VwGH 85/13/0168

VwGH85/13/016819.3.1986

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Hofstätter und die Hofräte Dr. Iro, Dr. Drexler, Dr. Pokorny und Dr. Fürnsinn als Richter, im Beisein des Schriftführers Oberkommissär Dr. Dorner, über die Beschwerde des KR. AP in W, vertreten durch Dr. Dietrich Roessler, Rechtsanwalt in Wien I, Schwedenplatz 3-4, gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom 31. Juli 1985, Zl. 6/3-3102/8/85, betreffend Einkommensteuer 1979 und 1980, zu Recht erkannt:

Normen

EStG 1972 §37 Abs3;

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:1986:1985130168.X00

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 9.870,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Zur Vorgeschichte dieses Beschwerdefalles ist zum Zwecke der Vermeidung von Wiederholungen auf das in derselben Sache ergangene Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 16. Jänner 1985, Zl. 84/13/0219, zu verweisen. Mit diesem Erkenntnis hat der Verwaltungsgerichtshof die damals angefochtene Berufungsentscheidung der belangten Behörde im wesentlichen mit folgender Begründung wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben:

Die Frage, ob ein unmittelbar drohendes Enteignungsverfahren für die Veräußerung eines Wirtschaftsgutes im Sinne des § 37 Abs. 3 erster Satz EStG 1972 maßgebend sei, könne stets nur auf Grund der tatsächlichen Gegebenheiten beurteilt werden. Gerade mit den tatsächlichen Gegebenheiten habe sich die belangte Behörde jedoch im Beschwerdefall noch nicht ausreichend auseinandergesetzt. Die Tatsache, daß Beschlüsse, welche Zwangsmaßnahmen der Gemeinde gegen den Beschwerdeführer ermöglicht hätten, nicht gefaßt worden seien, schließe nicht aus, daß dem Beschwerdeführer im entscheidenden Zeitpunkt der Verkaufsverhandlungen mit dem unmittelbaren Bevorstehen solcher rechtlich zulässiger Maßnahmen gedroht und damit entscheidender Einfluß auf die Gestaltung der Verkaufsbedingungen genommen worden sei, wie dies der Beschwerdeführer im Zuge des Verfahrens immer wieder behauptet habe. Wäre davon auszugehen, daß der Beschwerdeführer unter dem Einfluß ernstzunehmender Enteignungsandrohungen sowohl in der Freiheit der Auswahl seines Vertragspartners als auch vor allem in der Preisgestaltung beeinträchtigt gewesen sei, dann stünde der Annahme, daß der strittige Liegenschaftsverkauf freiwillig zur Abwendung eines drohenden Enteignungsverfahrens erfolgt sei, auch nicht der Umstand entgegen, daß der Beschwerdeführer damals aus Altersbzw. Gesundheitsrücksichten selbst einen Verkauf dieser Liegenschaft vorgehabt habe. Einer späteren, eine Enteignung begründenden Beschlußfassung der zuständigen Gemeindeorgane habe es nicht mehr bedurft, weil sich die Gemeinde ja durch den "freiwilligen" Verkauf der Liegenschaft bereits das Eigentum daran verschafft habe. Für die rechtliche Lösung des Beschwerdefalles komme es entscheidend darauf an, wie sich die Frage einer allfälligen Enteignung für den Beschwerdeführer im Zeitpunkt der Verkaufsverhandlungen dargestellt habe, doch fehle es diesbezüglich noch an ausreichenden Ermittlungen und Feststellungen. Bei der Beantwortung der Frage der Unmittelbarkeit der Enteignungsandrohung für den Beschwerdeführer werde auch zu berücksichtigen sein, daß von ihm - im Gegensatz zu seinem Verhandlungspartner von seiten der Gemeinde - eine nähere Kenntnis der gemeindeinternen Vorgänge wohl nicht vorausgesetzt werden könne.

Die belangte Behörde hat das Verfahren im wesentlichen durch Einvernahme der Zeugen AG und Dr. ES sowie durch Einholung ergänzender Stellungnahmen des Beschwerdeführers, zuletzt in einer weiteren mündlichen Berufungsverhandlung, ergänzt.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers neuerlich als unbegründet ab, wobei sie - wie bereits in ihrer ersten Berufungsentscheidung - den erstinstanzlichen Einkommensteuerbescheid 1980 zum Nachteil des Beschwerdeführers abänderte, indem sie den vom Finanzamt der begünstigten Besteuerung nach § 37 Abs. 3 EStG 1972 unterzogenen Erlös aus dem Liegenschaftsverkauf von dieser Begünstigung ausnahm. Dazu führte die belangte Behörde nach wörtlicher Wiedergabe der mit dem Zeugen AG aufgenommenen Niederschrift begründend aus, daß die darin festgehaltene Darstellung, welcher der Beschwerdeführer grundsätzlich nichts entgegenzustellen gehabt habe, den "damals maßgebenden tatsächlichen Gegebenheiten" entspreche. Ergänzend stellte die belangte Behörde dazu fest, daß sich aus den Akten der MA 69 keine Hinweise auf schriftliche Vorgänge zur behaupteten drohenden Enteignung ergäben.

