Normen
AVG §13 Abs3;
AVG §66 Abs4;
AVG §69 Abs2;
ZustG §13 Abs4;
ZustG §17;
ZustG §21;
AVG §13 Abs3;
AVG §66 Abs4;
AVG §69 Abs2;
ZustG §13 Abs4;
ZustG §17;
ZustG §21;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 9.780,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen; das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Der Beschwerdeführer beantragte nach der Aktenlage mit seiner mit 10. August 1987 datierten und am selben Tag zur Post gegebenen Eingabe an die Bezirkshauptmannschaft Braunau am Inn die Wiederaufnahme des mit Bescheid dieser Behörde vom 12. September 1984 abgeschlossenen Verfahrens betreffend Entziehung seiner Lenkerberechtigung und Verbot des Lenkens von Motorfahrrädern. Er machte in seinem Antrag den Wiederaufnahmsgrund des § 69 Abs. 1 lit. c AVG 1950 geltend und führte dazu aus, mit Bescheid der O.Ö. Landesregierung vom 30. Juni 1987 - der Kanzlei seines Rechtsvertreters zugestellt am 24. Juli 1987 - sei das Strafverfahren über den dem genannten Entziehungsbescheid zugrundeliegenden Vorfall eingestellt worden. Die Kanzlei des Rechtsvertreters habe eine Kopie des Bescheides dem Beschwerdeführer am 24. Juli 1987 übersendet; er könne somit frühestens am 27. Juli 1987 von diesem Bescheid Kenntnis erlangt haben. Sein Rechtsvertreter habe sich vom 24. Juli 1987 bis 7. August 1987 auf Urlaub befunden und erst am 8. August 1987 von dem Bescheid Kenntnis erlangt.
Der Wiederaufnahmsantrag wurde mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Braunau am Inn vom 14. August 1987 gemäß § 69 Abs. 2 AVG 1950 zurückgewiesen; die Berufung gegen diesen Bescheid wurde mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid abgewiesen.
In seiner dagegen erhobenen Beschwerde macht der Beschwerdeführer Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend; er beantragt die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides. Die belangte Behörde hat eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1. Die belangte Behörde begründet den angefochtenen Bescheid zunächst (wie schon die Erstbehörde) damit, daß der Bescheid der O.Ö. Landesregierung vom 30. Juni 1987 dem im Verwaltungsstrafverfahren ausgewiesenen Rechtsvertreter des Beschwerdeführers am 24. Juli 1987 zugestellt worden sei. Damit habe der Beschwerdeführer Kenntnis von der Einstellung des gegen ihn geführten Verwaltungsstrafverfahrens (wegen Übertretungen nach § 5 Abs. 1 und 97 Abs. 5 StVO 1960) gemäß § 45 Abs. 1 lit. c VStG 1950 erlangt. Der Wiederaufnahmsantrag hätte daher bis spätestens 7. August 1987 gestellt werden müssen. Er sei jedoch erst am 10. August 1987 eingebracht worden.
Der Beschwerdeführer vertritt demgegenüber die Auffassung, maßgebend sei nach dem Gesetz nicht die Zustellung, sondern die tatsächliche Kenntniserlangung vom Wiederaufnahmsgrund. Er ist damit im Recht.
Gemäß § 69 Abs. 2 AVG 1950 ist der Antrag auf Wiederaufnahme binnen zwei Wochen von dem Zeitpunkt an, in dem der Antragsteller nachweislich von dem Wiederaufnahmsgrunde Kenntnis erlangt hat, jedoch spätestens binnen drei Jahren nach der Zustellung oder mündlichen Verkündung des Bescheides bei der Behörde einzubringen, die den Bescheid in erster Instanz erlassen hat.
Nach dem unmißverständlichen Wortlaut knüpft das Gesetz nur den Beginn der "objektiven" Wiederaufnahmsfrist von drei Jahren an den Zeitpunkt der Bescheiderlassung, den Beginn der "subjektiven" zweiwöchigen Frist hingegen an den Zeitpunkt der Kenntniserlangung vom Wiederaufnahmsgrund. Diesen Zeitpunkt mit jenem der Zustellung bzw. Verkündung eines Bescheides schlechthin gleichzusetzen, verbietet sich schon wegen der unterschiedlichen Diktion des Gesetzes. Zwar wird in dem Falle, daß der Wiederaufnahmsgrund sich aus einem Bescheid ergibt, grundsätzlich dessen Zustellung bzw. Verkündung der Kenntniserlangung vom Wiederaufnahmsgrund gleichzusetzen sein. Dies muß allerdings, wie gerade der vorliegende Fall zeigt, nicht ausnahmslos zutreffen. Sollte daher der Rechtsvertreter des Beschwerdeführers tatsächlich bereits am 24. Juli 1987 seinen (Auslands‑)Urlaub angetreten haben - ob dies der Fall war, hat die belangte Behörde infolge ihrer unzutreffenden Rechtsansicht nicht geprüft -, so wäre die Annahme, er (und damit auch der Beschwerdeführer) habe mit diesem Tag Kenntnis vom Wiederaufnahmsgrund erlangt und es habe daher die zweiwöchige Wiederaufnahmsfrist bereits mit 7. August 1987 geendet, nicht berechtigt.
In diesem Zusammenhang ist allerdings der belangten Behörde darin beizupflichten, daß der Bescheid der O.Ö. Landesregierung vom 30. Juni 1987 am 24. Juli 1987 rechtswirksam zugestellt wurde. Bei seiner gegenteiligen Meinung übersieht der Beschwerdeführer offenbar, daß nach der für den Fall, daß der Empfänger eine zur berufsmäßigen Parteienvertretung befugte Person ist, geltenden (Sonder)Bestimmung des § 13 Abs. 4 des Zustellgesetzes die Sendung in deren Kanzlei zuzustellen ist und an jeden dort anwesenden Angestellten des Parteienvertreters zugestellt werden darf. Entsprechend dieser Bestimmung wurde der Bescheid der O.Ö. Landesregierung vom 30. Juni 1987 in der Kanzlei des Beschwerdevertreters (laut Rückschein)von einem Angestellten des Beschwerdevertreters übernommen. Auf das Vorliegen einer "Zustellvollmacht" stellt § 13 Abs. 4 des Zustellgesetzes nicht ab. Die in dieser Bestimmung genannten "Angestellten des Parteienvertreters" sind keine Ersatzempfänger; an sie dürfen daher auch solche Sendungen zugestellt werden, bezüglich derer eigenhändige Zustellung angeordnet ist (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 21. Oktober 1986, Zlen. 86/07/0135,0136). Daß die Sendung von einem Angestellten übernommen wurde, der zufolge einer schriftlichen Mitteilung an die Post von der Entgegennahme von Sendungen ausgeschlossen gewesen wäre, hat der Beschwerdeführer nie behauptet. Im Hinblick auf die Sonderregelung des § 13 Abs. 4 des Zustellgesetzes ist es für die Wirksamkeit der Zustellung des Bescheides vom 30. Juni 1987 ohne Belang, ob der Beschwerdevertreter tatsächlich bereits am 24. Juli 1987 seinen Auslandsurlaub angetreten hat. Die besagte Sonderregelung läßt (im Umfang ihres Anwendungsbereiches) auch keinen Raum für die Anwendung des § 17 des Zustellgesetzes. Sie käme nur in dem Fall zum Tragen, daß entweder in der Kanzlei kein Angestellter vorhanden ist oder nur ein solcher, der gemäß § 13 Abs. 4 zweiter Halbsatz des Zustellgesetzes von der Entgegennahme von Postsendungen ausgeschlossen ist (vgl. sinngemäß den Beschluß des Verwaltungsgerichtshofes vom 8. November 1983, Zlen. 83/14/0207,0208).
2. Der Verwaltungsgerichtshof vermag auch der weiteren Begründung des angefochtenen Bescheides, der Wiederaufnahmsantrag entbehre einer konkreten Angabe über den Zeitpunkt der Kenntniserlangung vom Wiederaufnahmsgrund und es könne auch deshalb dem Antrag gemäß § 69 Abs. 2 AVG 1950 nicht stattgegeben werden, nicht beizupflichten. Richtig ist zwar, daß nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes der Wiederaufnahmswerber die Beweislast für die Rechtzeitigkeit seines Wiederaufnahmsantrages trägt und er schon im Antrag (datumsmäßig) genau angeben muß, wann er von dem Vorhandensein des Wiederaufnahmsgrundes Kenntnis erlangt hat, wobei das Fehlen der Angabe des genannten Zeitpunktes im Wiederaufnahmsantrag kein bloßes Formgebrechen im Sinne des § 13 Abs. 3 AVG 1950 darstellt (vgl. die Erkenntnisse vom 8. November 1985, Zl. 85/18/0324, und vom 5. November 1986, Zl. 86/11/0073). Entgegen der Meinung der belangten Behörde genügt aber dem dargestellten Erfordernis die Angabe im Wiederaufnahmsantrag des Beschwerdeführers, er habe frühestens am 27. Juli 1987 (Montag) Kenntnis vom Wiederaufnahmsgrund erlangen können, in Verbindung mit dem Vorbringen, von der Kanzlei seines Vertreters sei am 24. Juli 1987 (Freitag) eine Kopie des Bescheides an ihn übersandt worden. Damit ist ausreichend konkret dargetan, daß der Zeitpunkt der Kenntnisnahme jedenfalls innerhalb der Wiederaufnahmsfrist gelegen ist, sodaß die Möglichkeit eines früheren Beginnes der Wiederaufnahmsfrist und damit einer Versäumung dieser Frist - überprüfbar - ausgeschlossen werden kann. Eben dieser Zweck liegt der dargestellten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zum Erfordernis der Angabe des Zeitpunktes der Kenntniserlangung zugrunde.
3. Die belangte Behörde hat abschließend noch auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hingewiesen, wonach die Einstellung eines Strafverfahrens aus einem formellen Grund der Annahme, die betreffende Person habe eine strafbare Handlung begangen, nicht entgegenstehe (vgl. dazu das Erkenntnis vom 20. Februar 1987, Zl. 87/11/0012, und das Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 16. Oktober 1987, Zl. 87/11/0008), und daß das hier in Rede stehende Verwaltungsstrafverfahren aus einem solchen formellen Grund eingestellt worden sei. Mangels einer anders lautenden Entscheidung über die Vorfrage liege der geltend gemachte Wiederaufnahmsgrund gemäß § 69 Abs. 1 lit. c AVG 1950 nicht vor. Darauf hatte jedoch der Verwaltungsgerichtshof nicht näher einzugehen. Denn zum einen hat die belangte Behörde den Wiederaufnahmsantrag nicht etwa abgewiesen, sondern die auf Zurückweisung lautende Entscheidung der Erstbehörde bestätigt; das in Rede stehende Begründungselement wurde ausdrücklich lediglich "der Vollständigkeit halber" beigesetzt. Zum anderen wäre es im Hinblick auf die (nach Spruch und Begründung eindeutige) Zurückweisung des Wiederaufnahmsantrages durch die Erstbehörde der belangten Behörde als Berufungsbehörde verwehrt gewesen, den Wiederaufnahmsantrag ihrerseits mit der soeben erwähnten Begründung abzuweisen. Sie hätte damit die "Sache" im Sinne des § 66 Abs. 4 AVG 1950 überschritten und solcherart den Beschwerdeführer in einem subjektiven öffentlichen Recht, nämlich auf eine Sachentscheidung über seinen Wiederaufnahmsantrag durch die dazu funktionell zuständige erstinstanzliche Behörde, verletzt (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 21. Mai 1986, Zl. 85/11/0250), mit weiteren Judikaturhinweisen).
Aus den oben dargestellten Erwägungen war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 243/1985. Das Mehrbegehren war abzuweisen, weil zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung die Entrichtung von Stempelgebühren im Ausmaß von S 510,-- genügte (S 360,-- für die drei Beschwerdeausfertigungen, S 120,-- für die Vollmacht, S 30,-- für den angefochtenen Bescheid).
Wien, am 31. Mai 1988
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)