VwGH 81/14/0160

VwGH81/14/01608.6.1982

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Reichel und die Hofräte Dr. Karlik, Dr. Simon, Dr. Kirschner und Dr. Schubert als Richter, im Beisein des Schriftführers Rat Dr. König, über die Beschwerde des EW in I, vertreten durch Dr. Heinrich Waldhof, Rechtsanwalt in Wien I, Reichsratstraße 13, gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Tirol (Berufungssenat I) als Finanzstrafbehörde zweiter Instanz vom 4. September 1981, Zl. 84.188-8/81, betreffend Finanzvergehen, zu Recht erkannt:

Normen

BAO §115 Abs3;
BAO §303 Abs4;
EStG 1972 §4 Abs4;
EStG 1972 §6 Z3;
FinStrG §33 Abs1 idF 1975/335;
FinStrG §56;

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:1982:1981140160.X00

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 8.535,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Das Kostenmehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit Erkenntnis vom 23. November 1978 erkannte der Spruchsenat des Finanzamtes I. als Finanzstrafbehörde erster Instanz den Beschwerdeführer schuldig, in I. hinsichtlich der Jahre 1965 bis 1974 fortgesetzt vorsätzlich eine Verkürzung an Einkommen- und Umsatzsteuer im Gesamtbetrag von S 90.177,-- dadurch teils bewirkt, teils zu bewirken versucht zu haben, daß er seine selbständige Arbeit als Buchhalter nicht angezeigt und keine Steuererklärungen eingebracht und damit abgabenrechtliche Anzeige- und Offenlegungspflichten verletzt habe. Dadurch habe der Beschwerdeführer das Vergehen der teils bewirkten, teils versuchten Abgabenhinterziehung gemäß §§ 33 Abs. 1, 13 FinStrG begangen. Gemäß § 33 Abs. 5 leg. cit. verhängte hiefür die Strafbehörde erster Instanz über den Beschwerdeführer eine Geldstrafe in der Höhe von S 35.000,--, im Nichteinbringungsfall eine Ersatzfreiheitsstrafe von vier Wochen und trug dem Beschwerdeführer den Ersatz der Kosten des Finanzstrafverfahrens auf. Unter einem faßte der Spruchsenat den Beschluß, das Verfahren hinsichtlich eines weiteren Finanzvergehens der vorsätzlichen Verkürzung an Einkommensteuer und Umsatzsteuer im Gesamtbetrag von S 74.168,-- mangels Spruchreife zur Vermeidung von Verzögerungen des Verfahrens auszuscheiden und der abgesonderten Verfolgung vorzubehalten.

Dieses Erkenntnis erwuchs in Rechtskraft.

Mit Erkenntnis derselben Behörde vom 31. März 1980 wurde der Beschwerdeführer schuldig erkannt, er habe in den Jahren 1970 bis 1973 in I. als Buchhalter der Abgabepflichtigen AN., FL., KN. und AK. eine Verkürzung an Einkommen- und Gewerbesteuer im Gesamtbetrag von S 73.560,-- dadurch bewirkt, daß er unrichtige Steuererklärungen eingereicht und damit abgabenrechtliche Offenlegungspflichten verletzt habe, sowie dadurch, daß er ungerechtfertigte Abgabengutschriften der Abgabenbehörde nicht angezeigt habe (§ 139 BAO). Er habe hiedurch das Finanzvergehen der fahrlässigen Abgabenverkürzung gemäß § 34 Abs. 1 FinStrG begangen. Gemäß § 34 Abs. 4 FinStrG unter Bedachtnahme auf § 21 Abs. 3 FinStrG sowie unter Bedachtnahme auf die mit Erkenntnis vom 23. November 1978 verhängte Geldstrafe von S 35.000,-- wurde über den Beschwerdeführer eine Geldstrafe (Zusatzstrafe) in der Höhe von S 20.000,-- verhängt, für die für den Fall ihrer Uneinbringlichkeit eine Ersatzfreiheitsstrafe in der Dauer von 20 Tagen festgesetzt wurde. Überdies wurde dem Beschwerdeführer der Ersatz der Kosten des Finanzstrafverfahrens in der Höhe von S 2.000,-- auferlegt.

