VwGH 2009/21/0407

VwGH2009/21/040722.3.2011

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Senft, über die Beschwerde des C, vertreten durch Dr. Josef Maier, Rechtsanwalt in 4722 Peuerbach, Steegenstraße 3, gegen den Bescheid der Bundesministerin für Inneres vom 11. November 2009, Zl. 154.519/2- III/4/09, betreffend Aufenthaltstitel, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §13 Abs3 idF 2008/I/005;
NAG 2005 §19 Abs8 Z3 idF 2009/I/029;
NAGDV 2005 §7 Abs1 Z1 idF 2007/II/008;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2011:2009210407.X00

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Dem Beschwerdeführer, einem türkischen Staatsangehörigen, waren beginnend mit 26. November 1996 wiederholt Aufenthaltstitel erteilt worden. Am 28. Jänner 2005 stellte er einen Verlängerungsantrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung für den Aufenthaltszweck "unselbständige Erwerbstätigkeit", auf Grund dessen ihm am 19. Mai 2006 ein bis zum 29. März 2007 gültiger Aufenthaltstitel erteilt wurde.

Am 29. März 2007 stellte er den Verlängerungsantrag auf Erteilung einer "Niederlassungsbewilligung für beschränkt".

Am 16. Juni 2009 erteilte die Bezirkshauptmannschaft Wels-Land dem Beschwerdeführer in dieser Angelegenheit einen (ihm am 18. Juni 2009 zugestellten) Verbesserungsauftrag gemäß § 13 Abs. 3 AVG. Dieser lautete (soweit im vorliegenden Zusammenhang von Bedeutung) wörtlich:

"§ 11 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz 2005 regelt die allgemeinen Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels. Die für die jeweilige Antragstellung erforderlichen Urkunden und Nachweise sind im Original und in Kopie vorzulegen.

Gemäß § 7 der Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz-Durchführungsverordnung 2005 (NAG-DV) sind Ihrem Antrag noch folgende Urkunden und Nachweise anzuschließen und ehestmöglich vorzulegen:

- Reisepass

...

Mängel schriftlicher Anbringen ermächtigen die Behörde nicht zur Zurückweisung. Die Behörde hat vielmehr von Amts wegen unverzüglich deren Behebung zu veranlassen und kann dem Einschreiter die Behebung des Mangels mit der Wirkung auftragen, dass das Anbringen nach fruchtlosem Ablauf einer gleichzeitig zu bestimmenden, angemessenen Frist zurückgewiesen wird. Wird der Mangel rechtzeitig behoben, so gilt das Anbringen als ursprünglich richtig eingebracht (§ 13 Abs. 3 AVG, BGBl. Nr. 51/1991 i.d.g.F.).

Sie wurden bereits anlässlich der Antragstellung vom 29.3.2009 (richtig: 2007) auf das Nachbringen der fehlenden Unterlagen hingewiesen. Ein weiteres Ersuchen erfolgte schriftlich am 14.2.2008 (Anmerkung: Dabei handelt es sich um eine Ladung ohne Nennung eines Termins, in der keine Frist für die Nachreichung des Reisepasses gesetzt wurde) sowie anlässlich einer persönlichen Vorsprache am 20.10.2008.

Sie werden hiermit letztmalig eingeladen, die festgestellten Formgebrechen binnen zwei Wochen ab Zustellung dieses Schreiben zu beheben.

Sie werden ausdrücklich darauf hingewiesen, dass der Antrag bei fruchtlosem Ablauf der festgesetzten Frist sowie bei nicht formgerechter Erfüllung als unzulässig zurückzuweisen sein wird.

..."

(Hervorhebungen im Original)

In einem Aktenvermerk vom 27. Juli 2009 hielt die Erstbehörde fest, der Beschwerdeführer habe (an diesem Tag) persönlich vorgesprochen und die Vorlage der fehlenden Unterlage bis 30. August 2009 zugesagt.

