Normen
BAO §115 Abs1;
BAO §116 Abs1;
BAO §167 Abs2;
BAO §299 Abs2;
BAO §299;
BewG 1955 §64 Abs2;
BewG 1955 §77 Abs1 Z1;
EStG 1972 §4 Abs2 impl;
FinStrG §33 Abs1 impl;
FinStrG §33 Abs1;
VwGG §21 Abs1;
VwGG §21;
VwGG §34 Abs1;
VwGG §41 Abs1;
VwRallg;
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:1987:1985150073.X00
Spruch:
Die Beschwerden werden als unbegründet abgewiesen.
Die Beschwerdeführer haben dem Bund Aufwendungen in der Höhe von insgesamt S 2.760,-- zu gleichen Teilen binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Aus den vorgelegten Verwaltungsakten ergibt sich - in Übereinstimmung mit dem Vorbringen der Parteien des nunmehrigen verwaltungsgerichtlichen Verfahrens - im wesentlichen folgendes:
Der Erstbeschwerdeführer hatte unter der im Handelsregister eingetragenen Firma "JB" das Gewerbe Gas- und Wasserinstallation betrieben. Seine Ehegattin, die Zweitbeschwerdeführerin, war bis 10. März 1976 bei ihm als Dienstnehmerin beschäftigt gewesen. Am 11. März 1976 hatten die Beschwerdeführer eine - auf das diesem Gewerbe dienende Betriebsvermögen beschränkte - Gütergemeinschaft unter Lebenden vereinbart. Dieser Ehepakt war im Handelsregister eingetragen worden. Ab dem zuletzt genannten Tag hatte die Zweitbeschwerdeführerin in diesem gewerblichen Betrieb vollbeschäftigt mitgearbeitet und war vom Finanzamt Braunau am Inn (in der Folge: Finanzamt) als Mitunternehmerin erfaßt worden. Gleichzeitig war der bisher als Einzelunternehmen erfaßt gewesene gewerbliche Betrieb als Gesellschaft nach bürgerlichem Recht (JB und RB) - mit Anteilen von je 50 v.H. - unter St.Nr. 410/0214 erfaßt worden.
Nachdem beim Finanzamt am 11. Jänner 1982 eine die Beschwerdeführer betreffende Kontrollmitteilung eingelangt war, hatten sie mit ihren Schriftsätzen vom 17. und 18. Februar Selbstanzeigen unter Bezugnahme auf § 29 FinStrG erstattet und u. a. ausgeführt, die "auf die Selbstanzeige entfallende" Umsatzsteuer für die Jahre 1974 bis 1981 sei gleichzeitig auf das Steuerkonto 410/0214 überwiesen worden und es werde die Festsetzung der auf die angegebenen Umsätze entfallenden Einkommen-
und Gewerbesteuer sowie ... beantragt.
Auf Grund des gemäß § 150 BAO erstatteten Berichtes des Finanzamtes vom 23. April 1982 waren die Beschwerdeführer gemäß § 82 Abs. 2 FinStrG bei der Staatsanwaltschaft Ried im Innkreis wegen des Verdachtes der Abgabenhinterziehung (Einkommen-, Gewerbe- , Umsatz- und Vermögensteuer) nach § 33 Abs. 1 FinStrG am 21. Juli 1982 angezeigt worden. Mit Beschluß der Ratskammer des Kreisgerichtes Ried im Innkreis vom 4. November 1982 war die Auffassung vertreten worden, dieses Kreisgericht sei zur Verfolgung der Beschwerdeführer u.a. wegen des Verdachtes der vorsätzlichen Verkürzung an Umsatz- und Gewerbesteuer für die Jahre 1977, 1978 und 1979 zuständig.
