VwGH 84/13/0219

VwGH84/13/021916.1.1985

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Hofstätter und die Hofräte Dr. Iro, Dr. Drexler, Dr. Pokorny und Dr. Fürnsinn als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Traumüller, über die Beschwerde des KR. AP in W, vertreten durch Dr. Johannes Patzak, Rechtsanwalt in Wien I., Johannesgasse 16, gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom 4. Juli 1984, GZ 6/3-3030/3/84, betreffend Einkommensteuer 1979 und 1980, zu Recht erkannt:

Normen

EStG 1972 §37 Abs3;

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:1985:1984130219.X00

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 8.600,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ist ausschließlich strittig, ob und in welchem Ausmaß auf den Erlös des Beschwerdeführers aus der Veräußerung seiner Betriebsliegenschaft in Wien, S-gasse 22, bei der Bemessung der Einkommensteuer 1979 und 1980 der begünstigte (Viertel‑) Steuersatz gemäß § 37 Abs. 3 EStG 1972 anzuwenden ist.

Das Finanzamt hat - den Ergebnissen einer die Jahre 1977 bis 1980 umfassenden Betriebsprüfung folgend - diesen begünstigten Steuersatz nur bei der Einkommensteuer 1980, und zwar hinsichtlich des das Grundstück ohne Zubehör betreffenden Veräußerungserlöses zur Anwendung gebracht (vgl. Tz 23 bis 25 des Betriebsprüfungsberichtes).

Das Finanzamt stützte sich dabei auf ein an den Beschwerdeführer gerichtetes Schreiben des Magistrates der Stadt Wien - MA 69 vom 1. März 1983 folgenden Inhaltes:

"Sehr geehrter Herr Kommerzialrat!

Auf Grund Ihrer Anfrage erlaubt sich die MA 69 Ihnen

folgendes mitzuteilen:

Ihre Liegenschaft in Wien, S-gasse 22, wurde mit Beschluß des Wiener Gemeinderates vom 12. Dez. 1980, Pr. Zl. 3753, zum Zwecke der Assanierung, des Wohnbaues, der Arrondierung städtischen Eigentums, zur Beseitigung eines eklatanten Verkehrshindernisses und in der Folge zur Erhöhung der Schulwegsicherheit in diesem Bereich erworben.

Für den Fall, daß eine freihändige Einigung mit Ihnen nicht zustandegekommen wäre, wäre die Stadt Wien gezwungen gewesen, in Verfolgung ihrer Planungsziele von den ihr zur Verfügung stehenden rechtlichen Möglichkeiten Gebrauch machen zu müssen.

Es darf daher festgehalten werden, daß Ihre Zustimmung zum Verkauf dieser Liegenschaft an die Stadt Wien zum Zwecke der Abwendung einer drohenden Enteignung erfolgt ist."

In seiner Berufung gegen die Einkommensteuerbescheide 1979 und 1980 machte der Beschwerdeführer - ebenfalls unter Hinweis auf das oben wiedergegebene Schreiben - geltend, auch auf den Verkaufserlös der mit dem Gebäude S-gasse 22 fest verbunden gewesenen Maschinen, Installationen und Betriebseinrichtungen wäre der Viertelsteuersatz anzuerkennen gewesen, weil auch deren Verkauf in den Jahren 1979 und 1980 unter dem Druck der dem Beschwerdeführer drohenden Enteignung vorgenommen habe werden müssen. Rechtlich verwies der Beschwerdeführer dazu auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 28. Mai 1980, Zl. 1188/78.

Im Zuge des Berufungsverfahrens wurde eine Stellungnahme des Betriebsprüfers zur Berufung eingeholt und dem Beschwerdeführer Gelegenheit gegeben, sich dazu zu äußern. Die belangte Behörde richtete ferner an die zuständige Magistratsabteilung die Anfrage, welche Beschlüsse den Verkaufsverhandlungen der Liegenschaft Sgasse 22 betreffend Enteignung vorausgegangen seien und wie der Beschwerdeführer von den beabsichtigten Enteignungsmaßnahmen Kenntnis erlangt habe.

