzernzugehörigen Unternehmen bzw. unmittelbar oder mittelbar von einem einen beherrschenden Einfluss ausübenden Gesellschafter, ist ab Zugehörigkeit dieser Körperschaft zur Unternehmensgruppe beim unmittelbar beteiligten Gruppenmitglied bzw. Gruppenträger eine Firmenwertabschreibung in folgender Weise vorzunehmen:

"(2) Von der Körperschaftsteuer sind Gewinnanteile jeder Art aus internationalen Schachtelbeteiligungen befreit. Eine internationale Schachtelbeteiligung liegt vor, wenn unter § 7 Abs. 3 fallende Steuerpflichtige oder sonstige unbeschränkt steuerpflichtige ausländische Körperschaften, die einem inländischen unter § 7 Abs. 3 fallenden Steuerpflichtigen vergleichbar sind, nachweislich in Form von Kapitalanteilen während eines ununterbrochenen Zeitraumes von mindestens einem Jahr mindestens zu einem Zehntel beteiligt sind

a) an ausländischen Gesellschaften, die einer inländischen Kapitalgesellschaft vergleichbar sind,

b) an anderen ausländischen Körperschaften, die die in der Anlage 2 zum Einkommensteuergesetz 1988 vorgesehenen Voraussetzungen des Artikels 2 der Richtlinie Nr. 90/435/EWG des Rates vom 23. Juli 1990 (ABl. EG Nr. L 255 S 6), in der jeweils geltenden Fassung erfüllen. Die genannte Frist von einem Jahr gilt nicht für Anteile, die auf Grund einer Kapitalerhöhung erworben wurden, soweit sich das Beteiligungsausmaß dadurch nicht erhöht hat.

(3) Bei der Ermittlung der Einkünfte bleiben Gewinne, Verluste und sonstige Wertänderungen aus internationalen Schachtelbeteiligungen im Sinne des Abs. 2 außer Ansatz. Dies gilt nicht für tatsächliche und endgültige Vermögensverluste, die durch den Untergang (Liquidation oder Insolvenz) der ausländischen Gesellschaft (Körperschaft) veranlasst werden. Die Verluste sind um steuerfreie Gewinnanteile jeder Art, die innerhalb der letzten fünf Wirtschaftsjahre vor dem Wirtschaftsjahr der Liquidationseröffnung oder des Eintrittes der Insolvenz anfallen, zu kürzen. Die Steuerneutralität der Beteiligung gilt nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen nicht:

1. Der Steuerpflichtige erklärt bei Abgabe der Körperschaftsteuererklärung für das Jahr der Anschaffung einer internationalen Schachtelbeteiligung oder des Entstehens einer internationalen Schachtelbeteiligung durch die zusätzliche Anschaffung von Anteilen, dass Gewinne, Verluste und sonstige Wertänderungen für diese steuerwirksam sein sollen (Option zugunsten der Steuerwirksamkeit der Beteiligung).

(...)"

Die Bestimmungen über die internationale Schachtelbeteiligung waren mit BGBl. I Nr. 71/2003 neu gefasst worden. In den Erläuterungen (59 der Beilagen 22. Gesetzgebungsperiode, 273 f) wurde hiezu u.a. ausgeführt:

"Die Mitgliedstaaten der Europäischen Union haben sich am 1. Dezember 1997 auf einen Verhaltenskodex zur Unternehmensbesteuerung geeinigt, worin sie sich zur Unterlassung bzw. Rücknahme von Maßnahmen des unfairen Steuerwettbewerbs verpflichteten.

Zur Ermittlung der kodexwidrigen Maßnahmen wurde vom ECOFIN eine hochrangige Gruppe eingesetzt. In dem Bericht dieser Gruppe ist Österreich mit zwei Maßnahmen vertreten, die eine legistische Änderung erfordern:

- § 10 Abs. 2 KStG 1988 - Gewinne aus der Veräußerung von Auslandsbeteiligungen sind steuerfrei, während Verluste steuerlich berücksichtigt werden. (...)

Entsprechend den Beschlüssen des November ECOFIN 2000 müssen kodexwidrige Maßnahmen, die am 31. 12. 2000 bereits auf Unternehmen Anwendung gefunden haben, spätestens bis 31. 12. 2005 abgeschafft werden.

(...)

Die Verpflichtung zur Abschaffung dieser Maßnahmen ergibt

sich auch aus den Arbeiten des Forums der OECD zur Bekämpfung des

unfairen Steuerwettbewerbs.

(...)

