Normen
AMG 1983 §1 Abs1;
AMG 1983 §1 Abs3b;
AMG 1983 §77;
AMG 1983 §1 Abs1;
AMG 1983 §1 Abs3b;
AMG 1983 §77;
Spruch:
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Die Beschwerdeführerin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Sicherheit im Gesundheitswesen vom 20. Oktober 2010 wurde gegenüber der Beschwerdeführerin gemäß § 1 Abs. 3b Arzneimittelgesetz, BGBl. Nr. 185/1983 idF BGBl. I Nr. 146/2009 (AMG), festgestellt, dass es sich bei den im Bescheid im Einzelnen aufgelisteten Produkten um Arzneimittel im Sinn von § 1 Abs. 1 AMG handle. Gleichzeitig wurden gemäß § 77 AMG Schutzmaßnahmen verfügt (vorläufige Beschlagnahme von im Einzelnen aufgelisteten Produkten und Mengen; unverzügliche Einstellung jeglicher weiterer Inverkehrbringung der Produkte sowie Anpreisung der Produkte im Internet; nachweisliche Information aller belieferten Kunden über die Arzneimitteleigenschaft der Produkte; Übermittlung der Namen und Adressen der verständigten Kunden; Übermittlung allfälliger weiterer Namen und Adressen von nicht im Zuge der Inspektion mitgeteilten Lieferanten).
Zur Begründung führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, die gegenständlichen Produkte, als "Poppers" bezeichnet, würden von der Beschwerdeführerin in Verkehr gebracht. Die Beschwerdeführerin vertreibe "Poppers" im Internet über mehrere Webseiten. Im August 2010 seien Probenzüge einiger angebotener "Poppers" durchgeführt worden; sowohl auf der Rechnung als auch auf dem Paket scheine als Aussteller/Absender die Beschwerdeführerin auf. "Poppers" sei eine umgangssprachliche Sammelbezeichnung für eine Gruppe flüssiger und kurzzeitig wirksamer Drogen. Der Name rühre vom Geräusch des Öffnens (Knallen) der Glasampullen (zur Inhalation bei Angina pectoris) her, in denen die Substanzen früher erhältlich gewesen seien. "Poppers" seien Produkte, die derzeit in Österreich durch Sex-Shops und per Internet in Verkehr gebracht würden und typischerweise in Glasfläschchen mit 10 bis 30 ml Inhalt erhältlich seien. "Poppers" enthielten Nitrite (wie Amyl-, Butyl-, Isobutyl-, Isopropyl- oder Ethylnitrit) in flüssiger Form und würden gemäß Aufmachung als Weihrauchprodukte, Raumluftverbesserer, Videokopf-, Schuh- oder Lederreiniger in Verkehr gebracht. Entgegen der auf der Kennzeichnung deklarierten Zweckbestimmung würden die Dämpfe der leicht flüchtigen Flüssigkeit von den Konsumenten direkt aus ihrem Trägergefäß inhaliert. "Poppers" würden vorwiegend im Internet bzw. via Versandhandel und in Erotik-Shops vertrieben. An der Bewerbung der Erzeugnisse im Internet und in diversen Internetforen sei zu erkennen, dass diese angewendet würden, um Körperfunktionen gezielt zu beeinflussen. Die konsumierende Zielgruppe erwerbe diese Produkte ausschließlich für diesen Zweck, nämlich um durch Inhalation eine arzneiliche Wirkung, im Speziellen eine gefäßerweiternde Wirkung (was sich u.a. in einem Rauschzustand bzw. einer Erschlaffung des Schließmuskels zeige) herbeizuführen. Das bewusste Inverkehrbringen der gegenständlichen Produkte zu anderen als den arzneimittelrechtlichen Zwecken diene ausschließlich der Umgehung der arzneimittelrechtlichen Vorschriften; dieser Umstand sei den konsumierenden Verbrauchern absolut bewusst. Bezüglich der Einstufung werde auch auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 28. Juni 2010, Zl. 2008/10/0164, verwiesen.