In Beantwortung dieser Anfrage teilte die MA 69 der belangten Behörde mit Schreiben vom 4. Mai 1984 mit, die Betriebsliegenschaft des Beschwerdeführers sei im "Untersuchungsgebiet für das Grundstückeassanierungsgebiet S-grund im nn. Bezirk" gelegen. Eine Verordnung, dieses Gebiet zum Assanierungsgebiet gemäß dem Stadterneuerungsgesetz zu erklären, sei - obwohl seit Jahren in Rede stehend - bisher aber noch nicht ergangen. Außerdem falle die Liegenschaft zum Teil auf gewidmeten Straßengrund, so daß sie in Anwendung des § 39 der Wiener Bauordnung enteignet werden könne. Ein diesbezüglicher Straßenausbaubeschluß des zuständigen Gemeinderatsausschusses liege derzeit noch nicht vor. Abschließend führte die MA 69 in diesem Schreiben aus:

"Allerdings wurden dem Vertragspartner in den Verhandlungen die Enteignungsmöglichkeiten nach Vorliegen dieser Beschlüsse vor Augen gehalten. In diesem Sinne war auch die Bestätigung der MA 69 vom 1.3.1983 abgefaßt."

In der Folge übermittelte die MA 69 der belangten Behörde über deren auf § 158 BAO gestütztes Ersuchen den einschlägigen "Transaktionsakt", wobei die MA 69 in ihrem Begleitschreiben vom 29. Mai 1984 ergänzend zum Schreiben vom 4. Mai 1984 darauf hinwies,

"daß sich der letzte Absatz der Bestätigung auf die beiden Enteignungsmöglichkeiten nach § 39 Bauordnung für Wien (da ein Liegenschaftsanteil auf gewidmeten Straßengrund fällt) und dem Stadterneuerungsgesetz (zweitere jedoch erst bei Vorliegen einer entsprechenden Verordnung nach dem Stadterneuerungsgesetz) bezogen hat und die Stadt Wien im Fall des Scheiterns der Verhandlungen die Voraussetzungen für die Enteignung geschafft hätte."

In einem an den Beschwerdeführer gerichteten, auf den Inhalt des vorgelegten Aktes der MA 69 gestützten Vorhalt vertrat die belangte Behörde den Standpunkt, daß demnach von einer freiwilligen, zur Abwendung eines nachweisbar unmittelbar drohenden Enteignungsverfahrens durchgeführten Veräußerung der strittigen Liegenschaft nicht gesprochen werden könne.

Dazu äußerte sich der Vertreter des Beschwerdeführers in seiner Stellungnahme vom 20. Juni 1984 wie folgt:

"Während der ganzen Verhandlungen unseres Mandanten mit der Gemeinde Wien hat diese immer wieder zum Ausdruck gebracht, daß im Falle einer Nichteinigung die Gemeinde Wien von der Möglichkeit der Einleitung eines Enteignungsverfahrens Gebrauch machen würde. Natürlich hat unser Mandant versucht, andere Käufer für seine Liegenschaft zu finden, da in diesem Falle sicherlich ein wesentlich höherer Erlös zu erzielen gewesen wäre. Aber gerade bedingt durch die - nach Auskunft der Gemeinde Wien - unmittelbar drohende Enteignung machte einen Verkauf an Dritte unmöglich. Daß unser Mandant aus rein kaufmännischen Erwägungen diese Verhandlungen, die, wie feststand, zu keinem Ergebnis führen konnten, der Gemeinde Wien gegenüber erwähnte, ist unseres Erachtens verständlich, da nur dadurch vom einzig möglichen Käufer - der Gemeinde Wien - ein besserer Preis zu erzielen gewesen wäre.

Es lag unserer Meinung nach nicht im Bereich unseres Mandanten, zu beurteilen, wie ernst es der Gemeinde Wien mit der in Verhandlungen immer wieder angedrohten Enteignung gewesen ist. Daß inzwischen keine weiteren Beschlüsse von der Gemeinde Wien gefaßt wurden, war damals in keiner Weise absehbar (dies kann naturgemäß hinterher leicht behauptet werden).