Mit dem neuen Abs. 3 wird eine steuerliche Gleichbehandlung von Gewinnen und Verlusten aus der Veräußerung oder des sonstigen Ausscheidens der Schachtelbeteiligung dahingehend erreicht, dass eine vollständige Neutralstellung von Gewinnen, Verlusten oder Wertänderungen während des Bestandes der Beteiligung festgelegt wird. (...)

Um den unterschiedlichen Interessen der beteiligungshaltenden Körperschaften Rechnung zu tragen, soll eine auf jede einzelne Schachtelbeteiligung bezogene Option zu Gunsten der vollständigen Steuerwirksamkeit der internationalen Schachtelbeteiligung verankert werden. (...)"

C. Erläuterungen zur Vorlagefrage 1:

Die direkten Steuern fallen zwar in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten, diese müssen ihre Befugnisse aber unter Wahrung des Unionsrechts ausüben (vgl. Urteil des EuGH vom 29. März 2007, C-347/04 , Rewe Zentralfinanz eG, Randnr. 21).

Nach Art. 107 AEUV (früher Art. 87 EG) sind - soweit in den Verträgen nicht etwas anderes bestimmt ist - staatliche oder aus staatlichen Mitteln gewährte Beihilfen gleich welcher Art, die durch die Begünstigung bestimmter Unternehmen oder Produktionszweige den Wettbewerb verfälschen oder zu verfälschen drohen, mit dem Binnenmarkt unvereinbar, soweit sie den Handel zwischen Mitgliedstaaten beeinträchtigen. Nach Art. 108 Abs. 3 dritter Satz AEUV (früher Art. 88 Abs. 3 EG) darf der betreffende Mitgliedstaat die beabsichtigte Maßnahme nicht durchführen, bevor die Kommission einen abschließenden Beschluss erlassen hat.

Der Begriff der Beihilfe umfasst insbesondere auch Maßnahmen, die in verschiedener Form die Belastungen vermindern, die ein Unternehmen normalerweise zu tragen hat (vgl. etwa EuGH vom 8. November 2001, C-143/99 , Adria-Wien Pipeline GmbH, Rn 38). Die Qualifizierung einer Maßnahme als Beihilfe setzt voraus:

die Finanzierung dieser Maßnahme durch den Staat oder aus staatlichen Mitteln, Vorliegen eines Vorteils für ein Unternehmen, Selektivität dieser Maßnahme und Beeinträchtigung des Handels zwischen Mitgliedstaaten und daraus resultierende Verfälschung des Wettbewerbs (EuGH vom 15. Juni 2006, C-393/04 und C-41/05 , Air Liquide, Rn 28).

Die Firmenwertabschreibung nach § 9 Abs. 7 KStG 1988 führt zu einer Minderung der Steuerbemessungsgrundlage und damit zu einer Minderung der Steuerlast, sodass diese Maßnahme dem Begünstigten einen Vorteil verschafft. Dieser Vorteil führt zu einer Verringerung der Steuereinnahmen, sodass dieser Vorteil aus staatlichen Mitteln gewährt wird. Dass durch derartige Begünstigungen der Wettbewerb verfälscht werden kann und auch - im Hinblick auf die notorisch grenzüberschreitende Tätigkeit der mitbeteiligten Parteien - der Handel zwischen Mitgliedstaaten beeinträchtigt werden kann, erscheint nicht näher fraglich. Der Umfang der Beihilfe überschreitet im konkreten Fall auch die "deminimis"-Grenzen (Verordnung der Kommission Nr. 69/2001 bzw. Verordnung der Kommission Nr. 1998/2006).

Fraglich erscheint im hier vorliegenden Fall aber, ob die Firmenwertabschreibung als selektive Begünstigung "bestimmter Unternehmen oder Produktionszweige" zu beurteilen ist.

Die Einstufung einer nationalen Steuermaßnahme als "selektiv" setzt in einem ersten Schritt voraus, dass im Vorfeld die in dem betreffenden Mitgliedstaat geltende allgemeine oder "normale" Steuerregelung ermittelt und geprüft wird. Anhand dieser allgemeinen oder "normalen" Steuerregelung ist dann in einem zweiten Schritt zu beurteilen und festzustellen, ob der mit der fraglichen Steuermaßnahme gewährte Vorteil möglicherweise selektiv ist, wenn nämlich dargetan wird, dass diese Maßnahme vom allgemeinen System insofern abweicht, als sie Unterscheidungen zwischen Wirtschaftsteilnehmern einführt, die sich im Hinblick auf das mit der Steuerregelung dieses Mitgliedstaats verfolgte Ziel in einer vergleichbaren tatsächlichen und rechtlichen Situation befinden (vgl. EuGH vom 18. Juli 2013, C-6/12 , P Oy, Rn 19, mit weiteren Nachweisen). Die Voraussetzung der Selektivität ist nicht gegeben, wenn eine Maßnahme zwar einen Vorteil für den Begünstigten darstellt, aber durch das Wesen oder die allgemeinen Zwecke des Systems, zu dem sie gehört, gerechtfertigt ist (EuGH, P Oy, Rn 22).