Die arzneimittelrechtliche, d.h. pharmakologische Wirkung durch Inhalation der in "Poppers" enthaltenen Nitrite trete innerhalb von Sekunden ein und halte aufgrund der "raschen Verstoffwechselung" nur einige Minuten an. Durch die gefäßerweiternde Wirkung würden "High"-Gefühle, verstärkte sexuelle Wahrnehmung und Intensivierung des Orgasmusgefühls beschrieben; die Erweiterung des Schließmuskels solle den Analverkehr erleichtern. Die Inhalation von Alkylnitriten einschließlich Amylnitrit führe zu "Flush" (Hautrötung), Kopfschmerzen und Schwindel. Ferner könne es zu Herzrasen, Blutdruckabfall, Ruhelosigkeit, Übelkeit und Erbrechen kommen. Besonders bei höherer Dosierung bzw. intensiverer Anwendung seien Ohnmachten, akute Psychosen, vorübergehende Halbseitenlähmungen und in seltenen Fällen plötzliche Todesfälle möglich. Chronischer Missbrauch könne zu gelbkrustösen Hautschädigungen im Inhalationsbereich (Nase, Mund, Lippen, Gesicht), Nasennebenhöhlenentzündung und allergischen Reaktionen der Lunge führen. Die gleichzeitige Einnahme von PDE-5-Hemmern wie Sildenafil solle wegen der Wahrscheinlichkeit verstärkter unerwünschter Wirkungen auf das Herz-Kreislauf-System unterbleiben.
Zusammenfassend sei festzustellen, dass die gegenständlichen Produkte sowohl unter der Definition eines Präsentationsarzneimittels als auch unter jene eines Funktionsarzneimittels subsumierbar seien. Die Anwendung von "Poppers" stelle ein Gesundheitsrisiko für den Konsumenten dar. Deren Inhalation habe die bereits beschriebenen Auswirkungen, zudem sei über Immunosuppression sowie ein erhöhtes Risiko an HIV-Transmission und Karposi-Sarkom berichtet worden. "Poppers" seien weiters brennbar und explosiv; deren Anwendung könne daher zu Verletzungen (z.B. Verbrennungen) führen. Aus diesen Gründen ergebe sich, dass "Poppers" die Gesundheit und in schweren Fällen auch das Leben von Menschen gefährden könnten. "Poppers" würden ohne Zulassung, ohne Gebrauchsinformation und ohne ärztliche Verschreibung in Verkehr gebracht. Die Konsumenten würden somit auch nicht auf Gegenanzeigen (in erster Linie Herz-Kreislauferkrankungen), Wechselwirkungen mit anderen Arzneimitteln (z.B. PDE-5-Hemmer), Nebenwirkungen und Vorsichtsmaßnahmen bei der Anwendung hingewiesen.
Zusammenfassend sei auszuführen, dass sich die gegenständlichen Arzneimittel entgegen den arzneimittelrechtlichen Vorschriften im Verkehr befänden und mit ihrer Anwendung eine Gesundheits- bzw. Lebensgefährdung der Anwender verbunden sei. Es sei daher spruchgemäß zu entscheiden gewesen.
Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der deren Behandlung mit Beschluss vom 21. September 2012, B 1683/10-10, ablehnte und sie dem Verwaltungsgerichtshof mit weiterem Beschluss vom 6. November 2012, B 1683/10-12, zur Entscheidung gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG abtrat.
Über Auftrag des Verwaltungsgerichtshofes ergänzte die Beschwerdeführerin ihre Beschwerde mit Schriftsatz vom 4. Jänner 2013.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
1. Vorauszuschicken ist, dass im vorliegenden Fall gemäß § 79 Abs. 11 letzter Satz VwGG die bis zum Ablauf des 31. Dezember 2013 geltenden Bestimmungen des VwGG anzuwenden sind.
Die hier maßgeblichen Bestimmungen des Arzneimittelgesetzes, BGBl. Nr. 185/1983 idF BGBl. I Nr. 146/2009 (AMG), lauten (auszugsweise):
"Begriffsbestimmungen
§ 1. (1) 'Arzneimittel' sind Stoffe oder Zubereitungen aus Stoffen, die nach der allgemeinen Verkehrsauffassung dazu dienen oder nach Art und Form des Inverkehrbringens dazu bestimmt sind, bei Anwendung am oder im menschlichen oder tierischen Körper
1. Krankheiten, Leiden, Körperschäden oder krankhafte Beschwerden zu heilen, zu lindern, zu verhüten oder zu erkennen,
2. die Beschaffenheit, den Zustand oder die Funktionen des Körpers oder seelische Zustände erkennen zu lassen,
3. vom menschlichen oder tierischen Körper erzeugte Wirkstoffe oder Körperflüssigkeiten zu ersetzen,
4. Krankheitserreger , Parasiten oder körperfremde Stoffe abzuwehren, zu beseitigen oder unschädlich zu machen oder
5. die Beschaffenheit, den Zustand oder die Funktionen des Körpers oder seelische Zustände zu beeinflussen.
