VwGH 2003/10/0002

VwGH2003/10/00023.11.2008

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Mizner sowie den Senatspräsidenten Dr. Novak und die Hofräte Dr. Stöberl, Dr. Rigler und Dr. Schick als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Petritz, über die Beschwerde des B S in A, vertreten durch Dr. Rudolf Zitta, Rechtsanwalt in 5020 Salzburg, Künstlerhausgasse 4, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Salzburg vom 6. Mai 2002, Zl. UVS-10/10003/10-202, betreffend Übertretung des Salzburger Naturschutzgesetzes,

Normen

MRK Art6 Abs1;
StGB §34 Abs2;
VStG §19;
VwGG §42 Abs2 Z1;

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2008:2003100002.X00

 

Spruch:

I. zu Recht erkannt:

Der angefochtene Bescheid wird hinsichtlich seines Strafausspruches wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufgehoben.

Das Land Salzburg hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

II. den Beschluss gefasst:

Im Übrigen (hinsichtlich des Schuldspruches) wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.

Begründung

Mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft S. (BH) vom 8. Jänner 1998 wurde dem Beschwerdeführer folgende Verwaltungsübertretung zur Last gelegt:

"Wie anlässlich einer örtlichen Begehung am 22.10.1996 festgestellt werden konnte, wurde auf der GP 751/1 KG P. mit der Errichtung einer Schipiste begonnen, obwohl zu diesem Zeitpunkt die naturschutzrechtliche Bewilligung hiefür noch nicht vorgelegen ist. An der Errichtung der Piste wurde zum Zeitpunkt der Begehung sowohl berg- als auch talseits der neuen Mittel(Winkel-)station der 8 EUB-R. gearbeitet. Bergseits der Mittelstation wurde gerade mittels Bagger Material abgetragen, auf einen LKW verladen und das Material von diesem linksseitig der nahe der Mittelstation verlaufenden Straße auf den Pistenbereich abgeladen. Oberhalb dieses Bereiches bis zu einer damals noch stehenden Stationshütte waren die Pistenerrichtungsarbeiten bereits abgeschlossen. Beim unmittelbar an die Mittelstation talseits anschließenden Bereich auf der GP 751/1 KG P. waren Geländeveränderungen gerade im Gange (mittels Bagger wurde der Humus abgetragen und Planierungsarbeiten durchgeführt). Von den betreffenden Bereichen wurden bei der Überprüfung Fotos (Anzahl: 5), die dem Verwaltungsstrafakt beiliegen, angefertigt.

Die Arbeiten wurden von der Z. GmbH veranlasst, deren handelsrechtlicher Geschäftsführer und somit verwaltungsstrafrechtlich Verantwortliche Sie sind."

Gemäß § 58 Abs. 1 iVm § 24 Abs. 1 des Salzburger Naturschutzgesetzes, LGBl. Nr. 1/1993, wurde über den Beschwerdeführer eine Geldstrafe in der Höhe von S 7.000,-- (Ersatzfreiheitsstrafe in der Dauer von 72 Stunden ) verhängt.

Der dagegen erhobenen Berufung des Beschwerdeführers wurde mit dem angefochtenen Bescheid vom 6. Mai 2002 - nach mündlicher Verkündung der Berufungsentscheidung am 15. April 1999 - keine Folge gegeben und das Straferkenntnis der BH mit der Maßgabe bestätigt, dass die übertretene Norm zu lauten habe: "§ 58 Abs. 1 iVm § 24 Abs. 1 lit. d SNSchG 1993 in der im Tatzeitpunkt geltenden Fassung".

Nach der Begründung habe die Z. GmbH, deren Geschäftsführer der Beschwerdeführer sei, im Jahre 1996 um die Erteilung der Bewilligung zur Errichtung eines Schiliftes und einer Schipiste angesucht. Im Rahmen einer mündlichen Verhandlung am 9. Juni 1996 sei das Projekt aus naturschutzrechtlicher Sicht "negativ bewertet" worden. Auf Grund der Vorschreibung von Ausgleichsmaßnahmen habe jedoch schließlich die Bewilligung zur Errichtung der Schipiste erteilt werden können. Die Erteilung der Bewilligung sei jedenfalls erst nach dem 22. Oktober 1996 erfolgt.

