European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:1999:1997110044.X00
Spruch:
Die Bescheide werden wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 25.960,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu entrichten; das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid vom 5. Februar 1997 wurde der Beschwerdeführer als zur Vertretung nach außen berufener handelsrechtlicher Geschäftsführer einer näher bezeichneten Gesellschaft m.b.H. wegen eines Verstoßes gegen Art. 6 Abs. 1 der Verordnung (EWG) Nr. 3820/85, begangen am 16. Juli 1996, gemäß § 28 Abs. 1a Z. 4 AZG mit S 2.500,-- bestraft (Ersatzfreiheitsstrafe 1 Tag). Dagegen richtet sich die zu hg. Zl. 97/11/0044 protokollierte Beschwerde, in der der Beschwerdeführer Rechtswidrigkeit des Inhaltes des angefochtenen Bescheides geltend macht und dessen kostenpflichtige Aufhebung beantragt.
Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid vom 23. Jänner 1997 wurde der Beschwerdeführer wegen eines Verstoßes gegen Art. 8 Abs. 1 der vorhin genannten Verordnung, begangen am 4./5. Juli 1996, gemäß § 28 Abs. 1a Z. 2 AZG mit S 2.000,-- bestraft (Ersatzfreiheitsstrafe 24 Stunden). Dagegen richtet sich die zu Zl. 97/11/0095 protokollierte Beschwerde, in der der Beschwerdeführer Rechtswidrigkeit des Inhaltes des angefochtenen Bescheides geltend macht und dessen kostenpflichtige Aufhebung beantragt.
Die belangte Behörde hat jeweils die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in denen sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde begehrt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat (in einem nach § 12 Abs. 3 VwGG gebildeten Senat) die beiden Beschwerden wegen ihres persönlichen und sachlichen Zusammenhanges zur gemeinsamen Beratung und Beschlußfassung verbunden und über sie erwogen:
Strittig ist im Beschwerdefall allein, ob der Beschwerdeführer trotz Bestellung einer verantwortlichen Beauftragten für die Einhaltung der Arbeitnehmerschutzbestimmungen (der Frau O.) für die in Rede stehenden Übertretungen strafrechtlich verantwortlich ist. Der Beschwerdeführer verneint dies. Er geht davon aus, daß ab dem Einlangen der Mitteilung über die Bestellung der Frau O., einer Arbeitnehmerin mit entsprechender Anordnungsbefugnis, zur verantwortlichen Beauftragten im Sinne des § 9 Abs. 2 letzter Satz VStG und § 23 ArbIG beim zuständigen Arbeitsinspektorat am 1. August 1995 die Genannte allein die strafrechtliche Verantwortung für die gegenständlichen Verstöße getroffen habe. Mit ihrer Bestellung zur verantwortlichen Beauftragten sei die Vereinbarung vom 3. November 1994 betreffend seine Bestellung zum "verantwortlichen Beauftragten" (dem Arbeitsinspektorat mitgeteilt am 4. November 1994) aufgehoben worden.
Die belangte Behörde geht vom Vorliegen rechtsunwirksamer Bestellungen zu verantwortlichen Beauftragten aus. Zu den Tatzeiten seien der Beschwerdeführer und Frau O. als verantwortliche Beauftragte für die Einhaltung des Arbeitszeitgesetzes bestellt gewesen. Eine solche überlappende Bestellung habe nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (Erkenntnis vom 7. April 1995, Zl. 94/02/0470 = Slg. Nr. 14236/A) zur Folge, daß beide Bestellungen zu verantwortlichen Beauftragten unwirksam seien. Die strafrechtliche Verantwortung sei daher beim Beschwerdeführer als handelsrechtlichem Geschäftsführer der Gesellschaft verblieben.
Diese Auffassung kann nicht geteilt werden. Sie beruht auf einem unrichtigen Verständnis des Erkenntnisses Zl. 94/02/0470. Darin hat der Verwaltungsgerichtshof in Bezug auf zwei zu verantwortlichen Beauftragten bestellte und als solche dem zuständigen Arbeitsinspektorat gemäß § 23 Abs. 1 ArbIG bekanntgegebene Arbeitnehmer mit überlappenden Verantwortungsbereichen ausgeführt, im Falle des gewillkürten Abgehens von der Grundregel der kumulativen strafrechtlichen Verantwortlichkeit aller Vertretungsorgane (im Sinne des § 9 Abs. 1 VStG) durch Bestellung von verantwortlichen Beauftragten, die nicht auch Vertretungsorgane sind (§ 9 Abs. 2 letzter Satz VStG), dürfen deren Verantwortungsbereiche sich nicht überlappen; andernfalls wäre die Übertragung der strafrechtlichen Verantwortung nicht rechtswirksam (was zur Folge hat, daß sich in einem solchen Fall die strafrechtliche Verantwortung wiederum nach der Grundregel des § 9 Abs. 1 VStG bestimmt). Die Aussage dieses Erkenntnisses bezieht sich nach der Konstellation des damaligen Beschwerdefalles (Bestellung zweier Arbeitnehmer zu verantwortlichen Beauftragten) und der unter anderem auf § 23 ArbIG Bezug nehmenden Begründung auf den Fall der Bestellung von zwei (oder mehreren) verantwortlichen Beauftragten, die nicht Vertretungsorgane sind. Sie kann aber nicht auf den hier gegebenen Fall der Bestellung eines verantwortlichen Beauftragten (im Sinne des § 9 Abs. 2 letzter Satz VStG) durch einen verantwortlichen Beauftragten im Sinne des § 9 Abs. 2 erster Satz VStG (im folgenden als "verantwortliches Vertretungsorgan" bezeichnet) übertragen werden. Verantwortlicher Beauftragter und verantwortliches Vertretungsorgan unterscheiden sich wesentlich von einander:
