Normen
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:1985:1984030155.X00
Spruch:
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Land Tirol Aufwendungen in der Höhe von S 2.760,‑ ‑ binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Die Bezirkshauptmannschaft Lienz sprach mit Bescheid vom 25. August 1983 aus, der Beschwerdeführer habe sich 1) in seiner schriftlichen „Berufung“ vom 13. Juni 1983 gegen die Strafverfügung der Bezirkshauptmannschaft Lienz vom 30. Mai 1983 und 2) in seiner schriftlichen Stellungnahme vom 14. August 1983 betreffend dasselbe Strafverfahren durch Verwendung nachfolgender Sätze einer beleidigenden Schreibweise bedient: 1) „Wenn man andererseits bedenkt, daß BH. Dr. D als Behördenleiter Strafgelder von seinen Freunden etc. im Wert von ca. 2 Millionen S für das Land verfallen ließ, so sollte man nicht auf diesem Wege versuchen, dies so wieder hereinzubringen“ und 2) „BH. Dr. D setzte Himmel und Hölle in Bewegung, um die Wahlfahrt nach Osttirol zu verhindern, und was sich einige Beamte der Gendarmerie bei der Wahlveranstaltung am Hauptplatz geleistet haben, ist sicherlich nur mit D Stütze möglich gewesen. Dieser geforderte Betrag ersetzt auch nicht mehr die von Dr. D unterschlagenen Strafgelder, heutiger Wert 2 Millionen Schilling!“. Sie verhängte daher über den Beschwerdeführer gemäß § 34 Abs. 3 AVG 1950 Ordnungsstrafen in der Höhe von zu 1) S 800,-- und zu 2) S 1.000,--. Im Falle der Uneinbringlichkeit der Geldstrafe trete an deren Stelle Arrest von zu 1) 57 Stunden und zu 2) 72 Stunden. Zur Begründung führte die Behörde aus, die im § 34 Abs. 3 AVG 1950 vorgesehene Ordnungsstrafe diene der Wahrung des gebotenen Anstandes im schriftlichen Verkehr mit der Behörde. Ein ungeziemendes, den Anstand verletzendes Verhalten sei dann gegeben, wenn eine Eingabe jenes Maßhalten im Verkehr mit der Behörde vermissen lasse, das die Achtung vor der Behörde erfordert. Dies setze in erster Linie voraus, daß sich die Kritik an der Behörde auf die Sache selbst beschränkt, in einer den Mindestanforderungen des Anstandes entsprechenden Weise vorgebracht wird und nicht Behauptungen enthält, die einer Beweisführung nicht zugänglich seien. Ein diese Grundsätze außer acht lassendes Vorgehen bei der Formulierung der Kritik an der Behörde könne auch nicht durch ein vermeintliches oder tatsächliches rechtswidriges Verhalten jener Behörde gerechtfertigt werden, gegen welche sich die Kritik richtet. Dem Beschwerdeführer sei in der Strafverfügung vom 30. Mai 1983 vorgeworfen worden, am 19. April 1983 um 17.40 Uhr einen dem Kennzeichen nach bestimmten Pkw vom Stadtplatz in Schwaz entgegen der Einbahnregelung und sohin unter Mißachtung des Vorschriftszeichens „Einfahrt verboten“ in Richtung Andreas‑Hofer‑Straße gelenkt zu haben. Der Beschwerdeführer habe hierauf am 13. Juni 1983 Einspruch erhoben, dessen Inhalt teilweise nicht eine Rechtfertigung gegenüber dem konkreten Vorwurf der Behörde enthalte, sondern in anstandsverletzender Weise Behauptungen aufstelle, welche keiner Beweisführung zugänglich seien. In der abschließenden Stellungnahme in demselben Strafverfahren vom 14. August 1983 habe der Beschwerdeführer im überwiegendem Maße nicht die Sache betreffende Kritik an der Behörde geübt, sondern neuerlich unter Verletzung des der Behörde gegenüber gebotenen Anstandes Behauptungen aufgestellt, welche schwerwiegende Vorwürfe gegen eine Amtsperson darstellten und ebenfalls keiner Beweisführung zugänglich seien. Es stehe sicherlich jedem Staatsbürger, der im Verhalten eines Organes einer Behörde eine Überschreitung oder mißbräuchliche Verwendung der Amtsbefugnisse erblickt, frei, dies in der gesetzlich vorgesehenen Form geltend zu machen. Keinesfalls gebe ihm dies aber das Recht, das Ansehen von Amtspersonen und sohin auch indirekt das der Bezirksverwaltungsbehörde durch schwerwiegende, den Anstand gröblichst verletzende Anschuldigungen herabzusetzen. Die diesbezüglichen, im Spruch zitierten Sätze, die nicht den Mindesterfordernissen des Anstandes entsprechen, seien Vorwürfe, die durch keinerlei konkrete Angaben belegt werden könnten.
Der gegen diesen Bescheid vom Beschwerdeführer eingebrachten Berufung gab die Tiroler Landesregierung mit Bescheid vom 18. Jänner 1984 insoweit Folge, als die zu Punkt 2 verhängte Ordnungsstrafe auf S 800,-- (Ersatzarrest 57 Stunden) herabgesetzt wurde. In der Begründung des Berufungsbescheides wurde zum Einwand des Beschwerdeführers, daß die Strafbehörde nicht unverzüglich die Ordnungsstrafe verhängt habe, bemerkt, daß die Verhängung einer Ordnungsstrafe wegen beleidigender Schreibweise zeitlich nicht begrenzt sei. Dem weiteren Einwand des Beschwerdeführers, daß ungerechtfertigterweise zwei Ordnungsstrafen verhängt worden seien, entgegnete die Berufungsbehörde, daß für jede schriftliche Eingabe, in der sich eine Person einer beleidigenden Schreibweise bedient, eine separate Ordnungsstrafe verhängt werden könne. Dies gelte auch für den Fall, daß in ein und demselben Verfahren in verschiedenen schriftlichen Eingaben eine beleidigende Schreibweise enthalten sei. Der Verhängung von zwei Ordnungsstrafen in einem Bescheid stünden die gesetzlichen Bestimmungen nicht entgegen. Eine Kritik an der Behörde könne nur dann als erlaubt angesehen werden, wenn die Beschränkung auf die Sache, die Beachtung des Anstandes sowie die Möglichkeit, die Behauptungen zu beweisen, nebeneinander zutreffen. Fehle eine dieser Voraussetzungen, sei der Tatbestand des § 34 Abs. 3 AVG 1950 erfüllt und es könnte auch ein gelungener Beweis den Schreiber nicht mehr rechtfertigen. Die zwei Eingaben, die zur Verhängung der Ordnungsstrafen führten, seien im Zuge des bei der Bezirkshauptmannschaft Lienz anhängig gewesenen Verwaltungsstrafverfahrens wegen einer Übertretung der StVO, begangen durch den Beschwerdeführer, erstattet worden. Die Vorwürfe gegen den Bezirkshauptmann in beiden Eingaben hätten nicht einer sachlichen Verantwortung gegen den mit Strafverfügung vom 30. Mai 1983 erhobenen Vorwurf gedient. Sie könnten somit nicht als gerechtfertigte und erlaubte Kritik angesehen werden. Der Bezirkshauptmann sei nicht der Anzeiger der gegenständlichen Übertretung gewesen und es könne ihm auch nicht vorgeworfen werden, daß von der von ihm geleiteten Behörde nach Einlangen der Anzeige gegen den Beschwerdeführer ein Verwaltungsstrafverfahren durchgeführt worden sei, weil die Behörde dazu rechtlich verpflichtet gewesen sei. Die somit nicht sachbeschränkte Kritik in beiden Eingaben habe in ihrer beleidigenden Schreibweise die Verhängung der Ordnungsstrafen gerechtfertigt. Ob Strafgelder verfallen lassen (Eingabe vom 13. Juni 1983) oder unterschlagen worden seien (Eingabe vom 14. August 1983) müsse der Beurteilung und Überprüfung durch das Gericht vorbehalten und könne nicht der in beiden Eingaben geäußerten Meinung des Beschwerdeführers als erlaubt zugebilligt werden. Wegen des nahezu gleichartigen beleidigenden Vorwurfes in beiden Eingaben erscheine auch für die zu Punkt 2 verhängte Ordnungsstrafe eine Geldstrafe in der Höhe von S 800,-- gerechtfertigt.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes sowie wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.
Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und beantragte in der von ihr erstatteten Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Der Beschwerdeführer bringt vor, die belangte Behörde hätte die von ihm gegen den Leiter der Behörde, die die Strafe verhängt habe, erstattete Anzeige auf ihre Richtigkeit überprüfen müssen, weil nur bei Nichtzutreffen seiner Behauptungen der Tatbestand des § 34 Abs. 3 AVG 1950 erfüllt sei. Bei den in seinen schriftlichen Eingaben enthaltenen Ausführungen handle es sich ja nicht um Beleidigungen im Sinne von Beschimpfungen oder eines Vorwurfes von Charaktermängeln, sondern um den Vorwurf von strafbaren Handlungen. Es würde auch den Anstand nicht verletzen, wer eine solche Behauptung aufstellt, die sich als richtig erweist. Der Beschwerdeführer bemängelt ferner, daß die belangte Behörde zwei Ordnungsstrafen gegen ihn verhängte. Die Bestrafung zu Punkt 1 sei auf alle Fälle verspätet und zu Unrecht ergangen. Es handle sich bei beiden Fällen um einen gleichartigen Vorwurf, sodaß eine getrennte Bestrafung wegen Ordnungswidrigkeiten nicht angebracht sei. Dies umsoweniger, als ja offenkundig erst die zweite Eingabe überhaupt der Anlaß für die Verhängung der Ordnungsstrafen geworden sei. Man könne nicht auf frühere Geschehnisse zurückgreifen, die zunächst gar keine Beachtung gefunden haben. Dazu komme, daß es sich bei den Behauptungen des Beschwerdeführers um Ausführungen handle, die er im Rahmen seiner Rechte ausgeübt habe. Es sei zwar richtig, daß die Beurteilung, ob der Behördenleiter Strafgelder verfallen habe lassen oder unterschlagen habe, einer Prüfung durch das Gericht vorbehalten sei. Man könne aber nicht, bevor eine solche Prüfung erfolgt, diese als Ehrenbeleidigung qualifizieren und Geldstrafen wegen Ordnungswidrigkeiten verhängen. Dies könnte dazu führen, daß jemand wegen zu Recht behaupteter und erhobener Vorwürfe bestraft werden könne.
Die Beschwerde ist nicht berechtigt.
Gemäß § 34 Abs. 3 AVG 1950 können von der Behörde die gleichen Ordnungsstrafen, wie sie im Abs. 2 dieser Gesetzesstelle vorgesehen sind, gegen Personen verhängt werden, die sich in schriftlichen Eingaben einer beleidigenden Schreibweise bedienen. Beleidigende Schreibweise liegt vor, wenn eine Eingabe ein unsachliches Vorbringen enthält, das in einer Art gehalten ist, die ein ungeziemendes Verhalten gegenüber der Behörde darstellt. (Vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 2. Oktober 1959, Slg. Nr. 5067/A.) Dabei ist es ohne Belang, ob sich die beleidigende Schreibweise gegen die Behörde, gegen das Verwaltungsorgan oder gegen eine einzige Amtshandlung richtete. (Vgl. Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 21. November 1966, Slg. Nr. 7029/A.) Eine in einer Eingabe an die Behörde gerichtete Kritik ist dann gerechtfertigt und schließt die Anwendung des § 34 Abs. 3 AVG 1950 aus, wenn sich die Kritik auf die Sache beschränkt, in einer den Mindestanforderungen des Anstandes entsprechenden Form vorgebracht wird und nicht Behauptungen enthält, die einer Beweisführung nicht zugänglich sind. Fehlt eine dieser Voraussetzungen, wird der Tatbestand des § 34 Abs. 3 AVG 1950 erfüllt und es kann auch ein gelungener Beweis der Kritik den Schreiber nicht mehr rechtfertigen. (Vgl. dazu das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 6. März 1963, Zl. 125/62, und vom 8. April 1975, Slg. Nr. 8796/A; hinsichtlich der zitierten, nicht veröffentlichten hg. Entscheidungen wird auf Art. 14 Abs. 4 der Geschäftsordnung des Verwaltungsgerichtshofes, BGBl. Nr. 45/1965, hingewiesen.) Eine Kritik ist nur dann „sachbeschränkt“, wenn die Notwendigkeit dieses Vorbringens zum Zwecke der entsprechenden Rechtsverfolgung angenommen werden kann. (Vgl. Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 8. November 1977, Zl. 1807/76.)
Ausgehend von dieser Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 34 Abs. 2 und 3 AVG 1950 ist es nicht als rechtswidrig zu erkennen, wenn die belangte Behörde in den vom Beschwerdeführer an die Erstbehörde gerichteten Eingaben vom 13. Juni 1983 und vom 14. August 1983 enthaltenen ‑ vorstehend wörtlich wiedergegebenen ‑ Ausführungen eine beleidigende Schreibweise erblickte. Die darin gegen den Leiter der Behörde, die das Verwaltungsstrafverfahren gegen den Beschwerdeführer durchführte, erhobenen Anschuldigungen stehen in keinem sachlichen Zusammenhang mit der dem Beschwerdeführer zur Last gelegten Verwaltungsübertretung. Die diesbezüglichen Ausführungen waren auch nicht zu einer Zweckentsprechenden Rechtsverfolgung erforderlich, weshalb sie - entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers ‑ nicht als „im Rahmen seiner Rechte ausgeübt“ angesehen werden können. Da sich die Kritik des Beschwerdeführers sohin nicht auf die Sache beschränkte, war die belangte Behörde schon aus diesem Grunde zur Annahme berechtigt, daß der Tatbestand des § 34 Abs. 3 AVG 1950 vom Beschwerdeführer erfüllt wurde. Abgesehen davon überschritt aber auch der in den beiden Eingaben des Beschwerdeführers gegen den Behördenleiter erhobene schwerwiegende Vorwurf strafgesetzwidriger Handlungen, ohne dazu zunächst konkrete Angaben zu machen, die Grenzen des Anstandes, wozu noch kommt, daß in der Eingabe vom 14. August 1983 darüberhinaus ein Vorbringen enthalten ist (Unterstützung der Verhinderung einer Wahlveranstaltung), das in seiner Form ebenfalls den Mindestanforderungen des Anstandes widerspricht. Es wäre daher selbst im Falle der Erweislichkeit des gegen den Behördenleiter erhobenen Vorwurfes, den der Beschwerdeführer erst in der Berufung gegen die über ihn von der Erstbehörde verhängte Ordnungsstrafe mit dem Hinweis auf eine von ihm gegen den Behördenleiter in diesem Zusammenhang erstattete Anzeige rechtfertigen zu können glaubte, für seinen Standpunkt nichts zu gewinnen gewesen. (Vgl. dazu das schon zitierte Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 8. April 1975, Slg. Nr. 8796/A.)
Wenn der Beschwerdeführer meint, daß die belangte Behörde nicht zwei Ordnungsstrafen verhängen hätte dürfen, so kann ihm auch darin nicht gefolgt werden. Die Verhängung einer Ordnungsstrafe ist ‑ wie die belangte Behörde zutreffend erkannte ‑ zeitlich nicht beschränkt. Zwischen der Setzung des strafbaren Tatbestandes und der Verhängung der Ordnungsstrafe muß jedoch ein zeitlicher Zusammenhang bestehen. (Vgl. dazu das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 11. März 1975, Slg. Nr. 8784/A.) In diesem (zeitlichen) Rahmen bleibt es der Behörde unbenommen, über die in verschiedenen Eingaben enthaltene beleidigende Schreibweise jeweils gesondert oder zusammengefaßt in einem Bescheid abzusprechen. In der Tatsache, daß von der Behörde wegen der beleidigenden Schreibweise in der Eingabe vom 13. Juni 1983 zunächst keine Ordnungsstrafe verhängt wurde, ist daher keine Rechtswidrigkeit gelegen. Es gibt ferner keine gesetzliche Vorschrift ‑ auch der Beschwerdeführer kann eine solche nicht anführen ‑, daß über einen Beschuldigten, der sich in einem gegen ihn anhängigen Strafverfahren in mehreren schriftlichen Eingaben einer beleidigenden Schreibweise bedient, nur eine einzige Ordnungsstrafe verhängt werden dürfte. Zu Recht wird von der belangten Behörde in der von ihr erstatteten Gegenschrift darauf hingewiesen, daß § 22 VStG auf die Verhängung von Ordnungsstrafen nicht anzuwenden ist. Daß es sich in beiden Fällen um einen gleichartigen Vorwurf gehandelt hat, stand entegen der Ansicht des Beschwerdeführers einer gesonderten Ahndung nicht entgegen.
Da sich die Beschwerde sohin zur Gänze als unbegründet erwies, war sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 und 48 Abs. 2 Z. 1 und 2 VwGG in Verbindung mit Art. I B Z. 4 und 5 und Art. III Abs. 2 der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 243/1985.
Wien, am 11. Dezember 1985
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