Normen
ABGB §365;
AVG §8;
AVG §9;
Behörden-ÜG §1 Abs1;
Behörden-ÜG §51 Abs1;
BundesbahnG 1969 §1;
EisbEG 1954 §17 Abs1;
EisbEG 1954 §18;
EisbEG 1954 §37;
EisbEG 1954 §4;
StGG Art5;
VerfGG 1953 §87 Abs2;
VwGG §34 Abs1;
VwGG §41 Abs1;
VwRallg;
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:1992:1990030003.X00
Spruch:
Der Berufung der Österreichischen Bundesbahnen gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Oberösterreich vom 3. August 1984, Zl. VerkR-3113/25-1983-III/Weg, wird nicht Folge gegeben.
Die namens der "Republik Österreich" gegen den genannten Bescheid erhobene Berufung wird zurückgewiesen.
Der Bund hat der beschwerdeführenden Partei Aufwendungen in der Höhe von S 11.120,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit "Enteignungs-Erkenntnis Nr. I" der Landeshauptmannschaft Oberdonau vom 21. Juni 1939, Zl. E/II-Zl.1240/5-1939, wurden u. a. mehrere im grundbücherlichen Eigentum des "Landes Oberösterreich" bzw. des "Erzherzogtums Österreich ob der Enns" stehende Grundstücke zugunsten des "Deutschen Reichsschatzes (Deutsche Reichsbahn)" enteignet, da sie "zum Baue des neuen Personenbahnhofes in Linz" notwendig seien.
Mit Schriftsatz vom 9. April 1981 beantragte die beschwerdeführende Partei beim Landeshauptmann von Oberösterreich die rückwirkende Aufhebung dieses Enteignungserkenntnisses wegen "Nichtverwirklichung des seinerzeitigen Enteignungszweckes".
Diesem Antrag gab der Landeshauptmann von Oberösterreich mit Bescheid vom 3. August 1984, Zl. VerkR-3113/25-1983-III/Weg, "betreffend die Grundstücke Nr. 275/2-276, jeweils vorgetragen gewesen in der EZ. 362 der KG. W sowie das Grundstück Nr. nn1, vorgetragen gewesen in der EZ 38 der KG W, gemäß § 37 Abs. 1 Eisenbahnenteignungsgesetz 1954 Folge" und hob "das
Enteignungserkenntnis I ... gemäß § 37 Abs. 3
Eisenbahnenteignungsgesetz 1954 im in obiger Präambel beschriebenen und in beiliegender Plankopie blau angezeichneten Umfang rückwirkend" auf.
Gegen diesen Bescheid erhoben die oben angeführten weiteren Parteien Berufung. Mit Bescheid der belangten Behörde vom 27. Februar 1987, Zl. EB 213.605/34-II/2-1987, wurde dieser Berufung Folge gegeben, der angefochtene Bescheid des Landeshauptmannes von Oberösterreich aufgehoben und der Antrag der beschwerdeführenden Partei vom 9. April 1981 als unzulässig zurückgewiesen.
Dieser Bescheid der belangten Behörde wurde vom Verfassungsgerichtshof auf Grund der dagegen von der beschwerdeführenden Partei erhobenen Beschwerde mit Erkenntnis vom 29. November 1988, B 348/87, wegen Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter aufgehoben. Das Erkenntnis langte am 30. Jänner 1989 bei der belangten Behörde ein.
Mit der am 29. Dezember 1989 zur Post gegebenen vorliegenden Säumnisbeschwerde macht die beschwerdeführende Partei geltend, daß die belangte Behörde ihre Entscheidungspflicht verletzt habe, weil sie bisher keinen Ersatzbescheid (über die Berufung der weiteren Parteien) erlassen habe.
Die Voraussetzungen für eine Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes in der Sache selbst sind gegeben.
Bei seiner Sachentscheidung ist der Verwaltungsgerichtshof gemäß § 87 Abs. 2 VfGG an die im angeführten Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes ausgesprochene Rechtsanschauung des Verfassungsgerichtshofes gebunden (vgl. das hg. Erkenntnis vom 15. Mai 1985, Zl. 81/03/0210). Da der Verfassungsgerichtshof dazu auf die Entscheidungsgründe seines Erkenntnisses vom 29. September 1988, B 347/87 verwiesen hat, erstreckt sich diese Bindung auch auf die dort zum Ausdruck gebrachte Rechtsanschauung.
Danach ist die Aufrechterhaltung einer einmal verfügten Enteignung verfassungsrechtlich unzulässig, wenn der öffentliche Zweck, zu dessen Verwirklichung das Gesetz eine Enteignungsmöglichkeit vorgesehen hat, tatsächlich nicht verwirklicht wird. Im Falle der Nichtverwirklichung des als Enteignungsgrund normierten öffentlichen Zweckes, "sei es, weil dieser Zweck überhaupt nicht, sei es, weil er nicht in dem ursprünglich beabsichtigten Umfang verwirklicht wird", muß die Verfügung der Enteignung durch Aufhebung des Enteignungsbescheides rückgängig gemacht werden. Die Rechtskraft dieses Bescheides steht einer solchen Aufhebung deshalb nicht im Wege, weil der Vorbehalt der Rückgängigmachung von der Rechtskraft umfaßt ist. Diese Verpflichtung zur Rückgängigmachung der Enteignung über Antrag des Enteigneten besteht auch außerhalb des und zusätzlich zum
- verfassungskonform auszulegenden - § 37 Eisenbahnenteignungsgesetz 1954. Ein Verfahren, das die Aufhebung des Enteignungsbescheides zum Gegenstand hat, muß mit denselben Parteien geführt werden. Ist inzwischen auf Seiten einer Partei oder beider Parteien Gesamtrechtsnachfolge eingetreten, treten die Gesamtrechtsnachfolger als Parteien ein. Zur Zeit der Erlassung des Enteignungserkenntnisses war Grundeigentümer der von der Enteignung erfaßten Grundstücke der Reichsgau Oberdonau, dessen Rechtsnachfolger die beschwerdeführende Partei ist.
Nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes ist als Rechtsnachfolger des durch die Enteignung berechtigten "Deutschen Reichsschatzes (Deutsche Reichsbahn)" zufolge des § 1 des Bundesbahngesetzes, BGBl. Nr. 137/1969, in Verbindung mit den §§ 1 Abs. 1 und 51 Abs. 1 des Behörden-Überleitungsgesetzes, StGBl. Nr. 94/1945, der Bund (Wirtschaftskörper "Österreichische Bundesbahnen") anzusehen. Bei den Österreichischen Bundesbahnen handelt es sich um einen unselbständigen Wirtschaftskörper des Bundes, der jedoch im verwaltungsbehördlichen Verfahren unter seiner "Firma" in den durch das Bundesbahngesetz gezogenen Grenzen, nämlich im Bereich aller Arten von Geschäften und Rechtshandlungen, die die Verwaltung und der Betrieb der Österreichischen Bundesbahnen mit sich bringen, parteifähig ist (vgl. das hg. Erkenntnis vom 10. Dezember 1991, Zl. 91/04/0092). In diesen Bereich fallen auch die mit der beantragten Aufhebung einer zugunsten der Bahn erfolgten Enteignung im Zusammenhang stehenden Rechtshandlungen.
Parteistellung im gegenständlichen Verwaltungsverfahren kommt somit einerseits dem Land Oberösterreich und andererseits den Österreichischen Bundesbahnen zu.
Da der "Republik Österreich" die Parteistellung mangelt, war die in deren Namen erhobene Berufung gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Oberösterreich gemäß § 66 Abs. 4 AVG iVm § 62 Abs. 2 VwGG als unzulässig zurückzuweisen.
