VwGH 2010/04/0146

VwGH2010/04/014622.5.2012

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. Thienel und die Hofräte Dr. Kleiser und Mag. Nedwed als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Crnja, über die Beschwerde des X in Y, vertreten durch Dr. Viktor Wolczik, Dr. Alexander Knotek, Dr. Peter Winalek und Mag. Astrid Wutte-Lang, Rechtsanwälte in 2500 Baden, Pergerstraße 12 (AVIA LAW GROUP), gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates im Land Niederösterreich vom 21. Oktober 2010, Zl. Senat-MD-09-0044, betreffend Übertretung des Maß- und Eichgesetzes (weitere Partei: Bundesminister für Wirtschaft, Familie und Jugend), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §58 Abs2;
AVG §60;
MEG 1950 §27;
MEG 1950 §28;
VStG §44a Z1;
VStG §9 Abs1;
VStG §9 Abs2;
VStG §9 Abs6;
VwGG §42 Abs1 Z1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

1. Mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Mödling (BH) vom 13. August 2009 wurde dem Beschwerdeführer vorgeworfen, er sei als Vorstandsmitglied und damit als zur Vertretung nach außen berufenes Organ der Z AG dafür verantwortlich, dass am 16. Juni 2009 14 näher bezeichnete Lebensmittel im Feinkostbereich einer Z-Filiale in 1230 Wien in Verkehr gesetzt worden seien, obwohl die Nennfüllmenge zu klein bedruckt gewesen sei, sowie weiters, dass 5 näher bezeichnete Lebensmittel im Feinkostbereich der genannten Z-Filiale in Verkehr gesetzt worden seien, obwohl unzulässigerweise das Einheitszeichen "G" für Gramm verwendet worden sei.

Dadurch habe der Beschwerdeführer 14 mal gegen §§ 27 und 28 Maß- und Eichgesetz 1996 (MEG) iVm § 11 Abs. 1 Z. 1 Fertigverpackungsverordnung 1993 sowie 5 mal gegen §§ 27 und 28 Maß- und Eichgesetz 1996 (MEG) iVm § 11 Abs. 1 Z. 1 Fertigverpackungsverordnung 1993 und iVm § 26 Abs. 1, § 1 Abs. 1 und Abs. 2, § 2 Abs. 1 Z. 2 und Abs. 4 MEG verstoßen.

Deshalb wurden über den Beschwerdeführer gemäß § 63 Abs. 1 MEG 19 Geldstrafen in der Höhe von jeweils EUR 50,-- (insgesamt EUR 950,--) bzw. 19 Ersatzfreiheitsstrafen zu je 14 Stunden (insgesamt 266 Stunden) verhängt.

2. In seiner Berufung brachte der Beschwerdeführer unter anderem vor, er habe sich gemäß § 9 Abs. 4 VStG einer näher bezeichneten verantwortlichen Beauftragten bedient, welche als Einkäuferin für die betroffenen Produktgruppen für die gesamte

Z AG zuständig sei.

3. Mit dem angefochtenen Bescheid wurde die Berufung gemäß § 66 Abs. 4 AVG abgewiesen, das Straferkenntnis der BH bestätigt und dem Beschwerdeführer gemäß § 64 Abs. 1 und 2 VStG EUR 190,-- als Beitrag zu den Kosten des Berufungsverfahrens vorgeschrieben.

Begründend führte die belangte Behörde - soweit vorliegend wesentlich - aus, sie könne der Rechtsauffassung des Beschwerdeführer, er sei für die verfahrensgegenständlichen Übertretungen nicht verantwortlich, weil gemäß § 9 Abs. 4 VStG ein verantwortlicher Beauftragter bestellt worden sei, nicht beipflichtet, weil § 9 Abs. 6 VStG ausdrücklich normiere, dass die zur Vertretung nach außen berufenen Personen trotz der Bestellung eines verantwortlich Beauftragten strafrechtlich verantwortlich blieben, wenn sie die Tat vorsätzlich nicht verhindert hätten (Verweis auf das hg. Erkenntnis vom 23. September 1994, Zlen. 94/02/0258, 0259).

Im gegenständlichen Fall könne weder davon die Rede sein, dass der Beschwerdeführer seiner Mitwirkungspflicht entsprochen habe noch dass dieser ein wirksames Kontrollsystem dargelegt hätte (Verweis auf das hg. Erkenntnis vom 26. Jänner 2001, Zl. 2000/02/0228). Sein Vorbringen zur Struktur des Unternehmensaufbaues erhelle, dass ein wirksames Kontrollsystem nicht eingerichtet gewesen sei. Dass es immer wieder zu Zuwiderhandlungen gegen das MEG im Verantwortungsbereich des Beschwerdeführers gekommen sei, ergebe sich aus der Tatsache, dass der Beschwerdeführer (laut Vorstrafenabfrage) insgesamt 7 mal nach dem MEG vor dem verfahrensgegenständlichen Tatzeitpunkt bestraft worden sei. Da dem Beschwerdeführer bekannt geworden sei, dass es in der verfahrensgegenständlichen Filiale mehrfach zu Verstößen gegen das MEG gekommen sei, wäre er verpflichtet gewesen, diese Verstöße durch die Installierung eines wirksamen Kontrollsystems zu verhindern.