(2) Als Arzneimittel gelten
1. Gegenstände, die ein Arzneimittel enthalten oder auf die ein Arzneimittel aufgebracht ist, und die zur Anwendung am oder im menschlichen oder tierischen Körper bestimmt sind, und
2. Stoffe und Zubereitungen aus Stoffen, die die Merkmale des Abs. 1 nicht aufweisen, sofern sie dazu bestimmt sind, für die Herstellung von Arzneimitteln verwendet zu werden.
...
(3a) Erfüllt ein Produkt sowohl die Definition des Arzneimittels gemäß Abs. 1 bis 3 als auch die Definition eines in einem anderen Bundesgesetz geregelten Produktes, so sind auf dieses Produkt ausschließlich die Bestimmungen dieses Bundesgesetzes anzuwenden.
(3b) Das Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen hat auf Antrag einer Person, die ein Produkt in Verkehr bringen will, festzustellen, ob ein Produkt unter die Definition des Arzneimittels fällt. Das Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen kann auch von Amts wegen feststellen, ob ein Produkt unter die Definition des Arzneimittels fällt. Im Rahmen dieser Verfahren kann es ein Gutachten des Abgrenzungsbeirats gemäß § 49a einholen.
(4) 'Stoffe' sind
1. chemische Elemente, chemische Verbindungen sowie deren Gemische und Lösungen,
...
Anforderungen an Arzneimittel
§ 3. (1) Es ist verboten, Arzneimittel in Verkehr zu bringen, bei denen es nach dem jeweiligen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse und nach den praktischen Erfahrungen nicht als gesichert erscheint, daß sie bei bestimmungsgemäßem Gebrauch keine schädliche Wirkung haben, die über ein nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft vertretbares Maß hinausgeht.
...
§ 76b. (1) ...
(9) Die Bezirksverwaltungsbehörde hat die beschlagnahmte Ware als Sicherungsmaßnahme für verfallen zu erklären, wenn davon eine ernstliche und erhebliche Gefährdung von Mensch oder Tier ausgeht und der Verfügungsberechtigte nicht gewährleistet, dass die Ware nach deren Freigabe nicht in Verkehr gebracht wird.
...
Schutzmaßnahmen
§ 77. Wird bei einer Kontrolle gemäß § 76 festgestellt oder erhält das Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen sonst davon Kenntnis, daß ein Arzneimittel diesem Bundesgesetz nicht entspricht, kann das Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen Maßnahmen verfügen, die das Inverkehrbringen dieses Arzneimittels hindern oder beschränken. Gegebenenfalls ist § 76b Abs. 9 anwendbar.
§ 78. (1) Kommen dem Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen Tatsachen zur Kenntnis, auf Grund derer zu besorgen ist, daß ein im Verkehr befindliches Arzneimittel eine Gefährdung von Leben oder Gesundheit von Mensch oder Tier darstellt, hat das Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen entsprechend dem Ausmaß der Gefährdung alle notwendigen Maßnahmen zu verfügen, die das Inverkehrbringen oder die Verwendung dieses Arzneimittels hindern oder beschränken.
(2) Das Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen kann Maßnahmen gemäß Abs. 1 auch ohne vorausgegangenes Verfahren oder vor Erlassen eines Bescheides treffen; hierüber ist jedoch innerhalb von zwei Wochen ein schriftlicher Bescheid zu erlassen, widrigenfalls die getroffene Maßnahme als aufgehoben gilt.
(3) Organe des Bundesamtes für Sicherheit im Gesundheitswesen haben Arzneimittel vorläufig zu beschlagnahmen, wenn der begründete Verdacht besteht, dass diese eine Gefahr für das Leben oder die Gesundheit von Mensch oder Tier darstellen. § 76b Abs. 2 bis 9 und § 76c sind anwendbar.