Die Berufung der Österreichischen Bundesbahnen ist zwar zulässig, jedoch unbegründet:
Auch die berufungswerbende Partei bestreitet nicht, daß der im Enteignungserkenntnis als Enteignungsgrund angegebene öffentliche Zweck, nämlich die Errichtung des neuen Personenbahnhofes in Linz, nicht verwirklicht wird. Sie meint jedoch, daß die Aufhebung des Enteignungserkenntnisses unzulässig sei, weil während des Zweiten Weltkrieges bereits Gleisanlagen zum Zwecke der Errichtung des neuen Personenbahnhofes Linz gebaut und betrieben worden seien, welche allerdings nach Kriegsende wieder abgetragen worden seien. Dem ist entgegenzuhalten, daß nach der oben dargestellten, für den Verwaltungsgerichtshof bindenden Rechtsanschauung des Verfassungsgerichtshofes die die Verpflichtung zur Rückgängigmachung der Enteignung begründende Nichtverwirklichung des als Enteignungsgrund normierten öffentlichen Zweckes dann gegeben ist, wenn dieser überhaupt nicht oder nicht in dem ursprünglich beabsichtigten Ausmaß verwirklicht wird. Daß mit der Verlegung von Gleisen nicht die Errichtung eines neuen Personenbahnhofes verwirklicht wurde, liegt auf der Hand. Selbst wenn man - im Sinne des hg. Erkenntnisses vom 15. Mai 1985, Zl. 81/03/0210, - davon ausginge, daß der Enteignungszweck zumindest hinsichtlich jener Grundflächen verwirklicht worden sei, welche von dem für Zwecke der Errichtung des Personenbahnhofes Linz verlegten Gleis durchschnitten worden seien, ist für die berufungswerbende Partei nichts gewonnen: Da die im Verwaltungsverfahren vernommenen Zeugen E und F über den genaueren Verlauf dieses Gleises keine Angaben zu machen vermochten und sich der in dem von der berufungswerbenden Partei vorgelegten Grunderwerbsplan eingezeichnete Verlauf dieses Gleises nach der Äußerung der berufungswerbenden Partei vom 21. Mai 1992 seinerseits wieder nur auf die Aussagen dieser Zeugen stützt, sieht sich der Verwaltungsgerichtshof nicht in der Lage, verläßliche Feststellungen darüber zu treffen, über welche Grundstücke das Gleis tatsächlich geführt hatte. Bei dieser Sachlage bestand zu der von der berufungswerbenden Partei beantragten neuerlichen Vernehmung der Zeugen keine Veranlassung. Eine der Aufhebung des Enteignungserkenntnisses entgegenstehende Verwirklichung des Enteignungszweckes kann somit weder im Ganzen noch hinsichtlich bestimmter einzelner Grundstücke angenommen werden.
Ob die enteigneten Grundstücke für andere Zwecke der Bahn benötigt wurden oder werden und ob zusätzliche weitere Grundflächen (Restflächen enteigneter Grundflächen) von der Deutschen Reichsbahn ohne konkrete Zweckbindung gekauft wurden, ist aus der Sicht der Aufhebung einer Enteignung wegen Nichtverwirklichung des Enteignungszweckes ebenso unerheblich wie die Ergebnisse der "in Anwendung der Rückstellungsgesetzgebung" erfolgten Prüfungen. Auch die Übertragung von im Wege der Enteignung zur Verfügung gestellten deutschen Vermögenswerten auf die Republik Österreich durch den Staatsvertrag vom 15. Mai 1955, BGBl. Nr. 152/1955, ändert nach der im angeführten Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes bindend zum Ausdruck gebrachten Rechtsanschauung nichts an der Verpflichtung zur Rückgängigmachung der Enteignung im Falle der Nichtverwirklichung des Enteignungszweckes.
