Normen
ASchG 1972 §22 Abs2;
ASchG 1972 §22;
ASchG 1972;
ASchG Einrichtungen für die Durchführung 1984 §9 Abs2;
AVG §63 Abs1;
AVG §66 Abs4;
AVG §68 Abs1;
AVG §8;
Eignung von Arbeitnehmern für bestimmte Tätigkeiten 1973 §3 Abs1;
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:1988:1987080301.X00
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat den Beschwerdeführern Aufwendungen in der Höhe von S 9.270,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Das Kostenmehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Mit Bescheid des Arbeitsinspektorates für den
8. Aufsichtsbezirk in St. Pölten vom 2. Jänner 1986 wurde der Antrag der Erstbeschwerdeführerin um Zulassung der Errichtung einer betriebsärztlichen Betreuung erst ab einer höheren Zahl als 250 Arbeitnehmer gemäß § 22 Abs. 2 des Arbeitnehmerschutzgesetzes, BGBl. Nr. 234/1972, in der Fassung der Novelle BGBl. Nr. 544/1982 (ASchG) abgewiesen. Nach der Bescheidbegründung bestünden die Aluminiumwerke der Erstbeschwerdeführerin zwar aus einzelnen Abteilungen, wie Butzenwerk, Fließwerk, P-werk, Schlosserei und Tischlerei, es handle sich jedoch bei diesen Werken um eine organisatorische Einheit, da die Finanz- und Betriebsbuchhaltung zentral im Verwaltungsgebäude untergebracht sei und die Leitung der einzelnen Abteilungen auch zentral von dort erfolge. Jedes Werk besitze zwar einzelne Betriebsleitungen, diese seien aber direkt der Geschäftsleitung, deren Sitz im Verwaltungsgebäude untergebracht sei, verantwortlich. Außerdem befänden sich alle Abteilungen am selben Standort. Die Entfernung der einzelnen Werke bzw. Abteilungen voneinander, die lediglich räumlich bedingt sei und nur zwischen Fließpreßwerk und Butzenwerk ca. 1 km betrage, stelle kein Kriterium für eine eigenständige Organisation dar. Auch könne nicht deshalb von selbständig organisierten Betrieben gesprochen werden, weil verschiedene Produkte erzeugt würden, deren Ausgangsprodukt aber jeweils Aluminium sei. Insgesamt würden 307 Arbeitnehmer beschäftigt. Mindestens 136 Arbeitnehmer seien einer gesundheitsgefährdenden Einwirkung durch Lärm, Trichloräthylendämpfe, Hitze, Schweißrauch und Aluminiumstaub ausgesetzt. Zur Lärmeinwirkung stellte die erstinstanzliche Behörde fest, es seien insgesamt 123 Arbeitnehmer einem Lärmpegel von über 85 dB ausgesetzt, die gemäß § 3 der Verordnung über die gesundheitliche Eignung von Arbeitnehmern für bestimmte Tätigkeiten, BGBl. Nr. 39/1974, (ärztlich) untersucht würden.
In der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung bestritt die Erstbeschwerdeführerin das Vorliegen eines einheitlichen Betriebes. Es sei vielmehr davon auszugehen, daß das Butzenwerk, das Fließpreßwerk und das P-werk eigenständige Betriebe seien, in denen jeweils weniger als 250 Arbeitnehmer beschäftigt seien. Die Werke seien in eigenen Baulichkeiten untergebracht, die weit voneinander entfernt lägen. Dazu komme, daß die Verkehrswege und Verkehrssysteme für die unterschiedlichen Produkte der einzelnen Werke vollkommen getrennt seien, was auch eine separierte Verwaltung erforderlich mache. Die kaufmännische Verwaltung für das P-werk sei im Objekt "P-werk" untergebracht. Daß die Finanz- und Betriebsbuchhaltung zentral abgewickelt werde, sei jedenfalls kein Kriterium für die Annahme eines "einheitlichen Betriebes"; bedingt durch die EDV-Organisation finde man in vielen Unternehmensgruppierungen zentrale Buchhaltungssysteme vor. Bestritten werde auch die besondere Gefährdung der Gesundheit der Arbeitnehmer. Unrichtig sei insbesondere, daß 123 Arbeitnehmer lärmgefährdet seien.
Während des Berufungsverfahrens brachte die Erstbeschwerdeführerin vor, daß das P-werk aus der Erstbeschwerdeführerin ausgegliedert und in die neu errichtete Zweitbeschwerdeführerin eingebracht worden sei. Es bestünden nunmehr zwei rechtlich selbständige Unternehmen, die jeweils weniger als 250 Arbeitnehmer regelmäßig beschäftigten. Entgegen der Auffassung des Arbeitsinspektorates für den Aufsichtsbezirk liege kein einheitlicher Betrieb vor. Die Betriebsmittel seien zwischen den Beschwerdeführern getrennt. Sie könnten auch gar nicht zusammengefaßt werden, da äußerst unterschiedliche Produkte erzeugt und an vollkommen getrennte Kundenbereiche geliefert würden. Die Zweitbeschwerdeführerin erzeuge Dachsysteme, Dachrinnen und dgl., sohin Produkte, die an das Spenglergewerbe verkauft würden; sie besitze auch den Gewerbeschein des Spenglermeistergewerbes und übe dieses Gewerbe auch aus. Demgegenüber erzeuge die Erstbeschwerdeführerin einerseits Butzen in einem vollkommen getrennten Werk; im Fließpreßwerk werde technisches Halbzeug produziert, das ebenfalls an einen gesonderten Kundenkreis verkauft werde. Es besäßen daher nicht nur die Betriebe der Zweitbeschwerdeführerin, sondern auch die Betriebe Butzenwerk und Fließpreßwerk eine selbständige Organisationsstruktur: sie seien hinsichtlich Verkauf, Produktion und Technik als Grundfunktionen eines Betriebes vollkommen selbständig organisiert. In all diesen Betrieben seien Verkauf und Technik auch räumlich den Produktionsbereichen zugeordnet worden, womit auch die organisatorische Selbständigkeit der Unternehmungen bzw. Betriebe gegeben sei. Daran ändere es nichts, daß einige Servicefunktionen, wie Lohn- und Gehaltsverrechnung, Buchhaltung und EDV-Auswertung, als Leistungen der Erstbeschwerdeführerin von der Zweitbeschwerdeführerin zugekauft würden.
Mit Schreiben an die belangte Behörde vom 6. Oktober 1987 übermittelten die auch im nunmehrigen Verfahren einschreitenden Rechtsanwälte eine beglaubigte Fotokopie der Vollmachtsurkunde der Zweitbeschwerdeführerin an sie und teilten mit, daß die Berufungsausführungen auch für die Zweitbeschwerdeführerin zu gelten hätten.
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde gemäß § 22 Abs. 2 zweiter Satz ASchG in Verbindung mit § 66 Abs. 4 AVG 1950 die Berufung der beiden Beschwerdeführerinnen ab und bestätigte den erstinstanzlichen Bescheid mit der Maßgabe, daß der Spruch zu lauten habe: "Der Antrag auf Zulassung der Einrichtung einer betriebsärztlichen Betreuung erst ab einer höheren Zahl als 250 Arbeitnehmer im Betrieb M (Betriebsinhaber F Ges.m.b.H. und P Ges.m.b.H.), wird gemäß § 22 Abs. 2 zweiter Satz des Arbeitnehmerschutzgesetzes, BGBl. Nr. 234/1972 in der Fassung 544/1982, abgewiesen." In der Bescheidbegründung vertrat die belangte Behörde die Auffassung, daß die beiden Beschwerdeführerinnen gemeinsam einen Betrieb im Sinne des ASchG betrieben. Der Betriebsbegriff dieses Gesetzes orientiere sich grundsätzlich an der Definition des § 34 ArbVG, wobei die organisatorische Einheit das entscheidende Kriterium darstelle. Sie sei im vorliegenden Fall insbesondere durch gemeinsame Besorgung von Lohnverrechnung, Buchhaltung und Einkauf evident; auch bestehe nur ein gemeinsamer Betriebsrat. Es handle sich somit um einen Betrieb mit zwei Betriebsinhabern (Arbeitgebern im Sinne des ASchG). Nach Mitteilung des Arbeitsinspektorates für den
8. Aufsichtsbezirk vom 20. Mai 1987 habe die Arbeitnehmerzahl der Erstbeschwerdeführerin 269 Arbeitnehmer, jene der Zweitbeschwerdeführerin 49 Arbeitnehmer betragen; die Verpflichtung zur Einrichtung einer betriebsärztlichen Betreuung sei infolge der Überschreitung der Schlüsselzahl von 250 Arbeitnehmern daher zu bejahen. Als Voraussetzung für die Erteilung einer Ausnahmebewilligung gemäß § 22 Abs. 2 zweiter Satz ASchG müßten Ausmaß und Grad der Gefährdung der Arbeitnehmer sowie der Umfang des Betriebes geprüft werden. Eine besondere Gefährdung der Gesundheit der Arbeitnehmer sei nur bei Prüfung einer Bescheiderlassung nach § 22 Abs. 2 erster Satz ASchG erforderlich. Dieser Fall liege jedoch aufgrund der gegebenen Arbeitnehmerzahlen nicht vor. Hinsichtlich Ausmaß und Grad der Gefährdung der Arbeitnehmer habe das Arbeitsinspektorat im angefochtenen Bescheid festgestellt, daß zumindest 136 Arbeitnehmer gesundheitsgefährdenden Einwirkungen ausgesetzt seien. Diese Feststellungen seien anläßlich einer Verhandlung im Betrieb am 3. Dezember 1985, an der auch der Arbeitsinspektionsarzt beteiligt gewesen sei, getroffen worden. Antragsgemäß sei ein Gutachten der Ärztin im Zentral-Arbeitsinspektorat Dr. T zu der Frage der Gesundheitsschädlichkeit der vorhandenen Einwirkungen eingeholt und im Rahmen des Parteiengehörs zur Stellungnahme übermittelt worden. In diesem Gutachten komme die ärztliche Sachverständige zum Schluß, daß mehr als die Hälfte der Arbeitnehmer des Betriebes einer besonderen gesundheitlichen Belastung ausgesetzt sei. Zur Frage der Gesundheitsgefährdung von Arbeitnehmern im Betrieb sei mehrmals Stellung genommen worden, wobei das Vorhandensein dieser Faktoren nicht bestritten, deren Gesundheitsschädlichkeit jedoch in Frage gestellt worden sei. Die belangte Behörde komme aufgrund der Feststellungen des zuständigen Arbeitsinspektorates hinsichtlich des Vorhandenseins bestimmter Einwirkungen im Betrieb und der schlüssigen Ausführungen des obzitierten Gutachtens über deren Gesundheitsschädlichkeit zum Schluß, daß die Voraussetzungen für die Erteilung einer Ausnahmebewilligung nicht vorlägen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Antrag auf kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides. Durch die Einbeziehung der Zweitbeschwerdeführerin ins Berufungsverfahren habe die belangte Behörde die der erstinstanzlichen Behörde vorgelegene Verwaltungssache in unzulässiger Weise ausgedehnt. Dadurch habe sie ihre Zuständigkeit verletzt. Daran ändere es nichts, wenn die belangte Behörde die Zweitbeschwerdeführerin als rechtliche Nachfolgerin bezeichne, da hiebei übersehen werde, daß der Betrieb der Erstbeschwerdeführerin insoweit verkleinert worden sei, als die Arbeitnehmeranzahl von 250 Arbeitnehmern unterschritten und während des Berufungsverfahrens ein zweiter, rechtlich selbständiger Betrieb geschaffen worden sei, der vollkommen eigenständige Aktivitäten besitze und demgemäß auch das Recht auf ein gesetzliches Verfahren besitze. Ferner sei die belangte Behörde offenbar davon ausgegangen, daß in den betroffenen Betrieben eine geringere Anzahl als 250 Arbeitnehmern beschäftigt sei. Demgemäß hätte sie entsprechend dem § 22 Abs. 2 erster Satz zu überprüfen gehabt, ob aufgrund der Eigenart dieser Betriebe für die Arbeitnehmer besondere Gefahren für die Gesundheit bestünden und im Falle der Bejahung dieser Frage sowie der Verneinung der Voraussetzungen des zweiten Satzes des § 22 Abs. 2 leg. cit. mittels Bescheides die Einrichtung eines Betriebsarztes auftragen und den Antrag auf Ausnahmebewilligung abweisen müssen, was jedoch nicht geschehen sei. Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 22 Abs. 2 ASchG könne nämlich die Ausnahme des zweiten Satzes nur im Falle des Abs. 2 Platz greifen, d.h., lägen die Voraussetzungen des ersten Satzes des § 22 Abs. 2 ASchG für die Erlassung eines dort genannten Bescheides vor, so könne das Arbeitsinspektorat auf Antrag des Arbeitgebers nach dem zweiten Satz unter den dort genannten Voraussetzungen eine Ausnahmebestimmung erlassen. Selbst wenn sich die belangte Behörde aber auf § 22 Abs. 1 ASchG stützen sollte, werde bei richtiger Beurteilung die Schlüsselzahl von 250 Arbeitnehmern im Sinne dieser Bestimmung nicht überschritten, da es sich bei den "bezogenen Gesellschaften um rechtlich völlig unterschiedlich strukturierte Betriebe" handle. Schließlich werde der Standpunkt aufrecht erhalten, daß gesundheitliche Gefährdungen besonderer Art für die betroffenen Arbeitnehmer nicht vorlägen. Es sei bereits in der Stellungnahme zum Gutachten der Sachverständigen Dr. T vom 1. September 1987 dargelegt worden, daß im Gutachten nur grundsätzliche theoretische Überlegungen zur gesundheitlichen Belastung enthalten seien, insbesondere das Gutachten insoweit unschlüssig sei, als nicht nachvollzogen werden könne, welche der aufgelisteten Faktoren zu Gefährdungen im Sinne des ASchG führten.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und beantragte in der Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Die Abs. 1 und 2 des § 22 ASchG in der maßgebenden Fassung der Novelle BGBl. Nr. 544/1982 lauten:
"(1) In jedem Betrieb, in dem regelmäßig mehr als 250 Arbeitnehmer beschäftigt sind, ist vom Arbeitgeber eine dem Umfang des Betriebes, der Zahl der Beschäftigten sowie dem Ausmaß und Grad der Gefährdung der Gesundheit der Arbeitnehmer entsprechende betriebsärztliche Betreuung einzurichten. Dies gilt auch für Unternehmungen, die mehrere Betriebe im Sinne dieses Bundesgesetzes umfassen oder die mehrere getrennte Arbeitsstellen aufweisen, in denen zwar jeweils weniger als 250 Arbeitnehmer beschäftigt werden, wenn für einen erheblichen Teil der Arbeitnehmer eine besondere Gefährdung besteht. Die betriebsärztliche Betreuung kann, soweit nachfolgend nicht anderes bestimmt wird, durch einen betriebseigenen Arzt, durch Zusammenschluß mehrerer Betriebe hinsichtlich der Errichtung einer gemeinsamen betriebsärztlichen Betreuung, durch die Inanspruchnahme eines arbeitsmedizinischen Zentrums oder einer Versorgungseinrichtung erfolgen. In Betrieben, in denen regelmäßig mehr als 750 Arbeitnehmer beschäftigt sind, ist ein betriebseigener Arzt zu bestellen. In Betrieben mit mehr als 1.000 Arbeitnehmern ist die betriebsärztliche Betreuung hauptberuflich auszuüben.
(2) Bei Betrieben, in denen auf Grund ihrer Eigenart für die Arbeitnehmer besondere Gefahren für die Gesundheit bestehen, hat das Arbeitsinspektorat bei einer geringeren Zahl von Arbeitnehmern dem Arbeitgeber durch Bescheid aufzutragen, innerhalb einer angemessenen Frist, die nicht mehr als sechs Monate betragen darf, eine entsprechende betriebsärztliche Betreuung einzurichten. Das Arbeitsinspektorat kann auf Antrag des Arbeitgebers, wenn es die betrieblichen Verhältnisse unter Berücksichtigung des Ausmaßes und des Grades der Gefährdung der Gesundheit der Arbeitnehmer sowie unter Berücksichtigung des Umfanges des Betriebes geboten erscheinen lassen, durch Bescheid zulassen, daß erst bei einer höheren Zahl als 250 Arbeitnehmer eine betriebsärztliche Betreuung einzurichten ist oder daß in solchen Betrieben, in denen regelmäßig mehr als 1.000 Arbeitnehmer beschäftigt sind, die betriebsärztliche Betreuung nicht hauptberuflich ausgeübt wird."
§ 9 Abs. 2 der aufgrund der §§ 22c Abs. 1 und 24 Abs. 1 bis 3 ASchG erlassenen Verordnung des Bundesministers für soziale Verwaltung vom 3. November 1983, BGBl. Nr. 2/1984, über Einrichtungen in Betrieben für die Durchführung des Arbeitnehmerschutzes lautet:
"Eine Verpflichtung im Sinne des § 22 Abs. 1 zweiter Satz des Arbeitnehmerschutzgesetzes ist dann gegeben, wenn mehr als ein Drittel der Arbeitnehmer der Unternehmung besonderen Gesundheitsgefahren ausgesetzt sind. Solche Gesundheitsgefahren sind beispielsweise dann gegeben, wenn ärztliche Untersuchungen gemäß der Verordnung über die gesundheitliche Eignung von Arbeitnehmern für bestimmte Tätigkeiten, BGBl. Nr. 39/1974, angeordnet sind, ...."
§ 3 Abs. 1 der zuletzt zitierten Verordnung BGBl. Nr. 39/1974 lautet auszugsweise:
"(1) Arbeitnehmer, die bei ihrer beruflichen Tätigkeit infolge einer der nachstehend angeführten Einwirkungen erkranken können, dürfen zu solchen Tätigkeiten erst herangezogen werden, nachdem durch eine besondere ärztliche Untersuchung festgestellt wurde, daß ihr Gesundheitszustand vor allem hinsichtlich der spezifisch in Betracht kommenden Organe eine derartige Beschäftigung zuläßt. Es sind dies Einwirkungen durch ...
19. andauernden starken Lärm, bei dem ein Schallpegelwert von 85 dB (A) oder bei nicht andauerndem Lärm ein wirkungsäquivalenter Pegelwert überschritten wird."
Wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 8. Oktober 1987, Zl. 86/08/0112, dargelegt hat, hat der Gesetzgeber die Errichtung einer betriebsärztlichen Betreuung grundsätzlich von dem Erreichen einer Schlüsselzahl (nämlich von 250 Arbeitnehmern), sei es in der Art des ersten Satzes des § 22 Abs.1, sei es in der Art des zweiten Satzes dieser Bestimmung, abhängig gemacht und die Intensität dieser Einrichtung an weitere höhere Schlüsselzahlen (750 bzw. 1.000 Arbeitnehmer) gebunden. Aus der Regelung des § 22 Abs. 2 erster Satz ASchG, wonach das Arbeitsinspektorat bei Betrieben, in denen aufgrund ihrer Eigenart für die Arbeitnehmer besondere Gefahren für die Gesundheit bestehen, schon bei einer geringeren Zahl von Arbeitnehmern (als 250) die Errichtung einer betriebsärztlichen Betreuung aufzutragen hat, ergibt sich - entgegen der Rechtsauffassung der Beschwerdeführerinnen - daß für einen Betrieb dieser Art von vornherein eine Befreiung nach § 22 Abs. 2 zweiter Satz ASchG nicht in Betracht kommt. Eine Befreiung nach dieser Bestimmung scheidet aber auch bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 22 Abs. 1 zweiter Satz sowie dann aus, wenn in einem Betrieb, dessen Arbeitnehmerzahl 250 übersteigt (also wenn grundsätzlich § 22 Abs. 1 erster Satz anwendbar ist), für einen erheblichen Teil eine besondere Gefährdung ihrer Gesundheit gegeben ist.
Die belangte Behörde hat mit dem angefochtenen Bescheid den "Antrag auf Zulassung der Einrichtung einer betriebsärztlichen Betreuung erst ab einer höheren Zahl als 250 Arbeitnehmer im Betrieb M (Betriebsinhaber F Ges.m.b.H. und P Ges.m.b.H.) ... gemäß § 22 Abs. 2 zweiter Satz des Arbeitnehmerschutzgesetzes ... abgewiesen". Sie ist demnach im Spruch (aber nach der oben wiedergegebenen Begründung auch in ihr) von einem von den beiden Beschwerdeführern geführten Betrieb mit einer Arbeitnehmerzahl von über 250, also von der grundsätzlichen Anwendbarkeit des § 22 Abs. 1 erster Satz ASchG, sowie einem Mangel der Voraussetzungen des § 22 Abs. 2 zweiter leg. cit. ausgegangen und hat daher den (beiden Beschwerdeführern zugerechneten) Antrag auf "Befreiung" abgewiesen.
Bei der Prüfung der Frage, ob ein von beiden Beschwerdeführern gemeinsam geführter Betrieb vorliegt, ist die belangte Behörde mit Recht davon ausgegangen, daß sich der Betriebsbegriff des ASchG grundsätzlich an der Definition des § 34 ArbVG orientiert (vgl. Jabornegg-Strasser, Der Betriebsbegriff des Arbeitnehmerschutzgesetzes, DRdA 1983, 333 ff). Nach § 34 Abs. 1 ArbVG gilt als Betrieb jede Arbeitsstätte, die eine organisatorische Einheit bildet, innerhalb der eine physische oder juristische Person oder eine Personengemeinschaft mit technischen oder immateriellen Mitteln die Erzielung bestimmter Arbeitsergebnisse fortgesetzt verfolgt, ohne Rücksicht darauf, ob Erwerbsabsicht besteht oder nicht. Nach Lehre und Rechtsprechung (vgl. Cerny, Arbeitsverfassungsgesetz8, S. 119 ff; Floretta-Strasser, Kommentar zum Arbeitsverfassungsgesetz, Seite 197 ff; Tomandl, Arbeitsrecht 1, S. 46 ff, jeweils mit ausführlichen Judikaturhinweisen) ist wesentliches Merkmal eines Betriebes im Sinne des ArbVG die organisatorische Einheit, die in der Einheit des Betriebsinhabers, des Betriebszweckes und der Organisation zum Ausdruck kommen muß. Hat eine bestimmte Arbeitseinheit mehrere Inhaber, so kann ein Betrieb nur dann angenommen werden, wenn sich diese zu einer Einheit zusammengeschlossen haben, wobei es allerdings nicht unbedingt erforderlich ist, daß sie eine Personengemeinschaft mit Rechtspersönlichkeit bilden. Dieser Einheit muß ein gewisses Mindestausmaß an Selbständigkeit, besonders in produktionstechnischer Hinsicht, eingeräumt sein, und auch dem Ergebnis des Arbeitsvorganges dieser Einheit muß eine wenn auch beschränkte Abgeschlossenheit oder Unabhängigkeit von anderen Betriebsvorgängen eigen sein. Dagegen ist es für die Betriebseigenschaft in der Regel ohne Bedeutung, daß finanzielle, buchhalterische oder andere Verwaltungs- oder Leitungsaufgaben von einer zentralen Stelle erfüllt werden. Aus dem Wesensmerkmal des Betriebes als organisatorische Einheit folgt, daß die Rechtsform des Unternehmens oder der Unternehmen, in die der Betrieb eingebunden ist, für die Betriebsqualifikation einer Arbeitsstätte ebensowenig ausschlaggebend ist wie der Unternehmensgegenstand des berührten Unternehmens (der Unternehmen) oder die im übrigen bestehende rechtliche wie wirtschaftliche Selbständigkeit einer betroffenen Unternehmermehrheit (vgl. die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 15. Jänner 1986, Slg. Nr. 11.987/A, und vom 17. Dezember 1986, Slg. Nr. 12.354/A).
Läge im Beschwerdefall ein von beiden Beschwerdeführern gemeinsam geführter Betrieb im dargestellten Sinn vor, so wäre der angefochtenen Bescheid rechtmäßig.
Zunächst begründete dann die "Einbeziehung" der Zweitbeschwerdeführerin ins Berufungsverfahren und die Zurechnung des Antrages nach § 22 Abs. 2 zweiter Satz ASchG auch an sie keine Rechtswidrigkeit unter dem Gesichtspunkt einer Überschreitung der "Sache" im Sinne des § 66 Abs. 4 AVG 1950. Denn die durch, das ASchG und die genannten Durchführungsverordnungen geschaffene Verpflichtung des jeweiligen Inhabers eines Betriebes (im Falle des § 22 Abs. 1 zweiter Satz: eines Unternehmens) zur Einrichtung einer betriebsärztlichen Betreuung hängt von betriebsbzw. unternehmensbezogenen, nicht aber von persönlichen Umständen des jeweiligen Betriebs- bzw. Unternehmensinhabers ab. Demnach ist auch die Parteistellung in einem Verfahren nach § 22 Abs. 2 zweiter Satz ASchG wesensgemäß mit der Beziehung zum Betrieb bzw. Unternehmen verbunden. Daraus folgt aber vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur dinglichen Wirkung von Bescheiden in derartigen Angelegenheiten (vgl. Walter-Mayer, Grundriß des österreichischen Verwaltungsverfahrensrechtes4, Rdz. 489; Ringhofer, Die österreichichischen Verwaltungsverfahrensgesetze I, S. 220 ff), daß im Falle einer sich während eines solchen Verfahrens ergebenden Änderung in der sachlichen Beziehung zum Betrieb bzw. Unternehmen der neue Inhaber (Mitinhaber) in das Verfahren als Partei einzubeziehen ist.
Bei Annahme eines von beiden Beschwerdeführern gemeinsam geführten Betriebes wäre aber auch die Abweisung des Antrages nach § 22 Abs. 2 zweiter Satz ASchG nicht rechtswidrig. Angesichts der ausdrücklichen Feststellung der belangten Behörde, es habe "die Arbeitnehmerzahl der F Ges.m.b.H. 269 Arbeitnehmer, der
P Ges.m.b.H. 49 Arbeitnehmer" betragen, ist nämlich zunächst unverständlich, wieso die belangte Behörde "offenbar" davon ausgegangen sei, daß "in den Betrieben, um die es hier geht, eine geringere Anzahl als 250 Arbeitnehmer beschäftigt" sei. Die Erstbeschwerdeführerin vermag aber auch hinsichtlich dieser Feststellung der belangten Behörde keine Verfahrensmängel aufzuzeigen. Denn die belangte Behörde hat diese Feststellung auf den Erhebungsbericht des Arbeitsinspektorates für den
8. Aufsichtsbezirk vom Mai 1987 gestützt, in dem das Arbeitsinspektorat nach Betriebsabteilungen (im Sinne der Behauptung der Erstbeschwerdeführerin nach Betrieben) - ohne Einbeziehung des Werkes - aufgeschlüsselte Zahlen bekanntgegeben hat. Die Erstbeschwerdeführerin hat sich in ihrer Stellungnahme vom Juli 1987 mit diesem Teil des Erhebungsberichtes nicht konkret befaßt, sondern lediglich in anderem Zusammenhang (nämlich mit der bereits vor diesem Erhebungsbericht erfolgten Einbringung des Pwerkes in die Zweitbeschwerdeführerin) vorgebracht, es beschäftige jede Gesellschaft weniger als 250 Arbeitnehmer. Wenn die belangte Behörde im Hinblick auf diese nur allgemeine und in anderem Zusammenhang vorgetragene Behauptung von der Richtigkeit des Erhebungsberichtes des Arbeitsinspektorates ausgegangen ist, so vermag der