Mit fünf gesondert ausgefertigten Bescheiden je vom 18. Mai 1982 und je mit der St.Nr. 410/0214 stellte das Finanzamt den Einheitswert des in Rede stehenden gewerblichen Betriebes
1. (nach Wiederaufnahme des Verfahrens) auf den 1. Jänner 1976 und 1. Jänner 1977, 2. auf den 1. Jänner 1978, 3. auf den 1. Jänner 1979, 4. (nach Wiederaufnahme des Verfahrens) auf den 1. Jänner 1980 und
5. auf den 1. Jänner 1981 fest, wobei jeweils die auf Grund des angeführten Betriebsprüfungsberichtes angenommenen - erst im Jahre 1982 bekannt gewordenen - Schulden aus Umsatz- und Gewerbesteuer abgezogen wurden. In den soeben unter 1. und 4. angeführten Bescheiden wird nur der Erstbeschwerdeführer, allerdings unter Hinweis auf den Betriebsprüfungsbericht, in den soeben unter 2., 3. und 5. angeführten Bescheiden werden beide Beschwerdeführer angeführt.
Die belangte Behörde hob mit den im Spruch dieses Erkenntnisses näher bezeichneten, fünf gesondert ausgefertigten Bescheiden jeweils einen der vorstehend angeführten erstinstanzlichen Bescheide - bei 1. und 4. also nur die Sachentscheidung gemäß § 307 Abs. 1 BAO - in Ausübung ihres Aufsichtsrechtes nach § 299 Abs. 2 BAO auf und wies das Finanzamt in allen diesen Fällen gleichzeitig an, in der Sache neuerlich zu entscheiden. Dies unter Hinweis auf die §§ 64 Abs. 2 und 77 Bewertungsgesetz 1955 (in der Folge: BewG) mit der jeweils gleichlautenden Begründung, ein Abzug bei hinterzogenen Steuern komme nur in Betracht, wenn die Steuerhinterziehung vor dem maßgeblichen Zeitpunkt aufgedeckt worden sei. Die Selbstanzeige sei am 17. und 18. Februar 1982 erfolgt, die sich daraus ergebenden Steuerschulden könnten daher erst zum Stichtag 1. Jänner 1983 in Abzug gebracht werden.
Gegen die beiden dieser fünf Bescheide, mit denen die erwähnten Sachentscheidungen gemäß § 307 Abs. 1 BAO aufgehoben wurden, erhob nur der Erstbeschwerdeführer, gegen die anderen drei dieser fünf Bescheide erhoben beide Beschwerdeführer Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof. Dieser hat die Behandlung der fünf Beschwerden je mit Beschluß vom 24. November 1984, Zlen. B 478- 482/83-7, abgelehnt und sie dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten. In diesem nunmehrigen Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof wird die Aufhebung des jeweiligen dieser fünf Bescheide der belangten Behörde wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes, in eventu wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde und allenfalls wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften beantragt.
Der Bundesminister für Finanzen legte die Verwaltungsakten und die von der belangten Behörde für alle fünf Verfahren in einem Schriftsatz erstattete Gegenschrift vor. In dieser wird die Abweisung der Beschwerden als unbegründet beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat zunächst die Verbindung der vorliegenden fünf Beschwerden wegen ihres engen persönlichen, sachlichen und rechtlichen Zusammenhanges zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung beschlossen und danach erwogen:
Gemäß § 299 Abs. 1 kann ein Bescheid von der Oberbehörde in Ausübung ihres Aufsichtsrechtes aufgehoben werden:
a) wenn er von einer unzuständigen Behörde, von einem hiezu nicht berufenen Organ oder von einem nicht richtig zusammengesetzten Kollegialorgan einer Behörde erlassen wurde, oder
b) wenn der dem Bescheid zugrundeliegende Sachverhalt in einem wesentlichen Punkt unrichtig festgestellt oder aktenwidrig angenommen wurde, oder
c) wenn Verfahrensvorschriften außer Acht gelassen wurden, bei deren Einhaltung ein anderslautender Bescheid hätte erlassen werden oder eine Bescheiderteilung hätte unterbleiben können.
Nach § 299 Abs. 2 BAO kann ferner ein Bescheid von der Oberbehörde wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben werden.
Da in den vorliegenden Beschwerdefällen die jeweils angefochtene Aufhebung des Bescheides durch die Oberbehörde eine - nicht nur nach Auffassung der Beschwerdeführer keiner weiteren Erörterung bedürftige - Verletzung subjektiv-öffentlicher Rechte der jeweils betroffenen Beschwerdeführer zur Folge haben kann, sind die Beschwerden nicht zurückzuweisen (siehe z.B. den gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG zitierten Beschluß des Verwaltungsgerichtshofes vom 11. Dezember 1986, Zl. 86/16/0017, und die darin zitierten Erkenntnisse).