Am 22. Oktober 1996 habe der Bezirkshauptmann den zuständigen Sachbearbeiter P. beauftragt, beim Projekt Nachschau zu halten, da er erfahren habe, dass bereits Arbeiten zur Errichtung der Schipiste erfolgt seien. Der Sachbearbeiter habe noch am selben Tag festgestellt, dass auf der im Spruch genannten Parzelle mit der Errichtung einer Schipiste begonnen worden sei. Er habe die im Akt befindlichen Lichtbilder angefertigt und die Einstellung der Arbeiten veranlasst.

Im Rahmen einer mündlichen Verhandlung vor der belangten Behörde habe der als Zeuge vernommene Sachbearbeiter bezüglich einer allfälligen Einflussnahme des Bezirkshauptmannes auf das gegen den Beschwerdeführer eingeleitete Strafverfahren angegeben, dass der Bezirkshauptmann ihn (den Sachbearbeiter) nur aufgefordert habe, Nachschau zu halten. Er (der Sachbearbeiter) habe das Strafverfahren dann "aus eigenem Antrieb begonnen", da er dazu verpflichtet sei. Der Bezirkshauptmann habe keinen weiteren Einfluss auf das Strafverfahren, auch nicht auf die Höhe der verhängten Geldstrafe, genommen.

In rechtlicher Hinsicht vertrat die belangte Behörde dazu die Auffassung, es sei kein Grund ersichtlich, weshalb ein Organ einer BH, das einen bestimmten Sachverhalt feststelle, nicht auch das daran anschließende "Behördenverfahren" durchführen solle. Es seien auch keinerlei Anhaltspunkte aufgetaucht, die an der Unbefangenheit des Sachbearbeiters zweifeln ließen. Auch für eine Befangenheit des Bezirkshauptmannes fehlten konkrete Hinweise.

Nach den Ergebnissen des Ermittlungsverfahrens - so die weitere Begründung des angefochtenen Bescheides - sei davon auszugehen, dass zum Tatzeitpunkt auf der im Spruch genannten Parzelle drei verschiedene Maßnahmen gesetzt worden seien, obwohl zu diesem Zeitpunkt eine naturschutzrechtliche Bewilligung hiefür nicht vorgelegen sei: zum einen die Errichtung der Liftanlage, die Erweiterung eines Güterweges sowie die vom Beschwerdeführer selbst nicht bestrittene Errichtung der Piste. Eine genaue Differenzierung nach Quadratmetern würde die Anforderungen des § 44a VStG überspannen. Die Beschreibung der Maßnahmen im Straferkenntnis der Behörde erster Instanz werde von der belangten Behörde als jedenfalls so genau erachtet, dass eine Rechtswidrigkeit nicht bewirkt werden könne. Zu den angefertigten Lichtbildern sei festzuhalten, dass diese offensichtlich die Errichtung einer Piste zeigten. Diesbezüglich sei auch auf den Sachverstand des zuständigen Sachbearbeiters verweisen, der durchaus in der Lage sei, derartige Arbeiten von anderen zur selben Zeit in diesem Gebiet durchgeführten Maßnahmen zu unterscheiden. Bereits auf Grund der Tatsache, dass die Errichtung der Schipiste von der Z. GmbH beantragt worden sei, erweise sich das Vorbringen des Beschwerdeführers, es sei nicht schlüssig, dass diese GmbH die Arbeiten veranlasst habe, als unrichtig. Der Beschwerdeführer habe auch nicht vorgebracht, dass etwa eine unbekannte Person die Arbeiten veranlasst habe. Unbestritten sei jedenfalls der Vorwurf geblieben, dass mit der Errichtung der Piste ohne Bewilligung begonnen worden sei. Zu den vorgelegten Lichtbildern habe der Beschwerdeführer im Rahmen der von der belangten Behörde durchgeführten mündlichen Verhandlung nur anzugeben vermocht, dass daraus nicht ersichtlich sei, welche Maßnahmen nun tatsächlich dem Pistenbau zuzurechnen wären. Auch diesbezüglich sei auf den Sachverstand des Sachbearbeiters zu verweisen, der sich am Tatort befunden habe.

Ein Eingehen auf die vom Beschwerdeführer behauptete Notstandssituation erübrige sich schon deshalb, da die Nichterrichtung eines einzigen Liftes kaum zum Niedergang einer ganzen Schiregion bzw. zum Konkurs der Z. GmbH führen könnte. Im Übrigen müsste eine Gefahr wohl unmittelbar drohen, um einen Notstand zu bewirken, ein Umstand, der im Beschwerdefall zweifellos nicht gegeben gewesen sei.

Der Unrechtsgehalt der Tat sei als gravierend zu beurteilen, da die konsenslose Errichtung derartiger Anlagen eine nicht unbeträchtliche Beeinträchtigung des Landschaftsbildes darstelle. Die Höhe der Geldstrafe sei jedoch im "alleruntersten Bereich" des Strafrahmens, der bis S 200.000,-- reiche, festgesetzt worden.

Gegen diesen Bescheid hat der Beschwerdeführer zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof erhoben, der deren Behandlung mit Beschluss vom 7. Oktober 2002, B 1131/02, abgelehnt und mit einem weiteren Beschluss vom 17. Dezember 2002 dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten hat.

In der auftragsgemäß ergänzten Beschwerde vor dem Verwaltungsgerichtshof wird beantragt, den angefochtenen Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts, Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die belangte Behörde hat - trotz Hinweis auf § 38 Abs. 2 VwGG - weder die Verwaltungsakten vorgelegt noch eine Gegenschrift erstattet.

 

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 3 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Zu I.:

Art. 6 Abs. 1 EMRK bestimmt, dass jeder "Anspruch darauf

(hat), dass seine Sache ... innerhalb angemessener Frist gehört

wird, und zwar von einem ... Gericht, das über zivilrechtliche

Ansprüche und Verpflichtungen oder über die Stichhaltigkeit der gegen ihn erhobenen strafrechtlichen Anklage zu entscheiden hat".

Die Angemessenheit der Verfahrensdauer ist nach der Rechtsprechung des EGMR nicht abstrakt, sondern im Licht der besonderen Umstände jedes einzelnen Falles zu beurteilen. Die besonderen Umstände des Einzelfalles ergeben sich aus dem Verhältnis und der Wechselwirkung verschiedener Faktoren. Neben Faktoren, welche die Verfahrensdauer beeinflussen, nämlich die Schwierigkeit des Falles, das Verhalten des Beschwerdeführers und das Verhalten der staatlichen Behörden in dem bemängelten Verfahren, spielt die Bedeutung der Sache für den Beschwerdeführer als subjektives Element eine wichtige Rolle (vgl. etwa Miehsler/Vogler, Internationaler Kommentar zur EMRK, 1986, Rz 310 zu Art. 6 EMRK; EGMR 28.6.1978, König, EuGRZ 1978, 407 (417); 6.5.1981, Buchholz EuGRZ 1981, 490 (493); 13.7.1983, Zimmermann und Steiner, EuGRZ 1983, 483 (483)). Nicht die Verfahrensdauer schlechthin führt zu einer Verletzung, sondern nur eine Verzögerung, die auf die Versäumnisse staatlicher Organe zurückzuführen ist. Der Rechtsprechung des EGMR ist daher keine fixe Obergrenze für die Angemessenheit einer Verfahrensdauer zu entnehmen, ab deren Überschreitung jedenfalls eine Verletzung des Art. 6 Abs. 1 EMRK anzunehmen wäre. Aus der Gesamtschau der diesbezüglichen Rechtsprechung ergibt sich aber, dass Verfahren, die länger als fünf Jahre dauern, nur in seltenen Fällen als angemessen angesehen wurden (vgl. Thienel, ÖJZ 1993, 473; ferner das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 5. Dezember 2001, B 4/01 = VfSlg. 16.385).

