VwGH 2010/21/0141

VwGH2010/21/01415.7.2011

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Senft, über die Beschwerde des A, vertreten durch die Weber Maxl & Partner Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, Rathausplatz 4, gegen den Bescheid der Bundesministerin für Inneres vom 16. März 2010, Zl. BMI-1021059/0006-II/3/2009, betreffend Abweisung eines Devolutionsantrages in einer Angelegenheit des Fremdenpolizeigesetzes 2005, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §38;
AVG §73 Abs1;
AVG §73 Abs2;
FrPolG 2005 §2 Abs4 Z12;
FrPolG 2005 §62;
FrPolG 2005 §65 Abs1;
FrPolG 2005 §86 Abs1;
FrPolG 2005 §87;
AVG §38;
AVG §73 Abs1;
AVG §73 Abs2;
FrPolG 2005 §2 Abs4 Z12;
FrPolG 2005 §62;
FrPolG 2005 §65 Abs1;
FrPolG 2005 §86 Abs1;
FrPolG 2005 §87;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 57,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Guinea, reiste im November 2003 nach Österreich ein und beantragte unter einem Aliasnamen die Gewährung von Asyl. Das hierüber geführte Verfahren ist nach dem Inhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes noch nicht rechtskräftig abgeschlossen.

Mit - unbekämpft in Rechtskraft erwachsenem - Bescheid vom 8. Oktober 2004 verhängte die Bundespolizeidirektion Wien gegen den Beschwerdeführer gemäß § 36 Abs. 1 und 2 Z. 1 FrG ein unbefristetes Aufenthaltsverbot. Dies begründete sie u.a. damit, dass der Beschwerdeführer mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 2. August 2004 wegen § 27 Abs. 1 und 2 Z. 2 erster Fall SMG zu einer einjährigen Freiheitsstrafe (davon acht Monate bedingt nachgesehen) verurteilt worden sei. (Er hatte in Wien zwischen Februar und Juni 2004 anderen Personen gewerbsmäßig 20 Kugeln zu je 0,5 g Kokain sowie weitere nicht mehr feststellbare Mengen dieses Suchtgiftes überlassen; zudem hatte er zwischen Jänner und 24. Juni 2004 Kokain und Cannabiskraut in einer nicht mehr feststellbaren Menge wiederholt erworben und zum Eigenkonsum besessen.)

Am 12. Juni 2006 beantragte der Beschwerdeführer die Aufhebung dieses Aufenthaltsverbotes (gemäß § 125 Abs. 3 Satz 2 FPG seit 1. Jänner 2006: Rückkehrverbotes). Dieser Antrag wurde mit (in Rechtskraft erwachsenem) Bescheid vom 4. Oktober 2006 gemäß § 65 Abs. 1 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 - FPG abgewiesen.

Am 7. Jänner 2008 stellte der Beschwerdeführer neuerlich einen entsprechenden Antrag, der mit erstinstanzlichem Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom 12. April 2008 abgewiesen wurde. Diesen Bescheid bekämpfte der Beschwerdeführer am 2. Mai 2008 mit Berufung. Am 24. Juli 2009 brachte er - infolge Säumnis der Sicherheitsdirektion Wien - bei der belangten Behörde einen Devolutionsantrag ein.

Mit dem angefochtenen Bescheid vom 16. März 2010 wies die belangte Behörde diesen Devolutionsantrag gemäß § 73 Abs. 2 AVG ab.

Begründend führte sie - auf das im vorliegenden Zusammenhang Wesentliche zusammengefasst - aus, der Beschwerdeführer sei seit 25. April 2005 mit der österreichischen Staatsbürgerin M. verheiratet, also Familienangehöriger iSd § 2 Abs. 4 Z. 12 FPG.

Allerdings sei er mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 29. März 2006 gemäß § 27 Abs. 1 und 2 Z. 2 erster Fall SMG sowie § 15 StGB neuerlich zu einer zwölfmonatigen Freiheitsstrafe (davon acht Monate bedingt nachgesehen) verurteilt worden. Er habe am 8. November 2005 ein Briefchen mit 1,9 g Heroin an einen als verdeckten Ermittler agierenden Polizeibeamten sowie ein weiteres Briefchen mit 1,0 g Heroin an eine andere Person verkauft. Zwei weitere näher beschriebene Verkäufe von Heroin seien zwischen August und November 2005, ein versuchter Verkauf von 4,3 g Heroin sei am 8. Jänner 2005 erfolgt.

Mit rechtskräftigem Urteil des Bezirksgerichtes Josefstadt vom 17. Oktober 2007 sei über den Beschwerdeführer gemäß § 27 Abs. 1 SMG eine bedingt nachgesehene dreimonatige Freiheitsstrafe verhängt worden. Er habe am 20. September 2006 in Wien 0,7 g Kokain erworben und besessen.

Nunmehr sei - so argumentierte die belangte Behörde weiter - ein vor dem Bezirksgericht Hernals geführtes Strafverfahren nach den §§ 83 und 125 StGB gegen den Beschwerdeführer anhängig. Zwar habe die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien über die gegen die erstinstanzlich erfolgte Abweisung des erwähnten Antrages vom 7. Jänner 2008 erhobene Berufung nicht innerhalb der sechsmonatigen Frist des § 73 Abs. 1 AVG entschieden. Daran treffe sie jedoch kein (überwiegendes) Verschulden, weil sie den Ausgang dieses, vor dem Bezirksgericht Hernals anhängigen Strafverfahrens abgewartet, zwischen August 2008 und Jänner 2009 viermal bei der Anklagebehörde wegen des Verfahrensstandes nachgefragt und den Rechtsvertreter des Beschwerdeführers am 28. Jänner 2009 davon verständigt habe, dieses laufende Strafverfahren abzuwarten. Die Erlassung eines verfahrensrechtlichen Bescheides sei keine Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit der Aussetzung. Da deren materielle Erfordernisse vorlägen, fehle das überwiegende Verschulden der Sicherheitsdirektion Wien an der Säumnis, sodass der Devolutionsantrag abzuweisen sei.

