VwGH 2009/08/0029

VwGH2009/08/00291.4.2009

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Müller und die Hofräte Dr. Strohmayer, Dr. Köller, Dr. Moritz und Dr. Lehofer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Zykan, über die Beschwerde des S O in W, vertreten durch Mag. Dr. Peter Hombauer, Rechtsanwalt in 1030 Wien, Weyrgasse 5, gegen den auf Grund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien vom 23. Mai 2006, Zl. LGSW/Abt. 3-AlV/0566/2006-87, betreffend Anspruch auf Arbeitslosengeld, zu Recht erkannt:

Normen

32004L0038 Unionsbürger-RL Art3 Abs1;
62007CO0551 Sahin VORAB;
AlVG 1977 §7 Abs3 Z2;
AuslBG §1 Abs2 litl idF 2002/I/126;
AuslBG §1 Abs2 litl idF 2005/I/101;
FrG 1997 §47 idF 2002/I/126;
NAG 2005 §54;
32004L0038 Unionsbürger-RL Art3 Abs1;
62007CO0551 Sahin VORAB;
AlVG 1977 §7 Abs3 Z2;
AuslBG §1 Abs2 litl idF 2002/I/126;
AuslBG §1 Abs2 litl idF 2005/I/101;
FrG 1997 §47 idF 2002/I/126;
NAG 2005 §54;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

I. Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde der Berufung des Beschwerdeführers - eines nigerianischen Staatsangehörigen - gegen den Bescheid des Arbeitsmarktservice Wien Huttengasse vom 30. Dezember 2005, mit dem ein Antrag des Beschwerdeführers auf Zuerkennung von Arbeitslosengeld vom 28. Dezember 2005 abgewiesen wurde, keine Folge gegeben.

Nach der Begründung habe die Behörde erster Instanz den Antrag des Beschwerdeführers abgewiesen, weil er aufenthaltsrechtlich nicht berechtigt sei, eine Beschäftigung anzunehmen; er verfüge über keinen Aufenthaltstitel.

In der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung habe der Beschwerdeführer vorgebracht, er habe die Anwartschaft auf den Bezug von Arbeitslosengeld während der Verbüßung einer Strafhaft erworben. Er sei mit einer britischen Staatsangehörigen verheiratet und zur Niederlassung in Österreich berechtigt. Er unterliege nicht dem Geltungsbereich des Ausländerbeschäftigungsgesetzes.

Die belangte Behörde ging davon aus, dass die Ehe des Beschwerdeführers mit Urteil vom 23. März 2004 geschieden worden sei, wogegen Berufung erhoben worden sei; das Urteil sei nicht rechtskräftig. Der Beschwerdeführer habe trotz Aufforderung keine Daueraufenthaltskarte nach § 54 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz 2005 (NAG) vorlegen bzw. keine entsprechende Antragstellung nachweisen können. Bei der zuständigen Aufenthaltsbehörde sei der Beschwerdeführer nicht erfasst, es gebe über ihn keine aufenthaltsrechtliche Dokumentation. Der Beschwerdeführer habe keine aus seiner Ehe abgeleitete aufenthaltsrechtliche Position nachgewiesen, weshalb er nicht berechtigt sei, sich im Bundesgebiet aufzuhalten, um eine unselbständige Erwerbstätigkeit aufzunehmen. Er sei daher gemäß § 7 Abs. 3 Z. 2 AlVG nicht verfügbar.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 7 Abs. 1 AlVG hat Anspruch auf Arbeitslosengeld, wer unter anderem der Arbeitsvermittlung zur Verfügung steht. Der Arbeitsvermittlung steht nach § 7 Abs. 2 AlVG zur Verfügung, wer eine Beschäftigung aufnehmen kann und darf (Abs. 3) und arbeitsfähig (§ 8), arbeitswillig (§ 9) und arbeitslos (§ 12) ist. Eine Beschäftigung aufnehmen kann und darf gemäß § 7 Abs. 3 Z. 2 AlVG eine Person, die sich berechtigt im Bundesgebiet aufhält, um eine unselbständige Beschäftigung aufzunehmen und auszuüben.