In rechtlicher Hinsicht kam die belangte Behörde auf Grund ihres ergänzten Ermittlungsverfahrens zu dem Ergebnis, daß dem Beschwerdeführer im entscheidenden Zeitpunkt eine Enteignung nicht nachweisbar unmittelbar gedroht habe. Die Stadt Wien habe zwar bereits 1980 reges Interesse an der Liegenschaft des Beschwerdeführers gezeigt, jedoch keine Absicht gehabt, "die Liegenschaft jedenfalls - also auch im Enteignungswege - zu erwerben". Daran habe sich in der Folge keine Änderung ergeben, weil seitens der Stadt Wien keinerlei Maßnahmen ergriffen worden seien, um die rechtliche Möglichkeit einer Zwangsmaßnahme zu schaffen. Erst als bekannt geworden sei, daß der Beschwerdeführer seinen Betrieb stilllegen werde, sei erneut das Kaufinteresse der Stadt Wien erwacht. Der mit der Anbahnung von Verkaufsgesprächen beauftragte Zeuge AG habe dem Beschwerdeführer "aus kaufpreistaktischen Erwägungen" sämtliche möglichen Maßnahmen der Stadt Wien vor Augen gehalten. Andererseits habe der Beschwerdeführer im Zuge der Verhandlungen eine in der langen Dauer der Durchführung begründete Kaufpreiserhöhung erreicht, welche immerhin 19,3 % über dem Verkehrswert gelegen sei.

Nach der Aussage des Zeugen AG obliege es dem Verkaufsgeschick des Sachbearbeiters, einen raschen und günstigen Kaufabschluß herbeizuführen. Ein "Aktenkundigmachen der Androhung der Enteignung" wäre erst bei der Einleitung von geeigneten Maßnahmen erforderlich gewesen. Daraus folge, daß dem Beschwerdeführer die Möglichkeit einer Enteignung vorgehalten, konkrete Maßnahmen jedoch nicht ergriffen worden seien.

Die belangte Behörde könne daher nicht finden, "daß die bloße Möglichkeit, ohne entsprechende Beschlüsse der betreffenden Körperschaft, zumindest im Hinblick auf die Voraussetzungen (z. B. Willensäußerung durch Straßenbaubeschluß), daß ein Grundstück enteignet werden könnte, als ausreichend für eine Subsumierung unter die unmittelbar drohenden Enteignungsfälle angesehen werden" könne. Dies umso mehr, als die rechtliche Situation es nur erlaubt hätte, die in die Straße ragenden Teile der Liegenschaft zu enteignen und eine anderweitige Verwendung bzw. Veräußerung der Restfläche jedenfalls im Bereich der Möglichkeit gestanden sei. Es habe dem Beschwerdeführer auch keine Schwierigkeiten bereiten können, den Sachbearbeiter der MA 69 über den Stand der Beschlüsse der Gemeinde zu befragen; dieser wäre verpflichtet gewesen, darüber wahrheitsgemäß Auskunft zu erteilen.

Einer weiteren Einvernahme des Zeugen AG habe es deshalb nicht bedurft, weil als erwiesen angenommen worden sei, daß dieser dem Beschwerdeführer im Zuge der Verhandlungen die rechtlichen Möglichkeiten einer Enteignung vor Augen geführt habe, und zwar, "daß nach Vorliegen eines einschlägigen Straßenbaubeschlusses bzw. Erlassung der Verordnung der Landesregierung, das Gebiet um den Storchengrund zum Assanierungsgebiet zu erklären, unter bestimmten Voraussetzungen eine Enteignung möglich wäre". Der Charakter einer unmittelbaren Drohung einer Enteignung könne dem jedoch nicht beigemessen werden, "zumal der einschreitende Beamte mögliche Beschlüsse des Gemeinderates bzw. der Landesregierung zu präjudizieren hätte". Unbestritten stehe weiters fest, "daß ohne diese Entscheidungen der politischen Kommunalgremien eine Enteignung nicht durchführbar gewesen wäre und eine objektive Beurteilung nicht an die möglicherweise mißverständliche Ausdrucksweise eines Beamten, sondern nur an den ausdrücklichen Willen des Gemeinderates und der Landesregierung knüpfen kann".

Gegen diesen Bescheid richtet sich die wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde.

 

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Wie der Verwaltungsgerichtshof schon in seinem Vorerkenntnis vom 16. Jänner 1985, Zl. 84/13/0219, ausgeführt hat, kann die für die Anwendung der Begünstigung gemäß § 37 Abs. 3 erster Satz EStG 1972 entscheidende Frage, ob eine Veräußerung freiwillig zur Abwendung eines nachweisbar unmittelbar drohenden Enteignungsverfahrens erfolgt ist, stets nur auf Grund der tatsächlichen Gegebenheiten beurteilt werden.

Die belangte Behörde hat diese tatsächlichen Gegebenheiten im fortgesetzten Verfahren im Sinne des Erkenntnisses des Verwaltungsgerichtshofes näher ermittelt und ist bei ihrer rechtlichen Beurteilung des Beschwerdefalles im angefochtenen Bescheid ausdrücklich davon ausgegangen, daß die vom Zeugen AG gegebene, "in der Niederschrift vom 10. April 1985 festgehaltene Darstellung den damals maßgebenden tatsächlichen Gegebenheiten entspricht".

