VwGH 85/05/0114

VwGH85/05/011429.10.1985

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Straßmann und die Hofräte DDr. Hauer, Dr. Würth, Dr. Degischer und Dr. Domittner als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Gehart, über die Beschwerde der AP in W, vertreten durch Dr. Michaela Iro, Rechtsanwalt in Wien I, Pestalozzigasse 3, gegen den Bescheid der Niederösterreichischen Landesregierung vom 13. Mai 1985, Zl. II/2-V-8540, betreffend eine Bauangelegenheit (mitbeteiligte Parteien: 1. GS in B, 2. Stadtgemeinde B, vertreten durch den Bürgermeister), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §56;
AVG §58 Abs2;
AVG §59 Abs1;
AVG §66 Abs4;
VVG §1;

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:1985:1985050114.X00

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Niederösterreich hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 9.930,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid des Bürgermeisters der mitbeteiligten Stadtgemeinde vom 17. Juli 1980 wurde dem Erstmitbeteiligten unter Berufung auf § 109 Abs. 1 der NÖ Bauordnung 1976 der baupolizeiliche Auftrag erteilt, "die im Beschauprotokoll angeführten Maßnahmen (Punkt 2 der Niederschrift) bis längstens 31. Okt. 1980 durchzuführen". Im Spruch dieses Bescheides wurde ferner erwähnt, daß die Niederschrift über den Ortsaugenschein vom 29. Mai 1980 in Abschrift beiliege und einen wesentlichen Bestandteil des Bescheides bilde.

In der gegen diesen Bescheid rechtzeitig eingebrachten Berufung bemängelte die Beschwerdeführerin, daß sich der baupolizeiliche Auftrag lediglich auf den den Brunnen betreffenden Pkt. 2 der erwähnten Niederschrift beschränke und die Behörde auch die Beseitigung der konsenslosen Verlegung des Dachbodenfensters im ostseitigen Giebel um 1,50 m hätte verlangen müssen (Pkt. 1). Die bescheidmäßige Genehmigung dieser Verlegung des Dachbodenfensters sei ohne Durchführung einer Verhandlung gesetzwidrig und der Beschwerdeführerin im übrigen nicht zugestellt worden. Die Vorschreibung zu Pkt. 2 der Niederschrift widerspreche dem Pkt. 6 der seinerzeitigen Vorschreibung der dem Bescheid vom 14. Juni 1978 angeschlossenen Niederschrift vom 8. Juni 1978.

Dieser Berufung wurde mit dem auf dem Beschluß vom 18. Dezember 1984 beruhenden Bescheid des Gemeinderates der mitbeteiligten Stadtgemeinde vom 21. Dezember 1984 gemäß § 66 Abs. 4 AVG 1950 "keine Folge gegeben und der angefochtene Bescheid bestätigt".

In der Begründung ihres Bescheides verwies die Berufungsbehörde auf eine nach Besichtigung der Baustelle am 5. Juni 1981 aufgenommene Niederschrift, in welcher festgestellt worden sei, "daß die Angelegenheit mit dem Überlauf des Brunnens als gegenstandslos angesehen werden" könne, weshalb die Berufung in diesem Punkt als zurückgezogen gelte. Im Zusammenhang mit der Frage der Beeinträchtigung durch die Fensterverlegung sei das Gutachten eines gerichtlich beeideten Sachverständigen eingeholt worden, dem einwandfrei entnommen werden könne, daß eine Verletzung subjektiv-öffentlicher Anrainerrechte nicht vorliege, weshalb spruchgemäß zu entscheiden gewesen sei.

Die gegen diesen Berufungsbescheid eingebrachte Vorstellung der Beschwerdeführerin wurde mit Bescheid der Niederösterreichischen Landesregierung vom 13. Mai 1985 gemäß § 61 Abs. 4 der NÖ Gemeindeordnung 1973 als unbegründet abgewiesen.

Die Aufsichtsbehörde ging entsprechend der Begründung ihres Bescheides davon aus, daß dem Erstmitbeteiligten mit dem Spruch des Bescheides des Bürgermeisters vom 17. Juli 1980 ein baupolizeilicher Auftrag zur Sanierung des Schachtbrunnens erteilt und das Protokoll über die Verhandlung vom 29. Mai 1980 zum wesentlichen Bestandteil dieses Bescheides erklärt worden sei. Die Erledigung des Vorbringens der Beschwerdeführerin hinsichtlich der Situierung des Dachbodenfensters hätte auch im Spruch des Bescheides erfolgen müssen; seine Erledigung in der Verhandlungsschrift sei nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes gesetzwidrig, auch wenn die Verhandlungsschrift zum Bestandteil des Bescheides erklärt worden sei (siehe Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 16. Juni 1977, Zl. 1754/74, vom 6. Juli 1982, Zl. 82/07/0019, und vom 30. Oktober 1984, Zl. 84/07/0180). Daraus ergebe sich, daß das erwähnte Vorbringen der Beschwerdeführerin mit dem erstinstanzlichen Bescheid nicht erledigt worden sei und sie mit ihrer dagegen eingebrachten Berufung eine Angelegenheit bekämpft habe, die nicht Gegenstand des erstinstanzlichen Bescheides gewesen sei. Somit treffe die Ausführung in der Begründung des bekämpften Berufungsbescheides nicht zu, daß im erstinstanzlichen Bescheid festgestellt worden sei, bezüglich der Verlagerung des Dachbodenfensters seien keine subjektiven Rechte der Einschreiterin verletzt worden. Da im erstinstanzlichen Bescheid über die Eingabe der Beschwerdeführerin vom 27. Juli 1978 nicht abgesprochen worden sei, hätte der Gemeinderat die gegen den Bescheid vom 17. Juli 1980 eingebrachte Berufung als unzulässig zurückzuweisen gehabt. Durch die Abweisung anstelle der Zurückweisung einer Berufung sei aber eine Verletzung von Rechten der Beschwerdeführerin nicht eingetreten. Der Ansicht der Beschwerdeführerin in der Vorstellung, daß die Feststellung der Rückziehung der Berufung über den Brunnenablauf im Spruch des bekämpften Bescheides hätte erfolgen müssen, könne sich die Aufsichtsbehörde nicht anschließen, da eine solche Forderung im AVG 1950 keine Deckung finde. Aus der erwähnten Niederschrift vom 5. Juni 1983 (richtig wohl: 1981) gehe eindeutig hervor, daß die Beschwerdeführerin die Angelegenheit bezüglich des Brunnenablaufes für gegenstandslos erklärt habe, da der Brunnenablauf flüssigkeitsdicht und provisorisch abgedeckt worden sei. Diese Erklärung habe der Gemeinderat richtigerweise als Zurückziehung der Berufung in diesem Punkte gewertet. Aus diesen Gründen müsse die Vorstellung als unbegründet abgewiesen werden. Im übrigen enthält die Begründung dieses aufsichtsbehördlichen Bescheides noch Ausführungen über die vom Gemeinderat in der Folge zu treffenden Veranlassungen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen hat:

Wie schon in der vorstehenden Sachverhaltsdarstellung ausgeführt worden ist, erteilte der Bürgermeister der mitbeteiligten Stadtgemeinde mit dem auch der Beschwerdeführerin zugestellten Bescheid vom 17. Juli 1980 den auf § 109 Abs. 1 der NÖ Bauordnung 1976 gestützten "baupolizeilichen Auftrag ... die im Beschauprotokoll angeführten Maßnahmen (Punkt 2 der Niederschrift) bis längstens 31. Okt. 1980 durchzuführen". Im übrigen wurde im Spruch dieses Bescheides noch ausgeführt, daß "die Niederschrift über die Beschau vom 29. 5. 1980 in Abschrift beiliegt und einen wesentlichen Bestandteil dieses Bescheides bildet". In der Begründung dieses Bescheides wurde erwähnt, daß die im Zuge der Baukontrolle angeordnete Beschau Mängel ergeben habe, welche einer bewilligungsmäßigen Ausführung des Vorhabens entgegenstünden, weshalb "die Behebung durch Vornahme der aufgetragenen Maßnahme anzuordnen" gewesen sei. Der erwähnte Pkt. 2 der Niederschrift vom 29. Mai 1980 betrifft eine "Beanstandung des Überlaufes" eines im Hof unmittelbar vor der Südfassade des Wohnhauses des Erstmitbeteiligten gelegenen Brunnens, wobei die "Amtsabordnung" bzw. "die Sachverständigen" dazu entsprechend dem Wortlaut der erwähnten Niederschrift festgehalten haben, daß "bei dem

vorhandenen ... Schachtbrunnen der vorhandene Überlauf

flüssigkeitsdicht abzuschließen ist" und "eine Einmündung aus dem Brunnenschacht in den Regenwasserkanal der Stadtgemeinde nicht gestattet werden kann". Gegenstand dieses Bescheides war also ausschließlich ein baupolizeilicher Auftrag hinsichtlich des in Rede stehenden Brunnens, zumal sich die Erklärung im Spruch dieses Bescheides, wonach die Niederschrift vom 29. Mai 1980 einen wesentlichen Teil desselben bilde, ausdrücklich nur auf den Pkt. 2 dieser Niederschrift bezogen hat. Andere Fragen, also vor allem jene der behaupteten konsenswidrigen Verlegung des Dachbodenfensters, waren daher schon aus diesem Grunde nicht Gegenstand des erstinstanzlichen Bescheides, wozu noch kommt, daß ein nur allgemeiner Verweis auf eine Niederschrift mit dem Erfordernis der Bestimmtheit eines Bescheidspruches nicht vereinbar ist; die belangte Behörde hat in diesem Zusammenhang in der Begründung des angefochtenen Bescheides zutreffend auf die diesbezügliche hg. Judikatur verwiesen.

Unter der damit gegebenen Voraussetzung, daß sich der erstinstanzliche baupolizeiliche Auftrag nur auf den gegenständlichen Brunnen bezogen hat, durfte die im Wege einer - im Hinblick auf die Regelung des § 118 Abs. 8 der NÖ Bauordnung 1976 zulässigerweise - dagegen gerichteten Berufung zuständig gewordene Baubehörde zweiter Instanz ebenfalls nur auf die Rechtmäßigkeit dieser baubehördlichen Anordnung eingehen, weil nur diese Frage als "Sache" im Sinne des § 66 Abs. 4 AVG 1950 anzusehen war (vgl. dazu u. a. das hg. Erkenntnis vom 29. November 1971, Slg. N. F. Nr. 8123/A). Die Befugnis der Berufungsbehörde erstreckte sich daher auf eine meritorische Auseinandersetzung mit jenem Teil des Berufungsvorbringens der Beschwerdeführerin, das sich auf die mit dem Brunnen zusammenhängende baupolizeiliche Anordnung bezieht, während jener Teil der Berufung, in welchem sich die Beschwerdeführerin auf die Frage der Verlegung des Dachbodenfensters bezogen hat, unzulässig war. Der Gemeinderat der mitbeteiligten Gemeinde hat nun der Berufung der Beschwerdeführerin mit Bescheid vom 21. Dezember 1984 gemäß § 66 Abs. 4 AVG 1950 "keine Folge gegeben" und den erstinstanzlichen Bescheid "bestätigt" und ist entsprechend der Begründung seines Bescheides nach einer Wiedergabe des Gutachtens eines gerichtlich beeideten Sachverständigen zu der Schlußfolgerung gelangt, daß "durch die Fensterverlegung" keine "Verletzung subjektiv-öffentlicher Rechte" der Beschwerdeführerin eingetreten sei. Im übrigen vertrat die Berufungsbehörde entsprechend der Begründung dieses Bescheides die Auffassung, daß die "Berufung hinsichtlich des Kanalschachtes zurückgezogen" worden sei, weil in der anläßlich einer Besichtigung der Baustelle aufgenommenen Niederschrift vom 5. Juni 1981 von der Beschwerdeführerin festgestellt worden sei, daß "die Angelegenheit mit dem Überlauf des Brunnens als gegenstandslos angesehen werden kann".

Der Verwaltungsgerichtshof schließt sich im Hinblick auf die eben wiedergegebene Erklärung der Beschwerdeführerin anläßlich des Augenscheines vom 5. Juni 1981 der auch von der belangten Behörde vertretenen Auffassung an, daß die Berufung der Beschwerdeführerin insoweit als zurückgezogen anzusehen war, als sie sich gegen die Entscheidung der Baubehörde erster Instanz hinsichtlich der Frage des Brunnens gerichtet hatte. Daraus folgt aber im Hinblick auf den mit der Zurückziehung des Rechtsmittels verbundenen Eintritt der Rechtskraft des erstinstanzlichen Bescheides, dessen Spruch sich entsprechend den vorstehenden Ausführungen nur auf den Brunnen bezogen hat, daß sich die Entscheidung der Berufungsbehörde auf die Zurückweisung jenes Teiles der Berufung zu beschränken gehabt hätte, in welchem die Beschwerdeführerin die Frage der Verlegung des Dachbodenfensters aufgeworfen hatte. Die Berufungsbehörde hat jedoch hinsichtlich der Frage der Verlegung des Dachbodenfensters eine Sachentscheidung getroffen, weil sie zusammenfassend die Auffassung vertreten hat, daß die Beschwerdeführerin durch die Verlegung des Fensters nicht in ihren subjektiv-öffentlichen Rechten verletzt worden sei. Dabei kommt dem Umstand keine entscheidende Bedeutung zu, daß diese Feststellung nicht im Spruch, sondern in der Begründung des Berufungsbescheides getroffen worden ist, weil Spruch und Begründung eines Bescheides eine Einheit bilden, sodaß im Zweifel aus dem Zusammenhalt beider der nähere Sinn und Inhalt der Entscheidung geschlossen werden muß (vgl. dazu u. a. das hg. Erkenntnis VfGH vom 24. Juni 1972, Slg. N. F. Nr. 6764). Damit hat die Berufungsbehörde eine Entscheidung in einer Sachfrage getroffen, zu der sie nicht berufen war, weil diese Frage nicht Gegenstand des Spruches des erstinstanzlichen Bescheides gewesen ist. Die daraus resultierende Rechtswidrigkeit des Berufungsbescheides wäre aber auf Grund der dagegen eingebrachten Vorstellung von der Aufsichtsbehörde aufzugreifen gewesen. Der in der Begründung des angefochtenen Bescheides vertretenen Meinung kann nicht gefolgt werden, daß durch die Abweisung anstelle der Zurückweisung der Berufung keine Verletzung von Rechten der Beschwerdeführerin eingetreten sei. Die belangte Aufsichtsbehörde hätte diese Rechtswidrigkeit des Berufungsbescheides wahrzunehmen gehabt, weshalb durch die Abweisung der Vorstellung Rechte der Beschwerdeführerin verletzt worden sind.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 und 48 Abs. 1 Z. 1 und 2 VwGG in Verbindung mit den Bestimmungen der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 243/1985.

Wien, am 29. Oktober 1985

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