Der berufungswerbenden Partei kann auch nicht gefolgt werden, wenn sie sich darauf beruft, daß durch Vereinbarungen zwischen der Deutschen Reichsbahn und dem Reichsgau Oberdonau, die nach Erlassung des Enteignungserkenntnisses geschlossen wurden, "eine derartige Modifikation der Rechtsgrundlage des Übertragungsaktes eingetreten (ist), daß die Sache ausschließlich nach ZIVILRECHTLICHEN Aspekten zu beurteilen ist". Der in einem Enteignungsbescheid ausgesprochene öffentliche Zweck der Enteignung ist nämlich zufolge des hoheitlichen Charakters des Verwaltungsaktes einer nachträglichen Modifikation durch die Parteien des seinerzeitigen Enteignungsverfahrens nicht zugänglich. Den von der berufungswerbenden Partei zitierten Vereinbarungen zufolge habe sich die Deutsche Reichsbahn bereit erklärt, dem Reichsgau Oberdonau bestimmte Grundstücke, "so wie sie derzeit landwirtschaftlich genützt werden, solange gegen einen Jahrespachtschilling von 1,-- Reichspfennig/m2 zu überlassen, bis sie die Flächen selbst zum Bau des Neuen Personenbahnhofes
ODER FÜR SONSTIGE EIGENE ZWECKE (Z.B. AUFSTELLUNG VON ARBEITERLAGERN ODER ALS ERSATZLAND FÜR ANDERE ENTEIGNETE) BENÖTIGT". Diese Vereinbarung erschöpft sich inhaltlich in der Begründung eines Pachtverhältnisses, subjektive öffentliche Rechte der Parteien, insbesondere das Recht des Enteigneten auf Geltendmachung der Aufhebung der Enteignung wegen Nichtverwirklichung des Enteignungszweckes, werden dadurch nicht berührt. Dies gilt auch für den im Wege einer vertraglichen "Ausdehnung der Enteignung" auf Restflächen enteigneter Grundflächen zustande gekommenen Erwerb weiterer, vom Aufhebungsantrag der beschwerdeführenden Partei nicht erfaßter Grundflächen durch die Deutsche Reichsbahn. Der Art der grundbücherlichen Durchführung der Transaktionen kommt für die hier maßgeblichen Fragen gleichfalls keine Bedeutung zu.
Soweit die berufungswerbende Partei unter Hinweis auf § 37 Abs. 1 Eisenbahnenteignungsgesetz 1954 dazutun versucht, daß ein Aufhebungsbegehren nicht mehr zulässig sei, "wenn die Entschädigung durch Vergleich festgestellt wurde," übersieht sie, daß nach der bindenden Rechtsanschauung des Verfassungsgerichtshofes im angeführten Erkenntnis die Verpflichtung zur Rückgängigmachung der Enteignung wegen Nichtverwirklichung des Enteignungszweckes auch außerhalb und zusätzlich zu § 37 leg. cit. besteht, sodaß die dort normierten Zulässigkeitskriterien hier nicht anwendbar sind.
Zusammenfassend ergibt sich somit, daß der Landeshauptmann das Enteignungserkenntnis zu Recht wegen Nichtverwirklichung des Enteignungszweckes aufgehoben hat. Die gegen dessen Bescheid erhobene Berufung der Österreichischen Bundesbahnen war daher gemäß § 66 Abs. 4 AVG iVm § 62 Abs. 2 VwGG abzuweisen.
Ergänzend sei bemerkt, daß der Verwaltungsgerichtshof nicht zu erkennen vermag, daß - wie die berufungswerbende Partei meint - die Entscheidung über den Aufhebungsantrag der beschwerdeführenden Partei ohne jede praktische Wirkung sei, "da seitens der mitbeteiligten Parteien Erwerb kraft guten Glaubens vorliegt, die Eigentümerposition der mitbeteiligten Parteien nach den Bestimmungen über die Löschungsklage unangreifbar ist und überdies hinsichtlich der in Rede stehenden Grundflächen jedenfalls auch schon die Ersitzung Platz gegriffen hat". Fragen dieser Art sind nicht im vorliegenden Verwaltungsverfahren, sondern in allfälligen Verfahren vor den ordentlichen Gerichten zu prüfen. Solchen Verfahren bleibt auch die Lösung der Frage vorbehalten, ob sich aus der Aufhebung des Enteignungserkenntnisses - mittelbar - Rechtswirkungen auf die Rechtsstellung allfälliger Einzelrechtsnachfolger des Enteigners ergeben (vgl. etwa F. Bydlinski, JBl. 1972, 135). Solche Personen sind, da ihre Rechtssphäre auf Grund der anzuwendenden Verwaltungsvorschriften jedenfalls nicht unmittelbar berührt wird, - entgegen VfSlg. 8981 - im Verfahren betreffend die Aufhebung des Enteignungserkenntnisses nicht Parteien im Sinne des § 8 AVG (vgl. zur Frage der Parteistellung auf Grund Berührung der Privatrechtssphäre Antoniolli-Koja,
Allg. Verwaltungsrecht2, 275).
Bei Säumnisbeschwerden ist § 39 Abs. 1 VwGG nicht
anzuwenden.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.
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