Das allgemeine Einkommen- und Körperschaftsteuerrecht unterscheidet beim Unternehmenskauf zwischen dem Kauf des Betriebes (Asset-Deal) und dem Kauf der Beteiligung an der Gesellschaft, die den Betrieb besitzt (Share-Deal). Das allgemeine Steuerrecht kennt eine Firmenwertabschreibung nur beim Asset-Deal. Beim Asset-Deal werden die einzelnen Vermögensgegenstände des Betriebes gekauft und in der Bilanz des Käufers als einzelne Gegenstände ausgewiesen; auch einen miterworbenen Firmenwert weist der Käufer in seiner Bilanz als eigenen Vermögensgegenstand aus und schreibt ihn in der Folge (auf einen Zeitraum von 15 Jahren) ab. Der Abschreibung des Firmenwertes durch den Käufer steht beim Asset-Deal gegenüber, dass der Verkäufer den auf den Firmenwert entfallenden Kaufpreis zu versteuern hat. Eine andere Regelung besteht für den Share-Deal: Der Käufer erwirbt nicht einzelne Vermögensgegenstände des Betriebes, sondern "einen" Vermögensgegenstand, nämlich die Beteiligung. Der Käufer erwirbt damit auch keinen eigenständigen Vermögensgegenstand "Firmenwert". Nach allgemeinem Steuerrecht ist daher beim Share-Deal eine Firmenwertabschreibung ausgeschlossen.

Mit dem Steuerreformgesetz 2005 wurde in Österreich die Gruppenbesteuerung eingeführt. Der Inhalt der Regelung besteht im Wesentlichen darin, dass sich eine Gesellschaft mit ihren Tochtergesellschaften und weiteren Untergesellschaften, an denen jeweils eine mindestens 50%-ige Beteiligung besteht, zu einer "Gruppe" zusammen schließen kann. Das hat dann zur Folge, dass die steuerlichen Ergebnisse der Gesellschaften (Gewinne und Verluste) bei der Obergesellschaft zusammengefasst und erst dort besteuert werden. Es kann sohin ein Ausgleich von Gewinnen einzelner Gruppenmitglieder mit Verlusten anderer Gruppenmitglieder erfolgen.

Als besonderen Anreiz hat der Gesetzgeber mit dem Steuerreformgesetz 2005 im Rahmen der Gruppenbesteuerung zusätzlich die Möglichkeit eröffnet, dass beim Erwerb von Beteiligungen (Share-Deal) an inländischen Gesellschaften, die Gruppenmitglieder werden, eine Firmenwertabschreibung (bis zum Ausmaß von 50% des Kaufpreises der Beteiligung) vorgenommen werden kann. Den Gesetzesmaterialien zum Steuerreformgesetz 2005 ist zu entnehmen, dass der Gesetzgeber durch die Möglichkeit einer Firmenwertabschreibung Asset-Deal einerseits und Share-Deal andererseits steuerlich gleichstellen will. Wörtlich heißt es in den Erläuterungen zur Regierungsvorlage: "Es macht also keinen Unterschied mehr, eine Betriebsstätte zu erwerben, wo bereits jetzt eine Firmenwertabschreibung möglich war, oder eben eine Beteiligung anzuschaffen, die bislang von der Firmenwertabschreibung ausgeschlossen war." Diese Erläuterungen zur Regierungsvorlage betonen sodann ausdrücklich: "Andererseits soll im Interesse des Standortes Österreichs eine steuerliche Förderung der Gruppenbildung dadurch erreicht werden, dass - abweichend vom allgemeinen Ertragsteuerrecht - die Anschaffung einer Beteiligung an einer inländischen gruppenfähigen Körperschaft der Anschaffung des von der erworbenen Körperschaft unterhaltenen Betriebes gleichgestellt wird."

Diese Firmenwertabschreibung auf Beteiligung in der Gruppe wird in der Literatur weitgehend einhellig als steuerliche Begünstigung gesehen. Mayr (RdW 2004, 247) nennt sie "einen besonderen Gruppenanreiz, wenn auch nur standortpolitisch und kaum systematisch erklärbar". Wiesner (RWZ 2004, 33) spricht von einem "Fremdkörper im KStG".

