VwGH 88/08/0183

VwGH88/08/018322.9.1988

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Seiler und die Hofräte Dr. Liska, Dr. Knell, Dr. Puck und Dr. Sauberer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Regierungsrat Dr. Fischer, über die Beschwerde der G-Gesellschaft m.b.H. & Co KG in W, vertreten durch Dr. Fritz Czerwenka, Rechtsanwalt in Wien I, Rudolfsplatz 12, gegen den Bescheid des Bundesministers für Arbeit und Soziales vom 9. Mai 1988, Zl. 121.631/1-7/88, betreffend Nachsicht von Verzugszinsen (mitbeteiligte Partei: Wiener Gebietskrankenkasse in Wien X, Wienerbergstraße 15-19), zu Recht erkannt:

Normen

ASVG §59 Abs2
AVG §56

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:1988:1988080183.X00

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die beschwerdeführende Partei hat dem Bund (Bundesminister für Arbeit und Soziales) Aufwendungen in der Höhe von S 460,-- und der mitbeteiligten Partei Aufwendungen in der Höhe von S 9.270,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid des im Devolutionsweg angerufenen Landeshauptmannes von Wien vom 22. Jänner 1987 wurde der Antrag der Beschwerdeführerin „auf Nachsicht der auf dem Konto 943 2817 (der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse) seit Juni 1980 aufgelaufenen Kosten und Zinsen“ gemäß § 59 Abs. 2 ASVG abgelehnt. Nach der Begründung könne von einer wirtschaftlichen Gefährdung der Beschwerdeführerin keine Rede sein. Diese habe sich zwar „ab 1980“ im Ausgleich befunden, es sei jedoch „nach Bestätigung des Ausgleiches durch die Gläubiger“ begonnen worden, den Betrieb umzustrukturieren. Somit sei die Sanierung des Unternehmens eingeleitet worden. Überdies seien die Verzugszinsen an die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse bereits bezahlt worden.

Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin Berufung. Im Zuge des Berufungsverfahrens legte sie - unter anderem - mit Schriftsatz vom 29. September 1987 einen Status zum 30. Juni 1986 vor und führte dazu aus, daß daraus zu ersehen sei, daß dem negativen Kapital in Höhe von S 1,291.737,75 Rücklagen in Höhe von S 840.408,-- gegenüberstünden. Nach Aufrechnung dieser Position verbleibe somit ein negatives Eigenkapital von rund S 450.000,--. Trotz der in den Geschäftsjahren 1980 und 1981 erfolgten Sanierung im Ausgleichsverfahren zur (gemeint wohl: durch) Wiedereinbringung von Privatvermögen in die Gesellschaft - hier werde vor allem auf die Einbringung der Liegenschaft Ggasse im Geschäftsjahr 1985 verwiesen - sei es nach wie vor nicht gelungen, ein positives Kapital für die Gesellschaft herzustellen. Eine Entlastung der in Zeiten größter Zahlungsschwierigkeiten durch die Gebietskrankenkasse vorgeschriebenen Nebengebühren wäre daher ein wichtiger Beitrag zur weiteren Verbesserung der Lage des Unternehmens.

Mit dem angefochtenen Bescheid wurde der Berufung der Beschwerdeführerin gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien „vom 22.11.1986“ (richtig: 22. Jänner 1987) keine Folge gegeben und der Bescheid des Landeshauptmannes bestätigt. In der Begründung ging die belangte Behörde davon aus, daß die Beschwerdeführerin die Nachsicht von Verzugszinsen in der Höhe von S 199.425,21 begehre, die im Zeitpunkt der Erlassung des Bescheides des Landeshauptmannes bereits zur Gänze entrichtet gewesen seien. Die Beschwerdeführerin habe dem Gebot der Darlegung der wirtschaftlichen Verhältnisse nicht entsprochen, weil jedes konkrete Vorbringen in der Richtung fehle, daß die bereits erfolgte Entrichtung der Verzugszinsen die wirtschaftlichen Verhältnisse der Beschwerdeführerin gefährdet habe und weiterhin gefährden würde. Die bloße Behauptung, es sei für die weitere Gesundung des Unternehmens wichtig, daß auch die Sozialversicherung sämtliche Forderungen nicht 100%ig eintreibe, reiche mangels jeglicher Konkretisierung nicht zum Dartun der Gefährdung der wirtschaftlichen Verhältnisse aus.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes. Die Beschwerdeführerin vertritt die Auffassung, daß sie durch die Vorlage des Status zum 30. Juni 1987, aus dem sich ein negatives Kapital von S 450.000,-- sowie eine Überschuldung ergebe, hinreichend ihre finanziellen Schwierigkeiten bewiesen habe. Hiezu komme noch, daß die Eigenkapitalbasis von den Gesellschaftern im Jahre 1985 wesentlich verbessert worden sei, indem die Liegenschaft G-gasse, die bilanzmäßig einen Wert von 1,122.000,-- habe, in die Gesellschaft eingebracht worden sei. Auch daraus sei zu schließen, daß nach wie vor ein finanzieller Engpaß bestehe, da es normalerweise wohl keinen anderen Grund gebe, eine sich im Privatvermögen befindliche Liegenschaft in Betriebsvermögen umzuwidmen. Es sei daher unrichtig, wenn die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid ausführe, die Beschwerdeführerin habe kein konkretes Vorbringen erstattet, aus dem sich ihre finanziellen Schwierigkeiten ableiten ließen. Im übrigen komme es bei der Herabsetzung von Verzugszinsen nach § 59 Abs. 2 ASVG nicht auf den Zeitpunkt der Entscheidung, sondern auf den der Antragstellung an.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor. Die mitbeteiligte Partei erstattete eine Gegenschrift.