Die Beschäftigung von Ausländern im Bundesgebiet regelt das Ausländerbeschäftigungsgesetz (AuslBG). Gemäß § 1 Abs. 2 lit. l AuslBG in der bis zum 31. Dezember 2005 geltenden Fassung BGBl. Nr. 126/2002 (Antragstellung auf Arbeitslosengeld am 28. Dezember 2005) sind die Bestimmungen dieses Bundesgesetzes nicht anzuwenden auf EWR-Bürger, drittstaatsangehörige Ehegatten eines österreichischen Staatsbürgers oder eines anderen EWR-Bürgers sowie drittstaatsangehörige Kinder eines österreichischen Staatsbürgers oder eines anderen EWR-Bürgers (einschließlich Adoptiv- und Stiefkinder), die noch nicht 21 Jahre alt sind oder denen der österreichische Staatsbürger bzw. der EWR-Bürger Unterhalt gewährt, sofern der Ehegatte bzw. das Kind zum Aufenthalt im Bundesgebiet berechtigt sind.

§ 47 Fremdengesetz 1997 in der Fassung BGBl. I Nr. 126/2002 lautet:

"Aufenthaltsberechtigung begünstigter Drittstaatsangehöriger

§ 47. (1) Angehörige von EWR-Bürgern, die Staatsangehörige eines Drittstaates sind, unterliegen der Sichtvermerkspflicht.

(2) Sofern die EWR-Bürger zur Niederlassung berechtigt sind, genießen begünstigte Drittstaatsangehörige (Abs. 3) Niederlassungsfreiheit; ihnen ist eine Niederlassungsbewilligung auszustellen, wenn ihr Aufenthalt nicht die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet. Solche Fremde können Anträge auf Erteilung einer Erstniederlassungsbewilligung im Inland stellen. Die Niederlassungsbewilligung ist mit fünf Jahren, in den Fällen der beabsichtigten Aufnahme einer Erwerbstätigkeit durch den EWR-Bürger (§ 46 Abs. 2 Z 3) jedoch mit sechs Monaten ab dem Zeitpunkt seiner Einreise zu befristen.

(3) Begünstigte Drittstaatsangehörige sind folgende Angehörige eines EWR-Bürgers:

  1. 1. Ehegatten;
  2. 2. Verwandte in absteigender Linie bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres, darüber hinaus sofern ihnen Unterhalt gewährt wird;

    3. Verwandte und Verwandte des Ehegatten in aufsteigender Linie, sofern ihnen Unterhalt gewährt wird.

(4) Begünstigten Drittstaatsangehörigen, die ihren Hauptwohnsitz ununterbrochen seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, darf die weitere Niederlassungsbewilligung nicht versagt werden; für Ehegatten (Abs. 3 Z 1) gilt dies nur, wenn sie mehr als die Hälfte der Zeit mit einem EWR-Bürger verheiratet waren."

Nach der bis zum 31. Dezember 2005 in Geltung gestandenen Rechtslage unterlagen Angehörige von EWR-Bürgern, die Staatsangehörige eines Drittstaates sind, der Sichtvermerkspflicht (§ 47 Abs. 1 FrG). Nach § 47 Abs. 2 FrG genossen Ehegatten von EWR-Bürgern Niederlassungsfreiheit, sofern die EWR-Bürger zur Niederlassung berechtigt sind. Solche Fremden konnten Anträge auf Erteilung einer Erstniederlassungsbewilligung im Inland stellen.

Gemäß § 1 Abs. 2 lit. l) AuslBG in der ab 1. Jänner 2006 geltenden Fassung BGBl. Nr. 101/2005 sind die Bestimmungen dieses Bundesgesetzes nicht anzuwenden auf

"l) Freizügigkeitsberechtigte EWR-Bürger, deren drittstaatsangehörige Ehegatten und Kinder (einschließlich Adoptiv- und Stiefkinder), die noch nicht 21 Jahre alt sind oder denen der EWR-Bürger oder der Ehegatte Unterhalt gewährt, sowie drittstaatsangehörige Eltern des EWR-Bürgers und seines Ehegatten, denen der EWR-Bürger oder der Ehegatte Unterhalt gewährt, sofern sie zur Niederlassung nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005 berechtigt sind"

Voraussetzung für die Ausnahme vom AuslBG ist demnach für drittstaatsangehörige Ehegatten von EWR-Bürgern - wie den Beschwerdeführer - das Recht zum Aufenthalt bzw. zur Niederlassung.

§ 54 NAG, BGBl. I Nr. 100/2005, lautet:

"§ 54. (1) Angehörige von freizügigkeitsberechtigten EWR-Bürgern (§ 51), die nicht EWR-Bürger sind und die die in § 52 Z 1 bis 3 genannten Voraussetzungen erfüllen (darunter Ehegatten), sind zur Niederlassung berechtigt. Ihnen ist auf Antrag eine Daueraufenthaltskarte für die Dauer von zehn Jahren auszustellen. Dieser Antrag ist spätestens nach Ablauf von drei Monaten ab ihrer Niederlassung zu stellen.