Der dagegen erhobenen Berufung, in der das Erkenntnis wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften angefochten worden war, gab der Berufungssenat der belangten Behörde als Finanzstrafbehörde zweiter Instanz mit dem nun vor dem Verwaltungsgerichtshof in Beschwerde gezogenen Bescheid vom 4. September 1981 im Ergebnis keine Folge, berichtigte jedoch den Schuld- und Kostenspruch des erstinstanzlichen Erkenntnisses wie folgt:

Der Beschwerdeführer sei schuldig, "in I. als Buchhalter bei Wahrnehmung steuerlicher Angelegenheiten der Firmen FL., KN., AN. und AK. in den für die Fa. FL. am 18. 4. 1973 für das Jahr 1972 und am 4. 9. 1974 für das Jahr 1973, für die Fa. KN. am 29. 1. 1975 für das Jahr 1973, für die Fa. AN. am 28. 10. 1974 für das Jahr 1973 und für die Fa. AK. am 5. 11. 1974 für das Jahr 1973 eigenverantwortlich verfaßten Einkommen- und Gewerbesteuererklärungen fortgesetzt fahrlässig eine Verkürzung an Einkommen- und Gewerbesteuer in der Höhe von S 73.560,-- dadurch bewirkt zu haben, daß er unter Verletzung der ihn treffenden Offenlegungs- und Wahrheitspflicht gemäß § 119 BAO hinsichtlich des geltend gemachten Betriebsaufwandes (Steuern), der durch zu Unrecht entstandene Abgabengutschriften vermindert wurde, unrichtige Angaben gemacht und hiedurch das Finanzvergehen der Abgabenverkürzung gemäß § 34 Abs. 1 FinStrG begangen" zu haben. Aus Anlaß der Berufung würden die Kosten des Verfahrens gemäß § 185 Abs. 1 in Verbindung mit § 21 Abs. 3 leg. cit. mit S 1.500,--

bestimmt. Der übrige Kostenausspruch bleibe unberührt.

Der angefochtene Bescheid ist, soweit das für die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes von Bedeutung ist, im wesentlichen wie folgt begründet:

Der Beschwerdeführer sei als Leiter der Datenkontrolle der Finanzkasse des Finanzamtes I. auch mit der Führung der Abgabenverrechnungskonten der Abgabepflichtigen AN., AK., KN. und FL. betraut gewesen, für die er gleichzeitig (ohne dienstbehördliche Genehmigung) Buchhaltungsarbeiten verrichtet, Steuererklärungen verfaßt, Bilanzen erstellt und die Bezahlung der entsprechenden Abgaben an das Finanzamt I. veranlaßt habe. Überdies habe der Beschwerdeführer anläßlich der Überleitung der Abgabenerhebungsfälle in das Datenverarbeitungsverfahren (EDV) in seiner amtlichen Eigenschaft als "Automationskommissär" die Aufgabe gehabt, die Abgabenkonten "überleitungsreif" zu machen, indem die noch nicht bescheidmäßig abgerechneten Selbstbemessungsabgaben abgabenweise und jahrgangweise summarisch ermittelt werden mußten. Wie auf Grund der umfangreichen Erhebungen der Vorinstanz, die sich weitgehend auch auf die eigenen schriftlichen und zu Protokoll erklärten Angaben des Beschwerdeführers stützten, feststehe, sei es in der Folge auf den Abgabenkonten der Abgabepflichtigen FL. und KN. zu ungerechtfertigten (d.h. gesetzlich nicht gedeckten) Stornierungen von Nebenansprüchen im Sinne des § 3 Abs. 2 BAO, und von Lohnabgaben, sowie bei den Abgabepflichtigen AN. und AK. zur Überleitung überhöhter "Vorsollbeträge" und in der Folge zu Abgabengutschriften gekommen, die der Beschwerdeführer in seiner Eigenschaft als Firmenbuchhalter der genannten Firmen seinen eigenen Angaben zufolge einerseits mit laufenden Selbstbemessungsabgaben und Vorauszahlungen von bescheidmäßig festzusetzenden Abgaben verrechnet und andererseits die auf diese Weise entstandenen und verrechneten Abgabengutschriften in der Erfolgsrechnung der Firmenbuchhaltungen unberücksichtigt gelassen habe. Der Umstand, daß - wie der Beschwerdeführer selbst ausgeführt habe - die ursprünglich belasteten Abgaben in voller Höhe in der Erfolgsrechnung gewinnmindernd als Betriebsaufwand unverändert geblieben seien, während die infolge Stornierungen und Überleitungen überhöhter Vorsollbeträge entstandenen und in der Hauptsache mit laufenden Betriebssteuern verrechneten Abgabengutschriften ertragsteuerlich nicht berücksichtigt worden seien, habe in der Folge zwangsläufig zu einer unrichtigen Erfolgsrechnung und darauf aufbauend auch zu unrichtigen Angaben in den vom Beschwerdeführer erstellten Steuererklärungen und in weiterer Folge auch zu einer verkürzten Abgabenfestsetzung geführt. über Grund und Höhe des verkürzten Abgabenanspruches (Einkommen- und Gewerbesteuer) habe die zuständige Abgabenbehörde in bereits rechtskräftig ergangenen Abgabenbescheiden entschieden. Der strafrechtlich relevante Verkürzungsbetrag sei (nach Ausscheiden eines geringfügigen Betrages von S 608,-- an Einkommen- und Gewerbesteuer 1970/71 betreffend die Firma AN.) mit insgesamt S 73.560,--, und zwar Einkommensteuerverkürzung S 51.519,--, Gewerbesteuerverkürzung S 22.041,--, errechnet worden. Angesichts des vom Beschwerdeführer übernommenen Auftrages zur Führung der Buchhaltung und Erstellung der Steuererklärungen könne es nicht zweifelhaft sein, daß er in dieser Eigenschaft auch "im finanzstrafrechtlichen Bereich" für den Inhalt der Steuererklärungen die volle und alleinige Verantwortung zu tragen habe. Daß der Beschwerdeführer in den gegenständlichen Einkommensteuer- und Gewerbesteuererklärungen objektiv unrichtige Angaben gemacht habe, die letztlich zu einer verkürzten Abgabenfestsetzung und zum Eintritt einer Abgabenverkürzung geführt hätten, könne keinem Zweifel unterliegen, wenn feststehe, daß der Beschwerdeführer einerseits in diesen Erklärungen einen Betriebsaufwand gewinnmindernd geltend gemacht habe, ohne die den Firmen zugeflossenen und in der Hauptsache mit anderen Betriebssteuern verrechneten Abgabengutschriften ertragsteuerlich erfaßt zu haben. Insoweit sei daher auch der Vorwurf, der Beschwerdeführer habe unter Verletzung der ihn treffenden Offenlegungs- und Wahrheitspflicht gemäß § 119 BAO objektiv eine Abgabenverkürzung im Sinne des § 33 Abs. 1 in Verbindung mit § 33 Abs. 3 lit. a FinStrG bewirkt, im erhobenen Sachverhalt und im Gesetz begründet. Dem in diesem Zusammenhang vorgebrachten Berufungsvorbringen, wonach "zu Unrecht erteilte Abgabengutschriften nicht als Ertrag anzusehen seien, da diesen sofort eine entsprechende Forderung des Finanzamtes entgegenstünde, weshalb auch der Vorwurf einer Abgabenverkürzung durch unrichtige Steuererklärungen bereits objektiv ins Leere ginge", könne der Berufung allein schon deshalb nicht zum Erfolg verhelfen, weil die hier relevierte abgabenrechtlich bedeutsame Frage bereits im Abgabenverfahren rechtskräftig entschieden und die auch in der vorliegenden Berufung wiederholte Auffassung des Beschwerdeführers als unrichtig verworfen werde. Hier genüge es, z. B. auf die Begründung der Berufungsentscheidung der Finanzlandesdirektion für Tirol als Abgabenbehörde II. Instanz vom 10. Oktober 1977, Zl. 20.122-2/77, zu verweisen, in der über diese hier in Streit gezogene Rechtsfrage in diesem Sinne entschieden worden sei. Damit sei die gegenteilige Auffassung des Beschwerdeführers eindeutig widerlegt. Der Berufungssenat könne sohin keinen begründeten und ausreichenden Anlaß finden - dies nicht zuletzt auch wegen der Bindung an rechtskräftige Entscheidungen der Abgabenbehörde - die hier in der Berufung relevierte abgabenrechtliche Rechtsfrage in einem anderen Sinn als die Abgabenbehörde zu lösen, zumal sich dieses Berufungsvorbringen ausschließlich in dem erschöpfe, was bereits im Abgabenverfahren erfolglos vorgebracht und durch die zuständige Abgabenbehörde als unrichtig verworfen worden sei (vgl. Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 13. Oktober 1967, Zl. 806/65).

Aus den weiter unten angestellten Erwägungen erübrigt sich die Wiedergabe der weiteren Begründungselemente des angefochtenen Bescheides. Zu verweisen ist jedoch auf die durchschriftlich sich in den Akten befindliche und im angefochtenen Bescheid zitierte Berufungsentscheidung des Berufungssenates der belangten Behörde vom 10. Oktober 1977, mit der die Berufung gegen den Einkommen- und Gewerbesteuerbescheid 1973 des KN. abgewiesen worden ist (inhaltlich gleiche Berufungsentscheidungen sind, wie den in den Akten befindlichen Vorlageberichten und der Begründung des angefochtenen Bescheides zu entnehmen ist, offenkundig auch in den Fällen AK., FL. und AN. ergangen). Darin lehnte die Berufungsbehörde die Ansicht der Berufung gegen die im wiederaufgenommenen Verfahren ergangenen Bescheide ab, bei einer Gewinnermittlung durch Betriebsvermögensvergleich dürften zu Unrecht gutgebrachte Steuergutschriften nicht als Betriebseinnahmen ausgewiesen werden, ohne auch gleichzeitig die diesbezügliche Verbindlichkeit gegenüber dem Finanzamt gewinnmindernd zu passivieren. Ob eine Bilanzberichtigung im Sinne des § 4 Abs. 2 EStG zu erfolgen habe - so führte die Abgabenbehörde aus -, richte sich insbesondere nach § 6 EStG. Tatsachen, die am Bilanzstichtag noch nicht bestanden hätten, seien nicht zu beachten, eine nachher bis zum Abschluß der Bilanzerstellung gewonnene bessere Einsicht sei jedoch zu berücksichtigen. Nach dem Bilanzstichtag eingetretene Änderungen in den Bestand- und Wertverhältnissen seien kein Grund für eine Bilanzberichtigung. Unbestritten sei, daß die zu Unrecht "verbuchten" Gutschriften für das Jahr 1973 als Erträge auszuweisen gewesen wären. Für die Lösung der Rechtsfrage, ob nicht eine gleich hohe Passivierungspflicht bestanden habe, sei allein entscheidend, ob der Steuerpflichtige mit der entsprechenden Verbindlichkeit am Bilanzstichtag, allenfalls mit seiner bis zum Tage der Bilanzerstellung gewonnenen Erkenntnis, mit der Inanspruchnahme seitens des Finanzamtes ernstlich rechnen habe können bzw. müssen. Nur insoweit wäre eine Passivierungspflicht zu bejahen. Es komme nicht auf "die bloß abstrakte Möglichkeit einer künftigen" Inanspruchnahme an, "solange nicht ein konkreter Umstand eine solche Rückforderung nicht nur theoretisch möglich, sondern auch praktisch wahrscheinlich" mache. Vorliegendenfalls habe der Steuerpflichtige in einer Zahlungserleichterungsangelegenheit ausgeführt, es handle sich bei der Nachversteuerung "um ein nahezu klassisches Beispiel

einer unerwarteten und außergewöhnlichen Nachforderung, ... mit

der nicht zu rechnen war." "Bei dieser Sachlage" könne der Senat in der Vorgangsweise des Finanzamtes keine Unrechtmäßigkeit erblicken. Die bloße Tatsache, daß der Steuerpflichtige zivilrechtlich zur Rückgabe des zu Unrecht Erworbenen verpflichtet sei, könne der Besteuerung "der erlangten Einkünfte im Jahre 1973 nicht entgegenstehen."

Gegen den Bescheid vom 4. September 1981 richtet sich die vorliegende, wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde. Unter anderem wird in der Beschwerde vorgebracht, die von der belangten Behörde angenommene Bindung an die Berufungsentscheidung vom 10. Oktober 1977 sei schon deswegen rechtsirrig erfolgt, weil der Beschwerdeführer an jenem Verfahren gar nicht beteiligt gewesen sei.

 

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Beschwerde erwogen:

Gemäß § 34 Abs. 1 FinStrG in der hier anzuwendenden Fassung der Finanzstrafgesetznovelle 1975, BGBl. Nr. 335, in Verbindung mit § 33 Abs. 1 dieses Gesetzes macht sich der fahrlässigen Abgabenverkürzung schuldig, wer fahrlässig unter Verletzung einer abgabenrechtlichen Anzeige-, Offenlegungs- oder Wahrheitspflicht eine Abgabenverkürzung bewirkt. Zur objektiven Tatseite dieses Finanzvergehens, das der Beschwerdeführer begangen zu haben die belangte Behörde bejaht, gehört bei den gegenständlichen Abgaben (Einkommensteuer und Gewerbesteuer) die gegenüber den gesetzlichen Vorschriften zu geringe oder gänzlich unterbliebene Abgabenfestsetzung.

Die belangte Behörde vertritt die Rechtsansicht, sie könne die Abgabenverkürzung in den weiter oben genannten Abgabenfällen in dem ebenfalls dargestellten zahlenmäßigen Ausmaß schon deswegen annehmen, weil bezüglich der Abgabenschuldner die Abgabenfestsetzungen rechtskräftig erfolgt seien.

Richtig ist, daß der Verwaltungsgerichtshof in einer Reihe von Erkenntnissen die Rechtsansicht vertreten hat, es wäre zwar nicht grundsätzlich ausgeschlossen, einen Sachverhalt, der einem rechtskräftigen Abgabenbescheid zugrunde gelegt worden ist, im Finanzstrafverfahren neuerlich zu bekämpfen. Die Beweislast trifft dann allerdings denjenigen, der die Unrichtigkeit des dem Abgabenbescheid zugrunde gelegten Sachverhaltes behauptet (vgl. das hg. Erkenntnis vom 16. Dezember 1975, Zl. 1358/75, Slg. Nr. 4924/F, und die dort zitierte Judikatur). Im Erkenntnis vom 18. November 1977, Zl. 856/77, hat der Gerichtshof - allerdings in einer Zollstrafsache - ausdrücklich ausgesprochen, daß es dem finanzstrafrechtlich für schuldig Befundenen verwehrt ist, die rechtskräftige Vorschreibung der Eingangsabgabenschuld im Strafverfahren neuerlich aufzurollen.

Mit dem zuletzt zitierten Erkenntnis vom 18. November 1977

geht im wesentlichen die Judikatur des Obersten Gerichtshofes

konform (OGH, verstärkter Senat, 21. April 1977, EvBl. 166/1977

= RZ 1977, 130, ferner die Entscheidungen vom 28. November 1978,

11 Os 172/77, und 23. Oktober 1979, 9 Os 123/78). Der Oberste

Gerichtshof stützt sich dabei in erster Linie auf § 5 StPO und

allgemeine Grundsätze über die wechselseitige Bindung von

Entscheidungen der Gerichte und Verwaltungsbehörden. So führt er

in der zitierten Entscheidung vom 21. April 1977 aus: "Es

widerspräche nicht nur dem Wesen der Kompetenzverteilung innerhalb

der staatlichen Aufgabenerfüllung, sondern auch dem Grundsatz der

Einheit der Rechtsordnung, überließe man es dem Strafrichter, die

... Abgabenschuld dem Grund und der Höhe nach abweichend vom

Inhalt eines hierüber bereits in Rechtskraft erwachsenen -

 gleichfalls in einem amtswegigen, vom Prinzip der Erforschung der

materiellen Wahrheit beherrschten Verfahren ergangenen -

Abgabenbescheides festzustellen. ... Demnach hat das Gericht im

Finanzstrafverfahren vom Bestehen der sich aus dem Spruch eines

... (rechtskräftigen) Bescheides über die endgültige

Abgabenfestsetzung dem Grund und der Höhe nach ergebenden

Abgabenschuld als Tatsache auszugehen ... Die Frage der

Rechtmäßigkeit der Abgabenschuld kann jedoch nur für den Bereich

der subjektiven Tatseite Gegenstand einer selbständigen

gerichtlichen Beurteilung sein ... Einwendungen gegen die

Abgabenfestsetzung als solche können ... im Strafverfahren nicht

(mehr) geltend gemacht werden." Der Vorschrift des § 54 FinStrG bzw. § 55 in der Fassung BGBl. Nr. 335/1975 mißt der Oberste Gerichtshof in diesem Zusammenhang nur untergeordnete Bedeutung bei. Nach diesen Vorschriften darf bzw. durfte bei bestimmten Abgaben (im wesentlichen direkte Abgaben und Umsatzsteuer), soweit es sich um ein verwaltungsbehördliches Strafverfahren handelt, die mündliche Verhandlung, soweit es sich um ein gerichtliches Finanzstrafverfahren handelt, die Hauptverhandlung erst durchgeführt werden, wenn das Ergebnis der rechtskräftigen endgültigen Abgabenfestsetzung für den Zeitraum vorliegt, den die strafbare Tat betrifft. Zu Recht verweist der Oberste Gerichtshof darauf, daß dieser Vorschrift eine unmittelbare Aussage zur rechtlichen Bedeutung dieser Abgabenfestsetzung für das Strafgericht fehlt (zitierte Entscheidung vom 21. April 1977). Die vom Obersten Gerichtshof angenommenen Gründe für die "Bindungswirkung" sind vielmehr die vorstehend wirklich wiedergegebenen.

Hingegen hat der Verfassungsgerichtshof im Erkenntnis vom 30. Juni 1977, Zl. B 102/75, VfGHSlg. 8111, es als einen verfassungswidrigen Eingriff in das Eigentumsrecht beurteilt, wenn die Frage nach der Verwirklichung (auch nur) des objektiven Tatbestandes durch den Beschuldigten im verwaltungsbehördlichen Finanzstrafverfahren (zur Gänze oder auch nur teilweise) mit einer bloßen Verweisung auf einen rechtskräftigen Abgabenbescheid beantwortet und dem Beschuldigten die Last eines Gegenbeweises auferlegt wird. Zur mehrfach zitierten Entscheidung des Obersten Gerichtshofes vom 21. April 1977 hat der Verfassungsgerichtshof es damals ausdrücklich offen gelassen, ob die in jenem Urteil zu § 54 FinStrG alte Fassung enthaltenen Aussagen überhaupt mit dem von der vor dem Verfassungsgerichtshof belangten Behörde eingenommenen Standpunkt in Zusammenhang gebracht werden können.