Wie nun der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung (siehe z.B. die ebenfalls gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG zitierten Erkenntnisse vom 17. Dezember 1963, Zl. 1712/62, ÖStZB 1964/11, S. 104, vom 18. Dezember 1968, Zl. 301/67, Slg. Nr. 3834/F, und vom 20. Februar 1973, Zl. 156/73, Slg. Nr. 4503/F) dargetan hat, kommt es bei der Überprüfung (§ 41 Abs. 1 erster Satz VwGG) eines Aufhebungsbescheides nur darauf an, ob die Behörde überhaupt berechtigt war, einen solchen im Aufsichtswege zu erlassen oder nicht, weil nicht erkannt werden kann, in welchem subjektiv-öffentlichen Recht eine beschwerdeführende Partei dadurch verletzt worden sei, wenn der Aufhebungsbescheid statt richtig auf § 299 Abs. 1 BAO auf § 299 Abs. 2 BAO oder umgekehrt bzw. statt auf die richtige lit. des Abs. 1 dieser Gesetzesstelle auf eine andere gestützt wurde.
Da für den Bereich des § 299 BAO dem Prinzip der Rechtmäßigkeit der Vorrang vor dem Prinzip der Rechtssicherheit zukommt, wird das in dieser Gesetzesstelle eingeräumte Ermessen (§ 20 BAO) regelmäßig dann im Sinn des Gesetzes gehandhabt, wenn die Oberbehörde bei Wahrnehmung einer nicht bloß geringfügigen Rechtswidrigkeit mit Aufhebung des bereits rechtskräftigen Bescheides vorgeht, gleichgültig, ob zum Vorteil oder zum Nachteil des Abgabepflichtigen (siehe z.B. die gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG zitierten Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 19. Februar 1986, Zl. 84/13/0024, ÖStZB 1986/23, S. 411, und vom 30. Juni 1986, Zl. 84/15/0047). Von einer geringfügigen Rechtswidrigkeit kann in den vorliegenden Beschwerdefällen - ganz abgesehen von dem, dem zitierten Beschluß der Ratskammer des Kreisgerichtes Ried im Innkreis nach § 53 Abs. 1 lit. b FinStrG (in der Fassung vor der am 1. Jänner 1986 in Kraft getretenen Finanzstrafgesetznovelle 1985, BGBl. Nr. 571) zugrundeliegenden strafbestimmenden Wertbetrag - schon im Hinblick auf die Selbstanzeige der Beschwerdeführer und das von ihnen jedenfalls hinsichtlich der ziffernmäßigen Höhe unbestrittene Ergebnis der erwähnten Betriebsprüfung keine Rede sein.
Gemäß § 64 Abs. 2 erster Satz BewG (in der hier maßgebenden Fassung zwischen der durch Art. I Z. 23 der Bewertungsgesetz-Novelle 1971, BGBl. Nr. 172, und der durch Abschnitt XI Art. I Z. 5 des Abgabenänderungsgesetzes 1982, BGBl. Nr. 570, bewirkten Änderung, die nach Art. II des zitierten Abschnittes erstmalig auf nach dem 31. Dezember 1982 liegende Feststellungs- und Veranlagungszeitpunkte anzuwenden ist) hängt der Abzug von Schulden aus laufend veranlagten Steuern davon ab, ob die Steuern entweder 1. spätestens im Feststellungszeitpunkt fällig geworden sind oder 2. - bei späterer Fälligkeit - für einen Zeitraum erhoben werden, der spätestens im Feststellungszeitraum geendet hat. Diese Bestimmung ist bereits vor dem zitierten Abgabenänderungsgesetz 1982 mit dem Verständnis gelesen worden, daß es nicht "Feststellungszeitraum" sondern "Feststellungszeitpunkt" zu heißen hat (siehe z.B. das gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG zitierte Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 20. September 1983, Zl. 82/14/0247, ÖStZB 1984/6, S. 85).
