VwGH 84/04/0088

VwGH84/04/008813.11.1984

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Kobzina und die Hofräte Dr. Baumgartner und Dr. Griesmacher, Dr. Weiss und Dr. Stoll als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Füszl, über die Beschwerde der Ing. Dr. KW, des Dr. EW und der FS, alle in W, alle vertreten durch Dr. Ernst Schmerschneider, Rechtsanwalt in Wien I, Rosenbursenstraße 8, gegen den Bescheid des Bundesministers für Handel, Gewerbe und Industrie vom 15. März 1984, Zl. 300.400/1-III- 3/84, betreffend Änderung einer gewerblichen Betriebsanlage (mitbeteiligte Partei: X Gesellschaft m.b.H. in W, vertreten durch Dr. Alexander Deskovic, Rechtsanwalt in Wien I, Mölkerbastei 5), zu Recht erkannt:

Normen

BauRallg;
GewO 1973 §356 Abs3;
GewO 1973 §74 Abs2 Z1;
GewO 1973 §77 Abs1;
GewO 1973 §77 Abs2;
GewO 1973 §77;
GewO 1973 §81;

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:1984:1984040088.X00

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid, der hinsichtlich seines Spruchteiles II als unangefochten unberührt bleibt, wird hinsichtlich seines Spruchteiles I wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat den Beschwerdeführern Aufwendungen in der Höhe von S 8.820,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit Bescheid des Magistrates der Stadt Wien, Magistratisches Bezirksamt für den 13./14. Bezirk, vom 28. Juni 1978, Zl. MBA 13/14-Ba 40/3/77, wurde die Änderung der Betriebsanlage im

Standort Wien ... in welcher die mitbeteiligte Partei das Gewerbe

"fabriksmäßige Be- und Verarbeitung von Fleisch und Fett sowie die fabriksmäßige Erzeugung von Fleischkonserven" ausübt, nach Maßgabe der Pläne und der Betriebsbeschreibungen unter Vorschreibung von Auflagen gemäß § 77 GewO 1973 und § 27 des Arbeitnehmerschutzgesetzes im Grunde des § 81 GewO 1973 genehmigt.

Gegen diesen Bescheid erhoben sowohl mehrere Nachbarn, darunter die nunmehrigen Beschwerdeführer als auch die nunmehrige mitbeteiligte Partei Berufung.

Mit Schriftsatz vom 13. Februar 1979 richtete die mitbeteiligte Partei an den Bundesminister für Handel, Gewerbe und Industrie gemäß § 73 AVG 1950 das Verlangen, diese Behörde wolle als sachlich in Betracht kommende Oberbehörde über die Berufungen gegen den Bescheid Zl. MBA 13/14-Ba 40/3/77 entscheiden. Dieser Schriftsatz langte beim Bundesminister für Handel, Gewerbe und Industrie vom 14. Februar 1979 ein.

Mit Bescheid des Bundesministers für Handel, Gewerbe und Industrie vom 19. Oktober 1979 wurde u. a. den Berufungen der nunmehrigen Beschwerdeführer gegen den Bescheid Zl. MBA 13/14- Ba 40/3/77 keine Folge gegeben und der angeführte Bescheid der Erstbehörde bestätigt (Punkt I des Spruches).

Mit hg. Erkenntnis vom 18. Juni 1982, Zlen. 04/3321, 3322, 3327/79, ist u. a. ausgesprochen worden, daß der zitierte Bescheid vom 19. Oktober 1979 hinsichtlich des Spruchteiles I in Stattgebung der Beschwerde des Dipl.-Ing. AS wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben wird.

Mit dem in der Folge ergangenen Bescheid des Bundesministers für Handel, Gewerbe und Industrie vom 15. März 1984 wurde u. a. den Berufungen der nunmehrigen Beschwerdeführer gegen den Bescheid Zl. MBA 13/14-Ba 40/3/77 insofern Folge gegeben, als dieser erstbehördliche Bescheid dahin abgeändert wurde, daß zwei Auflagen behoben und dem den Vorbehalt der Erteilung einer Betriebsbewilligung betreffenden Punkt 37 eine neue Fassung gegeben wurde (Spruchpunkt I). Der Spruchpunkt II des in Rede stehenden Bescheides vom 15. März 1984 betrifft den die Vorschreibung einer Auflage gemäß § 79 GewO 1973 betreffenden Bescheid des Magistrates der Stadt Wien vom 28. Juni 1978, Zl. MBA 13/14-BA 40/7/78, und ist nicht Gegenstand des nunmehrigen verwaltungsgerichtlichen Verfahrens.

Zur Begründung wurde auf den Gang des Verwaltungsverfahrens verwiesen und der Inhalt des Abspruches und der Entscheidungsgründe des hg. Erkenntnisses vom 18. Juni 1982, Zlen. 04/3321, 3322, 3327/79, dargestellt. Ferner wurde ausgeführt daß im Zuge des fortgesetzten Ermittlungsverfahrens der gewerbetechnische Amtssachverständige unterm 30. September 1983 eine neuerliche gutachtliche Äußerung und der ärztliche Amtssachverständige unterm 21. November 1983 eine ergänzende Stellungnahme abgegeben hätten. Der Inhalt dieser Geschäftsstücke wurde in der Begründung des in Rede stehenden Bescheides wiedergegeben. Weiters wurde ausgeführt, auf Grund des gesamten Ergebnisses des Ermittlungsverfahrens, somit auf Grund der im Vorverfahren getroffenen Feststellungen sowie auf Grund der ergänzend durchgeführten Ermittlungen, sei der Bundesminister für Handel, Gewerbe und Industrie, insbesondere gestützt auf die vorliegenden Gutachten der Amtssachverständigen, zur Ansicht gelangt, daß "bei plan- und beschreibungsgemäßer Errichtung und Betrieb" der geänderten Anlage unter Erfüllung bzw. Einhaltung der vorgeschriebenen Auflagen ... eine Gefährdung im Sinne des § 74 Abs. 2 Z. 1 GewO 1973 auszuschließen sei und die von der Betriebsanlage allenfalls herrührenden Belästigungen, Beeinträchtigungen oder nachteiligen Einwirkungen im Sinne des § 74 Abs. 2 Z. 2 leg. cit. auf ein zumutbares Maß beschränkt würden. Auch unter Berücksichtigung der vorliegenden Widmungen - Betriebsgrundstücke im gemischten Baugebiet, Grundstücke der berufungswerbenden Nachbarn im Wohngebiet - sei das gegenständliche Änderungsvorhaben als zumutbar anzusehen. Dies vor allem deshalb, da durch die nunmehr vorgesehenen Änderungen sichergestellt werde, daß es zu einer gravierenden Verbesserung der bisherigen Situation, insbesondere in bezug auf die Rauchbelästigung komme. Zu den Vorbringen der Beschwerdeführer in ihrer Stellungnahme, daß die durchgeführten Ermittlungen nicht ausreichend seien, sei zu sagen, daß die durchgeführten Ermittlungen sehr ausführlich seien und vollkommen zur Entscheidung ausreichten. Insbesondere seien sämtliche vom Verwaltungsgerichtshof geforderten Ermittlungen durchgeführt worden. Daher sei auch die Durchführung weiterer Erhebungen bzw. Beobachtungen nicht erforderlich und wäre im übrigen auch gar nicht gerechtfertigt.

Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde, in der Rechtswidrigkeit des Inhaltes des angefochtenen Bescheides und dessen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor. Sie und die mitbeteiligte Partei erstatteten Gegenschriften, in denen die Abweisung der Beschwerde beantragt wurde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Ihrem gesamten Vorbringen nach erachten sich die Beschwerdeführer in dem auf die §§ 81 in Verbindung mit den §§ 74 Abs. 2 Z. 1 und 2 und 77 GewO 1973 gestützten Recht verletzt, daß die von der mitbeteiligten Partei beantragte Genehmigung nicht erteilt werde.

In Ausführung des so zu verstehenden Beschwerdepunktes tragen die Beschwerdeführer vor, ihr Grundeigentum verliere im Wert ganz wesentlich, wenn in unmittelbarer Nachbarschaft ein fleischverarbeitender Industriebetrieb errichtet werde.

Es ist dem Verwaltungsgerichtshof im Umfang dieses Beschwerdevorbringens aus den Gründen des Art. 131 Abs. 1 Z. 1 erster Halbsatz B-VG mangels Rechtsverletzungsmöglichkeit in der Sphäre der Beschwerdeführer verwehrt, auf dieses Vorbringen in dem vorliegenden Prozeß einzugehen.

Nach § 356 Abs. 3 GewO 1973 sind im Verfahren über ein Ansuchen um Genehmigung der Änderung einer genehmigten Betriebsanlage nur Nachbarn, die spätestens bei der Augenscheinsverhandlung Einwendungen gegen die Anlage im Sinne des § 74 Abs. 2 Z. 1, 2, 3 oder 5 erheben, Parteien, und zwar vom Zeitpunkt ihrer Einwendungen an.

Der Nachbar kann, wie der Verwaltungsgerichtshof im Erkenntnis vom 29. November 1979, Slg. Nr. 9979/A, dargetan hat, nur insoweit in seinen Rechten verletzt werden, als er durch seine Einwendungen gemäß § 356 Abs. 3 GewO 1973 Parteienrechte begründet hat.

Im vorliegenden Fall fand die im § 356 GewO 1973 vorgesehene Augenscheinsverhandlung am 19. Juni 1978 statt. Die Beschwerdeführer erhoben anläßlich dieser Augenscheinsverhandlung Einwendungen nur unter Hinweis auf ihr persönliches Schutzinteresse, einer Gesundheitsgefährdung oder unzumutbaren Belästigung durch Luftverunreinigung, Geruch und Lärm nicht ausgesetzt zu werden (siehe insbesondere den an den Magistrat der Stadt Wien erstatteten Schriftsatz der Drittbeschwerdeführerin vom 8. Juni 1978 und den an dieselbe Behörde erstatteten Schriftsatz der Erstbeschwerdeführerin und des Zweitbeschwerdeführers vom 14. Juni 1978). Auf eine Gefährdung ihres Eigentums (Grundeigentums) vermögen sich die Beschwerdeführer somit mangels diesbezüglicher Parteistellung rechtens nicht mehr zu berufen.

Unter Hinweis auf den im § 7 GewO 1973 umschriebenen Begriff des Industriebetriebes machen die Beschwerdeführer ferner geltend, im gegenständlichen Ermittlungsverfahren wäre auch zu prüfen gewesen, ob eine Betriebsanlage, wie sie von der mitbeteiligten Partei projektiert wurde, nach den Bestimmungen der für den Betrieb maßgeblichen Bauordnung zulässig sei.

Mit diesem Vorbringen vermögen die Beschwerdeführer keine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides darzutun.

Auf die Frage, ob das Gewerbe der mitbeteiligten Partei in Form eines Industriebetriebes im Sinne des § 7 GewO 1973 ausgeübt wird, kam es im streitgegenständlichen Verwaltungsverfahren nicht an, weil nicht die Frage der Notwendigkeit eines Befähigungsnachweises (§ 7 Abs. 5 und 6 leg. cit.) zu prüfen war. Die Bestimmungen der Gewerbeordnung 1973 über gewerbliche Betriebsanlagen knüpfen tatbestandsmäßig nicht an den Begriff eines in der Form eines Industriebetriebes ausgeübten Gewerbes an. Im übrigen fällt die Prüfung, ob eine gewerbliche Betriebsanlage den baurechtlichen Vorschriften über die Widmung der Liegenschaften entspricht - unbeschadet dessen, daß die Widmungsvorschriften nach § 77 Abs. 2 zweiter Satz GewO 1973 von der Gewerbebehörde bei der Beurteilung der Zumutbarkeit der durch die Anlage bewirkten Belästigungen der Nachbarn zu berücksichtigen sind -, in die ausschließliche Zuständigkeit der Baubehörde. Daß die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid keine Entscheidung über die baurechtliche Zulässigkeit der vom Genehmigungsansuchen erfaßten Änderung der Betriebsanlage der mitbeteiligten Partei traf, ist somit nicht als rechtswidrig zu erkennen (siehe das hg. Erkenntnis vom 14. Oktober 1983, Zl. 83/04/0103).

Soweit der Bescheid der belangten Behörde vom 15. März 1984 von den Beschwerdeführern vor dem Verwaltungsgerichtshof bekämpft wird (Spruchpunkt I dieses Bescheides), betrifft er die Genehmigung der Änderung einer gewerblichen Betriebsanlage. Die Bestimmungen des § 79 GewO 1973 waren von der belangten Behörde in diesem Zusammenhang nicht heranzuziehen und wurden auch nicht herangezogen. Im Hinblick auf die in der Beschwerde enthaltene Prozeßerklärung, daß der Bescheid der belangten Behörde nur in dem Umfang angefochten wird, als er den Berufungen der Beschwerdeführer gegen den Bescheid des Magistrates der Stadt Wien vom 28. Juni 1978, Zl. MBA 13/14-Ba 40/3/77, "keine Folge" gab, gehen die in der Beschwerde enthaltenen Ausführungen, soweit sie sich auf § 79 GewO 1973 beziehen, daher ins Leere.

Die Beschwerdeführer tragen schließlich unter Bezugnahme auf die im hg. Erkenntnis vom 18. Juni 1982, Zlen. 04/3321, 3322, 3327/79, enthaltenen Ausführungen vor, die belangte Behörde habe keine ausreichenden Überprüfungen durch Sachverständige durchführen lassen, um Quelle und Ausmaß der Immissionen feststellen zu lassen und um die für eine Entscheidung erforderlichen Feststellungen zu treffen, inwieweit nach Fertigstellung der Betriebsanlagenerweiterung das Ausmaß der Immissionen verändert sein werde.

Die Beschwerdeführer sind mit diesem Vorbringen im Ergebnis im Recht.

Nach § 74 Abs. 2 GewO 1973 dürfen gewerbliche Betriebsanlagen nur mit Genehmigung der Behörde errichtet oder betrieben werden, wenn sie wegen der Verwendung von Maschinen und Geräten, wegen ihrer Betriebsweise, wegen ihrer Ausstattung oder sonst geeignet sind, u. a. 1. das Leben oder die Gesundheit ... der Nachbarn ... zu gefährden, 2. die Nachbarn durch Geruch, Lärm, Rauch, Staub, Erschütterungen oder in anderer Weise zu belästigen.

Gemäß § 77 Abs. 1 GewO 1973 ist eine Betriebsanlage erforderlichenfalls unter Vorschreibung bestimmter geeigneter Auflagen zu genehmigen, wenn überhaupt oder bei Einhaltung der Auflagen zu erwarten ist, daß eine Gefährdung im Sinne des § 74 Abs. 2 Z. 1 ausgeschlossen ist und Belästigungen, Beeinträchtigungen oder nachteilige Einwirkungen im Sinne des § 74 Abs. 2 Z. 2 bis 5 auf ein zumutbares Maß beschränkt werden.

Im Grunde des § 77 Abs. 2 leg. cit. ist die Frage, ob Belästigungen der Nachbarn im Sinne des § 74 Abs. 2 Z. 2 zumutbar sind, nach den Maßstäben eines gesunden, normal empfindenden Menschen und auf Grund der örtlichen Verhältnisse zu beurteilen. Hiebei sind auch die für die Widmung der Liegenschaften maßgebenden Vorschriften zu berücksichtigen.

Wird eine genehmigte Anlage so geändert, daß sich neue oder größere Gefährdungen, Belästigungen oder nachteilige Einwirkungen im Sinne des § 74 Abs. 2 GewO 1973 ergeben können, so bedarf auch die Änderung der Anlage gemäß § 81 leg. cit. einer Genehmigung im Sinne der vorstehenden Bestimmungen. Diese Genehmigung hat auch die bereits genehmigte Anlage zu umfassen, soweit sich diese Änderung auf sie auswirkt. Die Genehmigungsvoraussetzungen sind gemäß § 81 GewO 1973 keine anderen als jene, an die das Gesetz in seinem § 77 die Errichtung der Anläge knüpft (vgl. u. a. das hg. Erkenntnis vom 10. Mai 1979, Slg. N. F. Nr. 9837/A).

Nach der obzitierten Bestimmung des § 77 GewO 1973 ist zwischen der Erwartung, daß eine Gefährdung im Sinne des § 74 Abs. 2 Z. 1 ausgeschlossen ist, einerseits und der Erwartung, daß Belästigungen auf ein zumutbares Maß beschränkt werden, andererseits zu unterscheiden. In Ansehung von Gefährdungen im Sinne des § 74 Abs. 2 Z. 1 GewO 1973 verlangt § 77 Abs. 1 die Erwartung des Ausschlusses. Liegt also ein Sachverhalt vor, demzufolge lediglich ein gewisser Grad der Vermutung vorhanden ist, daß eine solche Gefährdung nicht eintreten werde, so ist der Tatbestand, daß "... zu erwarten ist, daß eine Gefährdung im Sinne des § 74 Abs. 2 Z. 1 ausgeschlossen ist", nicht erfüllt. Der Tatbestand der Erwartung des Ausschlusses ist insbesondere auch dann nicht erfüllt, wenn nicht auszuschließen ist, daß zu Gefährdungen, die in der Umwelt bereits gegeben sind, durch den Betrieb der den Gegenstand des gewerbebehördlichen Genehmigungsverfahrens bildenden neuen oder geänderten Betriebsanlage weitere Umweltbelastungen treten, deren Wirkungen auf die Nachbarn als sie treffende Immissionen nicht ausgeschlossen werden können, und wenn sohin nicht auszuschließen ist, daß es dadurch zu einer Erhöhung von Gefahren für das Leben oder die Gesundheit der im § 74 Abs. 2 Z. 1 GewO 1973 bezeichneten Personen kommt.

Die Kriterien der Zumutbarkeit im Sinne des § 77 Abs. 2 GewO 1973 sind nur in Ansehung des Tatbestandselementes der Belästigung im Sinne des § 74 Abs. 2 Z. 2 von rechtlicher Relevanz, sie haben hingegen in Ansehung des Tatbestandselementes der Gefährdung im Sinne des § 74 Abs. 2 Z. 1 leg. cit. außer Betracht zu bleiben.

Die Aufgabe, die Zumutbarkeit "auf Grund der örtlichen Verhältnisse" zu beurteilen, bedeutet, daß die Behörde die bei den Nachbarn (§ 75 Abs. 2 GewO 1973) nach den - tatsächlichen örtlichen Verhältnissen zu erwartenden Immissionen der zu genehmigenden Betriebsanlage an den bei den Nachbarn nach den - tatsächlichen - örtlichen Verhältnissen bestehenden Immissionen zu messen hat; allein die nach dem zweiten Satz des § 77 Abs. 2 GewO 1973 zu berücksichtigenden Flächennutzungsordnungen bilden die Grundlage einer Veränderung (Verschiebung) des auf diese Weise ermittelten Beurteilungsmaßes in Richtung des den Flächennutzungsordnungen entsprechenden Immissionsmaßes.

Im Geltungsbereich von für die Widmung der Liegenschaften maßgebenden Vorschriften bildet der den örtlichen Verhältnissen entsprechende Immissionsstand (das "Ist-Maß") nicht allein die Beurteilungsgrundlage; ein vom Ist-Maß abweichendes Widmungsmaß ist in die Beurteilung auf Grund der örtlichen Verhältnisse "einzubeziehen".