(2) Zum Nachweis des Rechts sind ein gültiger Personalausweis oder Reisepass sowie

1. nach § 52 Z 1 ein urkundlicher Nachweis des Bestehens der Ehe;

2. nach § 52 Z 2 und 3 ein urkundlicher Nachweis über das Bestehen einer familiären Beziehung sowie bei Kindern über 21 Jahren und Verwandten des EWR-Bürgers oder seines Ehegatten in gerader aufsteigender Linie ein Nachweis über die tatsächliche Unterhaltsgewährung vorzulegen."

Artikel 3 Absatz 1 der bis zum 30. August 2006 umzusetzenden Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, lautet:

"Berechtigte

(1) Diese Richtlinie gilt für jeden Unionsbürger, der sich in einen anderen als den Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, begibt oder sich dort aufhält, sowie für seine Familienangehörigen im Sinne von Artikel 2 Nummer 2 (darunter Ehegatten), die ihn begleiten oder ihm nachziehen."

III. Mit hg. Beschluss vom 22. November 2007, Zl. 2007/21/0271 (EU 2007/0009), wurde dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften gemäß Art. 234 EG unter anderem folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

"1. a) Sind die Art. 3 Abs. 1, Art. 6 Abs. 2 sowie Art. 7 Abs. 1 lit. d und Abs. 2 der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 und zur Aufhebung der Richtlinien 64/221/EWG, 68/360/EWG, 72/194/EWG, 73/148/EWG, 75/34/EWG, 75/35/EWG, 90/364/EWG, 90/365/EWG und 93/96/EWG - im Folgenden RL - so auszulegen, dass sie auch jene Familienangehörigen im Sinn von Art. 2 Nr. 2 der RL erfassen, die unabhängig vom Unionsbürger in den Aufnahmemitgliedstaat (Art. 2 Nr. 3 der RL) gelangt sind und erst dort die Angehörigeneigenschaft oder das Familienleben mit dem Unionsbürger begründet haben?"

Im Beschluss vom 19. Dezember 2008, C-551/07, hat der EuGH diese Frage wie folgt beantwortet:

"Die Art. 3 Abs. 1, 6 Abs. 2 sowie 7 Abs. 1 Buchst. d und Abs. 2 der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 und zur Aufhebung der Richtlinien 64/221/EWG, 68/360/EWG, 72/194/EWG, 73/148/EWG, 75/34/EWG, 75/35/EWG, 90/364/EWG, 90/365/EWG und 93/96/EWG sind so auszulegen, dass sie auch die Familienangehörigen erfassen, die unabhängig vom Unionsbürger in den Aufnahmemitgliedstaat gelangt sind und erst dort die Angehörigeneigenschaft erworben oder das Familienleben mit diesem Unionsbürger begründet haben. Hierbei spielt es keine Rolle, dass sich der Familienangehörige zum Zeitpunkt des Erwerbs dieser Eigenschaft oder der Begründung des Familienlebens nach den asylgesetzlichen Bestimmungen des Aufnahmemitgliedstaats vorläufig in diesem Staat aufhält."

Für den - mit Beschluss vom 7. Mai 2008 bis zur genannten Vorabentscheidung ausgesetzt gewesenen - Beschwerdefall ergibt sich daraus, dass dem Beschwerdeführer, der unabhängig von seiner Ehefrau ins Bundesgebiet gelangt ist und diese hier geheiratet hat, auf Grund der - bis zur Rechtskraft des Scheidungsurteils aufrechten - Ehe mit einer britischen Staatsangehörigen, die nach der Aktenlage ihr Recht auf Freizügigkeit in Anspruch genommen hat und in Österreich wohnhaft ist, die Stellung als begünstigter Drittstaatsangehöriger zukommt. In diesem Fall ist er - auch ohne entsprechendes Dokument - jedenfalls bis zur Rechtskraft des Scheidungsurteils (und damit auch im hier für den Bezug von Arbeitslosengeld maßgeblichen Zeitraum) zur Niederlassung und gemäß § 1 Abs. 2 lit. l AuslBG (in beiden genannten Fassungen) zur Ausübung einer Beschäftigung berechtigt.

Der die Zuerkennung von Arbeitslosengeld versagende angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455. Da die Mehrwertsteuer im pauschalierten Schriftsatzaufwand bereits enthalten ist, war das darauf gerichtete Mehrbegehren abzuweisen.

Wien, am 1. April 2009

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte