VwGH 86/18/0198

VwGH86/18/01987.11.1986

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsident Dr. Petrik und die Hofräte Dr. Pichler und Dr. Domittner als Richter, im Beisein des Schriftführers Kommissär Dr. Renner, über die Beschwerde des GR in Wien, vertreten durch Dr. Wilhelm Klade, Rechtsanwalt in Wien I, Spiegelgasse 2, gegen den Bescheid der Wiener Landesregierung vom 12. Mai 1986, Zl. MA 70-11/638/86/Str, betreffend Zurückweisung eines Antrages auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und Zurückweisung eines Einspruches in einer Verwaltungsstrafsache wegen Übertretung der Straßenverkehrsordnung 1960, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §19 Abs2;
AVG §47 Abs1;
AVG §71 Abs2;
AVG §71 Abs6;
AVG §72 Abs1;
ZPO §292 Abs1;
AVG §19 Abs2;
AVG §47 Abs1;
AVG §71 Abs2;
AVG §71 Abs6;
AVG §72 Abs1;
ZPO §292 Abs1;

 

Spruch:

Der Spruchteil I des angefochtenen Bescheides wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Im übrigen wird die Beschwerde als unbegründet

abgewiesen.

Die Bundeshauptstadt (Land) Wien hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 9.550,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit Strafverfügung der Bundespolizeidirektion Wien - Bezirkspolizeikommissariat Favoriten - vom 29. Mai 1985 wurde der Beschwerdeführer der Verwaltungsübertretung nach "§ 99 Abs. 2 lit. a StVO in Verbindung mit § 7 VStG und § 4 Abs. 1 lit. c StVO" schuldig erkannt und zu einer Geld- und Ersatzarreststrafe verurteilt. Die Strafverfügung wurde dem Beschwerdeführer durch Hinterlegung am Freitag, dem 7. Juni 1985 zugestellt; als Beginn der Abholfrist wurde Montag, der 10. Juni 1985 angegeben. Der Beschwerdeführer, nunmehr rechtsanwaltlich vertreten, erhob mit Postaufgabedatum vom 4. Juli 1985 dagegen Einspruch. Die Erstbehörde erließ unter dem Datum des 16. Jänner 1986 an den Beschwerdeführer zu Handen seines Rechtsanwaltes einen Ladungsbescheid für 30. Jänner 1986, 9.50 Uhr. Als Gegenstand der Ladung wurde angegeben:

"Strafverfügung vom 29.5.1985, Zustellung durch Hinterlegung am 10.6.1985, behoben am 12.6.1985, Einspruch vom 4.7.1985 laut Poststempel, daher verspätet."

Ladungsgemäß erschien am 30. Jänner 1986 ein Angestellter des Rechtsanwaltes des Beschwerdeführers bei der Erstbehörde und sagte zu, binnen einer Woche eine Stellungnahme zu erstatten. Mit Postaufgabedatum vom 31. Jänner 1986 stellte der Beschwerdeführer durch seinen Rechtsanwalt den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Einspruchsfrist und wiederholte seinen bereits einmal erhobenen Einspruch. Die Versäumung sei durch das Versehen der Kanzleiangestellten US erklärlich, welche aus Irrtum das Zustelldatum der Strafverfügung mit 21. Juni 1985 vorgemerkt habe. Dadurch sei es zur verspäteten Erhebung des Einspruches gekommen. Das Hindernis sei nunmehr nach Entdeckung des Irrtums durch den Rechtsvertreter weggefallen.

Mit Bescheid vom 18. Februar 1986 wies die Erstbehörde den Einspruch gegen die Strafverfügung wegen entschiedener Sache als verspätet zurück und gab dem Wiedereinsetzungsantrag nicht statt. Letzteres wurde damit begründet, daß ein Verschulden des Rechtsanwaltes die Bewilligung der Wiedereinsetzung ausschließe und der Rechtsanwalt zumindest die ihm zumutbare und nach der Sachlage gebotene Überwachungspflicht hinsichtlich seiner Kanzleiangestellten S vernachlässigt habe. Auch aus dem Datum der Vollmachtsurkunde "1. Juli 1985" ergebe sich, daß der Beschwerdeführer erst zu dieser Zeit in der Kanzlei des Rechtsanwaltes vorgesprochen habe, zu einer Zeit also, als die Einspruchsfrist längst abgelaufen gewesen sei. Dies habe dem Rechtsanwalt bereits am 1. Juli 1985 klar sein müssen, weshalb auch die Frist für die Einbringung des Wiedereinsetzungsantrages versäumt worden sei.

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Berufung mit dem Antrag, ihm die Wiedereinsetzung zu bewilligen und den Einspruch als rechtzeitig erhoben anzusehen.

Mit Berufungsbescheid vom 12. Mai 1986 entschied die Wiener Landesregierung wie folgt:

Unter I. bestätigte sie den erstinstanzlichen Ausspruch hinsichtlich des Wiedereinsetzungsantrages mit der Maßgabe, daß der Wiedereinsetzungsantrag gemäß § 71 Abs. 2 AVG 1950 als verspätet zurückgewiesen werde. In Punkt II. ihres Spruches wurde der Einspruch des Beschwerdeführers gegen die Strafverfügung vom 29. Mai 1985 gemäß § 49 Abs. 1 VStG 1950 als verspätet zurückgewiesen. In der Begründung zum Spruchteil I. führte die Behörde aus, daß dem Rechtsvertreter des Beschwerdeführers bereits auf Grund des Ladungsbescheides vom 16. Jänner 1986, zugestellt am 17. Jänner 1986, die Verspätung des Einspruches zur Kenntnis gebracht wurde. Somit sei das Hindernis im Sinne des § 71 Abs. 2 AVG 1950 mit 17. Jänner 1986 weggefallen, die Frist von einer Woche habe daher am 24. Jänner 1986 geendet, weshalb der erst am 31. Jänner 1986 zur Post gegebene Wiedereinsetzungsantrag verspätet sei. Daher sei er als verspätet zurückzuweisen gewesen.

Zum Spruchteil II. wurde begründet, daß die Einspruchsfrist am 10. Juni 1985 begonnen und am 24. Juni 1985 geendet habe. Der am 4. Juli 1985 zur Post gegebene Einspruch sei daher als verspätet zurückzuweisen gewesen.

Gegen diesen Bescheid, und zwar nach der Beschwerdeerklärung und nach dem Beschwerdeantrag gegen den gesamten Bescheid, richtet sich die vorliegende, wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften und wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts erhobene Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Zu I des Bescheidspruches:

Gemäß § 71 Abs. 2 AVG 1950 (§ 24 VStG 1950) muß der Antrag auf Wiedereinsetzung binnen einer Woche nach Aufhören des Hindernisses gestellt werden.

Die Ansicht der belangten Behörde, durch die Zustellung des Ladungsbescheides vom 16. Jänner 1986 sei das Hindernis im Sinne des § 71 Abs. 2 AVG 1950 weggefallen, ist rechtsirrig. Die oben zitierte Mitteilung über den Gegenstand der Vorladung ist ihrem Inhalte nach weder eine amtliche Verfügung oder Erklärung noch eine Bezeugung einer Tatsache im Sinne der §§ 47 Abs. 1 AVG 1950, 292 Abs. 1 ZPO. Es liegt darin aber auch keine Bestätigung von Tatsachen oder Rechtsverhältnissen, wie sie die Verwaltungsvorschriften an verschiedenen Stellen vorsehen, z. B. die Bestätigung nach § 57 Abs. 3, letzter Satz AVG 1950 oder die bei Mannlicher-Quell, Das Verwaltungsverfahren 8, Seite 294 unten, 295 oben genannten Fälle. Es gibt keine Verwaltungsvorschrift, nach der dem von der Behörde bekanntgegebenen "Gegenstand der Vorladung" ein solcher Wahrheitswert zukäme, daß er die Akteneinsicht ersetzte. Das Hindernis im oben genannten Sinn ist somit nicht mit 17. Jänner, sondern erst mit der Niederschrift mit dem Vertreter des Beschwerdeführers am 30. Jänner 1986 weggefallen, weshalb der am 31. Jänner 1986 zur Post gegebene Wiedereinsetzungsantrag rechtzeitig war. Die belangte Behörde hat sich daher zu Unrecht mit der meritorischen Frage, ob der Wiedereinsetzungsgrund glaubhaft gemacht sei und in rechtlicher Hinsicht auch vorliege, nicht auseinandergesetzt.

Daher war ihr Bescheid in seinem Spruchteil I wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Zum Spruchteil II:

Die Zurückweisung des Einspruches als verspätet war rechtmäßig, weil dem Wiedereinsetzungsantrag von Gesetzes wegen keine aufschiebende Wirkung zukommt und die Behörde von der Möglichkeit des § 71 Abs. 6 AVG 1950 nicht Gebrauch gemacht hat. Sollte in Zukunft dem Wiedereinsetzungsantrag stattgegeben werden, so würde das Verfahren gemäß § 72 Abs. 1 AVG 1950 in die Lage zurücktreten, in der es sich vor dem Eintritt der Versäumung befunden hat, ohne daß es einer förmlichen Aufhebung des den Einspruch zurückweisenden Bescheides bedürfte (vgl. Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 23. Oktober 1986, Zl. 85/02/0251).

Die Beschwerde gegen diesen Teil des Bescheidspruches war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff, insbesondere 50 VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers vom 30. Mai 1985, BGBl. Nr. 243. Das Mehrbegehren war aus folgenden Gründen abzuweisen: Die Umsatzsteuer ist im Pauschalbetrag für den Schriftsatzaufwand bereits enthalten. An Stempelgebühren waren nur zuzusprechen zweimal S 120,-- für die in zweifacher Ausfertigung erforderliche Beschwerde, S 10,-- Gerichtskostenmarken für die Beglaubigung der bloß in Fotokopie vorgelegten und früher bereits anderweitig verwendeten Vollmachtsurkunde, S 30,-- für den aus einem Bogen bestehenden angefochtenen Bescheid.

Wien, am 7. November 1986

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