(4) Das Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen hat das von ihm beschlagnahmte Arzneimittel als Sicherungsmaßnahme für verfallen zu erklären, wenn von dem Arzneimittel eine ernstliche und erhebliche Gefährdung von Mensch oder Tier ausgeht und der Verfügungsberechtigte nicht gewährleistet, dass das Arzneimittel nach dessen Freigabe nicht in Verkehr gebracht wird.
..."
2. Die Beschwerdeführerin weist zunächst auf ihre Ausführungen in der an den Verfassungsgerichtshof gerichteten Beschwerde hin. Mit diesem Verweis wird die Beschwerdeführerin allerdings dem ihr mit Verfügung vom 4. Dezember 2012 erteilten Ergänzungsauftrag nicht gerecht, sodass nur auf die in der Beschwerdeergänzung vorgetragenen Gründe einzugehen ist (vgl. aus der ständigen hg. Rechtsprechung etwa die Erkenntnisse vom 11. September 2013, Zl. 2010/04/0113, vom 10. Juni 2009, Zl. 2007/08/0142, vom 3. September 2008, Zl. 2006/13/0167, vom 3. Juli 2007, Zl. 2005/05/0253, und vom 30. Oktober 2006, Zl. 2006/02/0146).
Der Beschwerdeergänzung lässt sich insofern lediglich entnehmen, dass die Beschwerdeführerin sowohl die Arzneimitteleinstufung nach § 1 Abs. 3b AMG als auch die verfügten Maßnahmen nach § 77 AMG für inhaltlich rechtswidrig und rechtswidrig infolge von Verletzung von Verfahrensvorschriften erachtet. Die Beschwerdeführerin bringt dazu vor, es sei keine Untersuchung vorgenommen worden, welche konkreten Stoffe vorlägen; es sei auch kein Stoff einem der eingestuften Produkte zugeordnet worden. Die Beschwerdeführerin sei auch in ihrem Recht auf Stellungnahme zu den Verfahrensergebnissen und auf Gewährung von Parteiengehört verletzt.
Mit diesem Vorbringen wird eine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides nicht aufgezeigt:
§ 1 Abs. 1 AMG stellt für das Vorliegen eines Arzneimittels - alternativ - auf zwei verschiedene Kriterien ab, nämlich darauf, ob Stoffe oder Zubereitungen aus Stoffen "nach der allgemeinen Verkehrsauffassung dazu dienen" (objektive Zweckbestimmung) oder "nach Art und Form des Inverkehrbringens dazu bestimmt sind" (subjektive Zweckbestimmung), bei Anwendung am oder im menschlichen oder tierischen Körper die in den Z. 1 bis 5 beschriebenen Wirkungen hervorzurufen bzw. Funktionen zu erfüllen. Das Vorliegen eines dieser beiden Kriterien bedingt unabhängig davon, ob auch das andere bejaht werden kann, schon für sich allein die Einstufung des Produkts als Arzneimittel (vgl. etwa die hg. Erkenntnisse vom 29. Februar 2012, Zlen. 2009/10/0130 und 0131, und vom 23. Jänner 2012, Zl. 2011/10/0027).
Mit dem oben wiedergegebenen Vorbringen wird nicht ansatzweise aufgezeigt, dass die belangte Behörde zu Unrecht die Arzneimitteleigenschaft gemäß § 1 Abs. 3b AMG festgestellt hat. Ein konkretes Vorbringen dahin, welche der im angefochtenen Bescheid aufgelisteten Produkte entgegen den von der belangten Behörde dargelegten Gründen nicht als Arzneimittel anzusehen seien, ist den Darlegungen der Beschwerdeführerin nicht zu entnehmen. Mit diesem Vorbringen wird aber auch kein relevanter Verfahrensmangel dargetan, unterlässt es die Beschwerdeführerin doch gänzlich darzulegen, zu welchem anderen Ergebnis die belangte Behörde bei Vermeidung der behaupteten Verfahrensfehler kommen hätte müssen. Der Beschwerdeergänzung sind auch keine konkreten Ausführungen zu entnehmen, aus welchen Gründen die verfügten Schutzmaßnahmen nach dem IX. Abschnitt des AMG rechtswidrig sein sollten.
3. Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht gemäß § 79 Abs. 11 letzter Satz VwGG sowie § 3 Z. 1 der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014, BGBl. II Nr. 518/2013 idF BGBl. II Nr. 8/2014, auf den §§ 47 ff VwGG iVm § 1 der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.
Wien, am 8. Oktober 2014
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