Ersterer zählt nicht zum Kreis der Vertretungsorgane, ihn trifft daher keine strafrechtliche Verantwortlichkeit kraft Gesetzes. Seine strafrechtliche Verantwortlichkeit entsteht erst mit seiner rechtswirksamen Bestellung zum verantwortlichen Beauftragten durch ein Vertretungsorgan, sie kann immer nur Teilbereiche des Unternehmens umfassen und sie setzt im Anwendungsbereich des § 23 ArbIG überdies die vorgängige Mitteilung der Bestellung an das zuständige Arbeitsinspektorat voraus. Ein verantwortliches Vertretungsorgan ist hingegen als Vertretungsorgan ex lege, umfassend und kumulativ neben anderen Vertretungsorganen (also "überlappend") strafrechtlich verantwortlich. Seine Bestellung nach § 9 Abs. 2 erster Satz VStG läßt seine strafrechtliche Verantwortlichkeit als Vertretungsorgan unberührt, sie bewirkt nur (nach Maßgabe ihres Umfanges) den Entfall der strafrechtlichen Verantwortlichkeit der übrigen Vertretungsorgane bzw. deren Einschränkung auf den Fall vorsätzlicher Nichtverhinderung (§ 9 Abs. 6 VStG), ihre Wirksamkeit hängt nicht von der Mitteilung an das zuständige Arbeitsinspektorat ab. Einer solchen bedarf es hier nicht. § 23 ArbIG erfaßt nach seinem Sinn und Zweck (siehe dazu näher die Erläuterungen zur Regierungsvorlage 813 Blg. NR 18.GP, 31 ff) von vornherein nicht Vertretungsorgane im Sinne des § 9 Abs. 1 VStG. Bestellt nun ein verantwortliches Vertretungsorgan einen verantwortlichen Beauftragten, hat dies - wie bei der Bestellung verantwortlicher Beauftragter durch Vertretungsorgane überhaupt - zur Folge, daß sich die strafrechtliche Verantwortung des verantwortlichen Vertretungsorganes im Umfang der wirksamen Bestellung eines verantwortlichen Beauftragten auf den Fall vorsätzlicher Nichtverhinderung beschränkt. Von einem unzulässigen "Überlappen" der Verantwortungsbereiche kann in einem solchen Fall keine Rede sein. Die belangte Behörde (und offensichtlich auch der Beschwerdeführer, wie die verfehlte Mitteilung seiner Bestellung zum "verantwortlichen Beauftragten" an das Arbeitsinspektorat zeigt) hat insoweit die Rechtslage verkannt (offenbar infolge der legistischen Schwäche des Gesetzes, der Verwendung ein und desselben Ausdrucks für zwei unterschiedliche Rechtsinstitute). Ihr Standpunkt führte zu dem unhaltbaren Ergebnis, daß mit der Bestellung eines Vertretungsorganes zum verantwortlichen Vertretungsorgan (§ 9 Abs. 2 erster Satz VStG) diesem die Möglichkeit der Bestellung verantwortlicher Beauftragter im Sinne des § 9 Abs. 2 letzter Satz VStG genommen wäre.
Nach der unbestrittenen Feststellung der belangten Behörde besaß die Gesellschaft zu den Tatzeitpunkten zwei handelsrechtliche Geschäftsführer und damit zwei Vertretungsorgane im Sinne des § 9 Abs. 1 VStG (den Beschwerdeführer und den später verstorbenen Johann O - siehe den hg. Beschluß vom 18. Dezember 1997, Zlen. 97/11/0045, 0096). Die Bestellung des Beschwerdeführers zum "verantwortlichen Beauftragten" (verantwortliches Vertretungsorgan) mit 3. November 1994 und das Einlangen der Mitteilung hierüber beim Arbeitsinspektorat (am 4. November 1994) bewirkte nicht, daß der Beschwerdeführer verantwortlicher Beauftragter im Sinne des § 9 Abs. 2 letzter Satz VStG wurde. Damit stand aber seine strafrechtliche Verantwortlichkeit als Vertretungsorgan unter anderem für die Einhaltung der Arbeitszeitbestimmungen einer wirksamen Bestellung von Frau O. als verantwortlicher Beauftragter für diese Belange nicht nur nicht entgegen, sie war vielmehr notwendige Voraussetzung dafür (nur ein strafrechtlich verantwortliches Vertretungsorgan kann zu seiner Entlastung einen verantwortlichen Beauftragten bestellen).
Infolge des aufgezeigten Verkennens der Rechtslage waren die angefochtenen Bescheide gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes aufzuheben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Die Abweisung desMehrbegehrens betrifft den Ersatz von Stempelgebühren für jeweils drei Kopien
der angefochtenen Bescheide; zur gehörigen Rechtsverfolgung hätte die Vorlage je einer Kopie genügt.
Wien, am 9. Februar 1999
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