Daher sei der erstinstanzliche Schuldspruch zu bestätigen gewesen.

4. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.

5. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift.

II.

 

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Gemäß § 9 Abs. 1 VStG ist für die Einhaltung der Verwaltungsvorschriften durch juristische Personen oder eingetragene Personengesellschaften, sofern die Verwaltungsvorschriften nicht anderes bestimmen und soweit nicht verantwortliche Beauftragte (Abs. 2) bestellt sind, strafrechtlich verantwortlich, wer zur Vertretung nach außen berufen ist.

Gemäß § 9 Abs. 2 VStG sind die zur Vertretung nach außen Berufenen berechtigt und, soweit es sich zur Sicherstellung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit als erforderlich erweist, auf Verlangen der Behörde verpflichtet, aus ihrem Kreis eine oder mehrere Personen als verantwortliche Beauftragte zu bestellen, denen für das ganze Unternehmen oder für bestimmte räumlich oder sachlich abgegrenzte Bereiche des Unternehmens die Verantwortung für die Einhaltung der Verwaltungsvorschriften obliegt. Für bestimmte räumlich oder sachlich abgegrenzte Bereiche des Unternehmens können aber auch andere Personen zu verantwortlichen Beauftragten bestellt werden.

Gemäß § 9 Abs. 6 VStG bleiben die zur Vertretung nach außen berufenen Personen im Sinne des Abs. 1 trotz Bestellung eines verantwortlichen Beauftragten - unbeschadet der Fälle des § 7 - strafrechtlich verantwortlich, wenn sie die Tat vorsätzlich nicht verhindert haben.

2. Die Anwendung des § 9 Abs. 6 VStG setzt die rechtswirksame Bestellung eines verantwortlichen Beauftragten sowie die vorsätzliche Nichtverhinderung der vom verantwortlichen Beauftragten begangenen Tat voraus. Diese für die strafrechtliche Haftung nach der genannten Bestimmung erforderlichen Tatbestandselemente müssen bei der Umschreibung der als erwiesen angenommenen Tat im Sinne des § 44a Z. 1 VStG im Spruch des Straferkenntnisses zum Ausdruck kommen. Diese wesentlichen Tatbestandselemente sind auch solche, die Gegenstand einer rechtzeitigen Verfolgungshandlung zu sein haben (vgl. das hg. Erkenntnis vom 19. November 1990, Zl. 90/19/0345, und die bei Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze II2 (2000), 236, E 248 zu § 9 VStG wiedergegebene hg. Rechtsprechung).

Wenn sich die Behörde in ihrer Begründung auf § 9 Abs. 6 VStG stützt, hat sie ihre Annahme, der Beschuldigte habe die Tat vorsätzlich nicht verhindert, zu begründen (vgl. die bei Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze II2 (2000), 236, E 249 zu § 9 VStG wiedergegebene hg. Rechtsprechung).

3. Im Beschwerdefall ging die belangte Behörde - im Gegensatz zur Strafbehörde erster Instanz - implizit davon aus, dass vorliegend ein verantwortlicher Beauftragter bestellt worden sei. Sie stützte die Bestätigung des erstinstanzlichen Straferkenntnisses sodann auf die Bestimmung des § 9 Abs. 6 VStG.

In diesem Zusammenhang ist zunächst darauf hinzuweisen, dass die von der belangten Behörde zitierte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Einrichtung eines wirksamen Kontrollsystems nicht Fälle einer Verantwortlichkeit nach § 9 Abs. 6 VStG betrifft.

Nach § 9 Abs. 6 VStG kommt es alleine auf die rechtswirksame Bestellung eines verantwortlichen Beauftragten sowie die vorsätzliche Nichtverhinderung der vom verantwortlichen Beauftragten begangenen Tat an. Diese Tatbestandselemente müssen bei der Umschreibung der als erwiesen angenommenen Tat im Sine des § 44a Z. 1 VStG im Spruch zum Ausdruck kommen und müssen bereits Gegenstand einer rechtzeitigen Verfolgungshandlung gewesen sein.

Um dem Beschwerdeführer vorwerfen zu können, die Taten (zumindest bedingt) vorsätzlich nicht verhindert zu haben, reicht es nicht aus, auf eine fehlende Kontrolle der bestellten strafrechtlich Verantwortlichen hinzuweisen. Es hätte vielmehr festgestellt werden müssen, dass der Beschwerdeführer von Übertretungen des MEG in den Filialen des Unternehmens wusste (und nicht bloß wissen musste), weitere derartige Übertretungen in Kauf nahm und sich damit abfand.

Die belangte Behörde hat sich mit den genannten Tatbestandselementen nicht beschäftigt, sie finden sich auch nicht im Spruch des durch den angefochtenen Bescheid unverändert bestätigten Straferkenntnisses.

4. Daher hat die belangte Behörde den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet. Dieser war gemäß § 42 Abs. 1 Z. 1 VwGG aufzuheben.

5. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.

Wien, am 22. Mai 2012

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