Darüber hinaus stand die Gemeinde Wien nicht mehr unter Zugzwang, da sie das Grundstück, das sie wollte, bereits ohne entsprechende Zwangsmaßnahmen - nur unter Androhung derselben erhalten hatte.

Es geht daher unseres Erachtens nicht an, angedrohte Enteignungen, denen nach der Abwicklung keine entsprechenden Beschlüsse folgen, nicht anzuerkennen. Dies würde bedeuten, daß entweder jeder Verkauf nur im Enteignungsverfahren durchgeführt werden kann oder nur hinterher beurteilt werden kann. Da beide sicherlich nicht in der Absicht des Gesetzgebers gelegen ist, können wir uns Ihrer Rechtsauslegung nicht anschließen."

In der mündlichen Berufungsverhandlung vom 3. Juli 1984 gab der Beschwerdeführer zu Protokoll, daß ihm die Enteignung zwar nie schriftlich, wohl aber wiederholt mündlich angedroht worden sei.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers als unbegründet ab. Gleichzeitig änderte sie den Einkommensteuerbescheid 1980 zum Nachteil des Beschwerdeführers ab, indem sie auch den vom Finanzamt der begünstigten Besteuerung nach § 37 Abs. 3 EStG 1972 unterzogenen Erlös aus dem Liegenschaftsverkauf von dieser Begünstigung ausnahm. Die Frage, ob ein unmittelbar drohendes Enteignungsverfahren für die Veräußerung eines Wirtschaftsgutes maßgebend sei, könne stets nur auf Grund der tatsächlichen Gegebenheiten und nicht z.B. nach dem Wortlaut des Kaufvertrages beurteilt werden. Die vorliegende Bestätigung der MA 69 vom 1. März 1983 entspreche jedenfalls nicht den tatsächlichen Gegebenheiten, da sogar noch heute jene Beschlüsse, welche möglicherweise geeignet wären, Zwangsmaßnahmen zur Durchsetzung öffentlicher Interessen zu setzen, ausstünden. Einerseits könnte auf Grund des vorliegenden Schriftverkehrs lediglich von einem Kaufinteresse der Stadt Wien - wie dies jedem Grundstückskäufer zukomme - gesprochen werden, andererseits weise die Aufgabe und Räumung des Betriebes im Zusammenhang mit der - aus gesundheitlichen Erwägungen erfolgten - Stillegung des Betriebes und der Fristsetzung zur Abwicklung des Verkaufes an die Gemeinde Wien auf einen - auch unter Fremden üblichen - Kaufabschluß hin. Die vom Gesetzgeber geforderte nachweisbar unmittelbar drohende Enteignung könne daher im vorliegenden Fall nicht erblickt werden. Um von einer unmittelbar drohenden Enteignung sprechen zu können, hätten zumindest Beschlüsse der Landesregierung bzw. des Gemeinderates vorliegen müssen, aus welchen die Interessen der öffentlichen Hand in eindeutiger Weise hervorgegangen wären.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften, in eventu wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes erhobene Beschwerde.

 

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Werden Wirtschaftsgüter des Betriebsvermögens im Wege eines Enteignungsverfahrens oder freiwillig zur Abwendung eines nachweisbar unmittelbar drohenden Enteignungsverfahrens veräußert, so ist gemäß § 37 Abs. 3 erster Satz EStG 1972 die Einkommensteuer auf Antrag für den Unterschiedsbetrag zwischen der um die Veräußerungskosten verminderten Enteignungsentschädigung (Veräußerungserlös) und dem sich nach § 6 ergebenden Wert des Wirtschaftsgutes mit der Hälfte des sich nach Abs. 1 ergebenden Betrages festzusetzen.