Die Gewerbebehörde hat bei der Beurteilung der Zumutbarkeit im Sinne des § 77 Abs. 2 GewO 1973 auch solche für die Widmung der Liegenschaften maßgebenden Vorschriften zu berücksichtigen, durch die für das Betriebsgrundstück und für das Nachbargrundstück unterschiedliche Widmungsmaße festgelegt werden. Ein derartiger, in einer zu berücksichtigenden Vorschrift enthaltener Widerspruch zwischen widmungsrechtlichen Aussagen ist auf dem Boden des § 77 Abs. 2 GewO 1973 in der Weise zu lösen, daß auch hier das Hauptgewicht der Beurteilung auf die - tatsächlichen örtlichen Verhältnisse zu legen ist. Für die Richtung der Abweichung vom Ist-Stand im oben dargelegten Sinn ist daher jene (für das Betriebsgrundstück bzw. Nachbargrundstück vorgesehene) Widmungskategorie maßgebend, der die - tatsächlichen - örtlichen Verhältnisse in dem nach der Lage des Nachbargrundstückes in Betracht kommenden Emissionsbereich eher entsprechen. Befinden sich die - tatsächlichen - örtlichen Verhältnisse in diesem Bereich zu den für das Betriebsgrundstück und das Nachbargrundstück vorgesehenen Widmungskategorien in einem auffälligen Gegensatz, kann also dieser Bereich auf die dargestellte Weise nicht zugeordnet werden, dann fehlt es an einer für die Beurteilung der Zumutbarkeit im Sinne des § 77 Abs. 2 GewO 1973 bedeutsamen widmungsrechtlichen Aussage. Die Zumutbarkeit ist in einem solchen Fall ausschließlich unter Anwendung des ersten Satzes des § 77 Abs. 2 GewO 1973 zu beurteilen. (Siehe das hg. Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 12. Juni 1981, Slg. N. F. Nr. 10482/A.)

Unter dem Gesichtspunkt der Frage nach Schadstoffimmissionen werden im angefochtenen Bescheid folgende Ausführungen des gewerbetechnischen Amtssachverständigen wiedergegeben:

"Immer wieder wird verlangt, eine Messung der ‚Absolutwerte der Schadstoffimmissionen' bei den Nachbarn vorzunehmen, weil nur im Wege einer derartigen Messung die Konzentration der Schadstoffimmissionen, mit denen die Nachbarn rechnen müssen, festgestellt werden könnte. Hiezu muß bemerkt werden, daß die Ergebnisse solcher Messungen - falls sie unter großem Aufwand überhaupt durchgeführt werden könnten - für das vorliegende gewerbebehördliche Verfahren keinerlei Aussagekraft besitzen würden. Eine Messung der Immissionen an SO2, NOx, CO, CO2 (Schwefeldioxid, Stickoxide, Kohlenmonoxid, Kohlendioxid), die neben O2, H2O und N2 (Sauerstoff, Wasser, dampfförmig, und Stickstoff aus der Verbrennungsluft), die Hauptbestandteile der Abgase einer jeden Verbrennung darstellen, gäbe keinerlei Möglichkeit, irgendeinen Teil dieser gemessenen Werte eindeutig dem Betrieb der Fa. X zuzuordnen. Derzeit kann durch keine wissenschaftliche Methode eine genaue Aussage darüber gemacht werden, welche Teile einer solchen Einwirkung von der Verbrennung bei der Dampfkesselanlage der Fa. X von einer Verbrennung im Rahmen der Heizung oder Warmwasserbereitung in Wohn- oder Bürohäusern in der Umgebung oder, in der Regel mit hoher Wahrscheinlichkeit sogar überwiegend, von den Verbrennungen in den Motoren der Autos, die unmittelbar an den Häusern der Nachbarn vorbeifahren, herrühren.

Der gewerbetechnische Amtssachverständige kann daher in einem gewerbebehördlichen Verfahren, bei einem Sachverhalt, wie er in diesem Fall vorliegt, von sich aus solche Messungen keinesfalls verlangen."

Der Sachverständige ging also davon aus, daß die den Gegenstand des Verwaltungsverfahrens bildende Betriebsanlage, auch insoweit sie geändert wird, u. a. Immissionen an Schwefeldioxid, Stickoxiden, Kohlenmonoxid und Kohlendioxid verursacht. Eine genaue Aussage darüber, welche Teile der Umweltbelastung eindeutig von der Betriebsanlage der mitbeteiligten Partei herrühren, hielt der Sachverständige für nicht möglich; eine hohe Wahrscheinlichkeit spreche dafür, daß die betreffenden Immissionen überwiegend vom Autoverkehr - nach Ansicht des Sachverständigen also nicht überwiegend vom Betrieb der geänderten Betriebsanlage der mitbeteiligten Partei - herrühren.

Die abschließende Äußerung des ärztliche Amtssachverständigen vom 21. November 1983 lautet hingegen lediglich wie folgt:

"Die dargelegten Beobachtungen, die im Rahmen der ausführlichen Augenscheine gemacht worden sind und in der gutächtlichen Äußerung des gewerbetechnischen Amtssachverständigen vollinhaltlich aufscheinen, können seitens des ärztlichen Amtssachverständigen voll bestätigt werden.

Der ärztliche Amtssachverständige hat bei den in Rede stehenden Augenscheinen subjektiv Lärm oder Geruch, der von der Betriebsanlage stammen kann, in nennenswertem Ausmaß nicht wahrnehmen können. Aufgrund der Beobachtungen des ärztlichen Amtssachverständigen kann im Zusammenhang mit den niedergelegten Meßergebnissen eine Beeinträchtigung der Nachbarn durch Immissionen aus dem gegenständlichen Betrieb nicht festgestellt werden."

Der ärztliche Amtssachverständige berief sich somit auf seine subjektiven Wahrnehmungen und auf Meßergebnisse. Die Äußerung des ärztlichen Amtssachverständigen enthält hingegen keine Aussage über die Auswirkungen auf den menschlichen Organismus, soweit die - nach den Ausführungen des gewerbetechnischen Amtssachverständigen mit ihrem von der Betriebsanlage der mitbeteiligten Partei entsprechend dem Änderungsprojekt verursachten Anteil nicht meßbaren - Immissionen an Schwefeldioxid, Stickoxiden, Kohlenmonoxid und Kohlendioxid in Frage stehen.

Die belangte Behörde stützte sich in Ansehung der von ihr zu treffenden Sachverhaltsfeststellungen insbesondere "auf die vorliegenden Gutachten der Amtssachverständigen". Sie übernahm somit die Äußerung des gewerbetechnischen Amtssachverständigen über die Unmöglichkeit einer genauen und eindeutigen Zuordnung eines Teiles der aus Verbrennungen stammenden Abgase zum Betrieb der geänderten Betriebsanlage der mitbeteiligten Partei und über die "in der Regel" mit "hohem" Grad gegebene - bloße - Wahrscheinlichkeit der überwiegenden Verursachung durch den Autoverkehr.

Indem die belangte Behörde diesen Sachverhalt ihrem Ausspruch über die Genehmigungsfähigkeit der von der mitbeteiligten Partei beantragten Änderung der geänderten Betriebsanlage zugrunde legte, verkannte sie die durch den § 81 in Verbindung mit dem § 77 Abs. 1 GewO 1973 gegebene Rechtslage, derzufolge zu erwarten sein muß, daß eine Gefährdung im Sinne des § 74 Abs. 2 Z. 1 leg. cit. ausgeschlossen ist; worunter im Sinne der vorstehenden Ausführungen zur Rechtslage unter dem Gesichtspunkt weiterer Umweltbelastungen, die und deren Wirkungen auf die Nachbarn als sie treffende Immissionen nicht ausgeschlossen werden können, auch eine Erhöhung einer aus anderen Quellen stammenden Gefährdung fällt. Im Hinblick auf diese Verkennung der Rechtslage war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 lit. a VwGG 1965 wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Für den Fall, daß eine Gefährdung nach der dargelegten Rechtslage nicht vorliegen sollte, ist für das fortgesetzte Verfahren folgendes zu bemerken:

Was die in Hinsicht auf die Frage der Zumutbarkeit von Immissionen nach § 77 Abs. 2 GewO 1973 erforderliche Berücksichtigung der für die Widmung der Liegenschaften maßgebenden Vorschriften anlangt, wurde im drittletzten Absatz der Begründung des angefochtenen Bescheides die Ansicht der Behörde wiedergegeben, auch unter Berücksichtigung der vorliegenden Widmungen - "Betriebsgrundstücke im gemischten Baugebiet, Grundstücke der berufungswerbenden Nachbarn im Wohngebiet" - sei das gegenständliche Änderungsvorhaben als zumutbar anzusehen. Zur Begründung dieser Auffassung führte die belangte Behörde lediglich aus, daß durch die nunmehr vorgesehenen Änderungen sichergestellt werde, daß es zu einer "gravierenden Verbesserung" der bisherigen Situation, insbesondere in bezug auf die Rauchbelästigung, komme. Die belangte Behörde verabsäumte es jedoch, einen den vorstehenden, der Darstellung der Rechtslage gewidmeten Ausführungen und den sich daraus ergebenden Gesichtspunkten entsprechenden Begründungszusammenhang herzustellen. Die belangte Behörde unterließ es insbesondere darzutun, was sich aus der widmungsrechtlichen Verschiedenheit "Betriebsgrundstücke im gemischten Baugebiet, Grundstücke der berufungswerbenden Nachbarn im Wohngebiet" für die Beurteilung des vorliegenden Falles ergibt und von welchem Einfluß die im § 6 Abs. 6 und 8 der Wiener Bauordnung vorgesehenen Kriterien auf die Erarbeitung des Beurteilungsmaßes im vorliegenden Fall sind.

Im Hinblick auf die sich aus der Aktenlage ergebenden Hinweise darauf, daß die dem bisher maßgebenden Ursprungskonsens entsprechende Gesamtanlage in ihren wesentlichen Teilen zufolge der an ihr tatsächlich bereits durchgeführten Änderungen seit dem Herbst 1980 nicht mehr betrieben wurde, wird im fortgesetzten Verfahren allerdings auch zu prüfen sein, ob die frühere Betriebsanlagengenehmigung zufolge einer nunmehr mehr als drei Jahre dauernden Unterbrechung des der früheren Genehmigung entsprechenden Betriebes nach § 80 Abs. 1 GewO 1973 erloschen ist (siehe das hg. Erkenntnis vom 9. Oktober 1981, Zl. 04/2678/78). Sollte die frühere Betriebsanlagengenehmigung erloschen sein, so könnte mangels Vorliegens einer genehmigten Anlage im Sinne des § 81 GewO 1973 dem Ansuchen der mitbeteiligten Partei auf Genehmigung von Änderungen nicht mehr stattgegeben werden (siehe hiezu das hg. Erkenntnis vom 8. Oktober 1982, Zl. 81/04/0068).

Von der Durchführung der von der mitbeteiligten Partei beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 lit. f VwGG 1965, in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. Nr. 204/1982, abgesehen werden.

Soweit vorstehend hg. Erkenntnisse zitiert wurden, die in der Amtlichen Sammlung nicht veröffentlicht sind, wird auf Art. 14 Abs. 4 der Geschäftsordnung des Verwaltungsgerichtshofes, BGBl. Nr. 45/1965, hingewiesen.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG 1965 in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 221/1981. Das Mehrbegehren war abzuweisen, weil an Stempelgebühren lediglich entstanden sind Eingabengebühren in der Höhe von S 360,--, eine Vollmachtsgebühr in der Höhe von S 100,--, eine Gebühr für eine Abschrift in der Höhe von S 30,-- Beilagengebühren für die Kopie des angefochtenen Bescheides, die nach § 28 Abs. 5 VwGG 1965 nur einfach beizubringen war, in der Höhe von S 180,-- und weitere Beilagengebühren in der Höhe von S 90,--.

Wien, am 13. November 1984

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