Im Beschwerdefall kann die belangte Behörde ihre Rechtsansicht auf keine der aufgezeigten Richtungen der Judikatur stützen. Denn hier ist von entscheidender Bedeutung, daß die Festsetzung der Abgaben (und ihre Bestätigung durch Berufungsentscheidungen), deren fahrlässige Verkürzung dem Beschwerdeführer zur Last gelegt worden ist, durchwegs in Verfahren erfolgt ist, in denen Parteienstellung ausschließlich die jeweiligen Abgabenschuldner hatten. Nur an sie richteten sich die erstinstanzlichen Bescheide und die Berufungsentscheidungen. Ganz unabhängig von der allgemeinen Frage, inwieweit Abgabenfestsetzungen für bei anderen Behörden der staatlichen Verwaltung anhängige Verfahren bindende Wirkung habe, ob sie als präjudizielle Entscheidung über Vorfragen anzusehen sind oder nicht, entfalten mangels einer ausdrücklichen gesetzlichen Anordnung die gegenständlichen erstinstanzlichen Bescheide und die ihnen folgenden Berufungsentscheidungen gegenüber dem Beschwerdeführer keine bindenden Rechtswirkungen. Ihm konnten aus diesen Bescheiden keine Pflichten erwachsen und er war - wie in der Beschwerde zutreffenderweise hervorgehoben wird - rechtlich nicht in der Lage, auf den Ausgang der zu ihnen führenden Verfahren in irgendeiner Weise einzuwirken. Es verstößt daher gegen die elementaren Grundsätze eines rechtsstaatlichen Verfahrens, die gegenständlichen, in Abgabenverfahren anderer Personen ergangenen Berufungsentscheidungen als für das gegen den Beschwerdeführer anhängige Finanzstrafverfahren präjudiziell zu qualifizieren, wenn der Beschwerdeführer weder in den erst- noch in den zweitinstanzlichen Abgabenverfahren die Möglichkeit hatte, daran in irgendeiner Weise (sei es als Abgabepflichtiger, Haftungspflichtiger oder Beitrittsberechtigter) mitzuwirken und seinen Standpunkt zu vertreten.

Der Rechtsirrtum der belangten Behörde in diesem Punkt hätte jedoch keine Auswirkung auf die Richtigkeit des angefochtenen Bescheides, wenn die vorliegendenfalls relevante Rechtsfrage von der belangten Behörde als Berufungsbehörde in den Abgabenverfahren der vom Beschwerdeführer "betreuten" Abgabepflichtigen rechtsrichtig gelöst worden wäre.

Das trifft jedoch aus nachstehenden Überlegungen nicht zu.

Gutschriften von Betriebssteuern oder betrieblich veranlaßten Nebengebühren (z.B. Säumniszuschlägen, Stundungszinsen), die wie im Beschwerdefall durch Irrtum unbestritten jedenfalls objektiv zu Unrecht erfolgten, stellen keine endgültige Vermehrung des Betriebsvermögens des Steuerpflichtigen dar. Vielmehr entsteht - was an sich auch der Berufungssenat nicht in Abrede gestellt hat -

dem Bund ein Rückforderungsanspruch in Höhe der unrechtmäßigerweise dem Abgabepflichtigen kontomäßig gutgebrachten Beträge. Dieser gegen den Abgabepflichtigen gerichtete Rückforderungsanspruch, mag er nun im Abgabeverfahren geltend zu machen sein oder eine zivilrechtliche Forderung auslösen, entsteht dem Grunde nach nicht etwa erst in dem Zeitpunkt, in dem der Abgabepflichtige Kenntnis von der Unrichtigkeit der zu seinen Gunsten erfolgten Gutschrift erhält, sondern gleichzeitig mit ihr. Die Kenntnis des Abgabepflichtigen und der mehr oder weniger große Wahrscheinlichkeitsgrad der Aufklärung der mit den geltenden Vorschriften nicht übereinstimmenden Abgabengutschrift ist somit für Entstehen und Bestand der Pflicht des Abgabepflichtigen, den betreffenden Betrag zu ersetzen, an sich ohne Belang.

Für die Entscheidung der Frage, ob in den hier in Betracht kommenden Abgabenfällen tatsächlich die Passivierung einer Rückzahlungspflicht schon zum Ende des Wirtschaftsjahres zu erfolgen hatte, in dem die irrtümlichen Gutschriften erfolgten, sind die Besonderheiten der für die Beschwerde maßgebenden Umstände entscheidend. Diese bestehen darin, daß die Abgabepflichtigen zunächst rechtskräftig veranlagt worden sind, wobei bei der Ermittlung des Gewinnes weder die Gutschriften als Ertrag ausgewiesen noch eine Rückzahlungspflicht durch Einstellung eines Passivpostens als Aufwand berücksichtigt worden sind.