Doralt betont in RdW 2004, 248, dass diese Regelung gezielt der Förderung von Unternehmenskonzentrationen dient, während das allgemeine Steuerrecht den bloßen Unternehmenserwerb gerade nicht fördern will. Die Regelung der Firmenwertabschreibung in der Gruppe diene in erster Linie Großunternehmen bei der Übernahme anderer (Konkurrenz‑)Unternehmen, die regelmäßig auch in der Rechtsform von Kapitalgesellschaften geführt werden und die das übernehmende Unternehmen auf Dauer langfristig behalten will. Obwohl die gekaufte Beteiligung nicht an Wert verliere, könne unter dem Titel Firmenwertabschreibung ein Anteil von bis zu 50% des Kaufpreises der Beteiligung steuermindernd abgesetzt werden. Wenn der Gesetzgeber eine solche Begünstigung schon einführe, sei nicht nachvollziehbar, warum sie nicht auch natürlichen Personen und Personengesellschaften gewährt werde. Damit "bestätigt sich die Intention des (...) Gesetzes, Unternehmenskäufe nur von Konzernen oder zur Bildung von Konzernen zu fördern" (RdW 2004, 249). In diesem Sinn betont Gassner (SWK 2005, T 74): "Die Firmenwertabschreibung hat auch nichts mit der Unternehmensgruppe zu tun. Genauso wenig ist einzusehen, warum andere Unternehmen als die angeführten Körperschaften davon ausgeschlossen werden sollten." Den besonderen Steueranreiz betont Doralt schließlich mit dem Hinweis: "Das österreichische Modell einer Firmenwertabschreibung gibt es nach Auskunft einer international tätigen Wirtschaftsprüfungsgesellschaft weltweit in keinem anderen wirtschaftlich bedeutsamen Land."

Die Voraussetzung der Selektivität ist bei einer Maßnahme nicht gegeben, die zwar einen Vorteil für den Begünstigten darstellt, aber durch das Wesen oder die allgemeinen Zwecke des Systems, zu dem sie gehört, gerechtfertigt ist (vgl. neuerlich EuGH, Adria-Wien Pipeline GmbH, Rn 42). Derartige allgemeine Zwecke des Systems sind allerdings vorerst nicht erkennbar. In diesem Zusammenhang ist neuerlich auf die Literaturstimmen zu verweisen, dass die Firmenwertabschreibung nach § 9 Abs. 7 KStG 1988 mit der Unternehmensgruppe, in deren Zusammenhang sie geregelt ist, in keinem systematischen Zusammenhang steht (vgl. z.B. nochmals Mayr, RdW 2004, 246 f).

Dass die Firmenwertabschreibung nach § 9 Abs. 7 KStG 1988 - falls der Beihilfencharakter bejaht wird - angemeldet worden sei und ein Beschluss der Kommission über diese Beihilfe iSd Art. 107 Abs. 3 AEUV vorliege, ist nicht ersichtlich.

D. Erläuterungen zur Vorlagefrage 2

Die Bestimmungen über die Niederlassungsfreiheit verbieten es, dass der Herkunftsstaat die Niederlassung eines seiner Staatsangehörigen oder einer nach seinem Recht gegründeten Gesellschaft in einem anderen Mitgliedstaat behindert (vgl. neuerlich EuGH, Rewe Zentralfinanz eG, Rn 26).

Gemäß § 9 Abs. 7 KStG 1988 steht eine Firmenwertabschreibung nur zu, wenn eine Beteiligung an einer unbeschränkt steuerpflichtigen Beteiligungskörperschaft angeschafft wird. Bei Anschaffung einer Beteiligung an einer ausländischen Beteiligungskörperschaft steht demnach die Firmenwertabschreibung nicht zu. Die steuerliche Situation einer Gesellschaft, die eine Beteiligung an einer inländischen Gesellschaft erwirbt, ist demnach günstiger als jene einer Gesellschaft, die eine Beteiligung an einer Gesellschaft mit Sitz in einem anderen EU-Mitgliedstaat erwirbt. Damit ist eine Beteiligung an einer ausländischen Beteiligungskörperschaft weniger attraktiv als an einer inländischen Beteiligungskörperschaft. Es ist daher von einer Beschränkung der Niederlassungsfreiheit auszugehen (vgl. EuGH vom 25. Februar 2010, C-337/08 , X Holding BV, Rn 19).