Die belangte Behörde geht im angefochtenen Bescheid zutreffend davon aus, daß die Frage, ob ein unmittelbar drohendes Enteignungsverfahren für die Veräußerung eines Wirtschaftsgutes maßgebend ist, stets nur auf Grund der tatsächlichen Gegebenheiten beurteilt werden kann (vgl. dazu Hofstätter-Reichel, Kommentar III C, S. 26 zu § 37 EStG 1972). Gerade mit den tatsächlichen Gegebenheiten im Beschwerdefall hat sich jedoch die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid nicht in einer Weise auseinandergesetzt, welche die Kontrolle der Richtigkeit ihrer darauf gegründeten rechtlichen Lösung des Falles durch den Verwaltungsgerichtshof ermöglichen würde. Die Tatsache, daß Beschlüsse, welche Zwangsmaßnahmen der Gemeinde gegen den Beschwerdeführer ermöglicht hätten, bis heute nicht gefaßt worden seien, schließt nicht aus, daß dem Beschwerdeführer im entscheidenden Zeitpunkt der Verkaufsverhandlungen mit dem unmittelbaren Bevorstehen solcher rechtlich zulässiger Maßnahmen gedroht und damit entscheidender Einfluß auf die Gestaltung der Verkaufsbedingungen genommen wurde, wie dies der Beschwerdeführer im Zuge des Verfahrens immer wieder behauptet hat.

Mit dem diesbezüglichen Vorbringen des Beschwerdeführers - insbesondere in dessen Eingabe vom 20. Juni 1984 - hat sich die belangte Behörde jedoch weder im Wege ausreichender Ermittlungen noch in der Begründung des angefochtenen Bescheides näher befaßt, obwohl der Verkauf der Liegenschaft an die als potentieller Enteigner aufgetretene Gemeinde erfolgt ist und der Erlös nach den Behauptungen des Beschwerdeführers nicht den Wert der Liegenschaft erreicht hat. Wäre aber davon auszugehen, daß der Beschwerdeführer unter dem Einfluß ernst zu nehmender Enteignungsandrohungen sowohl in der Freiheit der Auswahl seines Vertragspartners als auch vor allem in der Preisgestaltung beeinträchtigt gewesen ist, dann stünde der Annahme, daß der strittige Liegenschaftsverkauf freiwillig zur Abwendung eines drohenden Enteignungsverfahrens erfolgt ist, auch nicht der Umstand entgegen, daß der Beschwerdeführer damals aus Alters- bzw. Gesundheitsrücksichten selbst einen Verkauf dieser Liegenschaft vorhatte.

Mit Recht weist der Beschwerdeführer auch darauf hin, daß es in bezug auf seine Liegenschaft einer späteren, eine Enteignung begründenden Beschlußfassung der zuständigen Gemeindeorgane nicht mehr bedurfte, da sich die Gemeinde ja bereits durch den "freiwilligen" Verkauf der Liegenschaft das Eigentum daran verschafft hatte.

Für die rechtliche Lösung des Beschwerdefalles kommt es entscheidend darauf an, wie sich die Frage einer allfälligen Enteignung für den Beschwerdeführer im Zeitpunkt der Verkaufsverhandlungen dargestellt hat. Im Beschwerdefall fehlt es jedoch an einer ausreichenden Ermittlung und Feststellung der diesbezüglich maßgebenden tatsächlichen Gegebenheiten. Bei der Beantwortung der Frage der Unmittelbarkeit der Enteignungsdrohung für den Beschwerdeführer wird auch zu berücksichtigen sein, daß von ihm - im Gegensatz zu seinen Verhandlungspartner von seiten der Gemeinde - eine nähere Kenntnis der gemeindeinternen Vorgänge wohl nicht vorausgesetzt werden kann.

Der Sachverhalt bedarf daher in einem wesentlichen Punkt der Ergänzung, weshalb der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben war.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 und 48 Abs. 1 Z. 1 und 2 VwGG in Verbindung mit Art. I A Z. 1 der Verordnung des Bundeskanzlers vom 7. April 1981, BGBl. Nr. 221. Die Abweisung des Mehrbegehrens geht darauf zurück, daß der Beschwerdeführer seine Beschwerde pro Bogen mit S 120,-- gestempelt und dafür Kostenersatz begehrt hat, während das Gebührengesetz in seinem § 14 TP 6 Abs. 1 nur eine Eingabengebühr von S 120,-- pro Eingabe vorsieht.

Wien, am 16. Jänner 1985

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