Gerade die vom Zeugen AG gegebene Darstellung der Vorgänge im Zuge der zwischen ihm und dem Beschwerdeführer geführten Verkaufsverhandlungen, die im wesentlichen mit der Darstellung des Beschwerdeführers und mit den darüber von der MA 69 ausgestellten Bestätigungen vom 1. März 1983, vom 4. Mai 1984 und vom 29. Mai 1984 übereinstimmt, mußte jedoch, was der Beschwerdeführer mit Recht gegen den angefochtenen Bescheid ins Treffen führt, zu einer anderen rechtlichen Beurteilung der im Beschwerdefall entscheidenden Frage als im angefochtenen Bescheid führen. Der Zeuge AG hat nämlich über die entscheidenden Vorgänge u. a. folgendes ausgesagt:

"...

Da ich im Rahmen meiner Tätigkeit befugt war, alle gesetzlichen Möglichkeiten an den Verkäufer heranzutragen, teilte ich Kommerzialrat AP mit, daß nach Vorliegen eines Ausbaubeschlusses der Magistratsabteilung 28 einer Enteignung nichts mehr im Wege stehen würde und ein solcher Beschluß über Anregung der MA 69 zustande kommen würde.

...

Als Sachbearbeiter der MA 69 habe ich deren Interessen im Rahmen der mir zustehenden Verhandlungsfreiheit zu wahren und kann ... sämtliche gesetzlichen Möglichkeiten ins Treffen führen, um zu einem Kaufabschluß zu kommen. Über die Verkaufsverhandlungen werden keine Protokolle aufgenommen und es obliegt dem Verhandlungsgeschick des Sachbearbeiters, einen raschen und günstigen Abschluß herbeizuführen. Ein Aktenkundigmachen der Androhung der Enteignung wäre erst bei der Einleitung von geeigneten Maßnahmen erforderlich gewesen. Hätte ich z. B. zu den Preisvorstellungen der MA 69 keinen Abschluß herbeiführen können, hätte ein Antrag an die MA 64 auf Einleitung eines Enteignungsverfahrens erfolgen müssen.

...

Frage: Wie kam es zur Bestätigung vom 1. März 1983, daß die Stadt Wien die Liegenschaft zum Zweck der Abwendung einer drohenden Enteignung erworben hat?

Antwort: ... und so trat ich gemeinsam mit Kommerzialrat AP

an den Abteilungsleiter der MA 69 heran und es wurde die vorliegende Bestätigung, welche nach meinem Dafürhalten den Gegebenheiten entspricht, erstellt."

Die belangte Behörde hat daraus den zutreffenden Schluß gezogen, daß dem Beschwerdeführer die Möglichkeit einer Enteignung vorgehalten, konkrete Maßnahmen jedoch nicht ergriffen worden seien. Die Annahme einer nachweisbar unmittelbar drohenden Enteignung setzt aber derartige "konkrete Maßnahmen" in Richtung der Enteignung nicht voraus, vielmehr ist dafür auch schon die tatsächliche Androhung einer gesetzlich zulässigen Enteignung ausreichend (vgl. Hofstätter-Reichel, Kommentar III B, Anm. 5 zu § 30 EStG 1972). Die dem Beschwerdeführer vom Zeugen AG aus "verhandlungstaktischen" Gründen angedrohte Enteignung wäre auch verhältnismäßig kurzfristig durchführbar und das Enteignungsverfahren nach der Sachlage für die enteignungsberechtigte Stadt Wien erfolgversprechend gewesen (vgl. Schubert-Pokorny-Schuch-Quantschnigg, Einkommensteuer-Handbuch2, S. 673). Keinesfalls vermag der Verwaltungsgerichtshof auf Grund der Darstellung des Zeugen AG der von der belangten Behörde in ihrer Gegenschrift vertretenen Auffassung zu folgen, AG habe dem Beschwerdeführer im Zuge der Verkaufsverhandlungen nur eine "Rechtsbelehrung über Enteignungsmöglichkeiten" erteilt, zumal für AG kein Anlaß bestand, seinen Verhandlungspartner über die abstrakte Rechtslage nach der Wiener Bauordnung bzw. nach dem Stadterneuerungsgesetz aufzuklären, sondern es vielmehr seine Aufgabe und sein Bestreben war, den Beschwerdeführer zu einer raschen und für die Stadt Wien möglichst günstigen Veräußerung seiner Liegenschaft zu veranlassen.

Die belangte Behörde hat daher, ausgehend von ihren unbestritten gebliebenen Sachverhaltsfeststellungen, die Rechtslage verkannt. Der angefochtene Bescheid war deshalb gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 und 48 Abs. 1 Z 1 und 2 VwGG in Verbindung mit Art. I A Z 1 und 2 der Verordnung des Bundeskanzlers vom 30. Mai 1985, BGBl. Nr. 243.

Wien, am 19. März 1986

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte