Normen
AVG §34 Abs1
AVG §34 Abs3
VStG §19 implizit
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:1988:1987110271.X00
Spruch:
Die Beschwerde wird, soweit sie sich gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Burgenland vom 19. Juni 1987 richtet, zurückgewiesen, im übrigen als unbegründet abgewiesen.
Die Beschwerdeführerin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 2.760,‑ ‑ binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Zur Vorgeschichte wird auf das Erkenntnis eines verstärkten Senates des Verwaltungsgerichtshofes vom 25. März 1987, Zlen. 86/11/0145, 0150, verwiesen. Mit diesem Erkenntnis wurden zwei (Berufungs-)Bescheide des Landeshauptmannes von Burgenland betreffend Verhängung von Ordnungsstrafen nach § 34 Abs. 3 AVG 1950 über die Beschwerdeführerin wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes aufgehoben. Der Grund hiefür lag darin, daß der Landeshauptmann die Unzuständigkeit der als Erstbehörde eingeschrittenen Bundespolizeidirektion Eisenstadt nicht wahrgenommen und die Berufungen abgewiesen hat; zur Verhängung der Ordnungsstrafen wäre in einem Fall der Landeshauptmann von Burgenland (in erster Instanz), im anderen Fall der Bundesminister für öffentliche Wirtschaft und Verkehr zuständig gewesen.
In der Folge hob der Landeshauptmann von Burgenland mit Bescheiden vom 18. Mai 1987 die beiden Erstbescheide auf und verhängte mit Bescheid vom 19. Juni 1987 wegen der in einer Berufung gegen einen in einer kraftfahrrechtlichen Angelegenheit ergangenen Bescheid der Bundespolizeidirektion Eisenstadt enthaltenen Äußerung („Daß dieser die Ordnungsstrafe darin selbst unterfertigte, zeigte von einer Anmaßung und Präpotenz, die in einem Polizeistaat (Kabinettjustiz) gebräuchlich ist, in einem demokratischen Gemeinwesen aber keinen Platz hat,“) über die Beschwerdeführerin eine Ordnungsstrafe von S 1.000,‑ ‑ (im Nichteinbringungsfall Haft von drei Tagen).
Mit Bescheid des Bundesministers für öffentliche Wirtschaft und Verkehr vom 29. Oktober 1987 wurde der dagegen erhobenen Berufung keine Folge gegeben. Mit ihm wurde ferner wegen der in einer dieselbe Verwaltungsangelegenheit betreffenden Eingabe der Beschwerdeführerin an den Bundesminister für öffentliche Wirtschaft und Verkehr enthaltenen Äußerungen („... zeigen sie einen polizeilichen Eingriff in die Privatatmosphäre eines nicht parteigebundenen Staatsbürgers, der denen in den Ostblockstaaten und der Gestapozeit von 1938 ‑ 1945 nicht nachsteht“ und „Die Vorgangsweise und Übergriffe gegen meinen Mann in der Polizeidirektion Eisenstadt vom 6. April 1984 lagen auf der gleichen Linie: harmlose nur rechtsuchende Parteien einzuschüchtern, in Angst zu versetzen, zu bedrohen, wo jedes Mittel recht ist, damit der Staatsbürger schweigt.“) ebenfalls eine Ordnungsstrafe von S 1.000,‑ ‑ (3 Tage Ersatzhaft) verhängt.
In ihrer an den Verwaltungsgerichtshof gerichteten Beschwerde bekämpft die Beschwerdeführerin ausdrücklich sowohl den Bescheid des Landeshauptmannes von Burgenland vom 19. Juni 1987 als auch den Bescheid des Bundesministers für öffentliche Wirtschaft und Verkehr vom 29. Oktober 1987. Sie macht die Rechtswidrigkeit des Inhaltes der Bescheide und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend und beantragt die kostenpflichtige Aufhebung der beiden angefochtenen Bescheide. Der Bundesminister für öffentliche Wirtschaft und Verkehr hat eine Gegenschrift erstattet, in der er die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1. In der Beschwerde wird ausdrücklich die Aufhebung (auch) des Bescheides des Landeshauptmannes von Burgenland vom 19. Juni 1987 beantragt; gemäß § 28 Abs. 1 Z. 2 VwGG wird (auch) der „Landeshauptmann für das Burgenland“ als belangte Behörde genannt. Die Beschwerde war angesichts dieser keine andere Deutung zulassenden Diktion gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung in einem nach § 12 Abs. 3 VwGG gebildeten Senat als unzulässig zurückzuweisen, soweit sie sich gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Burgenland vom 19. Juni 1987 richtet, weil ihr insoferne das Prozeßhindernis der Nichterschöpfung des Instanzenzuges (Art. 131 Abs. 1 Z. 1 B‑VG) entgegensteht.