Das beschwerdeführende Finanzamt macht hiezu zunächst geltend, inländische und ausländische Gruppenmitglieder seien insoweit nicht miteinander vergleichbar, als die Ergebniszurechnung im Rahmen der Gruppenbesteuerung unterschiedlich geregelt sei. Bei inländischen Gruppenmitgliedern werde das Ergebnis (Gewinne und Verluste) vollständig dem Gruppenträger zugerechnet, bei ausländischen Gruppenmitgliedern erfolge hingegen lediglich eine Zurechnung der Verluste, wobei diese Zurechnung - anders als bei inländischen Gruppenmitgliedern -

überdies mit der Höhe der Beteiligungsquote beschränkt sei und die negativen Ergebnisse des ausländischen Gruppenmitgliedes bei Ausscheiden aus der Gruppe nachzuversteuern seien. Zumindest sei diese unterschiedliche Ergebniszurechnung ein Rechtfertigungsgrund im Rahmen der Prüfung eines Verstoßes gegen die Niederlassungsfreiheit. Auch sei die Gleichstellung des Beteiligungserwerbs mit dem Betriebserwerb ein Rechtfertigungsgrund.

Eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit ist nur statthaft, wenn sie Situationen betrifft, die nicht objektiv miteinander vergleichbar sind, oder durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt ist. Die Beschränkung muss außerdem geeignet sein, die Erreichung des fraglichen Zieles zu gewährleisten und darf nicht über das hinausgehen, was hiezu erforderlich ist (vgl. neuerlich EuGH, X Holding BV, Rn 20 und 26).

Es ist fraglich, ob die Zuerkennung (oder Versagung) der Firmenwertabschreibung in einem Zusammenhang damit steht, dass Gewinne oder Verluste der Beteiligungskörperschaft zur Gänze oder nur zum Teil (nur Verluste, diese nur im Ausmaß der Beteiligungshöhe) zugerechnet werden. Die Firmenwertabschreibung für Beteiligungen steht in der Gruppe unabhängig davon zu, ob die Tochtergesellschaft Gewinne oder Verluste erzielt, und auch unabhängig davon, ob sich der Wert der Beteiligung geändert hätte oder nicht. Die Firmenwertabschreibung führt dazu, dass der steuerlich maßgebliche Buchwert der Beteiligung verringert wird und daher bei einer allfälligen späteren Veräußerung dieser Beteiligung ein höherer steuerlicher Veräußerungsgewinn vorliegt. Strategische Beteiligungen werden regelmäßig auf Dauer gehalten. Aber auch im Fall eines Weiterverkaufs der Beteiligung entsteht der Muttergesellschaft durch die Firmenwertabschreibung jedenfalls ein Liquiditätsvorteil, sodass ihre Situation bei Anschaffung einer Beteiligung an einer inländischen Tochtergesellschaft günstiger ist als bei Anschaffung einer Beteiligung an einer Tochtergesellschaft in einem anderen Mitgliedstaat (vgl. EuGH, Rewe Zentralfinanz eG, Rn 29 f).

Weiter macht das beschwerdeführende Finanzamt geltend, es liege keine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit für nicht nach § 10 KStG 1988 optierte internationale Schachtelbeteiligungen vor.

Bei einer internationalen Schachtelbeteiligung besteht nämlich ein (einmalig auszuübendes) Wahlrecht des Steuerpflichtigen, Gewinne und Verluste aus der Veräußerung (capital gains) entweder steuerneutral zu belassen, oder diese - durch Ausübung der Option - als steuerwirksam zu behandeln.

Da im Falle des Vorliegens der Voraussetzungen für eine Gruppenbesteuerung (insbesondere Beteiligung mit mehr als 50%, Mindestdauer von drei Jahren) auch die Voraussetzungen einer internationalen Schachtelbeteiligung vorliegen (Beteiligung mit mindestens 10% während eines Zeitraumes von mindestens einem Jahr), kann bei der Gruppenbesteuerung zur Steuerwirksamkeit der Beteiligung (im Sinne des § 10 Abs. 3 KStG 1988) optiert werden. Freilich stünde auch bei Ausübung dieser Option - nach dem Wortlaut des § 9 Abs. 7 KStG 1988 - die Firmenwertabschreibung bei einer Beteiligung an einer ausländischen Gesellschaft nicht zu.

3. Insgesamt erscheint die Auslegung des Unionsrechts nicht derart offenkundig zu sein, dass für Zweifel im Sinne der Rechtsprechung CILFIT (Urteil des EuGH vom 6. Oktober 1982, Rs- 283/81) kein Raum bliebe.

Die Fragen werden daher dem EuGH mit dem Ersuchen um Vorabentscheidung gemäß Art. 267 AEUV vorgelegt.

Wien, am 30. Jänner 2014

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