 

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 59 Abs. 2 ASVG kann der zur Entgegennahme der Zahlung berufene Versicherungsträger die Verzugszinsen herabsetzen oder nachsehen, wenn durch ihre Einhebung in voller Höhe die wirtschaftlichen Verhältnisse des Beitragsschuldners gefährdet wären. Die Verzugszinsen können überdies nachgesehen werden, wenn es sich um einen kurzfristigen Zahlungsverzug handelt und der Beitragsschuldner ansonsten regelmäßig seine Beitragspflicht erfüllt hat.

Schon im Erkenntnis vom 20. Mai 1987, Zl. 87/08/0037, dem eine von derselben Beschwerdeführerin erhobene Beschwerde zugrundelag, lehnte der Verwaltungsgerichtshof die nunmehr neuerlich von der Beschwerdeführerin vertretene Rechtsansicht, daß bei einer Entscheidung über die Herabsetzung oder Nachsicht von Verzugszinsen nach § 59 Abs. 2 ASVG auf die Sachlage im Zeitpunkt der Antragstellung abzustellen sei, als unzutreffend ab. Gemäß § 43 Abs. 2 VwGG genügt es, auf dieses Erkenntnis hinzuweisen.

In diesem Erkenntnis wurde ferner ausgesprochen, daß die Bestimmung des § 59 Abs. 2 ASVG auch dann anwendbar sei, wenn die Einhebung der Verzugszinsen der Entscheidung über einen Antrag auf Herabsetzung oder Nachsicht der Verzugszinsen vorausgehe. Die den Antragsteller trotz des im Verwaltungsverfahren herrschenden Grundsatzes der Amtswegigkeit treffende Mitwirkungspflicht erfordere es allerdings, daß der Antragsteller durch ein konkretes, mit Beweisanboten untermauertes Vorbringen alle Umstände darlege, aus denen hervorgehe, daß und in welcher Weise seine wirtschaftlichen Verhältnisse durch die bereits erfolgte Einhebung der Verzugszinsen in voller Höhe gefährdet worden seien und diese Gefährdung im Zeitpunkt der Entscheidung weiterbestehe. Eine solche Gefährdung könne sich etwa daraus ergeben, daß der antragstellende Beitragsschuldner zur Aufbringung der Mittel für die Entrichtung der Verzugszinsen einen Kredit habe aufnehmen müssen, dessen Rückzahlung ihn wirtschaftlich gefährden könnte, oder daß er wegen der Bezahlung der Verzugszinsen gehindert gewesen sei, die hiefür aufgewendeten Mittel in anderer Weise, etwa zur Tilgung anderer Schulden oder für betriebsnotwendige Investitionen, einzusetzen und daß ihm daraus eine wirtschaftliche Gefährdung erwachsen sei oder erwachsen könnte. Damit die Behörde jedoch überhaupt eine Beurteilung der Möglichkeit der Gefährdung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Beitragschuldners vornehmen könne, sei es erforderlich, daß der Beitragsschuldner seine Vermögensverhältnisse und Einkünfte unter Einschluß der nach Art und Ausmaß aufgeschlüsselten Schulden durch tunlichst ziffernmäßige Angaben konkret dartue.

Der belangten Behörde ist beizupflichten, daß die Beschwerdeführerin im Beschwerdefall der ihr nach den obigen Ausführungen obliegenden Mitwirkungspflicht hinsichtlich der Erstattung eines konkreten Vorbringens bezüglich der mit der Einhebung der Verzugszinsen verbundenen Gefährdung der wirtschaftlichen Verhältnisse nicht entsprochen hat. Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin ist der im Berufungsverfahren vorgelegte Status, der keine Gewinn- und Verlustrechnung enthält, nicht aussagekräftig genug, um die Möglichkeit der Gefährdung der wirtschaftlichen Verhältnisse der Beschwerdeführerin beurteilen zu können, geht doch daraus insbesondere nicht die genaue Zusammensetzung der Verbindlichkeiten und deren Fälligkeit hervor. Der auf einen einzigen Stichtag abgestellte Status ermöglicht vor allem auch keine Abschätzung der zukünftigen wirtschaftlichen Entwicklung des Unternehmens. Er kann auch nicht als Nachweis einer Überschuldung im Sinne des § 67 Abs. 1 Konkursordnung angesehen werden, weil daraus nicht hervorgeht, ob die Aktiva mit ihren wahren Werten oder bloß mit ihren Bilanzwerten eingestellt wurden (vgl. zum Begriff der Überschuldung z.B. Petschek-Reimer-Schiemer, Das österreichische Insolvenzrecht, 30; ferner Kastner, Grundriß des österreichischen Gesellschaftsrechtes, 188). Der Hinweis auf die im Jahr 1985 erfolgte Einbringung einer Liegenschaft in die Gesellschaft läßt keine Rückschlüsse auf die wirtschaftliche Lage im entscheidungswesentlichen Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides zu.

Die Beschwerde war somit gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 243/1985.

Wien, am 22. September 1988

Wien,

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