In der Folge hat die Abgabenbehörde, nachdem sie Kenntnis von den unrichtigerweise gutgebrachten Buchungen erlangt hatte, dies zum Anlaß von Wiederaufnahmen der Veranlagungsverfahren von Amts wegen genommen. Die Abgabenbehörden beider Rechtsstufen führten die Wiederaufnahmen durch, um - was an sich zutreffend ist - die den Abgabepflichtigen gutgebrachten Beträge an Betriebssteuern bzw. Nebenansprüchen als gewinnerhöhende Erträge zu erfassen. Im Zeitpunkt der Wiederaufnahme der Verfahren bzw. im Zeitpunkt ihrer Bestätigung durch die Berufungsbehörde konnten die Abgabenbehörden jedoch bereits erkennen, daß gleichzeitig mit den Gutschriften eine diesen korrespondierende Rückzahlungspflicht entstanden war. Die Tatsache des untrennbaren Zusammenhanges zwischen Gutschrift und Rückzahlungspflicht betreffend die gleichen Besteuerungsperioden durfte von den Abgabenbehörden in Erfüllung der ihnen auferlegten Pflicht, amtsbekannte Umstände auch zugunsten des Abgabepflichtigen zu prüfen und zu würdigen (§ 115 Abs. 3 BAO), nicht einseitig nur auf ihre Auswirkung auf der Ertragseite verwertet werden. Vielmehr wäre es Sache der Abgabenbehörde gewesen, auch die spiegelbildliche Auswirkung dieser Tatsache zu berücksichtigen, was nach dem Gesagten darauf hinausgelaufen wäre, den aufgegriffenen Gesamtvorgang im Ergebnis anders zu beurteilen als es geschehen ist. Der Gesamtvorgang hätte bilanztechnisch einerseits zur Ausweisung des Ertrages geführt, anderseits zur Einstellung einer gleich hohen Passivpost zu Lasten des Gewinnes. Im Ergebnis wäre es so zu einer Gewinnerhöhung nicht gekommen.

Daraus ergibt sich die Unrichtigkeit jener Berufungsentscheidungen, auf die die belangte Behörde allein das Tatbild der objektiven Abgabenverkürzung durch den Beschwerdeführer gestützt hat.

Zusammenfassend hat die belangte Behörde den angefochtenen Bescheid allein dadurch mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes belastet, daß

a) sie der Meinung war, die in Sachen der eingangs genannten Abgabepflichtigen ergangenen Abgaben-(Berufungs)bescheide in das Finanzstrafverfahren gegen den Beschwerdeführer übernehmen zu können, ohne daß dieser die Möglichkeit habe, gegen die dort vertretene Rechtsansicht erfolgreich Einwendungen erheben zu können, und

b) den unter a) genannten Abgabenverfahren eine unrichtige Rechtsansicht zugrunde lag.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 lit. a VwGG 1965 wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Es erübrigte sich somit auch, auf die weiteren Beschwerdeausführungen im einzelnen einzugehen.

Von der Durchführung der vom Beschwerdeführer beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 lit. f VwGG 1965 (in der Fassung BGBl. Nr. 203/1982) abgesehen werden, da die Schriftsätze der Parteien und die dem Verwaltungsgerichtshof vorgelegten Verwaltungsakten erkennen ließen, daß die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten ließ.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG 1965 in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 221/1981. Umsatzsteuer war nicht zuzusprechen, da diese mit dem pauschalen Schriftsatzaufwand abgegolten ist. Ersatz für Stempelgebühren wurde insoweit zuerkannt, als nach den bestehenden Vorschriften Gebühren in Stempelmarken zu entrichten waren.

Wien, am 8. Juni 1982

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