VwGH 2010/11/0105

VwGH2010/11/010521.9.2010

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gall und die Hofräte Dr. Schick, Dr. Grünstäudl, Mag. Samm sowie die Hofrätin Dr. Pollak als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Trefil, über die Beschwerde des E J in W, vertreten durch Dr. Thomas Hofer-Zeni, Rechtsanwalt in 1030 Wien, Landstraßer Hauptstraße 14-16/8, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom 25. März 2010, Zl. UVS-FSG/48/11319/2009-11, betreffend Aufforderung zur amtsärztlichen Untersuchung, zu Recht erkannt:

Normen

FSG 1997 §24 Abs4;
FSG 1997 §7 Abs3 Z9;
FSG 1997 §8;
StGB §107a;
FSG 1997 §24 Abs4;
FSG 1997 §7 Abs3 Z9;
FSG 1997 §8;
StGB §107a;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom 16. Juli 2009 wurde der Beschwerdeführer gemäß § 24 Abs. 4 Führerscheingesetz 1997 (FSG) aufgefordert, sich binnen zwei Wochen nach Zustellung dieses Schreibens einer amtsärztlichen Untersuchung zu unterziehen. Gleichzeitig wurde darauf hingewiesen, dass bei Nichterfüllung dieser Aufforderung die Lenkberechtigung des Beschwerdeführers entzogen werde. In der Begründung verwies die Erstbehörde auf das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 25. September 2008, mit dem der Beschwerdeführer wegen § 107a Abs. 1 und 2 Z. 1 und 2 StGB (nach der Aktenlage: rechtskräftig) verurteilt worden sei. Weiters seien "mehrere Vorfälle wegen aggressiven Verhaltens" aktenkundig (diesbezüglich nähere Feststellungen enthält der erstinstanzliche Bescheid nicht). Die Erstbehörde ging deshalb von einem Verdacht auf ein überhöhtes Aggressionspotential beim Beschwerdeführer aus bzw. dass dieser Konfliktsituationen im Straßenverkehrsgeschehen durch Anwendung von Gewalt oder Drohung lösen und Handlungsweisen setzen werde, bei denen andere Straßenverkehrsteilnehmer gefährdet bzw. deren Eigentum einer Beschädigung ausgesetzt seien.

Dagegen erhob der Beschwerdeführer Berufung, in der er darauf hinwies, dass § 107a StGB den Tatbestand der beharrlichen Verfolgung normiere. Dieser Tatbestand werde erfüllt, wenn die Lebensführung einer anderen Person unzumutbar beeinträchtigt werde, indem deren Nähe aufgesucht oder im Wege der Telekommunikation Kontakt zu ihr hergestellt werde. Daraus lasse sich jedoch keinesfalls auf ein überhöhtes Aggressionspotential oder die mangelnde Eignung zum Lenken eines Kraftfahrzeuges schließen. Sonstige aktenkundige Vorfälle aggressiven Verhaltens, wie im Erstbescheid angesprochen, seien dem Beschwerdeführer nicht bekannt und ihm auch nicht vorgehalten worden. Jedenfalls könne er ausschließen, dass es sich hiebei um Vorfälle handle, die im Zusammenhang mit seiner Eigenschaft als Straßenverkehrsteilnehmer stünden.

Nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung holte die belangte Behörde den Strafantrag der Staatsanwaltschaft Wien vom 23. September 2009 ein, in dem diese beantragte, den Beschwerdeführer (neuerlich) wegen § 107a Abs. 1 und 2 Z. 1 und 2 StGB zu bestrafen. Diesem Strafantrag liegt nach dem Akt zu Grunde, dass der Beschwerdeführer in näher genannten Zeiträumen bis Ende Juni 2009 zu zwei namentlich genannten Personen u. a. mehrmals täglich telefonischen Kontakt hergestellt bzw. wiederholt ihre räumliche Nähe aufgesucht und dadurch die Lebensführung dieser Personen unzumutbar beeinträchtigt habe.

Unter Hinweis auf diesen Strafantrag forderte die belangte Behörde den Beschwerdeführer auf, die genannte Berufung zurückzuziehen. Im Schreiben vom 19. März 2010, in dem der Beschwerdeführer die Aufrechterhaltung seiner Berufung bekannt gab, führte er aus, dass der Strafantrag gemäß § 107a StGB in keinem Zusammenhang mit einer möglichen Verkehrsunzuverlässigkeit stehe.

Mit dem angefochtenen Bescheid bestätigte die belangte Behörde den erstinstanzlichen Bescheid vom 16. Juli 2009 mit der Maßgabe, dass sich der Beschwerdeführer gemäß § 24 Abs. 4 FSG "ab Zustellung des Berufungsbescheides" einer amtsärztlichen Untersuchung zu unterziehen habe.

In der Begründung verwies die belangte Behörde nach Wiedergabe der Rechtslage auf die Verurteilung des Beschwerdeführers vom 25. September 2008 und den neuerlichen Strafantrag vom 23. September 2009 wegen § 107a Abs. 1 und Abs. 2 Z. 1 und 2 StGB und stellte fest, dass gegen den Beschwerdeführer auch ein behördliches Betretungsverbot durch die Bundespolizeidirektion Wien erlassen worden sei. Auf dieser Grundlage führte die belangte Behörde in ihrer rechtlichen Beurteilung aus, dass gegenständlich "geradezu ein klassischer Fall" für begründete Bedenken gegen die gesundheitliche Eignung des Beschwerdeführers zum Lenken von Kraftfahrzeugen vorliege. Durch die strafgerichtliche Verurteilung und den rezenten Strafantrag wegen beharrlicher Verfolgung lägen "stichhaltige Indizien auf eine in Konfliktsituationen und darüber hinaus beharrlich zur Lösung von Spannungssituationen in Form auch von körperlicher Gewalt neigenden Persönlichkeit" vor. Daher seien nach Ansicht der belangten Behörde begründete Bedenken im Hinblick auf eine "aggressive und demolative Persönlichkeitsstruktur" gegeben, sodass es beim Beschwerdeführer "mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit" an der gesundheitlichen Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen fehle.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, zu der die belangte Behörde die Verwaltungsakten vorgelegt hat.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

§ 107a StGB lautet:

"Beharrliche Verfolgung

§ 107a. (1) Wer eine Person widerrechtlich beharrlich verfolgt (Abs. 2), ist mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr zu bestrafen.

(2) Beharrlich verfolgt eine Person, wer in einer Weise, die geeignet ist, sie in ihrer Lebensführung unzumutbar zu beeinträchtigen, eine längere Zeit hindurch fortgesetzt

  1. 1. ihre räumliche Nähe aufsucht,
  2. 2. im Wege einer Telekommunikation oder unter Verwendung eines sonstigen Kommunikationsmittels oder über Dritte Kontakt zu ihr herstellt,

    3. ..."

    Gemäß § 24 Abs. 4 FSG ist bei Bedenken, ob die Voraussetzungen der gesundheitlichen Eignung noch gegeben sind, ein von einem Amtsarzt erstelltes Gutachten gemäß § 8 FSG einzuholen (und gegebenenfalls die Lenkberechtigung einzuschränken oder zu entziehen). Nach dem letzten Satz dieser Bestimmung ist (u.a.) dann, wenn der Besitzer der Lenkberechtigung innerhalb der festgesetzten Frist einem rechtskräftigen Aufforderungsbescheid zur amtsärztlichen Untersuchung keine Folge leistet, die Lenkberechtigung bis zur Befolgung der Anordnung zu entziehen.

    Nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. jüngst das Erkenntnis vom 22. Juni 2010, Zl. 2010/11/0076 und die dort zitierten Erkenntnisse vom 16. April 2009, Zl. 2009/11/0020 und vom 17. Oktober 2006, Zl. 2003/11/0302, mwN) ist ein Aufforderungsbescheid gemäß § 24 Abs. 4 FSG nur dann zulässig, wenn im Zeitpunkt seiner Erlassung (im Fall einer Berufungsentscheidung im Zeitpunkt der Erlassung des Berufungsbescheides) bei der Behörde (nach wie vor) begründete Bedenken in der Richtung bestehen, dass der Inhaber der Lenkberechtigung die gesundheitliche Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen derjenigen Klassen, die von seiner Lenkberechtigung erfasst werden, nicht mehr besitzt, und ein aktuelles amtsärztliches Gutachten ohne eine neuerliche Untersuchung des Betreffenden oder ohne neue Befunde nicht erstellt werden kann. Hiebei geht es zwar noch nicht darum, konkrete Umstände zu ermitteln, aus denen bereits mit Sicherheit auf das Fehlen einer Erteilungsvoraussetzung geschlossen werden kann, es müssen aber genügend begründete Bedenken in diese Richtung bestehen, die die Prüfung des Vorliegens solcher Umstände geboten erscheinen lassen. Derartige Bedenken sind in einem Aufforderungsbescheid nachvollziehbar darzulegen.

    Der Verwaltungsgerichtshof hat sich etwa im Erkenntnis vom 27. Jänner 2005, Zl. 2004/11/0217, mit der Frage, inwieweit sich solche Bedenken betreffend die gesundheitliche Eignung zum Lenken eines Kraftfahrzeuges aus einem (gerichtlich) strafbaren Fehlverhalten, konkret aus einer von der Behörde angenommenen Wiederholungstat nach § 83 Abs. 1 StGB ableiten lassen, auseinander gesetzt und ausgesprochen, dass ein solches Fehlverhalten nicht in ausreichend konkreter Weise den Verdacht begründet, dem Beschwerdeführer fehle es auf Grund einer einschlägigen Krankheit an der geistigen Gesundheit zum Lenken von Kraftfahrzeugen.

    Auch Bedenken im Hinblick auf einen Mangel der (als Teil der gesundheitlichen Eignung eines Inhabers einer Lenkberechtigung zu verstehenden) Bereitschaft zur Verkehrsanpassung sind nach diesem Erkenntnis bei einer begangenen Körperverletzung nur dann gerechtfertigt, wenn das strafbare Verhalten in einem näheren Zusammenhang zu kraftfahrrechtlichen oder straßenverkehrsrechtlichen Vorschriften steht. Wenn aber der Betreffende im Zuge einer Auseinandersetzung nicht einmal tätlich geworden sei, so kann nach dem zitierten Erkenntnis von einem Verhalten, das Zweifel an der gesundheitlichen Eignung hervorruft, nicht ernsthaft die Rede sein (vgl. auch - zum aggressiven Verhalten - das Erkenntnis vom 30. September 2002, Zl. 2002/11/0120).

    Im vorliegenden Beschwerdefall liegt dem Beschwerdeführer keine Körperverletzung oder eine sonstige Tätlichkeit zur Last, sondern (lediglich) die "beharrliche Verfolgung" von dritten Personen. Die Ansicht der belangten Behörde, aus dem letztgenannten Delikt lasse sich eine Neigung des Beschwerdeführers, auch körperliche Gewalt anzuwenden, ableiten, ist mangels diesbezüglicher Feststellungen der belangten Behörde nicht nachvollziehbar. Aber selbst wenn man mit der belangten Behörde davon ausginge, der Beschwerdeführer neige zu körperlicher Gewalt, so könnte dies (unter den Voraussetzungen insbesondere des § 7 Abs. 3 Z. 9 FSG) allenfalls für die Beurteilung seiner Verkehrszuverlässigkeit von Bedeutung sein. Hingegen lassen sich, wie sich aus der zitierten Rechtsprechung ergibt, aus dem genannten strafbaren Verhalten des Beschwerdeführers Bedenken gegen seine gesundheitliche Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen nicht ableiten, zumal sein Fehlverhalten, wie bereits erwähnt, in keinem erkennbaren Zusammenhang zu kraftfahrrechtlichen oder straßenverkehrsrechtlichen Vorschriften stand.

    Da die belangte Behörde somit die Voraussetzungen des § 24 Abs. 4 FSG verkannt hat, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufzuheben.

    Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.

    Wien, am 21. September 2010

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