Verwaltungsgerichtshof darin keine Rechtswidrigkeit zu erblicken. Aber auch die Beschwerdeeinwände gegen das Gutachten der Sachverständigen Dr. T, auf das sich die belangte Behörde gestützt hat, vermögen keine relevanten Verfahrensmängel aufzuzeigen. Denn die AUVA gelangte in ihrem Gutachten vom 14. Jänner 1987 zum Ergebnis, daß 132 der von der Erstbeschwerdeführerin beschäftigten Arbeitnehmer einem Dauerschallpegel von mehr als 85 dB (A) unterlägen und daher einer audiometrischen Funktionsprüfung zu unterziehen seien. Diese gutächtliche Äußerung hat die Sachverständige Dr. T in ihrem Gutachten übernommen. Dazu führte die Erstbeschwerdeführerin in ihrer Stellungnahme vom 1. September 1987 aus, es könne daraus, daß 132 Arbeitnehmer einem Lärm über 85 dB (A) ausgesetzt seien, noch nicht eine besondere Gefahr für die Gesundheit der Arbeitnehmer erblickt werden, da diese Belastung sicherlich keine kontinuierliche sei und ohnedies laufend Untersuchungen stattfänden. Die bloße Bestreitung einer kontinuierlichen Lärmbelastung war aber nicht geeignet, die auf entsprechenden Messungen der AUVA gestützte gutächtliche Äußerung zu entkräften. Die belangte Behörde durfte daher davon ausgehen, daß 132 der von der Erstbeschwerdeführerin beschäftigten Arbeitnehmer einer § 3 Abs. 1 Z. 19 der Verordnung BGBl. Nr. 39/1974 entsprechenden Lärmeinwirkung ausgesetzt seien. Selbst wenn daher die übrigen Einwände gegen das Gutachten der Sachverständigen begründet wären, käme dem keine Relevanz zu, da nach den obigen rechtlichen Darlegungen schon im Hinblick auf die Lärmeinwirkung von einer besonderen Gefährdung eines erheblichen Teiles der von der Erstbeschwerdeführerin (voraussetzungsgemäß in einem mit der Zweitbeschwerdeführerin gemeinsam geführten Betrieb) beschäftigten Arbeitnehmer auszugehen wäre und deshalb eine Befreiung nach § 22 Abs. 2 zweiter Satz ASchG nicht in Betracht käme.
Ob aber das nunmehr im Eigentum der Zweitbeschwerdeführerin stehende P-werk gemeinsam mit den im Eigentum der Erstbeschwerdeführerin stehenden Werken einen gemeinsamen Betrieb im oben dargelegten Sinn bildet, läßt sich auf Grund der Feststellungen der belangten Behörde nicht abschließend beurteilen. Die gemeinsame Besorgung von Lohnverrechnung, Buchhaltung und Einkauf spricht ebensowenig wie das faktische Bestehen eines gemeinsamen Betriebsrates nach den obigen Darlegungen ohne weiteres für das Bestehen einer organisatorischen Einheit in den betriebsspezifischen Belangen. Aus welchen sonstigen Gründen die belangte Behörde das Bestehen eines einheitlichen Betriebes für "evident" hält, läßt sich der Begründung des angefochtenen Bescheides nicht entnehmen.
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 243/1985. Das Kostenmehrbegehren auf Ersatz eines um den Einheitssatz erhöhten Schriftsatzaufwandes sowie der davon berechneten Umsatzsteuer war abzuweisen, da der gemäß § 49 Abs. 1 für den Schriftsatzaufwand nach § 48 Abs. 1 Z. 2 VwGG zu zahlende Pauschbetrag nach Art. I lit. A Z. 1 der obgenannten Verordnung des Bundeskanzlers nur S 9.270,-- beträgt.
Wien, am 10. November 1988
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