2. Vorweg ist festzustellen, daß dem Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 25. März 1987 dadurch Rechnung getragen wurde, daß im zweiten Rechtsgang die zuständigen Behörden eingeschritten sind. Das Verlangen nach Aufhebung „wegen Unzuständigkeit“, das im übrigen nicht näher begründet ist, ist daher unbegründet.
3. Vorauszuschicken ist ferner, daß es im vorliegenden Fall nicht darum geht, ob der Beschwerdeführerin seitens der Behörden, insbesondere der Bundespolizeidirektion Eisenstadt, in Ansehung kraftfahrrechtlicher Belange Unrecht zugefügt wurde. Zu entscheiden ist lediglich, ob der belangte Bundesminister für öffentliche Wirtschaft und Verkehr die zitierten schriftlichen Äußerungen der Beschwerdeführerin als „beleidigende Schreibweise“ im Sinne des § 34 Abs. 3 AVG 1950 qualifizieren durfte und ob die verhängten Ordnungsstrafen gesetzmäßig bemessen sind. Im übrigen ist anzumerken, daß die Setzung einer Ordnungswidrigkeit nicht damit entschuldigt werden kann, daß die Behörde die mit Ordnungsstrafe geahndete Äußerung veranlaßt oder gar provoziert hat (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes Slg. Nr. 8618 A/1974).
4. Zunächst ist die Beschwerdeführerin hinsichtlich des Wesens einer Ordnungsstrafe darauf zu verweisen, daß es dabei nicht darum geht, daß ein Organwalter „beleidigt“ wurde, sondern daß sich eine Person im Umgang mit der Behörde einer Ausdrucksweise bedient hat, die nicht dem Anstand entspricht. Alle Ausführungen in der Richtung, daß der sich als beleidigt fühlende Polizeidirektor von Eisenstadt die Ordnungsstrafen nicht hätte verhängen dürfen, gehen daher ins Leere, ganz abgesehen davon, daß dieser im zweiten Rechtsgang überhaupt nicht mehr tätig geworden ist.
5. Eine beleidigende Schreibweise im Sinne des § 34 Abs. 3 AVG 1950 liegt nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes vor, wenn eine Eingabe ein unsachliches Vorbringen enthält, das in einer Art gehalten ist, die ein ungeziemendes Verhalten gegenüber der Behörde darstellt. Dabei ist es ohne Belang, ob sich die beleidigende Schreibweise gegen die Behörde, gegen das Verwaltungsorgan oder gegen eine einzige Amtshandlung richtet. Eine in einer Eingabe an die Behörde gerichtete Kritik ist dann gerechtfertigt und schließt die Anwendung des § 34 Abs. 3 AVG 1950 aus, wenn sich die Kritik auf die Sache beschränkt, in einer den Mindestanforderungen des Anstandes entsprechenden Form vorgebracht wird und nicht Behauptungen enthält, die einer Beweisführung nicht zugänglich sind. Fehlt eine dieser Voraussetzungen, wird der Tatbestand des § 34 Abs. 3 AVG 1950 erfüllt, und es kann auch ein gelungener Beweis der Kritik den Schreiber nicht mehr rechtfertigen. Eine Kritik ist nur dann „sachbeschränkt“, wenn die Notwendigkeit dieses Vorbringens zum Zweck der entsprechenden Rechtsverfolgung angenommen werden kann (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 11. Dezember 1985, Zl. 84/03/0155, hinsichtlich dessen an Art. 14 Abs. 4 der Geschäftsordnung des Verwaltungsgerichtshofes, BGBl. Nr. 45/1965, erinnert wird, sowie die dort zitierte weitere Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes). Insbesondere stellt der Vorwurf, eine Behörde wende Diktaturmethoden an, eine Ordnungswidrigkeit dar (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes Slg. Nr. 7029 A/1966).