Am 3. August 2009 langte bei der genannten Behörde eine Bestätigung des türkischen Generalkonsulates in Salzburg ein, aus der sich ergibt, dass der Beschwerdeführer die Ausstellung eines neuen Reisepasses beantragt habe. Der alte Reisepass sei als verloren oder gestohlen gemeldet. Die Wartezeit auf den neuen Reisepass könne "mehrere Wochen" betragen.

Mit (dem Beschwerdeführer am 10. August 2009 zugestelltem) Bescheid vom 3. August 2009 wies die Bezirkshauptmannschaft Wels-Land den Verlängerungsantrag des Beschwerdeführers auf Erteilung einer "Niederlassungsbewilligung für beschränkt" vom 29. März 2007 gemäß § 13 Abs. 3 AVG, §§ 3 und 4 des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes 2005 - NAG sowie § 7 Abs. 1 Z. 1 NAG-DV zurück.

Begründend führte sie nach Darstellung des Verwaltungsgeschehens und der Rechtslage aus, der Beschwerdeführer sei nach zwei Jahren noch immer nicht in der Lage gewesen, einen Reisepass vorzulegen. Die genannte Bestätigung des türkischen Generalkonsulates in Salzburg vom 27. Juli 2009 sei für das vorliegende Verfahren "nicht mehr relevant", weil dem Beschwerdeführer "bereits seit der Antragstellung im März 2007 mehrmals die Möglichkeit der Nachreichung eines Reisepasses eingeräumt" worden sei. Mit dem Fehlen des zwingend erforderlichen Reisepasses bzw. der Reisepasskopie liege daher ein wesentlicher Mangel vor, der trotz mehrmaliger Urgenzen binnen einer angemessenen Frist nicht behoben worden sei.

Mit dem angefochtenen Bescheid vom 11. November 2009 wies die Bundesministerin für Inneres (die belangte Behörde) eine dagegen erhobene Berufung des Beschwerdeführers gemäß § 66 Abs. 4 iVm § 13 Abs. 3 AVG ab.

Begründend führte sie nach Darstellung des Verwaltungsgeschehens und der Rechtslage aus, dem Verbesserungsauftrag vom 16. Juni 2009 sei innerhalb der gewährten Frist nicht entsprochen worden. Somit seien der Behörde erster Instanz die erforderlichen Unterlagen zur Entscheidung über den Antrag nicht vorgelegen. Dadurch sei eine "geschäftsmäßige Behandlung" des Antrages nicht möglich gewesen, sodass dieser zu Recht gemäß § 13 Abs. 3 AVG zurückgewiesen worden sei. Die Ansicht des Beschwerdeführers, die genannte Bestätigung des Generalkonsulates vom 27. Juli 2009 wäre als Ersatzdokument für den Reisepass anzusehen, treffe nicht zu, weil "gemäß § 7 Abs. 1 NAG-DV dem Antrag auf Ausstellung eines Aufenthaltstitels unbeschadet weiterer Urkunden und Nachweise eine Kopie des gültigen Reisepasses anzuschließen" sei.

 

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde erwogen:

Die für die Antragszurückweisung maßgeblichen Bestimmungen haben folgenden Wortlaut:

§ 13 Abs. 3 AVG (in der Fassung des Verwaltungsverfahrens- und Zustellrechtsänderungsgesetzes 2007, BGBl. I Nr. 5/2008):

"(3) Mängel schriftlicher Anbringen ermächtigen die Behörde nicht zur Zurückweisung. Die Behörde hat vielmehr von Amts wegen unverzüglich deren Behebung zu veranlassen und kann dem Einschreiter die Behebung des Mangels innerhalb einer angemessenen Frist mit der Wirkung auftragen, dass das Anbringen nach fruchtlosem Ablauf dieser Frist zurückgewiesen wird. Wird der Mangel rechtzeitig behoben, so gilt das Anbringen als ursprünglich richtig eingebracht."

§ 19 Abs. 3 NAG (in der Stammfassung des BGBl. I Nr. 100/2005):

"(3) Der Bundesminister für Inneres ist ermächtigt, durch Verordnung festzulegen, welche Urkunden und Nachweise für den jeweiligen Aufenthaltszweck (Abs. 2) dem Antrag jedenfalls anzuschließen sind. Diese Verordnung kann auch Form und Art einer Antragstellung, einschließlich bestimmter, ausschließlich zu verwendender Antragsformulare, enthalten."

Von der mit § 19 Abs. 3 NAG eingeräumten Verordnungsermächtigung wurde in den §§ 6 bis 9 NAG-DV Gebrauch gemacht. Von diesen Bestimmungen ist im gegebenen Zusammenhang § 7 Abs. 1 von Bedeutung, der in der hier maßgeblichen Fassung des BGBl. II Nr. 8/2007 Nachstehendes normiert:

"Urkunden und Nachweise für alle Aufenthaltstitel

§ 7. (1) Dem Antrag auf Ausstellung eines Aufenthaltstitels (§ 1) sind - unbeschadet weiterer Urkunden und Nachweise nach den §§ 8 und 9 - folgende Urkunden und Nachweise anzuschließen:

1. Kopie des gültigen Reisedokuments (§ 2 Abs. 1 Z 2 und 3 NAG);

... ".

Der am 1. April 2009 in Kraft getretene § 19 Abs. 8 Z. 3 NAG, angefügt durch die Novelle BGBl. I Nr. 29/2009, lautet:

"Allgemeine Verfahrensbestimmungen

§ 19. (1) ...

(8) Die Behörde kann auf begründeten Antrag von im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen die Heilung eines Verfahrensmangels nach Abs. 1 bis 3 und 7 zulassen:

...

3. Im Fall der Nichtvorlage erforderlicher Urkunden oder Nachweise, wenn deren Beschaffung für den Fremden nachweislich nicht möglich oder nicht zumutbar war.

Die Stellung eines solchen Antrages ist nur bis zur Erlassung des erstinstanzlichen Bescheides zulässig. Über diesen Umstand ist der Fremde zu belehren; § 13 Abs. 3 AVG gilt."

Der belangten Behörde ist darin beizupflichten, dass das Fehlen einer Urkundenvorlage iSd § 7 Abs. 1 Z. 1 NAG-DV regelmäßig einen Mangel iSd § 13 Abs. 3 AVG begründet (vgl. dazu grundlegend das hg. Erkenntnis vom 29. April 2010, Zl. 2008/21/0302, mwN).

Den behördlichen Feststellungen sowie dem Inhalt der vorgelegten Verwaltungsakten kann eine dem § 13 Abs. 3 zweiter Satz AVG entsprechende Veranlassung erst dem (dem Beschwerdeführer am 18. Juni 2009 zugekommenen) Schreiben vom 16. Juni 2009 entnommen werden, dem daher für die Angemessenheit der gesetzten Frist wesentliche Bedeutung zukommt. Das Ersuchen vom 14. Februar 2008 ist ohne Fristsetzung erfolgt (vgl. zum Erfordernis der Setzung einer angemessenen Frist Hengstschläger/Leeb, AVG, § 13 Rz. 29). Vorgänge anlässlich einer persönlichen Vorsprache des Beschwerdeführers am 20. Oktober 2008 sowie am Tag seiner Antragstellung sind nicht aktenkundig. Eine (ab dem 1. April 2009 gebotene) Belehrung iSd letzten Satzes des § 19 Abs. 8 NAG (idF BGBl. I Nr. 29/2009) ist - trotz Anhängigkeit eines offenen Verfahrens vor der Erstbehörde - zur Gänze unterblieben. Schon von daher erweist sich das behördliche Verfahren somit als mangelhaft, und zwar jedenfalls schon deshalb, weil der Beschwerdeführer durch die Vorlage der oben erwähnten Bestätigung des türkischen Generalkonsulates vom 27. Juli 2009 erkennbar zum Ausdruck gebracht hat, die Nachreichung eines Reisepasses sei ihm (jedenfalls innerhalb der gesetzten Frist - auf Grund der längeren für eine Bearbeitung durch die türkischen Behörden erforderlichen Zeit) nicht möglich gewesen.

Nach dem Gesagten erweist sich der angefochtene Bescheid daher mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften belastet, sodass er gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben war.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am 22. März 2011

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