Nach der vom Verwaltungsgerichtshof mit seinem Erkenntnis vom 26. November 1985, Zl. 85/14/0076, Slg. Nr. 6053/F, das gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG zitiert wird, ausdrücklich gebilligten Auffassung im österreichischen (siehe nunmehr Twaroch-Frühwald-Wittmann, Kommentar zum Bewertungsgesetz2, Wien 1986 - Stand Oktober 1985 nach der 7. Ergänzungslieferung, S. 349 Abs. 3) und deutschen Schrifttum (siehe nunmehr z.B. Krekeler, Bewertungsgesetz6, Berlin und Frankfurt a.M. 1958, S. 472 vorletzter Abs., Rössler-Troll-Langner, Bewertungsgesetz und Vermögensteuergesetz13, München 1983, S. 1261, Anm. 10 Abs. 1, und Gürsching-Stenger, Kommentar zum Bewertungsgesetz und Vermögensteuergesetz8, Köln 1985 - Stand nach der 58. Lieferung vom Juni 1986, Band III S. 11 Abs. 1) sowie in der (in dem soeben angeführten deutschen Schrifttum ausführlich zitierten) Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes sind vorsätzlich hinterzogene Steuern entgegen der von den Beschwerdeführern vertretenen Auffassung grundsätzlich nicht abzugsfähig im Sinne des S 64 Abs. 2 erster Satz BewG.
Wenn in der Beschwerde behauptet wird, die belangte Behörde sei zur Entscheidung über die Frage, ob eine Abgabenhinterziehung vorgelegen sei oder nicht, nicht berechtigt und zuständig, dann wird dabei folgendes übersehen:
Anders als im Falle des § 11 BAO, wonach bei vorsätzlichen Finanzvergehen rechtskräftig verurteilte Täter und andere an der Tat Beteiligte, wenn sie nicht selbst abgabepflichtig sind, für den Betrag haften, um den die Abgaben verkürzt wurden, sind in den vorliegenden Beschwerdefällen die maßgebenden Hinterziehungskriterien der Straftatbestände von der Abgabenbehörde nachzuweisen, ohne daß es eines förmlichen Strafverfahrens bedarf (siehe hinsichtlich der gleichen Problematik bei der Frage der Verjährung hinterzogener Abgaben und Beiträge gemäß § 207 Abs. 2 zweiter Satz BAO Stoll, Bundesabgabenordnung-Handbuch, Wien 1980, S. 489f und die dort zitierte Rechtsprechung). Ein Freispruch im Strafverfahren könnte die Abgabenbehörde nicht von dieser Verpflichtung entbinden. Umgekehrt - nämlich im Falle eines strafgerichtlichen Schuldspruches - wäre die Abgabenbehörde an die im Spruch des rechtskräftigen Urteiles festgestellten Tatsachen bzw. an die tatsächlichen Feststellungen, auf denen dieser Spruch beruht, gebunden (siehe z.B. das gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG zitierte Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshof vom 19. Februar 1987, Zl. 85/16/0055, und die darin zitierte Rechtsprechung).
In den vorliegenden Beschwerdefällen vermögen die Selbstanzeige, der Betriebsprüfungsbericht und der Ratskammerbeschluß eine begründete Feststellung einer Abgabenhinterziehung nicht zu ersetzen, sie stellen allerdings wesentliche Indizien für eine solche dar. Auf Grund der im Ergebnis nicht rechtswidrigen Aufhebungsbescheide der belangten Behörde - die nicht auf § 299 Abs. 2 BAO, sondern auf § 299 Abs. 1 lit. c BAO zu stützen gewesen wären - wird das Finanzamt hinsichtlich der von ihm gemäß § 64 Abs. 2 BewG bei Erlassung der zitierten erstinstanzlichen Bescheide abgezogenen Steuerschulden vor allem unter Bedachtnahme auf § 115 Abs. 1 bis 3 BAO die tatsächlichen Verhältnisse zu ermitteln und entsprechend begründete, überprüfbare Feststellungen darüber zu treffen haben, ob die hier in Rede stehenden Abgaben hinterzogen worden waren oder nicht. Nur im letzteren Fall käme ein Abzug gemäß § 64 Abs. 2 BewG in Betracht.
Aus allen dargelegten Erwägungen erweisen sich die vorliegenden Beschwerden als unbegründet, weshalb sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen sind.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 243/1985.
Wien, am 30. März 1987
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