In der Rechtsprechung des EGMR wird für den Beginn der Frist jener Zeitpunkt angenommen, "in which a person is charged", dh. sobald ein Beschuldigter durch offizielle Mitteilung oder auch in sonstiger Weise darüber in Kenntnis gesetzt ist, dass gegen ihn wegen des Verdachts, eine strafbare Handlung begangen zu haben, Ermittlungen mit dem Ziel strafrechtlicher Verfolgung durchgeführt werden und seine Lage dadurch in erheblicher Weise beeinträchtigt wird (vgl. dazu Frowein/Peukert, Europäische Menschenrechtskonvention: EMRK - Kommentar, 19962, Rz 138 zu Art. 6 EMRK).

Im vorliegenden Fall erlangte der Beschwerdeführer mit Zustellung der Aufforderung zur Rechtfertigung als Beschuldigter der BH erstmals offiziell Kenntnis von dem gegen ihn erhobenen Tatvorwurf. Die Aufforderung zur Rechtfertigung wurde dem Beschwerdeführer am 30. Dezember 1996 zugestellt; als Anfangszeitpunkt des Verfahrens ist daher dieser Tag anzunehmen.

Das Verfahren wurde in zweiter Instanz - nach mündlicher Verkündung der Berufungsentscheidung am 15. April 1999 - mit dem angefochtenen Bescheid vom 6. Mai 2002 abgeschlossen. Dieser Bescheid wurde dem Beschwerdeführer am 31. Mai 2002 zugestellt.

Die zu beurteilende Verfahrensdauer beträgt daher mehr als fünf Jahre und fünf Monate.

Es ist nicht ersichtlich, dass die Verfahrensverzögerung der Sphäre des Beschwerdeführers zuzurechnen ist. Da weder Art und Umfang des Sachverhalts noch die zu beurteilenden Rechtsfragen die Behandlung dieser Rechtssache ungewöhnlich komplex oder schwierig erscheinen lassen und sich im vorliegenden Verfahren auch keine weiteren besonderen Umstände ergeben haben, welche die Dauer des Verfahrens rechtfertigen könnten, ist die oben angeführte Dauer des Verfahrens - vor allem aber die Dauer bis zur Zustellung des angefochtenen Bescheides - nicht mehr als angemessen im Sinne des Art. 6 Abs. 1 EMRK zu qualifizieren.

Nach der Judikatur des Verfassungsgerichtshofes ist im Falle einer Überschreitung der nach Art. 6 Abs. 1 EMRK angemessenen Verfahrensdauer dieser Umstand in Anwendung des § 19 VStG in Verbindung mit § 34 Abs. 2 StGB als strafmildernd zu bewerten; andernfalls wäre das Gesetz bei der Strafbemessung in einer dem Art. 6 Abs. 1 EMRK widersprechenden Weise angewendet worden (vgl. etwa die Erkenntnisse vom 5. Dezember 2001, VfSlg. 16.385, vom 9. Juni 2006, B 3585/05 = VfSlg. 17.854, und vom 27. Februar 2007, B 1729/06; ferner auch das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 29. Jänner 2007, Zl. 2006/03/0155, mwH).

Die belangte Behörde hat somit das Gesetz bei der Strafbemessung in einer dem Art. 6 Abs. 1 EMRK widersprechenden Weise angewendet, weil sie die überlange Verfahrensdauer nicht festgestellt und strafmildernd bewertet hat (vgl. dazu aus jüngster Zeit auch das Urteil des EGMR vom 6. Mai 2008, Karg gg. Österreich, ÖJZ 2008/16 (MRK) 10).

Der angefochtene Bescheid war daher im Umfang des Strafausspruches gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Der Ausspruch über den Kostenersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.

zu II:

Gemäß Art. 131 Abs. 3 B-VG und § 33a VwGG kann der Verwaltungsgerichtshof die Behandlung einer Beschwerde gegen einen Bescheid eines unabhängigen Verwaltungssenates ablehnen, wenn die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen wird, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Die Beschwerde wirft hinsichtlich der Schuldfrage keine für die Entscheidung dieses Falles maßgeblichen Rechtsfragen auf, denen im Sinne der zitierten Bestimmungen grundsätzliche Bedeutung zukäme. Gesichtspunkte, die dessen ungeachtet gegen eine Ablehnung der Beschwerdebehandlung sprechen würden, liegen nicht vor.

Der Verwaltungsgerichtshof hat daher beschlossen, die Behandlung der Beschwerde insoweit abzulehnen.

Wien, am 3. November 2008

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