Mißt man die inkriminierten Äußerungen der Beschwerdeführerin an der dargestellten Rechtslage, so kann der belangten Behörde nicht mit Erfolg entgegengetreten werden, wenn sie dadurch den Tatbestand des § 34 Abs. 3 AVG 1950 jeweils als erfüllt angesehen hat. Die Äußerungen gehen über eine vertretbare Kritik am Verhalten der Behörde weit hinaus. In allen Äußerungen wird der Behörde nicht nur vorgeworfen, daß sie rechtswidrig gehandelt habe, sondern daß sie darüber hinaus das Rechtsstaatsgebot prinzipiell mißachte und daß sie sich Methoden bediene, wie sie nur in Staaten angewendet würden, die den Vorstellungen von einem Rechtsstaat diametral widersprechen. Die Beschwerdeführerin hätte ihren Standpunkt mit derselben Deutlichkeit auch mit anderen Schreibweisen, die nicht den Tatbestand des § 34 Abs. 3 AVG 1950 erfüllten, vertreten können.
6. Die Beschwerdeführerin bringt ferner vor, daß die Bemessung der beiden Ordnungsstrafen mit je S 1.000,‑ ‑ zu hoch erfolgt sei. Nach § 34 Abs. 3 in Verbindung mit Abs. 2 AVG 1950 kann die Behörde eine Ordnungsstrafe bis S 1.000,‑ ‑ und, falls diese nicht einbringlich ist, Haft bis zu drei Tagen verhängen. Bei erschwerenden Umständen ist die selbständige oder gleichzeitige Verhängung einer Haftstrafe bis zur angegebenen Dauer zulässig.
Das AVG 1950 enthält keine Regelungen über die Bemessung der Höhe der Ordnungsstrafen. Freilich ist im letzten Satz des § 34 Abs. 2 AVG 1950 von „erschwerenden Umständen“ die Rede. Wenngleich das VStG 1950, insbesondere sein § 19, auf die Ordnungsstrafen keine Anwendung findet, weil es sich bei den Ordnungsstrafen nicht um Strafen im Sinne des Verwaltungsstrafrechtes handelt, so ist doch bei der Bemessung der Strafe von den der österreichischen Strafrechtsordnung eigenen Bemessungsdeterminanten auszugehen. Eine an den Grundsätzen des § 19 VStG 1950 ‑ und damit auch an den §§ 32 bis 35 StGB - orientierte Vorgangsweise entspricht daher dem Gesetz.
Dies hat die belangte Behörde offenkundig auch getan. Sie hat auch begründet, warum sie die höchste Geldstrafe gewählt und von der Möglichkeit der Verhängung einer selbständigen oder gleichzeitigen Haftstrafe abgesehen hat. Wenngleich sie in diesem Zusammenhang zu Unrecht auf die „Deliktshäufung“ hinweist, weil nur rechtskräftig verhängte Strafen als erschwerend gewertet werden dürfen, ist der belangten Behörde insgesamt keine Rechtswidrigkeit vorzuwerfen. Sowohl die Annahme eines „nicht niedrigen“ Einkommens, als auch die nicht unbeträchtlichen Vermögensverhältnisse und die unter obigem Punkt 5. dargestellte Schwere der Ordnungswidrigkeit rechtfertigen die verhängten Strafen. Die Behörde hat jedenfalls nicht gegen den Sinn des Gesetzes verstoßen. Es ist auch keine Rede davon, daß die belangte Behörde unzulässigerweise „soziale Klassenunterschiede ins Spiel“ gebracht habe, indem sie aus der beruflichen Stellung der Beschwerdeführerin als Angestellte den Schluß gezogen hat, daß ihr Einkommen nicht besonders niedrig sei. Dieser Umstand entspricht vielmehr dem allgemeinen Erfahrungsgut. Die belangte Behörde weist in dem Zusammenhang zutreffend darauf hin, daß die Beschwerdeführerin über Aufforderung zur Bekanntgabe ihrer persönlichen Verhältnisse mit Schreiben vom 3. Oktober 1987 ausgeführt hat, daß sie in dem Verfahren keine Schuld habe und sich daher auch nicht verpflichtet fühle, „irgendwelche vermögensrechtliche Angaben zu machen“.
Soweit sich die Beschwerde gegen den Bescheid des Bundesministers für öffentliche Wirtschaft und Verkehr vom 29. Oktober 1987 richtet, erweist sie sich daher insgesamt als unbegründet. Sie war insofern gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.
Der Zuspruch von Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 243/1985.
Wien, am 25. März 1988
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