 

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde erwogen:

Sofern die Gesetze nicht anderes bestimmen, ist die Behörde gemäß § 38 AVG berechtigt, im Ermittlungsverfahren auftauchende Vorfragen, die als Hauptfragen von anderen Verwaltungsbehörden oder von den Gerichten zu entscheiden wären, nach der über die maßgebenden Verhältnisse gewonnenen eigenen Anschauung zu beurteilen und diese Beurteilung ihrem Bescheid zu Grunde zu legen. Sie kann aber auch das Verfahren bis zur rechtskräftigen Entscheidung der Vorfrage aussetzen, wenn die Vorfrage schon den Gegenstand eines anhängigen Verfahrens bei der zuständigen Behörde bildet oder ein solches Verfahren gleichzeitig anhängig gemacht wird.

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist die Aussetzung eines Verfahrens mittels verfahrensrechtlichen Bescheides - entgegen der in der Beschwerde vertretenen Ansicht - zwar zulässig, aber nicht rechtlich geboten. Vielmehr kann die Behörde bei Vorliegen der dargestellten Voraussetzungen des § 38 zweiter Satz AVG die Entscheidung der Vorfrage bloß abwarten. Eine solche faktische Aussetzung bleibt zwar ohne Einfluss auf den Lauf der behördlichen Entscheidungsfrist, kann also die objektive Säumnis nicht verhindern. Falls die Behörde allerdings berechtigt gewesen wäre, das Verfahren bis zur rechtskräftigen Entscheidung der Vorfrage durch Bescheid auszusetzen, ist die durch das Abwarten der Vorfrageentscheidung bedingte Verzögerung nicht iSd § 73 Abs. 2 letzter Satz AVG auf ein (überwiegendes) Verschulden der Behörde zurückzuführen. In diesen Fällen ist ein dennoch gestellter Devolutionsantrag abzuweisen (vgl. zum Ganzen etwa Hengstschläger/Leeb, AVG, § 38, Rz 54 und 55, sowie § 73, Rz 74, mwN aus der Lehre sowie der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes).

In der Sache ist ein Aufenthaltsverbot oder Rückkehrverbot gemäß § 65 Abs. 1 FPG (idF vor dem FrÄG 2011) auf Antrag oder von Amts wegen aufzuheben, wenn die Gründe, die zu seiner Erlassung geführt haben, weggefallen sind.

Ein darauf abzielender Antrag kann somit nur dann zum Erfolg führen, wenn sich seit der Erlassung der Maßnahme (hier im Oktober 2004) die dafür maßgebenden Umstände zu Gunsten des Fremden geändert haben, wobei im Rahmen der Entscheidung über einen solchen Antrag auch auf die nach der Verhängung des Aufenthaltsverbotes (Rückkehrverbotes) eingetretenen und gegen die Aufhebung dieser Maßnahme sprechenden Umstände Bedacht zu nehmen ist. Bei der Beurteilung nach § 65 Abs. 1 FPG ist maßgeblich, ob eine Gefährlichkeitsprognose dergestalt (weiterhin) zu treffen ist, dass die Aufrechterhaltung des Aufenthaltsverbotes (Rückkehrverbotes) erforderlich ist, um eine vom Fremden ausgehende erhebliche Gefahr im Bundesgebiet abzuwenden, und ob die Aufrechterhaltung dieser Maßnahme im Grunde des § 66 FPG zulässig ist. Darüber hinaus hat die Behörde auch bei dieser Entscheidung das ihr eingeräumte Ermessen zu üben. Bei Fremden, die seit der Erlassung des Aufenthaltsverbotes - wie der Beschwerdeführer - die Stellung eines Familienangehörigen (§ 2 Abs. 4 Z. 12 FPG) eines österreichischen Staatsbürgers erlangt haben, ist überdies zu beachten, dass die Aufrechterhaltung des Aufenthaltsverbotes (Rückkehrverbotes) nur im Grund des § 87 iVm § 86 Abs. 1 FPG in Betracht kommt (vgl. aus der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes etwa das Erkenntnis vom 29. April 2010, Zl. 2009/21/0287, mwN).

Unter Berücksichtigung dieser - auch für die vorzunehmende Abwägung und die Übung des Ermessens wesentlichen - Gesichtspunkte kann der belangten Behörde nicht entgegengetreten werden, wenn sie - neben einem Abstellen auf die zitierten, nach Verhängung des unbefristeten Aufenthaltsverbotes mit Bescheid vom 8. Oktober 2004 erfolgten strafgerichtlichen Verurteilungen vom 29. März 2006 und vom 17. Oktober 2007 und die beschriebenen, diesen zu Grunde liegenden strafbaren Handlungen - weiters das Erfordernis bejahte, auch den Ausgang des genannten, vor dem Bezirksgericht Hernals anhängigen Strafverfahrens abzuwarten.

Vor diesem Hintergrund kann es nicht als rechtswidrig angesehen werden, dass die belangte Behörde den Devolutionsantrag gemäß § 73 Abs. 2 AVG abgewiesen hat.

Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Von der Durchführung der vom Beschwerdeführer beantragten mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG abgesehen werden.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008. Wien, am 5. Juli 2011

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