VwGH 88/18/0104

VwGH88/18/01047.9.1988

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Präsident Dr. Petrik und die Hofräte Dr. Pichler und Dr. Domittner als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Böhler, über die Beschwerde des AP in L, vertreten durch Dr. Karl Puchmayr, Rechtsanwalt in Linz, Friedhofstraße 6, gegen den Bescheid der oberösterreichischen Landesregierung vom 9. März 1988, Zl. VerkR- 7079/1-1988-II/Ja, betreffend Zurückweisung eines Antrages auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in einer Strafsache nach der Straßenverkehrsordnung 1960, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §19 Abs2;
AVG §47 Abs1;
AVG §71 Abs1;
AVG §71 Abs2;
ZPO §292 Abs1;
AVG §19 Abs2;
AVG §47 Abs1;
AVG §71 Abs1;
AVG §71 Abs2;
ZPO §292 Abs1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Oberösterreich hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 9.690,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Strafverfügung der Bundespolizeidirektion Linz vom 30. September 1987 war dem Beschwerdeführer eine Übertretung des § 38 Abs. 5 in Verbindung mit § 38 Abs. 1 lit. a der Straßenverkehrsordnung 1960 zum Vorwurf gemacht worden; es wurde eine Geldstrafe von S 1.900,-- (Ersatzarreststrafe 72 Stunden) verhängt. Die Strafverfügung wurde dem Beschwerdeführer durch Hinterlegung zugestellt; die Abholfrist begann am 13. Oktober 1987.

Mit Schriftsatz vom 19. November 1987, Postaufgabe vom gleichen Tag, stellte der Beschwerdeführer einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Einspruchsfrist gegen die obgenannte Strafverfügung. Er brachte vor, er habe am 6. November 1987 eine Mahnung wegen Bezahlung einer Geldleistung von insgesamt S 1.900,-- zur oben bezeichneten Zahl (das war die Aktenzahl der Strafverfügung) erhalten, aus welcher Mahnung eine Strafverfügung vom 30. September 1987 zu resultieren scheine. Er habe durch dieses Schreiben erstmals vom gegenständlichen Verwaltungsstrafverfahren Kenntnis erhalten. Offensichtlich sei ein Rückscheinbrief hinterlegt worden, der von ihm nicht behoben worden sei. Er habe weder von der Zustellung noch von einer Hinterlegung jemals Kenntnis erlangt, obwohl er nicht ortsabwesend gewesen sei. Daher müsse die Verständigung von der Hinterlegung von dritter Seite entfernt worden sein. Dies stelle ein Ereignis im Sinne des § 71 Abs. 1 lit. a AVG 1950 dar, weshalb Wiedereinsetzung in den vorigen Stand unter gleichzeitiger Nachholung der versäumten Handlung (Einspruch) begehrt werde. Der Briefträger und der Beschwerdeführer mögen vernommen werden.

Mit Bescheid vom 26. Jänner 1988 bewilligte die Bundespolizeidirektion Linz den Wiedereinsetzungsantrag nicht aus zwei Gründen: Erstens habe gemäß § 17 Abs. 4 ZustellG die Beschädigung oder Entfernung der schriftlichen Verständigung keinen Einfluß auf die Wirksamkeit der Zustellung, zweitens sei der Wiedereinsetzungsantrag nicht innerhalb der einwöchigen Frist des § 71 Abs. 2 AVG 1950 gestellt worden.

Über Berufung des Beschwerdeführers gegen diesen Bescheid sprach die oberösterreichische Landesregierung mit Bescheid vom 9. März 1988 aus, der Berufung werde gemäß § 66 Abs. 4 AVG 1950 (§ 24 VStG 1950) keine Folge gegeben und der erstinstanzliche Bescheid mit der Maßgabe bestätigt, daß der Spruch zu lauten habe:

"Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand vom 19. November 1987 wird gemäß § 71 Abs. 2 AVG 1950 in Verbindung mit § 24 VStG 1950 als verspätet eingebracht zurückgewiesen."

In der Begründung wurde ausgesprochen, der Beschwerdeführer habe nach eigenem Vorbringen durch das am 6. November 1987 zugestellte Schreiben Kenntnis vom gegenständlichen Verwaltungsstrafverfahren erlangt. Daher sei die Frist von diesem Tag an gelaufen; der Wiedereinsetzungsantrag sei erst am 19. November 1987, somit verspätet, eingebracht worden.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts und wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 71 Abs. 2 AVG 1950 muß der Antrag auf Wiedereinsetzung binnen einer Woche nach Aufhören des Hindernisses gestellt werden.

Die Rechtsansicht der belangten Behörde, die Zustellung einer Mahnung, die Geldstrafe zu bezahlen, am 6. November 1987 sei dem Aufhören des Hindernisses gleichzusetzen, ist unrichtig. Dia bloße Kenntnis der Tatsache, daß ein Verwaltungsstrafverfahren gegen den Beschwerdeführer laufe und daß allenfalls am 30. September 1987 eine Strafverfügung gegen ihn erlassen worden sei, ist nicht gleichzusetzen der Kenntnis der Tatsache, daß die Hinterlegung dieser Strafverfügung zwar ordnungsgemäß erfolgt, die Verständigung von der Hinterlegung jedoch von dritter Seite beschädigt oder entfernt worden sei. Der Verwaltungsgerichtshof hat im Erkenntnis vom 7. November 1986, Zl. 86/18/0198, ausgesprochen, die bloße Kenntnis von einer Ladung, in der als Gegenstand angegeben war "Strafverfügung vom 29. Mai 1985, Zustellung durch Hinterlegung am 10.6.1985, behoben am 12.6.1985, Einspruch vom 4.7.1985, laut Poststempel, daher verspätet", sei ihrem Inhalt nach weder eine amtliche Verfügung oder Erklärung noch eine Bezeugung einer Tatsache im Sinne der §§ 47 Abs. 1 AVG 1950, 292 Abs. 1 ZPO. Es liege darin aber auch keine Bestätigung von Tatsachen oder Rechtsverhältnissen. Es gebe keine Verwaltungsvorschrift, nach der dem von der Behörde bekanntgegebenen "Gegenstand der Vorladung" ein solcher Wahrheitswert zukäme, daß er die Akteneinsicht ersetzte. Das Hindernis sei demnach nicht mit der Zustellung des Ladungsbescheides, sondern erst mit der mit dem Vertreter des dortigen Beschwerdeführers aufgenommenen Niederschrift, bei welcher Gelegenheit auch Akteneinsicht genommen worden sei, weggefallen.

In ähnlicher Weise ist der vorliegende Fall dahin zu beurteilen, daß der bloße Eingang einer Mahnung wegen Bezahlung der Geldstrafe dem Beschwerdeführer noch nicht jene Umstände zur Kenntnis bringen mußte, die Anlaß für seinen Wiedereinsetzungsantrag waren.

Die Zurückweisung des Wiedereinsetzungsantrages als verspätet erfolgte somit zu Unrecht, weshalb der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben war.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers vom 30. Mai 1985, BGBl. Nr. 243.

Wien, am 7. September 1988

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