B-VG Art. 140 Abs1
12010E267 AEUV Art. 288 Abs2
12010P/TXT Grundrechte Charta Art. 2
12010P/TXT Grundrechte Charta Art. 47
32018R0842 VO (EU) Nr. 842/2018 Art. 1
32018R0842 VO (EU) Nr. 842/2018 Art. 4 Abs1
32018R0842 VO (EU) Nr. 842/2018 Art. 4 Abs3
European Case Law Identifier: ECLI:AT:LVWGWI:2022:VGW.101.053.13231.2021
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Verwaltungsgericht Wien hat durch seinen Richter Mag. Kasper-Neumann über die Beschwerde 1) des Herrn Dipl.-Ing. A. B., 2) der Frau C. D., 3) der Gemeinde E., 4) der Frau F. G. sowie 5) H., alle vertreten durch Rechtsanwalt, gegen den Bescheid des Bundesministeriums für Digitalisierung und Wirtschaftsstandort, vom 13.07.2021, Zl. ..., betreffend Gewerbeordnung (GewO),
zu Recht erkannt:
I. Die Beschwerde wird abgewiesen.
II. Gegen dieses Erkenntnis ist gemäß § 25a VwGG eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG unzulässig.
Entscheidungsgründe
Dem bekämpften Bescheid lag ein Antrag der Beschwerdeführer mit folgendem Wortlaut zugrunde:
„Antragsteller: 1. Dipl.-Ing. A. B., geb. 1940Wien
2. C. D., geb. 1997 Wien
3. Gemeinde E., E.
4. F. G., geboren 1963, I.
5. H. — J. Wien, K.-gasse
vertreten durch: … Rechtsanwälte … Wien Vollmacht erteilt
wegen: Antrag auf Erlassung einer Verordnung nach § 69 GewO über Maßnahmen, die Gewerbetreibende des Handelsgewerbes hinsichtlich bestimmter Waren, die sie erzeugen oder verkaufen im Hinblick auf die Vermeidung einer Gefährdung von Leben und Gesundheit von Menschen durch die Klimakrise und zur Vermeidung von Belastungen der Umwelt durch die Klimakrise zu treffen haben (zeitlich gestaffeltes Verbot des Verkaufs fossiler Energieträger)
Inhaltsverzeichnis
1. Die Antragstellerinnen 3
2. Die Klimakrise 4
2.1 Der Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis zu Klimakrise, Temperaturanstieg und seinen Folgen 4
2.2 Die Bedrohung von Leben und Gesundheit von Menschen und die Belastung
der Umwelt in Österreich durch die Klimakrise 6
2.2.1. Klimakrise und Gesundheit 6
2.2.2. Zunahme von Hitzestress 8
2.2.3. Zunahme von Starkregenereignissen und Murenabgängen 11
2.2.4. Gefährdung der Schutzwaldfunktion und Schäden in der Waldbewirtschaftung 13
2.2.5. Dürren und Ernteausfälle 19
2.3 Die Bedrohung der Antragsteller durch die Klimakrise 24
Э. Verordnungsermächtigung § 69 GewO 25
4. Der beantragte Verordnungsinhalt 26
4.1 Betroffene Waren 26
4.2 Betroffene Gewerbe 28
4.3 Inhalt der beantragten Maßnahmen 28
5. Subjektives Recht auf Erlassung der Verordnung 29
5.1 Aufgrund von Unionsrecht 30
5.2 Aufgrund von Verfassungsrecht 34
5.3 Aufgrund von Verfassungsrecht mit unionsrechtlichem Anwendungsvorrang:
Europäische Grundrechte Charta 35
6. Wortlaut des Antrags „Recht auf saubere Energie" 37
1. Die Antragstellerinnen
Der 1. Antragsteller lebt in Wien ist aufgrund seiner körperlichen Disposition (Lungeninfarkt, Herzinfarkt, koronäre Dreigefäßerkrankung) einer erhöhten Gesundheitsgefährdung durch sommerliche Hitze ausgesetzt.
Die 2. Antragsstellerin lebt in Wien. Aufgrund ihres derzeit noch jugendlichen Alters wird sie im Laufe ihres Lebens unter mehreren Folgen der Klimakrise zu leiden haben.
Die 3. Antragstellerin ist eine Gemeinde in der Steiermark, die einem erhöhten Risiko von Murenabgängen und Bergstürzen durch unwetterbedingte Starkregenereignisse ausgesetzt ist
Die 4. Antragsstellerin ist eine Landwirtin. Durch klimabedingt stärkere Dürren entstehen wirtschaftliche und ökologische Schäden.
Der 5. Antragsteller ist ein Verein iSd Vereinsgesetz und eine anerkannte Umweltorganisation iSd § 19 Abs 7 UVP-G.1 Der Verein, dessen Tätigkeit nicht auf Gewinn ausgerichtet ist, bezweckt ua den Schutz der Umwelt, den Schutz der Gesundheit und die Vorbeugung von Katastrophen.2
2. Die Klimakrise
2.1 Der Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis zu Klimakrise, Temperaturanstieg und seinen Folgen
Anthropogene Emissionen von CO2, Methan und anderen Treibhausgasen (THG) führen zu einer ansteigenden Konzentration dieser Treibhausgase in der Atmosphäre und durch den Treibhausgaseffekt zu einem signifikanten Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur. In der Folge kommt es unter anderem zu einer geänderten geographischen und zeitlichen Verteilung von Niederschlägen, zu größerem Risiko von Extremereignissen, die schwere gesundheitliche und ökologische Konsequenzen haben können. Gegenüber dem vorindustriellen Niveau ist die Konzentration in der Atmosphäre von CO2 um 148 Prozent gestiegen, von Methan um 260 Prozent und von Lachgas um 123 Prozent.3
Diese menschlich bedingte Zunahme an Treibhausgasemissionen hat bereits zu einem weltweiten Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur um etwa ein Grad geführt. Ein Temperaturanstieg von 1,5 °C wird weltweit zwischen 2030 und 2052 erreicht, wenn es nicht rasch zu einer Trendumkehr kommt.4 Das Ziel des Pariser Klimaschutzabkommens ist es hingegen, den Temperaturanstieg auf deutlich unter 2 °C zu begrenzen und Anstrengungen zu unternehmen, damit der Temperaturanstieg 1,5 °C nicht übersteigt. Diese Ziele wurden gewählt, um die Risiken und Auswirkungen der Klimakrise zu minimieren.5 Der IPCC hält fest, dass die bisherigen Treibhausgasemissionen eine Temperaturzunahme von 1,5 °C noch nicht ausgelöst haben. Für eine Erreichung des Ziels müssen die weltweiten Treibhausgasemissionen aber bis 2050 auf Netto-Null6 reduziert werden; bis 2030 ist eine Reduktion um 45 Prozent notwendig (Bandbreite 40-60 %). Weiters hält der IPCC fest, dass zwischen einem globalen Temperaturanstieg von 1,5 °C und 2 °C erhebliche Unterschiede bestehen, was die Auswirkungen betrifft. Gelingt es, den Temperaturanstieg auf 1,5 °C einzudämmen, können schwere Folgen noch vermieden werden:7
Etwa zehn Millionen Menschen werden nicht vom Meeresspiegelanstieg betroffen sein und müssen ihren Wohnort nicht verlassen.
Die Anzahl der Menschen, die zusätzlich von Wasserknappheit betroffen ist, ist bei einer Temperaturzunahme von 2 °C um 50 Prozent höher als bei einer Temperaturzunahme von 1,5 °C.
Ein Teil der Korallenriffe kann noch gerettet werden. Die Zerstörung erreicht zwar auch bei einer Temperaturzunahme von 1,5 °C ein Ausmaß von 70 bis 90 %, ein Temperaturanstieg um 2 °C Planet bedeutet aber die vollständige Zerstörung aller Warmwasser-Korallenriffe.
Das Risiko eines Massensterbens bei vielen Tier- und Pflanzenarten kann verringert werden. Bei einer Temperaturzunahme von 1,5 °C droht ein Massensterben von mehr als 50 Prozent der Population bei sechs Prozent der Insektenarten, acht Prozent der Pflanzenarten und vier Prozent der Wirbeltierarten. Steigt die Temperatur aber weltweit um durchschnittlich 2 °C an, dann droht ein derartiges Massensterben bei 18 Prozent der Insektenarten, 16 Prozent der Pflanzenarten und acht Prozent der Wirbeltierarten.
Der Anstieg der Durchschnittstemperatur ist geographisch unterschiedlich. In Österreich ist die Durchschnittstemperatur seit dem Beginn der Industrialisierung um rund 2 °C gestiegen (ZAMG).8 Osterreich ist damit überdurchschnittlich vom Trend des Temperaturanstiegs betroffen und hat höchstes Eigeninteresse, dass es gelingt, die weltweite Durchschnittstemperatur auf 1,5 °C einzugrenzen. Bereits jetzt wird durchschnittlich eine Milliarde Euro pro Jahr für Klimawandelanpassungsmaßnahmen ausgegeben. Wetter- und klimabedingte Schäden machen im Jahresdurchschnitt zwei Milliarden Euro aus. Diese Schäden werden ohne entsprechende Gegenmaßnahmen bis 2030 auf 3-6 Mrd. Euro und bis zur Mitte des Jahrhunderts auf 6-12 Mrd. Euro ansteigen.9 In diesen prognostizierten Schadenssummen sind gesundheitliche Schäden, soweit sie quantifizierbar sind, beinhaltet.
Der Anstieg der Durchschnittstemperatur und die geänderte geographische und zeitliche Verteilung von Niederschlägen führen in Österreich einerseits zu langen Trockenperioden während der Vegetationszeit und andererseits zu Unwettern mit Starkniederschlägen, die die Aufnahmefähigkeit der Böden übersteigen und zu Murenabgängen führen. In den Sommermonaten kommt es insbesondere in Städten durch Hitzeperioden zu einer Häufung von Hitzetagen und Tropennächten.
2.2 Die Bedrohung von Leben und Gesundheit von Menschen und die Belastung der Umwelt in Österreich durch die Klimakrise
Durch die Klimakrise werden das Leben und die Gesundheit von Menschen gefährdet und wird die Umwelt belastet. Mehrere für das Leben und die Gesundheit der Antragsstellerinnen relevante Aspekte werden in den nächsten Kapiteln dargestellt.
2.2.1. Klimakrise und Gesundheit
In der Studie „Klimapolitik in Österreich: Innovationschance Coronakrise und die Kosten des Nicht-Handelns" warnt das Wegener Center (2020) eindrücklich vor den Gesundheitsgefahren, die durch eine fortschreitende Klimakrise entstehen.
Das Risiko für Infektionskrankheiten, Epidemien oder Pandemien steigt durch die sich weiter ausbreitende Klimakrise. Bei der Corona-Krise wird angenommen, dass das SARS Corona-Virus von einem tropischen Wildtier auf den Menschen übertragen wurde. Die Klimakrise ist eine Mitursache dieser Entwicklung, weil sie den Nutzungsdruck erhöht. Die Zerstörung des Lebensraumes von Wildtieren verringert deren Lebensraum und erhöht das Risiko weiterer Übertragungen von Infektionskrankheiten (Zoonosen) auf den Menschen (zB HIV, MERS, Ebola Virus, SARS CoV1/2).1о
Weiters können bisher in unserer Klimazone nicht aktive Erreger durch den Temperaturanstieg Bedingungen vorfinden, unter denen sie sich besser ausbreiten können. Eine Ausbreitung von Überträgern, wie der asiatischen Tigermücke oder der asiatischen Buschmücke, wird erwartet. Der Temperaturanstieg führt dabei in Kombination mit dem globalem Waren- und Personenverkehr zu einem erhöhtem Verbreitungsrisiko der dadurch ausgelösten Krankheiten, wie zB dem Dengue-Fieber.11 Einige unserer heimischen Stechmückenarten können auch bisher in Osterreich selten aufgetretene Erreger von Infektionskrankheiten, wie das West-Nil-Virus oder das Usutu-Virus, übertragen. Zudem wurde die verstärkte Ausbreitung von Sandmücken und Buntzecken als potenzielle Überträger von mehreren Infektionserkrankungen (Leishmanien, FSME-Virus, Krim-Kongo-Hämorrhagischer-Fieber-Virus, Rickettsien, Babesien etc.) beobachtet.12
Ein weiterer Risikoherd ist der auftauende Permafrost, der potenzielle Gesundheitsgefahren mit sich bringt. Im Permafrost können gefährliche Keime über Jahrtausende konserviert werden. Sehr alte und unbekannte Bakterien- und Virenstämme können beim Auftauen des Permafrosts freigesetzt werden. Derzeit ist noch unklar, wie hoch das gesundheitliche Risiko aus diesen Quellen ist.13
Ein weiteres Gesundheitsrisiko, dass sich mit zunehmendem Temperaturanstieg verschärft, ist die gesundheitliche Beeinträchtigung durch Allergene. Eine Verlängerung der Saison und ein stärkeres Auftreten bereits heimischer allergener Pflanzen wird erwartet. Dazu kommt die Einwanderung neuer allergener Pflanzen- und Tierarten.14 Besonders in Bezug auf Ragweed (Ambrosia artemisiifolia) ist eine starke Zunahme von Allergenen zu erwarten. Beobachtet wird, dass vor allem in urbanen Gebieten die Konzentration von Pollen in der Luft zugenommen hat.
Die Folge ist eine Zunahme von Atemwegserkrankungen (Heuschnupfen, Asthma, COPD). Pollen werden in Kombination mit Luftschadstoffen (Feinstaub, Stickoxide, bodennaher Ozon) zudem besonders aggressiv. Insbesondere in Städten ist in Kombination mit Luftschadstoffen daher von einer hohen Gesundheitsbelastung auszugehen. Aktuell leiden rund 1,75 Mio. Menschen in Österreich unter allergischen Erkrankungen. Es wird geschätzt, dass schon in 10 Jahren 50 % der Europäer*innen betroffen sein werden.15
2.2.2. Zunahme von Hitzestress
Ein klarer Zusammenhang zwischen Gesundheit und Leben von Menschen und der anthropogen bedingten Temperaturzunahme besteht in der Zunahme von Hitzestress durch höhere Temperaturen, längere und häufigere Hitzewellen und fehlende Nachtkühlung.
Die sommerliche Hitze gefährdet unmittelbar die Gesundheit und das Leben von Menschen. Das betrifft besonders Städte, in denen Hitzeinseln entstehen.16 Hitze belastet den menschlichen Organismus und kann bei schlechter gesundheitlicher Verfassung bis zum Tod führen. Zahlreiche empirische Studien belegen den Zusammenhang zwischen Hitzeperioden und erhöhten Mortailitätsraten.17 Besonders verletzliche Bevölkerungsgruppen sind ältere oder chronisch kranke Menschen. Auch finanziell schlechtergestellte Personen sind verstärkt betroffen, weil sie häufiger in Gebäuden mit alter Bausubstanz leben müssen, die schlecht isoliert sind.
Nach Angaben der ZAMG hat die Häufigkeit von Hitzewellen mittlerweile um 50 Prozent zugenommen. In vielen Landeshauptstädten muss man mittlerweile jährlich mit Hitzewellen rechnen.18 Während es zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Österreich durchschnittlich zwei Tage mit über 30 Grad im Jahr gab, sind es heute bereits 15. Dieser Wert wird sich bis 2030 voraussichtlich verdoppeln und bis Ende des Jahrhunderts auf 50 Tage pro Jahr ansteigen. Die Häufigkeit von Hitzewellen wiederum wird von derzeit fünf auf 15 pro Jahr gegen Ende des Jahrhunderts ansteigen.19 Schon bis Mitte des Jahrhunderts ist zu erwarten, dass sich auch die Länge von Hitzeepisoden mit über 30 °C verdoppelt, bis Ende des Jahrhunderts könnte im Extremfall auch eine Verzehnfachung der Hitzetage auftreten.20
Bei Hitzewellen ist die Beeinträchtigung der nächtlichen Abkühlung von besonderer Relevanz. Das Lüften in der Nacht ist dann oft die einzige Möglichkeit die Innenraumtemperatur abzukühlen. Fällt diese Möglichkeit weg, dann erhöht das die gesundheitliche Belastung.21 Bereits jetzt wird beobachtet, dass Nächte mit Temperaturminima über 17 °C in Wien gegenüber der Klimaperiode von 1960-1991 um über 50 Prozent zugenommen haben.22 Nächte mit zu geringer Abkühlung, in denen die Temperatur nicht unter 20 °C fällt, werden als Tropennächte bezeichnet. Sie sind sehr selten in Österreich, werden aber mittlerweile vor allem im städtischen Gebiet beobachtet. In Wien gab es schon Nächte, in denen die Temperatur nicht unter 25 °C sank.23
Als Folge von vermehrten Hitzewellen werden vor allem unter der älteren Bevölkerung hitzebedingte Todesfälle zunehmen. Im Österreichischen Special Report zu Gesundheit, Demographie und Klimawandel wird prognostiziert, dass es im Mittel zwischen 2016 und 2045 1.200 Hitzetote pro Jahr in Österreich geben und diese Zahl im Mittel zwischen 2036 und 2065 auf 3.000 Hitzetote pro Jahr ansteigen wird.24 Gemäß der Studie Cost of Inaction (COIN) könnte dieser Wert in extremen Jahren auch auf 6.000 bis 9.000 Todesfälle ansteigen.25
Diese Entwicklung hat bereits begonnen und führt schon jetzt zu vielen Todesfällen unter der österreichischen Bevölkerung, mit stark schwankenden jährlichen Zahlen, wie das Hitze-Monitoring der österreichischen Gesundheitsagentur AGES zeigt. Zuletzt gab es im Jahr 2019 eine hitzebedingte Übersterblichkeit von 198 Personen, im Jahr davor waren es 766 Hitzetote. Zum Vergleich: Bei Verkehrsunfällen starben 2018 409 Menschen.26
Schätzung der Hitze-assoziierten Übersterblichkeit inklusive 95% Konfidenzinterval Österreich, Sommerperioden 20 3-2019
Sommer
| Hitze-assoziierte Übersterblichkeit | 95% Кonfidenziпteгvall (КI) |
2013* | 895 | 773;1017 |
2014* | 34 | 33; 234 |
2015* | 1122 | 961; 1283 |
2016* | 0 | -46;46 |
2017* | 586 | 343; 830 |
2018* | 766 | 583; 949 |
2019** | 198 | -41;435 |
* Temperaturdaten von 32 Messstationen, die den 40 größten Ortschaften zugeordnet wurden
** Temperaturdaten von 181 Messstationen im gesamten Bundesgebiet
Abbildung 1: Hitze-assoziierte Übersterblichkeit in Österreich. Quelle: AGES (2020)
Im Special Report der österreichischen Klimawissenschaft „Gesundheit, Demographie und Klimawandel" werden zwar Anpassungsmaßnahmen erwähnt, es ist jedoch zu erwarten, dass starke gesundheitsbelastende Auswirkungen nicht gänzlich mitigiert werden können und klimabedingt von einer erhöhten Mortalität auszugehen ist. Das ist insbesondere in Szenarien mit ungebremster Temperaturentwicklung zu erwarten. Deshalb wird auch im Special Report der österreichischen Klimawissenschaft „Gesundheit, Demographie und Klimawandel" auf Handlungsfelder zur Reduktion von Treibhausgasemissionen hingewiesen. Mobilität und Gebäude werden dabei als zentrale Faktoren genannt.27
2.23. Zunahme von Starkregenereignissen und Murenabgängen
Muren können große Schäden verursachen, bedrohen Leib und Leben. Sie werden in alpinen Regionen vor allem durch intensive Niederschlagsereignisse ausgelöst. Klimatische Veränderungen können eine Änderung des Gefahrenpotentials mit sich bringen. In alpinen Einzugsgebieten werden Muren hauptsächlich durch lokale Wärmegewitter und langanhaltende Niederschläge hervorgerufen. Da die Häufigkeit von letzteren durch die klimatischen Veränderungen steigt, hat der Temperaturanstieg einen direkten Einfluss auf die Häufigkeit und Schwere von Murenabgängеn.28
Starkregenerеignisse führen nicht nur zu Überflutungen und zu Murenabgängen und Hangrutschungen, die wirtschaftliche Auswirkungen haben: Sie gefährden gleichzeitig auch das Leben und die Gesundheit von Menschen. Durch die Klimaveränderungen ist mit einer Zunahme von Starkregenereignissen zu rechnen. Die Klimaveränderungen werden somit auch eine Häufung von Muren mit sich bringen.
In den letzten Jahren hat es bereits einige extreme Ereignisse in Österreich gegeben, wie zum Beispiel 2005 in Vorarlberg und Tirol. Im Jahr 2009 kam es wiederum zu Extremereignissen in Niederösterreich und der Steiermark. Im Jahr 2010 war insbesondere das Kleinsölktal in der Steiermark betroffen und 2012 wurde die Obersteiermark besonders in Mitleidenschaft gezogen, hier vor allem das Paltental und St. Lorenzen. Demnach scheint es vor allem in der Steiermark eine Häufung der Extremereignisse zu geben. Eine nähere Untersuchung dessen liegt allerdings noch nicht vor.
Auch der auftauende Permafrost spielt dabei eine Rolle, weil er dazu führt, dass Hänge instabil werden. Eine Zunahme von Naturgefahren (z. B. Steinschlag, Muren) wird in Kombination mit steigender Niederschlagsintensität deshalb von der Klimawissenschaft erwartet.29
Häufigere Murenabgänge und Starkniederschläge stellen eine Gefahr für besiedelte Regionen im Alpenraum dar, wobei sich jede einzelne Lage natürlich stark unterscheidet und die Situation stark abweichen kann. Generell wird erwartet, dass als Folge des Klimawandels Muren auch in höheren Lagen auftreten werden.
Durch das Auftauen von Permafrost werden Hänge in höheren Lagen instabil. Muren werden durch das Auftauen des Permafrosts auch mehr Geschiebepotenzial haben, was das Ausmaß von Muren verstärken kann.
Weiters werden Murenabgänge durch die Stabilität des Untergrunds beeinflusst. Vielfach tragen Wälder in Hanglagen zur Bodenstabilität entscheidend bei. Der Klimawandel wirkt sich auf unterschiedliche Weise negativ auf die Schutzfunktion der Wälder aus (Trockenstress, Borkenkäferbefall, Waldbrände, Stürme).З0 Reduziert sich die Bodenstabilität, kann das wiederum zu Hangrutschungen und Vermurungen führen.
In Summe kann zwar eine genaue Vorhersage der Entwicklung von Murenschäden nicht getroffen werden. Durch den Rückgang des Permafrosts, häufigere Starkregenereignisse, rasche Schneeschmelze gemeinsam mit häufigeren Frühjahrsniederschlägen, sowie einer Beeinträchtigung der Schutzwaldfunktion lässt sich jedoch eine Zunahme von Muren und Hangrutschungen erwarten. Für die Sicherheit alpiner Siedlungsgebiete ist es deshalb entscheidend, dass Schutzmaßnahmen zur Eindämmung der Klimakrise getroffen werden.
2.2.4. Gefährdung der Schutzwaldfunktion und Schäden in der Waldbewirtschaftung
Wälder sind besonders anfällig für die Folgen des Klimawandels. Das liegt auch daran, dass Bäume eine sehr lange Lebensdauer von mehreren Jahrzehnten haben. Damit ist nur sehr langfristig eine Anpassung an den sehr rasch fortschreitenden Klimawandel möglich. Ist das Ausmaß der klimatischen Veränderung an einem Waldstandort größer als es die dort wachsenden Baumarten tolerieren können, führt dies zur Schwächung und letztlich zum Absterben der betroffenen Bäume.31
Die Störungen in Waldökosystemen nehmen unter allen diskutierten Klimaszenarien an Intensität und Häufigkeit zu. Diese Störungen können zudem Auslöser für Massenvermehrungen und Epidemien von bedeutenden forstlichen Schadorganismen wie z. B. dem Borkenkäfer sein. Störungen führen darüber hinaus zu geringeren Erlösen in der Holzproduktion. Auch die Schutzfunktion der Wälder vor Steinschlag, Muren und Lawinen sowie die Kohlenstoffspeicherung leiden darunter.32 Wenn die Schutzfunktion verlorengeht, erhöht sich wiederum das Schаdenspotenzial und die damit einhergehende Gesundheitsgefährdung.
Waldschäden durch Wind und Borkenkäfer haben in Europa in den letzten Jahrzehnten deutlich zugenommen. In Österreich wurden in den Jahren 2002 bis 2010 im Durchschnitt 3,1 bzw. 2,2 Mio. m3 Wald durch Wind und Borkenkäfer geschädigt, was dem zwei- bis neunfachen der Periode 1961 bis 1990 entspricht.33 In Österreich zeigt der „KlimaStatusBericht Österreich 2018", dass das trockene Jahr 2018 zu „massiven Schäden durch Borkenkäfer, Schäden an der Waldverjüngung und einer Schwächung der Widerstandsfähigkeit gegenüber rinden- und holzbrütenden Insekten" geführt hat. Im Jahr 2018 traf der Borkenkäfer nach einer Massenvermehrung auf bereits seit Jahren geschwächte Wälder.34 Das Jahr 2019 ging ähnlich weiter. Nach starker Trockenheit kam es zu starken Schäden durch den Borkenkäfer. Die Borkenkäferschäden waren in Niederösterreich besonders gravierend (2,93 Mio. Fm), gefolgt von Oberösterreich (0,87 Mio. Fm). Im Wald- und im Mühlviertel fielen rund 70% des gesamten österreichischen Schadаufkommens durch Borkenkäfer an.35
Insgesamt werden die Schäden des Borkenkäfers im Jahr 2019 auf 30 % des Gesamteinschlages geschätzt.36
Schadholzmengen durch Sturm, Schnee und Borkenkäferbefall
Abbildung 2: 8orkeпkäferschäden in Österreich. Quelle: Climate Change Center Austria (2018): Klimastatusbericht Österreich 2018, Ѕ. 14
Bis in die 90er-Jahre sind in Österreich keine besonderen Ausschläge des Borkenkäferbefalls ersichtlich. Seither zeigt sich aber ein starker Anstieg des Borkenkäferbefalls, der vor allem in den letzten Jahren ein Rekordausmaß erreicht (siehe Abbildung 2).
Auch Winterstürme richten große Schäden an. Sturmereignisse treten in Österreich vor allem im Winter auf, wo die Abnahme des Bodenfrosts die Baumstabilität negativ beeinflusst. Große Windwürfe sind wiederum die Keimzellen für Schadinsekten wie Borkenkäfer und können neue Populationswellen hervorbringen.З7 Die ZAMG beobachtet seit Ende den 80er-Jahren eine Zunahme von immer milderen Wintern in Österreich.38 Auch durch diesen Effekt der Temperaturzunahme kommen die österreichischen Wälder unter Druck.
Abbildung 2: Modellierter Klimastress für die Fichte basierend auf dem Konzept der physiologischen Nische. Datenbasis: Standortdaten der Österreichischen Waldinventur (ohne Schutzwald außer Ertrag). Links unten: Heutiges Klima repräsentiert durch die Messperiode 1961 bis 1990; rechts unten: Klimaänderungsszenario A1B am Ende des 21. Jahrhunderts (Temperatur bis +4,5°C, Niederschlag: bis -35% im Sommerhalbjahr); rechts oben: Klimaänderungsszenario A1B, physiologische Nische plus Berücksichtigung der potentiellen Generationen des Fichtenborkenkäfers lps typographus. Rot = Klimastress sehr hoch, gelb = Klimastress moderat, grün = Klimastress gering bzw. nicht vorhanden
Abbildung 3: Klimastress bei Fichtenwaldbeständen in Österreich.
Quelle: APCC, 2014, S 494
In den letzten Jahren sind etwa zunehmende Schäden durch Borkenkäfer in fichtendominierten Wäldern (insbesondere durch lps typographus und Pityogenes chalcographus) — nicht mehr nur auf Tieflagen beschränkt (siehe Abbildung 3),39 Wenn Wälder in höheren Lagen durch Borkenkäfer geschädigt werden, dann geht auch ihre Schutzfunktion vor Muren oder Steinschlag verloren.
Gebiete Nieder- und Oberösterreichs sowie der Steiermark und des Burgenlandes werden für die Fichte ungeeignet, wobei das immer öfter zu erwartende Massenauftreten des Borkenkäfers verstärkt wird. Gebiete, in denen die Fichte geringem Klimastress ausgesetzt ist, reduzieren sich unter den angenommenen Szenariobedingungen auf höher gelegene Berglagen.40
Das Ausmaß von Borkenkäferschäden hängt sowohl von der Insektenpopulation als auch vom Abwehrvermögen der Bäume ab. Wie das Bundesforschungszentrum Wald betont, ist es vor allem der Trockenstress, der den Borkenkäferbefall massiver ausfallen lassen.41 Durch den Temperaturanstieg und die Zunahme von Trockenheit wird die Abwehrfähigkeit der Bäume stark verringert. Schon die bereits stattgefundene Temperaturveränderung hat zum Ansteigen von Waldschäden in Österreich und Europa beigetragen. Gleichzeitig können Borkenkäfer bei höheren Temperaturen mehr Generationen pro Jahr entwickeln.42 Auch im Österreichische Sachstandsbericht Klimawandel 2014 wird darauf hingewiesen, dass es vor allem dort zu großem Borkenkäfervermehrung kommt, wo Bäume unter Trockenstress stehen oder von Extremtemperaturen geschwächt sind.43 Neben dem Fichtenborkenkäfer treten auch Kiefernborkenkäfer und auch Schadinsekten, die Laubbäume befallen können, vermehrt auf (eingeschleppter asiatischer Laubholzbockkäfer). Generell wird daher erwartet, dass durch die Temperaturzunahme „expansive Schädlingsarten begünstigt werden."44
Der Trend zu Schäden in der Forstwirtschaft wird sich daher weiter fortsetzen, da die Temperatur weiter ansteigen wird und die Waldstruktur und -zusammensetzung nur sehr langfristig veränderbar ist. Für Bоrkenkäferschäden zeigen Szenarien, dass eine moderate Erwärmung von +2.4 °C zu einer Vervierfachung der Bоrkenkäferschäden in Österreich führen könnte. Hierzu tragen sowohl zunehmende Käferpopulationen als auch abnehmende Wirtsfitness bei.45 Damit steigt auch das Risiko für Leib und Leben durch Gefährdung der Schutzwaldfunktion.
Waldbauliche Fehler vergangener Jahrzehnte (z. B. der Anbau von Fichtenbeständen weit außerhalb ihres natürlichen Verbreitungsgebietes) haben zu einem Ansteigen der Waldschäden durch Störungen beigetragen. Besonders in Regionen mit sekundären Fichtenwäldern werden Probleme erwartet. Dort sind allerdings jetzt die Wachstumsleistungen der Fichten sehr hoch. Besonders anfällig sind die Fichten für Trockenperioden und Sturmschäden. Eine besonders betroffene Großregion ist das Nördliche Alpenvorland, in dem derzeit besonders produktive Fichtenbestände anzutreffen sind.46 Zwar kann durch Mischbestände das Risiko verringert werden. Gerade im bereits heutzutage im Sommer heißen Osten helfen auch Anpassungsmaßnahmen nur bedingt. Der Wald liegt dort bereits an der Verbreitungsgrenze der Steppe und der Wasserhaushalt ist für das Baumwachstum der bestimmende Faktor.
Klimastress betrifft aber nicht nur die Fichte. Für die Buche hätte eine deutliche Erwärmung zwar zur Folge, dass diese Baumart in den Gebirgslagen des gesamten Ostalpenraumes vermehrt Standorte mit geeigneten klimatischen Bedingungen vorfindet, allerdings wird sie in einigen bestehenden Gebieten unter erheblichen Trockenstress geraten, da Trockenperioden häufiger und intensiver werden. Vor allem im Waldviertel sowie entlang des Alpenostrands bis ins südliche Burgenland wird auch die Buche unter Klimastress geraten.47
Damit einher geht ein beträchtliches Produktionsrisiko für die Forstwirtschaft. Insbesondere im Osten besteht (nicht zuletzt) aufgrund der hohen Temperaturen im Sommer das Problem, dass keine wirtschaftlich relevante heimische Baumart für die in Zukunft erwartbaren Bedingungen als gut geeignet erscheint. Auch die nicht heimische Douglasie, die häufig ins Spiel gebracht wird, wird von einheimischen Schadinsеkten befallen. So gibt es einige Borkenkäferarten, die diese Baumart bereits als Wirt auserkoren haben.48 Das stellt die Forstwirtschaft bereits unter mäßigen Klimaszenarien vor eine schwere wirtschaftliche Herausforderung. Die Eindämmung der Temperaturzunahme ist somit eine der wesentlichen Faktoren für einen wirtschaftlichen Weiterbetrieb der Forstwirtschaft in vielen Regionen Österreichs. Dazu kommt die erhebliche Gefahr für Leib und Leben und die Gesundheit, da die Schutzwaldfunktiоn immer stärker gefährdet wird.
Neben dem Schädlingsbefall warnt die Klimawissenschaft vor dem zusätzlichen Waldbrandrisiko. Während die Bilder von Waldbränden in Nordeuropa (Schweden, 2018), Australien (2019/2020), dem Amazonas oder Kalifornien in Erinnerung bleiben, gab es auch in Österreich ungewöhnlich starke Waldbrände. Dass Waldbrände auch in mittleren Breiten zunehmen führt das Wegener Center (2020) auf den Klimawandel zurück. In der Studie „Klimapolitik in Österreich: Innovationschance Coronakrise und die Kosten des Nicht-Handelns" geht das Wegener Center davon aus, dass in Kombination mit natürlichen Ursachen wie Blitzschlag, menschlichem Fehlverhalten ein massiv erhöhtes Waldbrandrisiko auch in Österreich durch die Klimakrise entsteht.49
2.2.5. Dürren und Ernteausfälle
Die Klimaveränderung wird auch die Landwirtschaft stark betreffen. Deren Erträge hängen insbesondere von Witterungseinflüssen, Niederschlag und Temperatur ab. In Österreich sind vor allem die bereits jetzt niederschlagsärmeren Gebiete nördlich der Donau sowie der Osten und Südosten Österreichs negativ betroffen (vgl. APCC, 2014, S. 97). Vor allem häufigere Dürreereignisse können starke Ertragseinbußen zur Folge haben und damit die Ernährungssicherheit beeinträchtigen.
In der Vergangenheit (1961-2000) gab es durchschnittlich alle 20 Jahre ein Dürreereignis in Österreich. Das wird sich durch den Temperaturanstieg stark verändern. Im Sommer steigt durch die erhöhte Verdunstung und längere Trockenperioden die Wahrscheinlichkeit, dass Dürren auftreten, in moderaten Klimaszenarien langfristig um das Dreifache (2071 bis 2100). Dürren werden darüber hinaus länger dauern als bisher. Vor allem für die Sommermonate wird deutlich weniger Niederschlag erwartet.50 Für die Landwirtschaft macht es langfristig einen großen Unterschied, ob der Temperaturanstieg noch begrenzt wird oder nicht: Statt alle 20 Jahre könnte es dann alle 5 Jahre zu Dürreereignissen kommen, in manchen Gebieten sogar noch häufiger (siehe Abbildung).
Abbildung 4: Steigende Dürrewahrscheinlichkeit in Österreich. Quelle: (L. M., ZAMG, Präsentation Juli 2019)
Schon in den nächsten Jahrzehnten werden große Auswirkungen zu spüren sein. Zwischen 2010 und 2040 wird erwartet, dass insbesondere Niederösterreich, Wien und das Burgenland starken Ertragsrückgängen und -Schwankungen ausgesetzt sein werden. Berücksichtigt man Dürreszenarien ergeben sich für Gesamtösterreich Ertragsverluste von bis zu sieben Prozent in diesem Zeitraum. Besonders der vom Ackerbau dominierte Osten wird hart getroffen. In Dürreszenarien werden allein bis 2030 Ernteverluste von mindestens 30 Prozent für weite Teile Niederösterreichs, Wiens und das Burgenland erwartet.51
Eine Studie der AGES (2019) bekräftigt diese Ergebnisse: Für Österreich wird in einem Szenario mit hohem Klimastress ein Rückgang der Erträge um bis zu 19 Prozent in den kommenden 40 Jahren erwartet. Noch stärker fällt der Rückgang in Ostösterreich aus. Im Marchfeld könnte sich die Ernte durch zunehmende Hitzetage und Trockenheit sogar um bis zu 50 Prozent verringern. In Summe riskieren wir in Österreich bis Mitte des Jahrhunderts damit eine Unterversorgung, zum Beispiel bei Getreide, Mais oder Kartoffeln und damit einen Verlust an Ernährungssouveränität.525354
Abbildung 5: Erпähruпgssichеrheit in Österreich. Quelle: AGES (2019)
Dazu kommen noch negative Effekte auf die Bestäubungsаktivitäten von Insekten und im Hinblick auf die natürliche Schädlingskontrolle. Deren Wert für die österreichische Landwirtschaft wird auf etwa € 500 Mio. pro Jahr geschätzt. Störungen dieser Ökosystemleistungen als Folge des Klimawandels können große Ernteeinbußen hervorrufen. Eine Reduktion der Leistungen um bis zu 20 % wird bis zur Mitte des Jahrhunderts als wahrscheinlich angesehen. Das bedeutet allein dadurch einen Verlust von 100 Mio. Euгo. 55
Bisherige Beobachtungen belegen diesen Trend. So war beispielsweise der Sommer 2015 vor allem in Oberösterreich und Niederösterreich bis über Wien und das Nordburgenland der trockenste Sommer seit dem Jahr 2011. Es regnete bis zu 43 % weniger als durchschnittlich. Eine Studie der ZAMG zeigt, dass in den Sommermonaten Juni, Juli und August die extreme Trockenheit deutlich zunehmen wird. Erwartet wird, dass ein Sommer wie 2015, Ende des Jahrhunderts, was die Trockenheit angeht, zum Normalfall werden wird.56
Gerade in der Landwirtschaft spielt eine Begrenzung des Temperaturanstiegs daher eine wichtige Rolle. Ist das nicht möglich, ist mit gravierenden wirtschaftlichen Implikationen zu rechnen. Selbst unter moderaten Klimaszenarien werden bereits starke Schäden erwartet, derzeit befinden wir uns aber weltweit nicht auf Zielkurs, wenn es darum geht, den weltweiten Temperaturanstiegs stark einzudämmen. Das heißt, dass durchaus noch viel stärkere Auswirkungen, als die hier beschriebenen eintreten können, wenn nicht rasch gegengesteuert wird.
2.3 Die Bedrohung der Antragsteller durch die Klimakrise
Die Antragsteller werden durch die durch die Klimakrise jeweils unmittelbar gefährdet:
• Der 1. Antragsteller wird durch sommerliche Hitzeperioden in Wien in seiner Gesundheit gefährdet und unterliegt auf Grund von Vorerkrankungen (Lungen-infarkt, Herzinfarkt, koronare Drеigеfäßerkrankung) einem erhöhten Risiko von gesundheitlichen Folgen durch Hitzeeinwirkung. Wie in Kap. 2.2.1 gezeigt wurde, steigt insbesondere in städtischen Gebieten die Hitzebelastung massiv an.
• Die 2. Antragstellerin wird auf Grund ihrer Jugend im Laufe ihres Lebens unter mehreren Folgen der Klimakrise zu leiden haben. Bei ungebremstem Voranschreiten des Klimawandels betreffen die gesundheitlichen Auswirkungen die 4. Antragstellerin damit in besonders hohem Ausmaß (siehe Kаp. 2.2.1. und Kap. 2.2.2).
• Die 3. Antragstellerin ist aufgrund der geologischen Disposition ihrer Lage bei Starkregenereignissen einer signifikanten Gefahr von Hangrutschungen und Muren ausgesetzt. Wie in Kap. 2.2.3. gezeigt wurde, werden in Zukunft derartige Extremereignisse häufiger ausfallen. Durch eine Verringerung der Schutzwaldfunktion (Kap. 2.2.4.) ergibt sich ein weiter erhöhtes Risiko für Siedlungen im Alpenraum. Das gefährdet die Gemeindebürger der 3. Antragstellerin in Leib und Leben.
• Die 4. Antragstellerin wird durch Trockenheit auf Ackerkulturen in ihrer wirtschaftlichen Existenz gefährdet, weiters werden ökologische Nachteile erwartet. Es ist zu befürchten, dass diese Ernteausfälle durch das Voranschreiten der weiteren Auswirkungen der Klimakrise noch weiter zunehmen werden und damit Umweltschäden und ökologische Beeinträchtigungen verbunden sein werden (Kap. 2.2.5).
• Die 5. Antragstellerin nimmt als anerkannte Umweltorganisation in Österreich das Interesse aller von der Klimakrise bedrohten Menschen an der Vermeidung einer weiteren Verschärfung der Klimakrise war (Kap.2.2.1-2.2.5).
3. Verordnungsermächtigung § 69 GewO
§ 69 Abs 1 GewO 1. Satz lautet wie folgt:
Der Bundesminister für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft kann zur Vermeidung einer Gefährdung von Leben oder Gesundheit von Menschen oder zur Vermeidung von Belastungen der Umwelt (§ 69а) durch Verordnung festlegen, welche Maßnahmen die Gewerbetreibenden bei der Gewerbeausübung hinsichtlich der Einrichtung der Betriebsstätten, hinsichtlich der Waren, die sie erzeugen oder verkaufen oder deren Verkauf sie vermitteln, hinsichtlich der Einrichtungen oder sonstigen Gegenstände, die sie zur Benützung bereithalten, oder hinsichtlich der Dienstleistungen, die sie erbringen, zu treffen haben.
Diese Gesetzesbestimmung ermächtigt den BM für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft — nunmehr BM für Digitalisierung und Wirtschaftsstandort — sohin zur Erlassung von Verordnungen zum Schutz vor einer Gefährdung von Leben oder Gesundheit von Menschen und zum Schutz vor Belastungen der Umwelt.
Wie oben gezeigt, gefährdet die Klimakrise sowohl das Leben und die Gesundheit von Menschen als auch belastet sie die Umwelt. Die Klimakrise ist u.a. geeignet, den Boden, den Pflanzenbestand und den Tierbestand bleibend zu schädigen. Hinsichtlich des Pflanzenbestands zeigt sich dies bereits gegenwärtig durch erhöhte Temperatur und erhöhte Trockenheit (und dadurch ausgelöste Kulturschäden in der Land- und Forstwirtschaft). Hinsichtlich des Lebens und der Gesundheit von Menschen zeigen sich die der Gefährdung schon jetzt durch Hitzestress im Sommer. Die weiteren, oben beschriebenen Gefahren für das Leben und die Gesundheit von Menschen sind schon jetzt konkret absehbar.
4. Der beantragte Verordnungsinhalt
4.1 Betroffene Waren
Ursache für die Klimakrise und die dadurch ausgelöste Gefährdung von Leben und Gesundheit von Menschen sowie die dadurch ausgelöste Belastung der Umwelt ist die Emission von Treibhausgasen in die Atmosphäre.
Diese Treibhausgase gelangen ganz überwiegend durch Verbrennen fossiler Energieträger in die Atmosphäre. Die Vermeidung der Gefährdung von Leben und Gesundheit von Menschen und die Vermeidung der Belastung der Umwelt gebieten daher ein Vermeiden des Verbrennens fossiler Energieträger und damit verbunden ein Umstieg auf saubere Energieträger, die zu keinen oder geringen Treibhausgasemissionen führen.
Fossile Energieträger werden in Österreich zu maßgeblichen Anteilen durch Einsatz von Treibstoffen im PKW- und im LKW-Verkehr und durch Einsatz von Brennstoffen zur Bereitstellung von Raumwärme im Gebäudesektor verbrannt. Zur Vermeidung des Verbrennens fossiler Energieträger muss daher insbesondere das Verbrennen von fossilen Treibstoffen im Verkehrssektor und das Verbrennen von fossilen Brennstoffen im Raumwärmesektor vermieden werden. Das sind auch jene Bereiche, für die Österreich im Rahmen der Effort-Sharing-Regulation der EU besondere Verantwortung trägt und nationale Maßnahmen erlassen muss.
Die rückblickende Erfahrung der letzten Jahrzehnte zeigt, dass bloße Anreize und freiwillige Selbstverpflichtungen zu keiner signifikanten Vermeidung des Verbrennens von fossilen Treibstoffen und fossilen Brennstoffen geführt haben. Öl, Gas und Kohle werden in nahezu gleichen Mengen verkauft, wie noch vor zehn Jahren (siehe Abb. 6)
Abbildung 6: Bruttoinlandsverbrauch nach Energieträgern (Quelle: BMNT (2019): Energie in Österreich)
Ein Verbot von Ölheizkesseln im Neubau besteht in Österreich bereits.57 Eine bloße Beschränkung des Verkaufs von Geräten, die dem Verbrennen von fossilen Energieträgern dienen, hat freilich nur geringen Einfluss auf die weitere Verwendung von fossilen Energieträgern in bereits bestehenden Geräten. Effektiver kann die Vermeidung des Verbrennens von fossilen Energieträgern daher durch eine Beschränkung des Verkaufs fossiler Energieträger selbst erreicht werden.
Zur Vermeidung von schweren Klimafolgen wäre es sachlich gerechtfertigt, die Vermeidung des Verbrennens von fossilen Energieträgern mit sofortiger Wirkung umzusetzen. Freilich würde die Erlassung einer Beschränkung des Verkaufs von fossilen Energieträgern ohne ausreichende Vorlauffrist einerseits praktische Schwierigkeiten auslösen und andererseits verfassungsrechtlichen Bedenken begegnen. Dieser Verordnungsantrag zielt daher auf ein Ende des Verkaufs fossiler Energieträger für den Raumwärme- und Verkehrsbereich mit ausreichender Vorlauffrist.
4.2 Betroffene Gewerbe
Die fossilen Energieträger Treibstoffe und Heizöl werden in Österreich von Unternehmen des Handeisgewerbes, nämlich dem Energiehandel, verkauft.58 Der Verkauf von Treibstoffen fällt in das Handelsgewerbe Tankstelle. Der Verkauf von Heizöl fällt in das Handelsgewerbe Handel mit sonstigen Mineralölprodukten. Adressaten der hier beantragten Verordnung sind daher Gewerbetreibende, die diese Handelsgewerbe betreiben.
4.3 Inhalt der beantragten Maßnahmen
Die hier beantragte Verordnung sieht als Maßnahmen die Anordnung eines Verbots des Verkaufs fossiler Treibstoffe und die Anordnung eines Verbots des Verkaufs von Heizöl je ab einem in der Zukunft liegenden Stichtag vor. Der Verkauf von Treib- und Brennstoffen nicht fossiler Herkunft soll weiterhin zulässig bleiben.
Da im Raumwärmebereich vielfältige Alternativen zur Verwendung fossiler Brennstoffe mit ausgereifter Technik zur Verfügung stehen, sieht dieser Antrag für Heizöl eine kürzere Vorlauffrist vor als für Treibstoffe.
Auch im Mobilitätsbereich des Individualverkehrs stehen Alternativen zur Verwendung fossiler Brennstoffe bereits zur Verfügung. Einerseits ist eine Reduktion und Verlagerung auf den Umweltverbund (Bahn, Bus, Radverkehr) möglich, andererseits gibt es alternative Antriebstechnologien und -kraftstoffe, insbesondere durch die Technologie der Elektromobilität im PKW-Sektor. Auch im LKW-Bereich sind Alternativen (E-LKW, Wasserstoff, Bahn-Gütertransport) vorhanden oder in Ausarbeitung. In der Landwirtschaft können entweder andere Antriebstechnologien verwendet werden (E‑Traktoren) oder andere Kraftstoffe eingesetzt werden (biogene Kraftstoffe, Wasserstoff). Eine ähnliche Diskussion gibt es in der Luftfahrt.
5. Subjektives Recht auf Erlassung der Verordnung
Der Verwaltungsgerichtshof hat ein subjektives Recht von Betroffenen auf Erlassung einer Verordnung im Luftreinhalterecht bereits bejaht.59 Danach ist die Verwaltung unter bestimmten Voraussetzungen zur Erlassung einer Verordnung verpflichtet. In diesen Fällen wurde auch ausdrücklich ein Recht auf Erlassung einer solchen Verordnung zugestanden und ausgesprochen, dass über einen solchen Antrag in Form einer Sachentscheidung abzusprechen ist.
Diese Ausführungen des VwGH gelten aus nachstehenden Gründen auch für die Erlassung einer Verordnung nach § 69 GewO zur Vermeidung einer Gefährdung von Leben oder Gesundheit von Menschen und zur Vermeidung von Belastungen der Umwelt durch die Klimakrise.
5.1 Aufgrund von Unionsrecht
Gemäß Art 4 der Verordnung (EU) 2018/842 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30. Mai 2018 zur Festlegung verbindlicher nationaler Jahresziele für die Reduzierung der Treibhausgasemissionen im Zeitraum 2021 bis 2030 als Beitrag zu Klimaschutzmaßnahmen zwecks Еrfüllung der Verpflichtungen aus dem Übereinkommen von Paris sowie zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 525/2013 ,60 nachstehend kurz Effort Sharing Regulation, hat jeder Mitgliedstaat
seine Treibhausgasemissionen im Non-ETS-Sektor61 im Jahr 2030 im Vergleich zum Jahr 2005 zumindest um den Prozentsatz zu begrenzen, der für ihn in Anhang I auf Basis seiner gemäß Absatz 3 dieses Artikels bestimmten Treibhausgasemissionen festgelegt ist. Für Österreich legt Anhang I einen Prozentsatz der Minderung von 36 % fest.
Vorbehaltlich der Flexibilitätsmöglichkeiten gemäß den Art 5, 6 und 7 dieser Verordnung hat jeder Mitgliedstaat dafür zu sorgen, dass seine Treibhausgasemissionen in jedem Jahr des Zeitraums 2021 bis 2029 die von einem linearen Minderungspfad62 vorgegebene Obergrenze nicht überschreiten. Daraus ergeben sich für Österreich folgende unionsrechtlich normierte Treibhausgasemissionsmaxima
im Non-ETS-Sektor:
Durchschnitt Ist 2016-2018 in СO2-Äquivalent 50,93
Maximum 2021 in СO2-Аquivalent 49,10
Maximum 2022 47,26
Maximum 2023 45,43
Maximum 2024 43,60
Maximum 2025 41,76
Maximum 2026 39,93
Maximum 2027 38,10
Maximum 2028 36,26
Maximum 2029 34,43
Maximum 2030 32,60
Diese Verordnung hat allgemeine Geltung und ist in allen Teilen verbindlich und gilt unmittelbar in jedem Mitgliedstaat (Art 288 AEUV). Sie bedarf keiner Umsetzung durch den nationalen Gesetzgeber.
Das Unionsrecht normiert also für den Mitgliedstaat Österreich für den Zeitraum 2020 bis 2030 eine unmittelbar geltende unionsrechtliche Verpflichtung zur Reduktion von Treibhausgasemissionen im Non-ETS-Sektor, der insbesondere den Bereich des Verkehrs und der Raumwärme umfasst, um jährlich 3,6 %.
Diese Verpflichtung muss der Mitgliedstaat Osterreich naturgemäß mit den ihm zur Verfügung stehenden Instrumentarien erfüllen. In Österreich sind das im Wesentlichen die Rechtsformen des Gesetzes (Legislative) und der Verordnung (Verwaltung). Mittelbar ergibt sich daraus eine Verpflichtung Österreichs zur Erlassung von Gesetzen und/oder Verordnungen zur Erfüllung seiner unionsrechtlichen Verpflichtung.
Die Effort Sharing Regulation bezweckt ausdrücklich die Erfüllung der Ziele aus dem Übereinkommen von Paris,63 dh die Vermeidung einer Erhöhung der globalen Temperatur über den in diesem Übereinkommen definierten Grenzwert, und damit den Schutz der europäischen Bürger und Bürgerinnen vor den Gefahren und Folgen der Klimakrise.64
Diese Verpflichtung zum Schutz der europäischen Bürger und Bürgerinnen begründet ein subjektives Recht dieser europäischen Bürger und Bürgerinnen. Das ergibt sich aus dem vom EuGH in zahlreichen Entscheidungen entwickelten Grundsatz des Effet Utile des Unionsrechts (vgl dazu etwa Potacs, Effet utile als Auslegungsgrundsatz, EuR 2009, 465). Das Unionsrecht verlangt für die Durchsetzung seiner Ansprüche ganz grundsätzlich einen „effektiven gerichtlichen Rechtsschutz" (vgl dazu etwa Potacs, Subjektives Recht gegen Feinstaubbelastung?, ZN 2009/1667, 874, 878 bei FN 68 mwN).
Insoweit ist die unionsrechtliche Verpflichtung zur Reduktion der Treibhausgasemission mit der unionsrechtlichen Verpflichtung zur Luftreinhaltung vergleichbar. Und zu letzterer hat der VwGH in seinem Erkenntnis vom 28.5.201565 bereits ausgesprochen, dass, wenn sich aus dem Unionsrecht ein subjektives Recht auf Erlassung einer Verordnung ergibt, ein Antrag auf Erlassung einer Verordnung auch dann auf dieses subjektive Recht gestützt werden kann, wenn das nationale Recht eine solche Anspruchsgrundlage nicht vorsieht.
Voraussetzung für die Ableitung und Durchsetzung eines subjektiven Rechts auf Erlassung einer Verordnung sei lediglich die unmittelbare Betroffenheit des Antragstellers (VwGH aaO in Pkt 5.). Diese Voraussetzung liege bei Überschreitung von Grenzwerten für alle im betroffenen Gebiet lebenden Personen vor. Eine über die allgemeine Betroffenheit hinausgehende „besondere Betroffenheit" sei für die Geltendmachung eines subjektiven Rechts auf Einhaltung von Grenzwerten nicht erforderlich.
In seinem Erkenntnis vom 19.2.2018, Ra 2015/07/0074,66 bekräftigte der VwGH seine diesbezügliche Vorjudikatur und sprach aus, dass auch Umweltorganisationen (gemäß Art 9 Abs 3 AarhK und auf Basis EuGH Protect und Slowakischer Braunbär I), sofern sie bestimmte Voraussetzungen erfüllen, grundsätzlich legitimiert sind, einen Antrag auf Erlassung geeigneter Maßnahmen gem IG-L zu stellen.67
Ein Anspruch auf Verordnungserlassung ist dabei auf jene Vorschriften zu stützen, mit der die Entscheidungspflicht für Bescheide durchgesetzt werden kann. Die Beschränkung des Säumnisschutzes auf Bescheide ist kein Hindernis, weil dem Unionsrecht entgegenstehendes staatliches Recht kraft Vorrang des Unionsrechts außer Betracht zu bleiben hat (vgl Potacs, Subjektives Recht gegen Feinstaubbelastung?, ZN 2009/1667, 874 bei FN 75 mwN).
Die zuständigen nationalen Behörden und Gerichte haben die Bestimmungen des nationalen Rechts vielmehr so weit wie möglich so auszulegen, dass sie mit dem Ziel der unionsrechtlichen Bestimmung im Einklang stehen. Sofern eine solche Auslegung nicht möglich ist, haben sie die mit der Richtlinie unvereinbaren Regelungen des nationalen Rechts außer Anwendung zu lassen (so bereits EuGH Janecek Rz 36).
Es wäre mit dem zwingenden Charakter, den Art 288 AEUV (vormals Art 249 EG) einer Richtlinie verleiht, unvereinbar, grundsätzlich auszuschließen, dass eine mit ihr auferlegte Verpflichtung von den betroffenen Personen geltend gemacht werden kann. Diese Überlegung gilt laut EuGH ganz besonders für eine Richtlinie, die eine Eindämmung und Reduzierung der Luftverschmutzung und damit den Schutz der öffentlichen Gesundheit bezweckt (EuGH Janecek Rz 37; ebenso EuGH Client Earth Rz 55.
Diese Begründung des EuGH zur Verbindlichkeit einer EU-Richtlinie muss umso mehr für eine unmittelbar geltende EU-Verordnung gelten.
Daraus ergeben sich subjektive Rechte der Antragsteller auf Schutzmaßnahmen gegen die Klimakrise. In Ausübung dieser subjektiven Rechte begehren die Antragsteller die Erlassung einer Verordnung mit dem unten genannten Inhalt.
5.2. Aufgrund von Verfassungsrecht
Subjektive Rechte der Antragsteller auf Erlassung einer Verordnung ergeben sich hier auch aus verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten.
Art 2 EMRK gewährleistet ein Recht auf Leben. Das Recht auf Leben ist als Pflicht für den Staat ausgestaltet, durch Gesetz das menschliche Leben zu schützen.68 Der Staat ist verpflichtet, das Recht auf Leben sowohl vor Eingriffen durch Privatpersonen als auch vor Eingriffen durch den Staat selbst zu schützen.69 Der Staat ist danach auch verpflichtet, das Leben der Bevölkerung vor Naturgefahren, negativen Umwelteinflüssen oder sonstigen äußeren Umstanden zu schützen. Gefordert ist ein effektiver Schutz des Lebens.70
Die Klimakrise bedroht das Leben und die Gesundheit von Menschen in Österreich, darunter jene des Erstantragsstellers durch Hitze. In vielfacher Weise durch zukünftige Folgen der Klimakrise, wie sich verstärkende Infektionskrankheiten, das Leben der Zweitantragsstellerin. Durch Hochwasser und Muren das Leben der Gemeindebürger als Drittantragstellerin. Die Umwelt, nämlich Boden und Pflanzenbestand der Land- und Forstwirtschaft in Österreich sind ebenfalls betroffen, darunter auch jene der Viertantragsstellerin.
In den Niederlanden sprach das dortige Höchstgericht71 demgemäß auch bereits ausdrücklich aus, dass der Niederländische Staat auf Basis von Art 2 (und Art 8) EMRK verpflichtet ist, Maßnahmen gegen den Klimawandel zu ergreifen. Art 2 und Art 8 EMRK begründeten eine Schutzflicht des Staates für die eigene Bevölkerung und Art 13 EMRK gewähre ein Grundrecht auf wirksame Beschwerde gegen eine Verletzung der Grundrechte der EMRK.
Auch in Frankreich bestätigte jüngst das Pariser Verwaltungsgericht die Verantwortung des französischen Staats zur Einhaltung der Verpflichtung zur Senkung von Treibhausgasemissionen.72
Ebenso sprach kürzlich auch das deutsche Bundesverfassungsgericht aus, dass die aus Art 2 Abs 2 Satz 1 (deutsches) GG73 folgende Schutzpflicht des Staates auch die Verpflichtung umfasst, Leben und Gesundheit vor den Gefahren des Klimawandels zu schützen.74
Das gilt ebenso auch in Österreich. Ebenso wie in den Niederlanden steht die EMRK auch in Österreich im Verfassungsrang. Diese Grundrechte gewähren subjektive Rechte. Daraus ergeben sich subjektive Rechte der Antragsteller auf Schutzmaßnahmen gegen die Klimakrise. Auch in Ausübung dieser subjektiven Rechte begehren die Antragsteller die Erlassung einer Verordnung mit dem unten genannten Inhalt.
5.3 Aufgrund von Verfassungsrecht mit unionsrechtlichem Anwendungsvorrang: Europäische Grundrechte Charta
Auch Art 2 EU-GRC gewährleistet jedermann ein Recht auf Leben. Die EU-Grundrechte laut der Europäischen Grundrechte Charta bilden in Österreich verfassungsgesetzlich gewährleistete Rechte.75 Sie gelten (gem Art 6 AEUV) wie EU-Primärrecht und genießen daher Anwendungsvorrang gegenüber nationalem Verfassungsrecht.
Das subjektive Recht der Antragsteller auf Schutzmaßnahmen gegen die Klimakrise ergibt sich daher nicht nur aus den gemäß EMRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten, sondern überdies auch aus den gemäß EU-GRC verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten. Da die EU-GRC unionsrechtliches Primärrecht mit Anwendungsvorrang darstellt, ergibt sich das subjektive Recht der Antragsteller auf Erlassung einer Verordnung insoweit auch aus Unions-Primärrecht.
Die Ausführungen des VwGH zur Tauglichkeit einer unions-sekundärrechtlichen Anspruchsgrundlage für die Erlassung einer nationalen Verordnung (EU-Luftreinhalterichtlinie) gilt umso mehr für die Zulässigkeit einer unions-primärrechtlichen Anspruchsgrundlage für die Erlassung einer solchen nationalen Verordnung.
Daraus ergeben sich subjektive Rechte der Antragsteller auf Schutzmaßnahmen gegen die Klimakrise. Auch in Ausübung dieser subjektiven Rechte begehren die Antragsteller die Erlassung einer Verordnung mit dem unten genannten Inhalt.
6. Wortlaut des Antrags „Recht auf saubere Energie"
Die Antragsteller beantragen, die Bundesministerin für Digitalisierung und Wirtschaftsstandort möge zur Vermeidung einer Gefährdung von Leben und Gesundheit von Menschen in Österreich durch die Klimakrise und zur Vermeidung von Belastungen der Umwelt in Österreich durch die Klimakrise, insbesondere zur Vermeidung einer Gefährdung von Leben und Gesundheit durch sommerliche Hitze in Städten und zur Vermeidung einer Schädigung des Pflanzenbestands, insb. von land- und forstwirtschaftlich genutzten Flächen in Österreich, zur Vermeidung der Gefahr von Hangrutschungen und Muren durch Starkregenereignisse und zur Vermeidung von klimabedingt zunehmenden Risiken von Infektionskrankheiten eine Verordnung mit nachstehendem Inhalt, oder andere geeignete und effektive gleichwertige Maßnahmen erlassen:
„Verordnung über Maßnahmen, die Gewerbetreibende des Handelsgewerbes hinsichtlich bestimmter Waren, die sie erzeugen oder verkaufen im Hinblick auf die Vermeidung einer Gefährdung von Leben oder Gesundheit von Menschen durch die Klimakrise und zur Vermeidung von Belastungen der Umwelt durch die Klimakrise zu treffen haben.
Gemäß § 69 GewO erlässt die Bundesministerin für Digitalisierung und Wirtschaftsstandort folgende Verordnung:
§ 1. Der Verkauf von festen Brennstoffen aus fossiler Herkunft ist ab 1.1.202576 verboten.
§ 2. Der Verkauf von Heizöl aus fossiler Herkunft ist ab 1.1.203077 verboten.
§ 3. Der Verkauf von Treibstoffen aus fossiler Herkunft mit Ausnahme für die Luftfahrt ist ab 1.1.203578 verboten.
§ 4. Der Verkauf von Treibstoffen aus fossiler Herkunft für die Luftfahrt ist ab 1.1.204079 verboten.
§ 5. Diese Verordnung tritt mit dem der Kundmachung folgenden Tag in Kraft.
Diese Verordnung kann zu einem wichtigen Baustein für eine Umsetzung des Ziels werden, Klimaneutralität 2040 zu erreichen. Sie verhilft uns zu unserem Recht auf eine saubere Energiezukunft und stellt sicher, dass wir vor den Gefahren einer Klimakrise geschützt werden. Für ein persönliches Gespräch stehen wir gerne zur Verfügung.
Wien, am 11.05.2021
1. Dipl.-Ing. A. B.
2. C. D.
3. Gemeinde E.
4. F. G.
5. H. — J.“
_____________________________________
1 Aпerkeпnungsbescheid: BMLFUW-UW.... vom 17.5.2005.
2 Vg1 mehr unter https://www.h..at/ueber-h ..
3 World Meteorological Organisation (WMO) (2020): Greenhouse Gas Bulletin 2020.
4 Vg1. IPCC (2018): Global Warming Of 1,5 °C. Special Report.
5 Vg1. Paris Agreement (2015), Article 2, 1(a).
6 Nеttо-Null-Emissionen bedeutet, dass sich Emissionsquellen (zB die Verbrennung von Erdöl, Erdgas, Kohle, Entwaldung) mit Sеnkеn (zB Aufforstung) die Waage halten.
7 Vgl. IPCC (2018): Global Warming of 1,5 °C. Special Report
8 Umweltbundesamt: https://www.umweltbundesamt.atlumweltsituation/klima/klimawandel/ .
9 Vgl. Steininger et al (2020): Klimapolitik in Österreich: Innovationschance Coronakrise und die Kosten des Nicht-Handelns.
10 Vgl. Steininger et al (2020) Klimapolitik in Österreich: Innovationschance Coronakrise und die Kosten des Nicht-Handelns.
11 Vg1. Vgl. Steininger et al (2020) Klimapolitik in Österreich: Innovationschance Coronakrise und die Kosten des Nicht-Handelns.
12 Vg1. АРСС (2018). Österreichischer Special Report Gesundheit, Demographie und Klimawandel (АSR18).
13 Vgl. Steininger et al (2020) Klimapolitik in Österreich: Innovationschance Coronakrise und die Kosten des Nicht-Handelns.
14 Vg1. АРСС (2018). Österreichischer Special Report Gesundheit, Demographie und Klimawandel (АSR18).
15 Vgl. АРСС (2018). Österreichischer Special Report Gesundheit, Demographie und Klimawandel (АSR18).
16 Vgl etwa Hutter/Moshammer/Wallner, Klimawandel und Gesundheit, Manz Wien 2017.
17 Vg1. unter anderem: Huffer u.a. (2007): Heatwaves in Vienna: effects on mortality. Wiener Klinische Wochenschrift, 119(7-8), 223-227.Bunker u. a., 2016: Effects of Air Temperature on Climate-Sensitive Mortality and Morbidity Outcomes in the Elderly; a Systematic Review and Meta-analysis of Epidemiological Evidence. EBio-Medicine, 6, 258-268; Gasparrini, A. u.a. (2015): Mortality risk attributable to high and low ambient temperature: a multicountry observational study. The Lancet, 386(9991), 369-375.
18 Vgl. ZAMG (2018): Hitzewellen sind langer und häufiger geworden. DL 17. April 2020 Ur.: https://www.zamg.ac.at/cros/de/klima/news/hitzewellen-sind-laenger-und-haeufiger-geworden
19 Vgl. АРСС (2014): Österreichischer Sachstandsbеricht Klimawandel 2014, S. 85.
20 Vgl. АРСС (2018): Österreichischer Special Report, Gesundheit, Demographie und Klimawandel (ASR18), S. 17.
21 Vgl. АРСС (2018): Österreichischer Special Report Gesundheit, Demographie und Klimawandel (АSR18), S.
136.
22 Vg1. АРСС (2018): Österreichischer Special Report Gesundheit, Demographie und Klimawandel (АSR18), S. 18.
23 Vg1. АРСС (2018): Österreichischer Special Report Gesundheit, Demographie und Klimawandel (А SR18), S. 136.
24 Vgl. АРСС (2018): Österreichischer Special Report Gesundheit, Demographie und Klimawandel (АSR18).
25 Vgl. Steininger et al (2015): Cost of Inaction (COIN).
26 Vg1.: AGES (2020): Hitze-Mortalitätsmonitoring. Dl. 17.4.2020, Ur.: https://www.ages.at/themen/umwelt/informationen-zu-hitze/hitze-mortalitaetsmonitoring/ .
27 АРСС (2018): Österreichischer Special Report, Gesundheit, Demographie und Klimawandel (АSR18), S. 293f.
28 Vg1. АРСС, 2014, S. 568.
29 Vg1. АРСС, 2014, S. 668.
32 Vgl. APCC (2014): Österreichischer Sachstandsbericht Klimawandel 2014, S. 36.
33 Vgl. АРСС (2014): Österreichischer Sachstandsbericht Klimawande12014, S. 526f.
34 Vgl. Stang1 M., Formayer H., Hofstätter M., Or1ik A., Andre K., Hieb! J., Steyrer G., Mich! C. (2019): Klimastatusbericht 2018, CCCA (Hrsg.), S. 13.
35 Vgl. Stangl M., Formayer Н., Höfler А., Andre K., Kalcher М ., Hieb! J., Hofstätter M., Or1ik А., Mich1 C. (2020): Klimastatusbericht Österreich 2019, CCCA (Hrsg.), S. 17.
З6 Vgl. Stang1 M., Formayer H., Höfler A., Andre K., Kalcher M., Hiebi J., Hofstätter M., Or1ik А.,
Mich1 C. (2020): Klimastatusbericht Österreich 2019, CCCA (Hrsg.), S. 23.
37 Vg1. АРСС (2014): Österreichischer Sachstandsbericht Klimawaпde12014, S. 479.
38 Vg1. ZAMG (2020): Lufttemperatur. Url.: https://www.zamg.ac.at/cros/de/klima/informationsportal-klimawand е1/klimavergangenheit/neoklima/lufttemperatur d1. 4. Mai 2020.
39 Vg1. АРСС (2014): Österreichischer Sachstandsbericht Klimawandel 2014, S. 490 ff
40 Vg1. АРСС (2014): Österreichischer Sachstandsbericht Klimawande12014, S. 494.
41 Vg1. BFW (2020): Österreichisches Borkenkäfer-Monitoring Url.: httos://bfw.ac.at/rz/bfwcros2.web?dok=5312 dL 4. Mai 2020.
42 Vg1. АРСС (2014): Österreichischer Sachstandsbericht Klimawandel 2014, S. 478.
43 Vg1. АРСС (2014). Österreichischer Sachstandsbericht Klimawandel 2014, S. 511.
44 Vgl. АРСС (2014). Österreichischer Sachstandsbericht Klimawandel 2014, S. 511.
45 Vg1. АРСС (2014): Österreichischer Sachstandsbericht Klimawande12014, S. 526
46 Vg1. АРСС (2014): Österreichischer Sachstandsbericht Klimawandel 2014, S. 805 ff
47 Vg1. АРСС (2014): Österreichischer Sachstandsbericht Klimawande12014, S. 495
48 Vg1. АРСС (2014): Österreichischer Sachstandsbericht Klimawande12014, S. 805 ff.
49 Vg1. Karl Steininger et al (2020): Klimapolitik in Österreich: Innovationschance Coronakrise und die Kosten des Nicht-Handelns, S. 28
50 Vgl. АРСС, 2014, S. 324.
51 Vgl. Climate Change Center Austria (2014) Grundlagen, Factsheet Landwirtschaft.
52 Vgl. AGES (2019): Ernährungssouveränität Österreichs durch Klimawandel und Bodenverbrauch massiv gefährdet. Ur.: https://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20191010_OTS0114/e гпaеhrungssouveraеnitaet-oеstеrreichs-durch-klimawandel-und-bodenverbrauch-massiv-gefaehrdet-anhaenge.
53 Vgl. AGES (2019): Ernährungssouveränität Österreichs durch Klimawandel und Bodenverbrauch massiv gefährdet. Ur.: htlps://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20191010_OT50114/еmaеhrungssouvеraеnitaеt-oеstеrreichs-durch-klimawandel-und-bodenverbrauch-massiv-gefaehrdet-anhaenge.
54 Vgl. AGES (2019): Ernährungssouveränität Osterreichs durch Klimawandel und Bodenverbrauch massiv gefährdet. Ur.: https://www.ots.atjpresseaussendung/0TS_20191010_O ТS0114/еrnaеhгungssouvеraеnitaеt-oеstеrreichs-durch-klimawandel-und-bodenverbrauch-massiv-gefaehrdet-anhaenge.
55 Vgl. Climate Change Center Austria (2014) Grundlagen, Factsheet Landwirtschaft
56 http://www.zamg.ac.aUcros/de/klima/ пews/werden-duerre-periodeп-im-alpeпraum-haeufiger
57 Ölkesseleinbauverbotsgesetz 2019, BGB1 I Nr 6/2020.
58 305 Energiehandel, 0305 Tankstelle 0400, Handel mit sonstigen Mineralölprodukten.
59 S. im Detail sogleich.
60 АВ12018 L 156/26.
61 Vgl Art 2 der Verordnung.
62 Ausgehend von den durchschnittlichen Treibhausgasemissionen des Mitgliedstaats in den Jahren 2016, 2017 und 2018.
64 Vgl Art 1 der VO.
65 Ro 2014/07/0096.
66 Abgedruckt zB in RdU 2018, 211.
67 Dies wurde in der Folge im Aarhus-Beteiligungsgesetz 2019, BGB1 I Nr 73/2018 auch gesetzlich verankert.
68 So Grabenwarter/Pabel, Europäische Menschenrechtskonvention, 173 Rz 18 mwN.
69 Grabenwarter/Pabel, aal mwN.
70 Grabenwarter/Pabel, aal mit Verweis ua auf Holoubek, Grundrechtliche Gewähleistungspflichten, 1997, S. 288 ff.
71 Hoge Raad 20.12.2019, Urgenda v. Niederlande, ECLI:NL:HR:2019:2007, in Bestätigung beider Vorinstanzen.
72 Französisches Original unter https://laffаiredusiecle.net/wp-coпtent/uploads/2021/02/ 20210203-.lugemeпt-Af-faire-du-Sie%С%80cle.pdf
73 „Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit." Diese Rechtsgrundlage entspricht Art 2 IRK („Das Recht jedes Menschen auf Leben wird gesetzlich geschützt. ). Die IRK steht in Deutschland
- im Unterschied zu Österreich - nicht im Verfassungsrang.
74 Vgl Leitsatz 1. Auch Art 20а verpflichte den Staat zum Klimaschutz. Die ziele auch auf die Herstellung von Klimaneutralität (Leitsatz 2.).
75 VfGH VfS1g 19.632.
76 In eventu wird beantragt einen anderen geeigneten und angemessen Zeitpunkt festzusetzen.
77 In eventu wird beantragt einen anderen geeigneten und angemessen Zeitpunkt festzusetzen.
78 In eventu wird beantragt einen anderen geeigneten und angemessen Zeitpunkt festzusetzen.
79 In eventu wird beantragt einen anderen geeigneten und angemessen Zeitpunkt festzusetzen.
_____________________________________
Das Bundesministerium für Digitalisierung und Wirtschaftsstandort entschied darüber mit dem im Spruch zitierten Bescheid, dessen Spruch lautet wie folgt:
„Der Antrag von
1. Herrn Dipl.-Ing. A. B., geb. 1940, Wien,
2. Frau C. D., geb. 1997, Wien,
3. der Gemeinde E., E.,
4. Frau F. G., geboren 1963, I. und
5. der H. — J., Wien, K.-gasse,
sämtliche vertreten durch … Rechtsanwälte, Wien,
die Bundeministerin für Digitalisierung und Wirtschaftsstandort möge zur Vermeidung einer Gefährdung von Leben und Gesundheit von Menschen in Österreich durch die Klimakrise und zur Vermeidung von Belastungen der Umwelt in Österreich durch die Klimakrise, insbesondere zur Vermeidung einer Gefährdung von Leben und Gesundheit durch sommerliche Hitze in Städten und zur Vermeidung einer Schädigung des Pflanzenbestands, insb. von land- und forstwirtschaftlich genutzten Flächen in Österreich, zur Vermeidung der Gefahr von Hangrutschungen und Muren durch Starkregenereignisse und zur Vermeidung von klimabedingt zunehmenden Risiken von Infektionskrankheiten eine Verordnung mit nachstehendem Inhalt, oder andere geeignete und effektive gleichwertige Maßnahmen erlassen:
»Verordnung über Maßnahmen, die Gewerbetreibende des Handelsgewerbes hinsichtlich bestimmter Waren, die sie erzeugen oder verkaufen im Hinblick auf die Vermeidung einer Gefährdung von Leben oder Gesundheit von Menschen durch die Klimakrise und zur Vermeidung von Belastungen der Umwelt durch die Klimakrise zu treffen haben.
Gemäß § 69 GewO erlässt die Bundesministerin für Digitalisierung und Wirtschaftsstandort folgende Verordnung:
§ 1. Der Verkauf von festen Brennstoffen aus fossiler Herkunft ist ab 1.1.2025 verboten.
§ 2 Der Verkauf von Heizöl aus fossiler Herkunft ist ab 1.1.2030 verboten.
§ 3. Der Verkauf von Treibstoffen aus fossiler Herkunft mit Ausnahme für die Luftfahrt ist ab 1.1.2035 verboten.
§ 4. Der Verkauf von Treibstoffen aus fossiler Herkunft für die Luftfahrt ist ab 1. 1.2040 verboten.
§ 5. Diese Verordnung tritt mit dem der Kundmachung folgenden Tag in Kraft.«
sowie eventualiter andere geeigneten und angemessen Zeitpunkte zu den in §§ 1 bis 4 genannten Zeitpunkten festzusetzen, wird zurückgewiesen.“
Begründend führt die belangte Behörde nach Wiedergabe des Antrags und der Antragsbegründung aus wie folgt:
„Die Bundesministerin hat erwogen:
Die beantragte Maßnahme enthält ein Verbot des Verkaufs von Brenn- und Treibstoffen aus fossiler Herkunft. Sowohl aus dem Inhalt dieser Maßnahme als auch aus dem deutlichen Vorbringen der Antragsteller ergibt sich, dass Gegenstand und Zweck der beantragten Maßnahme ist, die Umstellung von fossilen Energieträgern auf andere („saubere“) Energieträger zu erzwingen; im konkreten Fall durch ein Verbot des Verkaufs von Energieträgern aus fossiler Herkunft.
Zu den Angelegenheiten des Kompetenztatbestandes des „Gewerbes und der Industrie“ gemäß Art. 10 Abs. 1 Z 8 B-VG hat der Verfassungsgerichtshof ausgeführt, dass im Rahmen der Regelung der Gewerbeausübung Maßnahmen typisch gewerberechtlicher Art solche sind, die dem Schutz des Gewerbes, der Abwehr von vom Gewerbebetrieb unmittelbar ausgehenden Gefahren für die Gewerbetreibenden und ihre Arbeitnehmer, die Kunden, andere Gewerbetreibende oder als Nachbarn sonst von der Gewerbetätigkeit unmittelbar betroffene Personen und dem Konsumentenschutz dienen; diese Maßnahmen werden von der Lehre als gewerbepolizeiliche Maßnahmen bezeichnet (VfSlg. 10.831/1986).
Darauf aufbauend hat der VfGH im Fall der Bestimmung des § 77a Abs. 1 Z 2 GewO 1994
idF BGBl. I 88/2000, lautend
„(1) Im Genehmigungsbescheid, in dem auf die eingelangten Stellungnahmen (§ 356a Abs. 2 und 5) Bedacht zu nehmen ist, ist über § 77 hinaus sicherzustellen, dass in der Anlage 3 zu diesem Bundesgesetz angeführte Betriebsanlagen so errichtet, betrieben und aufgelassen werden, dass:
2. Energie effizient verwendet wird;“
ausgeführt, dass die durch diese Bestimmungen bewirkte Bindung an bestimmte Energiesparstandards für Betriebsanlagen nicht als eine Maßnahme gewerbepolizeilicher Art qualifiziert werden kann; denn auf dem Gebiet des Gewerbes und der Industrie treten weder durch Waren oder Dienstleistungen, die nicht bestimmten Mindestanforderungen zur sinnvollen Nutzung der Energie entsprechen, noch durch Betriebsanlagen, die bestimmten Energiesparstandards nicht gerecht werden, besondere Gefahren derart auf, wie sie typischerweise mit gewerbepolizeilichen Mitteln verhindert werden. Es ist nicht möglich, Maßnahmen, die der Energieeinsparung dienen, als Maßnahmen gewerberechtlicher Gefahrenabwehr zu qualifizieren. Diese Regelung hatte vielmehr einen anderen Zweck, nämlich den einer - im gesamtwirtschaftlichen Interesse liegenden - sinnvollen Nutzung von Energie. Solche Maßnahmen gehen ihrer Zielsetzung, ihrem Inhalt und ihrer Wirkung nach über die Funktion gewerbespezifischer Gefahrenabwehr und damit über eine spezifische gewerbepolizeiliche Ordnungs- und Sicherungsfunktion hinaus. (VfGH vom 10.10.2003, G 212/02).
Konsequenterweise hat der Verfassungsgerichtshof mit dem bezeichneten Erkenntnis diese gewerberechtliche Bestimmung als verfassungswidrig aufgehoben.
Insoweit die Antragsteller vorbringen, sie seien durch die Klimakrise in unterschiedlicher Weise gefährdet, so mag dahingestellt bleiben, inwieweit und in welcher Weise sich die vorgebrachten Gefährdungen, soweit sie überhaupt spezifisch vorgebracht wurden, realisieren könnten und ob die von den Antragstellern behaupteten subjektiven Rechte auf Erlassung von Maßnahmen bestehen. Denn selbst bei der Annahme, dass die befürchteten Gefährdungen zutreffend wären und die behaupteten subjektiven Rechte auf Erlassung eines allgemeinen staatlichen Rechtsaktes bestünden, übersehen die Antragsteller doch jedenfalls, dass dies an den Kompetenzgrenzen der Bundesverfassung nichts ändert. Der VfGH hat im zitierten Erkenntnis eindeutig festgehalten, dass sogar wenn die effiziente Verwendung von Energie indirekt insofern positiv auf die Umwelt wirkt, als durch den effizienten Einsatz vorhandener Energie deren umweltbelastende Erzeugung oder Verwendung verringert werden kann, dies dennoch verfassungsrechtlich nicht der gewerbepolizeilichen Gefahrenabwehr, sondern dem rechtspolitischen Anliegen einer Beschränkung des Energieeinsatzes zuzuordnen ist, die über eine spezifisch gewerbepolizeiliche Ordnungs- und Sicherungsfunktion eindeutig hinausgeht (VfGH aaO, mwN).
Nicht anders verhält es sich im Fall der von den Antragstellern begehrten Maßnahmen, welche auf die Veränderung der allgemein im Verkehrs- und Wirtschaftsgebrauch eingesetzten Energieträger zielen und damit energielenkende Maßnahmen sind, die nicht auf den Kompetenztatbestand „Gewerbe und Industrie“ gemäß Art. 10 Abs. 1 Z 8 B-VG gestützt werden können.
Auch der von den Antragstellern ins Treffen geführte Fall betreffend subjektive Rechte im Bereich der Luftreinhaltung kann das an die Bundesministerin für Digitalisierung und Wirtschaftsstandort gerichtete Begehren zur Erlassung einer auf § 69 GewO 1994 gestützten Verordnung, mit der Verkaufsverbote für Energieträger fossiler Herkunft erlassen werden sollen, nicht zu Erfolg führen. Denn dem Erkenntnis des VwGH vom 28.5.2015, Zl. Ro 2014/07/0096, ist ein Sachverhalt zu Grunde gelegen, zu dessen Regelung der Bund im Rahmen des Immissionsschutzgesetzes-Luft zumindest eine entsprechende Kompetenz hat.
Insoweit die Antragsteller alternativ begehren, die Bundesministerin für Digitalisierung und Wirtschaftsstandort solle gegebenenfalls „andere geeignete und effektive gleichwertige Maßnahmen“ erlassen, so fehlt es diesem Begehren einerseits völlig an Substanz und andererseits ist zumindest erkennbar, dass auch diese nicht spezifizierten „anderen und effektiv gleichwertigen Maßnahmen“, kompetenzrechtlich kaum anders einzuordnen sein können, als die konkret beantragten Maßnahmen.
Da somit unabhängig davon, ob der von den Antragstellern behauptete subjektive Rechtsanspruch auf Erlassung staatlicher Verkaufsverboten bestimmter Energieträger überhaupt besteht, jedenfalls die Maßnahme nicht in der Kompetenz des Bundes gemäß Art. 10 Abs. 1 Z 8 B-VG fällt und damit auch eine Verordnung der begehrten Maßnahmen gestützt auf § 69 GewO 1994 nicht in Betracht kommen kann, war spruchgemäß zu entscheiden.“
In der dagegen fristgerecht eingebrachten Beschwerde argumentieren die Rechtsmittelwerber wie folgt:
„1. Streitgegenstand
Mit Eingabe vom 1 1.05.2021 beantragten wir, die belangte Behörde möge eine Verordnung erlassen, die zur Vermeidung einer Gefährdung von Leben und Gesundheit von Menschen durch die Klimakrise und zur Vermeidung von Belastungen der Umwelt durch die Klimakrise den Verkauf der Produkte, die durch ihre bestimmungsgemäße Verwendung (i.e. das Verbrennen und die dadurch entstehende Emission von Treibhausgasen) die Klimakrise herbeifuhren (i.e. fossile Brenn- und Treibstoffe), zukünftig verbietet.
Diese Produkte werden (ua) von Gewerbetreibenden des Gewerbes Mineralölhandel und des Gewerbes Tankstellen verkauft. Wir beantragten daher diese Verordnung auf die ausdrückliche gesetzliche Verordnungsermächtigung des § 69 Abs 1 GewO zu stützen, der zu Folge die belangte Behörde zur Vermeidung einer Gefährdung von Leben und Gesundheit von Menschen oder zur Vermeidung von Belastungen der Umwelt durch Verordnung festlegen kann, welche Maßnahmen die Gewerbetreibenden hinsichtlich der Waren, die sie verkaufen, zu treffen haben. 1
Der hier angefochtene Bescheid meint, dass auf Basis des Kompetenztatbestands „Industrie und Gewerbe“ (Art 10 Abs 1 Z 8 B-VG) keine Kompetenz des Bundes für Maßnahmen zur Vermeidung von Treibhausgasemissionen im Interesse des Klimaschutzes bestünde, und deshalb die belangte Behörde keine Kompetenz zur Erlassung der hier beantragten Maßnahmen habe. Diese Meinung der belangten Behörde ist unrichtig (s. sogleich).
Der angefochtene Bescheid unterlässt auch jede Prüfung der Frage, ob sich die Bundeskompetenz zur Erlassung der hier beantragten Klimaschutzmaßnahmen aus anderen Kompetenztatbeständen des B-VG als jenem für „Industrie und Gewerbe“ ergibt.
Dies überrascht vor allem angesichts der Tatsache, dass der Gesetzgeber des „Bundesgesetzes zur Einhaltung von Höchstmengen von Treibhausgasemissionen und zur Erarbeitung von wirksamen Maßnahmen zum Klimaschutz“, 2 also der Bundesgesetzgeber, ganz offensichtlich der Meinung ist, dass eine Bundeskompetenz zur Erlassung von Maßnahmen zur Vermeidung von Treibhausgasemissionen im Interesse des Klimaschutzes besteht.
2. Kompetenz „Gewerbe und Industrie“
Der angefochtene Zurückweisungsbescheid beruft sich auf zwei Erkenntnisse des VfGH zum Kompetenztatbestand „Gewerbe und Industrie“, die jedoch beide das Ergebnis des angefochtenen Bescheids nicht tragen können:
2.1 VfGH G 60/82
Der angefochtene Bescheid zitiert zunächst eine (inzwischen 35 Jahre alte) Entscheidung des VfGH. 3 Diese erging zu einer Bestimmung der GewO, 4 die den zuständigen Minister zur Erlassung einer Verordnung ermächtigte, die Mindestanforderungen zur volkswirtschaftlich sinnvollen Nutzung von Energie festlegte.
Der VfGH sprach damals aus, dass dieser Regelungsinhalt vom Kompetenztatbestand des „Gewerbes und der Industrie“ nicht gedeckt sei, weil dieser Kompetenztatbestand nur Maßnahmen decke,
die dem Schutz des Gewerbes, der Abwehr von vom Gewerbebetrieb unmittelbar ausgehenden Gefahren für die Gewerbetreibenden und ihre Abnehmer, ihre Kunden, andere Gewerbetreibende oder als Nachbarn sonst von der Gewerbetätigkeit unmittelbar betroffene Personen und dem Konsumentenschutz („gewerbepolizeiliche Maßnahmen “) dienen. 5
Die Festlegung von bestimmten Energiesparstandards diene aber keinem dieser Zwecke. Die Bindung an bestimmte Energiesparstandards für gewerbliche Waren sei keine Maßnahme gewerbepolizeilicher Art, weil durch Waren, die nicht bestimmten Mindestanforderungen zur sinnvollen Nutzung der Energie entsprechen, keine besonderen Gefahren auftreten, wie sie typischerweise mit gewerbepolizeilichen Mitteln verhindert werden. Daher könnten Maßnahmen, die der Energieeinsparung dienen, nicht als Maßnahmen gewerberechtlicher Gefahrenabwehr qualifiziert werden.
Dieser vom VfGH beurteilte Regelungsgegenstand unterscheidet sich freilich gravierend vom hier gegenständlichen Regelungsgenstand der Abwehr von Gefahren, die von fossilen Brennstoffen für das Klima ausgehen. Von einem Gewerbebetrieb, der Produkte verkauft, die die Klimakrise verursachen, geht ganz unmittelbar eine Gefahr für das Klima, insbesondere eine Gefahr der weiteren Verschärfung der Klimakrise aus. Diese Gefahr trifft (ua) auch den Gewerbetreibenden und seine Arbeitnehmer, seine Kunden und andere Gewerbetreibende sowie als Nachbarn sonst von der Gewerbetätigkeit unmittelbar betroffene Personen. Die hier beantragten Maßnahmen dienen daher der Abwehr eben dieser Gefahr - und bilden daher geradezu ein Musterbeispiel für eben jene gewerbepolizeilichen Maßnahmen, die der VfGH beschreibt.
Der angefochtene Bescheid geht bei der Berufung auf diese Entscheidung offenbar von der falschen Prämisse aus, dass die Gefahr der Klimakrise nicht vom Verkauf fossiler Brenn- und Treibstoffe ausgehe - und die Abwehr dieser Gefahr daher keine Sache des Kompetenztatbestands „Industrie und Gewerbe“ sei. Diese Beurteilung ist unrichtig.
Entgegen dem angefochtenen Bescheid bildet die zitierte Entscheidung des VfGH keine Rechtfertigung für die Zurückweisungsentscheidung, sondern belegt ganz im Gegenteil, dass die hier beantragten Maßnahmen vom Kompetenztatbestand „Gewerbe und Industrie“ gedeckt sind.
2.2 VfGH G 212/02
Der angefochtene Bescheid stützt sich sodann auch auf eine weitere Entscheidung des VfGH. 6 Diese erging zu einer Bestimmung der GewO, 7 die normiert, dass gewerbliche Betriebsanlagen nur dann zu genehmigen seien, wenn sichergestellt wird, dass bei der Errichtung, dem Betrieb und der Auflassung der Betriebsanlagen Energie effizient verwendet wird.
In dieser Entscheidung 8 wiederholt der VfGH zunächst die Aussage im bereits zuvor zitierten Erkenntnis, demnach im Rahmen der Regelung der Gewerbeausübung Maßnahmen typisch gewerberechtlicher Art solche sind, die dem Schutz des Gewerbes, der Abwehr von vom Gewerbebetrieb unmittelbar ausgehenden Gefahren für die Gewerbetreibenden und ihre Abnehmer, die Kunden, andere Gewerbetreibende oder als Nachbarn sonst von der Gewerbetätigkeit unmittelbar betroffene Personen und dem Konsumentenschutz dienen (aka „gewerbepolizeiliche Maßnahmen“). 9
Die durch die dort angefochtene Bestimmung bewirkte Bindung an bestimmte Energiesparstandards für Betriebsanlagen könne aber nicht als eine Maßnahme gewerbepolizeilicher Art qualifiziert werden;
[...]; denn auf dem Gebiet des Gewerbes und der Industrie treten weder durch Waren oder Dienstleistungen, die nicht bestimmten Mindestanforderungen zur sinnvollen Nutzung der Energie entsprechen, noch durch Betriebsanlagen, die bestimmten Energiesparstandards nicht gerecht werden, besondere Gefahren derart auf wie sie typischerweise mit gewerbepolizeilichen Mitteln verhindert werden. 10
Diese Aussage des VfGH mag für die in der Entscheidung angesprochenen Energiesparstandards stimmen, sie stimmt aber jedenfalls nicht für die Gefahr, die durch den Verkauf der Waren „fossile Brenn- und Treibstoffe“ für das Klima ausgelöst werden.
Durch diese Waren „fossile Brenn- und Treibstoffe“ treten durchaus besondere Gefahren auf, nämlich Gefahren für das Klima, die auch typischerweise mit gewerbepolizeilichen Mitteln verhindert werden können, nämlich mit gewerbebehördlichen Einschränkungen hinsichtlich der Produkte, die von Gewerbetreibenden verkauft werden dürfen. Ebensolche gewerbepolizeilichen Mittel haben wir hier beantragt. Diese beantragten gewerbepolizeilichen Maßnahmen dienen daher ganz unmittelbar der Verhinderung der durch diese Waren auftretenden Gefahren.
Entgegen dem angefochtenen Bescheid bildet daher auch diese zitierte Entscheidung des VfGH keine Rechtfertigung für die Zurückweisungsentscheidung, sondern belegt ganz im Gegenteil, dass die hier beantragten Maßnahmen vom Kompetenztatbestand „Gewerbe und Industrie“ gedeckt sind.
Die von uns beantragten Maßnahmen stehen sohin auf festem Grund des Kompetenztatbestands „Industrie und Gewerbe“.
3. Sonstige Kompetenzen des Bundes für Maßnahmen zur Vermeidung von Treibhausgasemissionen im Interesse des Klimaschutzes
3.1 Prüfung alternativer Kompetenzgrundlagen gemäß VfGH geboten
Eine Bundesbehörde ist kompetenzrechtlich auch dann für die Erlassung der hier beantragten Maßnahmen zuständig, wenn sich die Kompetenz des Bundes aus anderen Kompetenztatbeständen als jenem des Art 10 Abs 1 Z 8 („Industrie und Gewerbe“) ergibt. Daher hat der VfGH in den beiden oben zitierten Entscheidungen auch geprüft, ob sich die Bundeskompetenz für die dort jeweils geprüften Regelungsinhalte aus anderen Kompetenztatbeständen ergibt.
In G 60/82 heißt es wörtlich: 11
Da somit [...]Art 10 Abs 1 Z 8 B-VG für die angefochtenen bundesgesetzlichen Bestimmungen keine kompetenzrechtliche Deckung zu geben vermag und eine andere verfassungsgesetzliche Kompetenzgrundlage für diese Bestimmungen nicht zu erkennen ist, waren §§ [...] als verfassungswidrig aufzuheben.
Und in G 212/02 heißt es wörtlich: 12
Da sohin die Vorschrift des § [...] in Art 10 Abs 1 Z 8 B-VG keine kompetenzrechtliche Grundlage findet und auch keine andere, eine Kompetenz des Bundes Gesetzgebers begründende Verfassungsvorschrift festgestellt werden konnte, war § [...] als verfassungswidrig aufzuheben.
Es entspricht auch der herrschenden Lehre, dass der Bundesgesetzgeber ermächtigt ist, spezifische Gesichtspunkte, die hinsichtlich gewerblicher Betriebsanlagen (auch) von Bedeutung sind, gestützt auf andere Kompetenztatbestände zu regeln. 13
Die belangte Behörde hätte daher ergänzend zu prüfen gehabt, ob sich die Bundeskompetenz zur Erlassung der hier beantragten Maßnahmen aus anderen Kompetenztatbeständen ergibt, hat dies jedoch unterlassen.
3.2 Auch hier beantragte „Klimaschutzverordnung“ ist nicht auf Kompetenztatbestand „Industrie und Gewerbe“ beschränkt
Eine Einschränkung auf den Kompetenztatbestand „Industrie und Gewerbe“ ergibt sich auch nicht etwa daraus, dass wir vorgeschlagen haben die beantragte Verordnung auf die Verordnungsermächtigung des § 69 Abs 1 GewO zu stützen.
Einerseits könnte die beantragte Verordnung auch unmittelbar auf Art 18 Abs 2 B-VG gestützt werden. Eine solche Verordnung einer Bundesbehörde nach Art 18 Abs 2 B-VG kann sich auf jede verfassungsrechtliche Bundeskompetenz gemäß B-VG stützen.
Andererseits kann auch die gesetzliche Verordnungsermächtigung des § 69 Abs 1 GewO, insoweit sich diese auch auf andere Regelungsgenstände als jenen „der Industrie und des Gewerbes“ erstreckt, andere Kompetenztatbestände des Bundes als kompetenzrechtliche Deckung in Anspruch nehmen.
3.3 Klimaschutzgesetz
Wie schon eingangs erwähnt ist der Bundesgesetzgeber - offenbar mit großer Selbstverständlichkeit 14 - davon ausgegangen, dass er zur Erlassung des Klimaschutzgesetzes kompetent ist. Dieses Bundesgesetz soll eine koordinierte Umsetzung wirksamer Maßnahmen zum Klimaschutz ermöglichen, 15 dient also demselben Ziel, dem auch die von uns beantragten Maßnahmen dienen.
Maßnahmen im Sinne des Klimaschutzgesetzes sind solche, die eine messbare, berichtbare und überprüfbare Verringerung von Treibhausgasemissionen [...] zur Folge haben 16 Die von uns beantragten Maßnahmen erfüllen diesen Maßnahmenbegriff. Es handelt sich daher um Maßnahmen iSd Klimaschutzgesetzes. Diese liegen daher innerhalb eben jener Bundeskompetenzen, die den Bundesgesetzgeber auch zur Erlassung des Klimaschutzgesetzes ermächtigt haben.
3.4 Luftreinhaltung
Die Bundeskompetenz zur Erlassung von Maßnahmen zur Beschränkung der Emission von Treibhausgasen ergibt sich etwa auch aus dem Kompetenztatbestand der „Luftreinhaltung, unbeschadet der Zuständigkeit der Länder für Heizungsanlagen“ (Art 10 Abs 1 Z 12 B-VG).
Die Kompetenz des Bundes nach diesem Kompetenztatbestand besteht nur hinsichtlich der Heizungsanlagen nicht. Die von uns beantragten Maßnahmen beziehen sich jedoch nicht auf Heizungsanlagen, sondern auf Brenn- und Treibstoffe, durch deren Verbrennung Luftschadstoffe entstehen.
Treibhausgase sind Luftschadstoffe iSd dieses Kompetenztatbestands. Denn ein Luftschadstoff iSd der Kompetenz ist, was die natürliche Zusammensetzung der Luft verändert. 17
Wegen des offenen Begriffsinhalts der Luftreinhaltung sind die Emissionen von Treibhausgasen mit Hilfe der Luftreinhaltekompetenz bekämpfbare Verunreinigungen. Daher sind zB Regelungen über die Energieeffizienz von Anlagen, die nicht die Ressourcenschonung an sich, sondern die Vermeidung von THG- Emissionen in die Luft bezwecken, (auch) der Luftreinhaltekompetenz zu unterstellen. 18
Die Kompetenz des Bundes nach Art 10 Abs 1 Z 12 B-VG war zum Zeitpunkt des oben zitierten Erkenntnisses des VfGH G 60/82 im Übrigen noch nicht in Kraft, sodass der VfGH sie in diesem Erkenntnis nicht berücksichtigen konnte.
Das Ergebnis, demnach Regelungen über Energieeffizienz, die die Vermeidung von THG-Emissionen in die Luft bezwecken, der Luftreinhaltekompetenz zu unterstellen sind, steht auch mit der Entscheidung des VfGH G2 12/02 (die nach Inkrafttreten dieses Kompetenztatbestands gefällt wurde) nicht in Widerspruch:
• Im Betriebsanlagengenehmigungsverfahren hat die Behörde stets die Konsensfähigkeit der geplanten Anlage in all ihren Teilen zu beurteilen. Das schließt auch die Einrichtungen für die Beheizung von Räumen der Anlage - also Heizungsanlagen iSd Luftreinhaltungskompetenz gern Art 10 Abs 1 Z 12 - ein. Die vom VfGH aufgehobene Bestimmung des § 77a Abs 1 Z 2 GewO, BGBl 194/1994 idF BGBl I 88/2000, ordnete an, dass Betriebsanlagen so errichtet, betrieben und aufgelassen werden, dass [...] Energie effizient verwendet wird. Um Heizungsanlagen von diesen Effizienzfestlegungen auszunehmen, wäre eine Ausnahmebestimmung erforderlich gewesen; eine solche wurde jedoch nicht vorgesehen. Ohne eine Ausnahme der Heizungsanlagen konnte auch die Luftreinhaltungskompetenz dieser Bestimmung keine (gänzliche) kompetenzrechtliche Unbedenklichkeit verschaffen. 19
• Zudem sah der VfGH unter Berufung auf den Erwägungsgrund 1 der IPPC-RL, deren Umsetzung § 77a Abs 1 Z 2 GewO idF BGBl I 88/2000 diente, die umsichtige Bewirtschaftung der Ressourcen - also das Energiesparen an sich – und nicht die Luftreinhaltung als Ziel dieser Bestimmung an. Auch deswegen war ein Hinweis des VfGH auf die Luftreinhaltungskompetenz als mögliche Grundlage für die Energieeffizienzbestimmung nicht zu erwarten. 20
Im vorliegenden Regelungsgegenstand geht es freilich gar nicht um Energieeinsparung oder Energieeffizienz (sohin um nur mittelbare Luftreinhaltung), sondern um ganz unmittelbare Luftreinhaltung durch die Vermeidung von Treibhausgasen durch ein Verbot des Verkaufs von fossilen Brenn- und Treibstoffen. Dieser Regelungsgenstand ist jedenfalls (auch) vom Kompetenztatbestand „Luftreinhaltung“ gedeckt.
4. Ergebnis
Entgegen dem angefochtenen Bescheid liegt eine Bundeskompetenz zur Erlassung der beantragten Maßnahmen sohin jedenfalls vor.
5. Anträge
Wir verweisen auf die in unserem Antrag vom 11.05.2021 erstatteten Ausführungen zur inhaltlichen Rechtfertigung für den hier beantragten Verordnungsinhalt und unseren Anspruch auf Erlassung einer solchen Verordnung und stellen den Antrag, das angerufene Verwaltungsgericht möge in der Sache entscheiden und unseren Anträgen stattgeben. Eventualiter beantragen wir den angefochtenen Bescheid aufzuheben und an die belangte Behörde zur inhaltlichen Entscheidung zurückzuverweisen.
Wien am 07.09.2021
Dipl.-Ing. A. B.
C. D.
Gemeinde E.
F. G.
H. - J.“
_____________________________________
1 Neben dieser einzelgesetzlichen Verordnungsermächtigung des § 69 GewO ermächtigt freilich auch Art 18 Abs 2 B-VG alle Behörden innerhalb ihres Wirkungsbereichs zur Erlassung von Durchführungsverordnungen.
2 Klimaschutzgesetz, BGBl I Nr. 106/2011, derzeit idF BGBl I Nr. 58/2017.
3 VfGH 15.03.1986, G 60/82, Slg 10831.
4 § 71a GewO idF BGBl 619/1981.
5 Hervorhebung vom Verfasser.
6 VfGH 10.10.2003, G 212/02, Slg 17022.
7 § 77a Abs 1 Z 2 GewO idF BGBl I Nr 88/2000.
8 Pkt 2. dritter Absatz.
9 Hervorhebung vom Verfasser.
10 Hervorhebung vom Verfasser.
11 Pkt 4. Hervorhebung vom Verfasser.
12 Vorletzter Absatz. Hervorhebung vom Verfasser.
13 Ennöckl/Raschauer/Wessely, Komm GewO 1994, Vor § 1 Rz 42 mit Verweis auf Stolzlechner, Betriebsanlage Rz290.
14 Die Erläuterungen zur Regierungsvorlage (1255 der Big XXIV GP) und der Bericht des Umweltausschusses (1456 der Big XXIV GP) nehmen auf die Kompetenzgrundlage für dieses Gesetz nicht Bezug, sondern setzen die Bundeskompetenz zur Erlassung dieses Gesetzes offenbar als selbstverständlich voraus.
15 So § 1.
16 §2.
17 So instruktiv Horvath, Klimaschutz und Kompetenzverteilung, 205, 266.
18 Horvath, Klimaschutz und Kompetenzverteilung, 209 mwN. Ebenso Ennöckl/Raschauer/Wessely, Komm
GewO 1994, Vor § 1 Rz 42 mwN.
19 Horvath, Klimaschutz und Kompetenzverteilung, 234f mwN
20 Horvath, Klimaschutz und Kompetenzverteilung, 209 mwN
_____________________________________
Das Bundesministerium für Digitalisierung und Wirtschaftsstandort legte die Beschwerde sowie den Verfahrensakt unter Abstandnahme von einer Beschwerdevorentscheidung dem Verwaltungsgericht vor.
Einsicht genommen wurde in den Verwaltungsakt. Als maßgeblicher Sachverhalt ist der dargestellte Verfahrensgang der rechtlichen Beurteilung zugrunde zu legen.
Die Entscheidung gründet sich auf folgende Erwägungen:
1. Zur Begründung der Beschwerde herangezogene Rechtsprechung
Die Beschwerdeführer beziehen sich in ihrem Antrag auf Erlassung der darin sowie in ihrem Rechtsmittel angeführten Verordnung auf die behauptete Nichteinhaltung von Vorgaben, die sich für die Mitgliedstaaten aus der Verordnung (EU) 2018/842 des europäischen Parlamentes und des Rates vom 30. Mai 2018 zur Festlegung verbindlicher nationaler Jahresziele für die Reduzierung der Treibhausgasemissionen im Zeitraum 2021-2030 (Lastenteilungsverordnung/Effort Sharing Regulation) als Beitrag zu Klimaschutzmaßnahmen zwecks Erfüllung der Verpflichtungen aus dem Übereinkommen von Paris sowie zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 525/2013 , ergeben.
Die Rechtsmittelwerber berufen sich in ihrem Antrag auf die zur Luftqualitäts-Richtlinie ergangene Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, konkret auf das Erkenntnis des VwGH vom 28.05.2015, GZ Ro 2014/07/0096, in dem zu einem im Unionsrecht begründeten Anspruch auf Erlassung einer Verordnung Folgendes ausgeführt wird:
7.2. Wenn aus dem Unionsrecht ein subjektives Recht auf Ergänzung oder Erlassung einer Verordnung abgeleitet wird, so ist diese Situation dem Fall vergleichbar, in dem die innerstaatliche Rechtsordnung ein subjektives Recht auf Erlassung einer Verordnung anerkennt. Diesfalls hat die Behörde bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen die Verordnung zu erlassen oder im Versagungsfall darüber mit negativem Bescheid abzusprechen.
Zutreffend haben die revisionswerbenden Parteien im Verfahren in diesem Zusammenhang auf die strukturelle Besonderheit und Rechtsprechung des Verfahrens zur Anerkennung von Religionsgemeinschaften und deren Vergleichbarkeit mit der vorliegenden Fallkonstellation verwiesen. Wieso eine dem dortigen Prinzip ähnliche Vorgangsweise im vorliegenden Fall nicht geeignet sein solle, um dem aus dem Unionsrecht ableitbaren Rechtsanspruch des unmittelbar betroffenen Einzelnen zum Durchbruch zu verhelfen, ist den Ausführungen des LVwG nicht zu entnehmen.
Der Verfassungsgerichtshof hat in seinen Entscheidungen VfSlg 11931/1988 und VfSlg 13134/1992 klargestellt, dass bei Vorliegen der im AnerkennungsG enthaltenen Voraussetzungen ein Anspruch auf Anerkennung als Religionsgesellschaft besteht. Die Anerkennung ist durch Verordnung auszusprechen, wobei außerdem (zusätzlich) bescheidmäßig das Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen festgestellt werden kann. Liegen die im AnerkennungsG enthaltenen Voraussetzungen nicht vor, so ist ein (negativer) Bescheid zu erlassen (vgl. dazu auch VfSlg 14.295/1995 und betreffend die Anerkennung eines Vereins als geeigneter Sachwalterverein VfSlg 18.905/2009).
Aber auch der Verwaltungsgerichtshof kennt in seiner Rechtsprechung, ausgehend von der genannten Judikatur des Verfassungsgerichtshofes, rechtliche Möglichkeiten Einzelner, die Erlassung einer Verordnung mittels Antrags zu erreichen. So ging es in dem Fall, der dem hg. Erkenntnis vom 22. Dezember 2009, 2009/08/0064, zu Grunde lag, um die Erklärung eines Kollektivvertrages zur Satzung, die nach Rechtsprechung und Lehre als Verordnung anzusehen ist. Die Einräumung eines Antragsrechtes verlieh den Kollektivvertragsparteien ein subjektiv-öffentliches Recht darauf, dass die Behörde bei Vorliegen der Voraussetzungen den Kollektivvertrag zur Satzung erklärt, also die angesprochene Verordnung erlässt. Eine den Antrag abweisende Erledigung hat daher vor dem Hintergrund des Rechtsstaatsprinzips (und unter Hinweis auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs VfSlg 18.905/2009) in Form eines bekämpfbaren Bescheides zu ergehen.
Auch im hg. Erkenntnis vom 23. Oktober 2012, 2009/10/0254, betreffend die Anerkennung als Leit-Ethikkommission, wurde auf die vom Verfassungsgerichtshof im Erkenntnis vom 10. Dezember 2009, VfSlg 18.905, geäußerten Überlegungen zurückgegriffen. Die Zurückweisung eines Antrags auf Erlassung eines Bescheides über das Vorliegen der Voraussetzung für eine Verordnungserlassung (dort: Kundmachung) erwies sich daher als rechtswidrig, weil damit zu Unrecht eine Sachentscheidung verweigert worden war.
7.3. Zusammenfassend ist davon auszugehen, dass trotz des Rechtstypenzwangs in der österreichischen Rechtsordnung Konstellationen auftreten können, in denen die Verwaltung unter bestimmten Voraussetzungen zur Erlassung einer Verordnung verpflichtet ist. In solchen Fällen wird ein Antragsrecht von Parteien bejaht; beantragt eine Partei die Erlassung (oder Ergänzung) einer solchen Verordnung, so besteht das Recht, bei Nichtvorliegen der Voraussetzungen darüber in Form einer Sachentscheidung einen negativen Bescheid zu erhalten.
Dies gilt auch im vorliegenden Fall. Der Umstand, dass Maßnahmen auf der Grundlage von Luftqualitätsplänen nach der österreichischen Rechtsordnung in Form einer Verordnung ergehen und grundsätzlich weder ein Antragsrecht noch ein einheitliches Verfahrensrecht hinsichtlich einer Verordnungserlassung besteht, bildet keine Rechtfertigung für die Versagung des - wie oben dargestellt - unionsrechtlich gebotenen Anspruchs. Vielmehr sind die österreichischen Behörden und Gerichte gefordert, für effektiven gerichtlichen Rechtsschutz zu sorgen (vgl. dazu Potacs, Säumnis des Verordnungsgebers, in Holoubek/Lang (Hrsg), Rechtsschutz gegen staatliche Untätigkeit (2011) 233).
Die Zurückweisung eines solchen Antrags mangels Antragsrechts auf Erlassung einer Verordnung stellt hingegen die Verweigerung der Sachentscheidung und somit eine Rechtsverletzung dar.
Die genannten rechtsstrukturellen bzw. verfassungsrechtlichen Bedenken stehen dem Antragsrecht unmittelbar betroffener Personen daher nicht entgegen.
8. Dies bedeutet, dass die revisionswerbenden Parteien einen - im hier relevanten Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses - zulässigen Antrag auf Ergänzung eines unzureichenden Luftqualitätsplanes nach Art. 23 der Luftqualitäts-RL (hier: eines Programmes nach § 9a IG-L) bzw. einer darauf gründenden Verordnung gestellt haben.
Über diesen Antrag wäre daher in der Sache zu entscheiden gewesen. Die Zurückweisung des Antrags der revisionswerbenden Parteien mangels Antragslegitimation erweist sich somit als inhaltlich rechtswidrig.
Das LVwG hätte daher aufgrund der Beschwerde der revisionswerbenden Parteien den antragszurückweisenden Bescheid der belangten Behörde aufzuheben gehabt; eine über die Prüfung der Rechtmäßigkeit der Zurückweisung des Antrags hinausgehende Entscheidungsbefugnis kommt dem LVwG nicht zu (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 18. Dezember 2014, Ra 2014/07/0002, 0003, mwN).
Zu der von den Beschwerdeführern behaupteten Anwendbarkeit dieser Argumentation auf den gegebenen Fall ist (in den Punkten 2. bis 6.) Folgendes auszuführen:
2. Zur Geltung von Verordnungen der Europäischen Union:
Eine Prüfung des Beschwerdevorbringens hat sich zunächst daran zu orientieren, ob die dem angeführten Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes zugrunde liegende Ausgangslage mit jener im vorliegenden Fall vergleichbar ist.
Da die Rechtsmittelwerber ihr geltend gemachtes subjektives Recht aus einer Verordnung der Europäischen Union ableiten, ist Ausgangspunkt der Prüfung Art. 288 Absatz 2 AEUV, wonach Verordnungen allgemeine Geltung haben. Daraus ist zunächst abzuleiten, dass die in ihr thematisierten Sachverhalte generell-abstrakt geregelt werden. Darüber hinaus ist eine Verordnung in allen ihren Teilen verbindlich und gilt sie unmittelbar in jedem Mitgliedstaat.
Im Hinblick auf EU-Verordnungen stellte der EuGH explizit fest, dass sie unmittelbare Wirkung erzeugen, die geeignet ist, „für die Einzelnen Rechte zu begründen, zu deren Schutz die nationalen Gerichte verpflichtet sind“ (Giera, Individualrechte im europäischen Umweltrecht (2015) 60, unter Hinweis auf EuGH 10.11.1973, 34/73, Variola, Rz 7 f). Andererseits hat der Gerichtshof aber auch klargestellt, dass seines Erachtens nicht jede unmittelbar anwendbare Vorschrift subjektive Rechte einräumt (Öhlinger/Potacs, EU-Recht und staatliches Recht 7 (2020) 66), weshalb für die Verordnung grundsätzlich eine Umsetzung durch die Mitgliedstaaten nicht erforderlich ist.
3. Zu geltend gemachten subjektiven Rechten/Individualrechten
Im Unionsrecht begründete subjektive Rechte bzw. „unionale Individualrechte“ (s. Giera, Individualrechte im europäischen Umweltrecht (2015) 20) ergeben sich sowohl aus dem Primärrecht als auch aus dem Sekundärrecht der Europäischen Union, somit insbesondere aus Verordnungen und Richtlinien. Werden durch eine EU-VO Ansprüche begründet, so handelt es sich in gleicher Weise um Rechte, als fänden sich die betreffenden Bestimmungen im nationalen Recht (Raschauer, Allgemeines Verwaltungsrecht 6 (2021) Rz 1080).
Zur Eingrenzung der daraus berechtigten Personen verwendet der EuGH die Begriffe „Begünstigte“ sowie „Betroffene“. Ausgehend von der Rechtsprechung des EuGH zu Individualrechten aus Richtlinien vertritt der Verwaltungsgerichtshof etwa in seiner Rechtsprechung zur Umsetzung der Luftqualitäts-Richtlinie ein weites Verständnis des Betroffenenkreises. Werden Grenzwerte in einem Gebiet überschritten, sind nach der Auffassung des VwGH alle in diesem Gebiet lebenden Personen unmittelbar davon betroffen. (Öhlinger/Potacs, EU-Recht und staatliches Recht 7 (2020) 67).
4. Inhalt der Lastenverteilungsverordnung und Adressatenkreis
Die Verordnung (EU) 2018/842 (Lastenteilungsverordnung) legt verbindliche nationale Jahresziele für die Reduzierung der Treibhausgasemissionen im Zeitraum 2021 bis 2030 durch die Mitgliedstaaten fest. Gemäß ihrem Art. 1 regelt sie die Verpflichtungen der Mitgliedstaaten hinsichtlich ihrer Mindestbeiträge für den Zeitraum 2021 bis 2030 zwecks Erfüllung des Ziels der Union, im Jahr 2030 eine Reduzierung ihrer Treibhausgasemissionen um 30 % gegenüber dem Stand von 2005 in den Sektoren Energie, Industrieprozesse und Produktverwendung, Landwirtschaft und Abfall zu erreichen, und trägt damit zur Verwirklichung der Ziele des Pariser Klimaschutzabkommens bei.
Gemäß Art. 4 Abs. 1 der Verordnung (EU) 2018/842 hat jeder Mitgliedstaat seine Treibhausgasemissionen im Jahr 2030 im Vergleich zum Jahr 2005 zumindest um den Prozentsatz zu begrenzen, der für ihn in Anhang I auf Basis seiner Treibhausgasemissionen festgelegt ist. Die Kommission erlässt gemäß Art. 4 Abs. 3 der Verordnung (EU) 2018/842 hierzu Durchführungsrechtsakte zur Festlegung der in Tonnen CO2-Äquivalent ausgedrückten jährlichen Emissionszuweisungen für die Jahre 2021 bis 2030.
Art. 5 Abs. 4 bis 7 der Verordnung (EU) 2018/842 enthält Vorgaben für die Übertragung von Emissionszuweisungen zwischen den Mitgliedstaaten. Danach kann ein Mitgliedstaat, dessen Emissionen unter seinen jährlichen Emissionszuweisungen liegen, die überschüssigen Emissionszuweisungen an einen anderen Mitgliedstaat übertragen (und dadurch ggf. Einnahmen erzielen). Ein Mitgliedstaat, der mit seiner Emissionszuweisung nicht auskommt, kann mithin von anderen Mitgliedstaaten Emissionszuweisungen erwerben, um den Unionsvorgaben zur Reduzierung der Treibhausgasemissionen zu entsprechen.
Die Lastenteilungsverordnung richtet sich daher (neben dem in ihr enthaltenen Auftrag an die Kommission zur Erlassung von Durchführungsrechtsakten) an die Mitgliedsstaaten (S. Deutscher Bundestag, Wissenschaftliche Dienste, Fachbereich Europa, Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 148/18, WD 7 - 3000 - 223/18, 18.10.2018, Adressaten der Verordnung (EU) 2018/842 und der Entscheidung 406/2009/EG , Rechtspflichten von Mitgliedstaaten und Unternehmen? https://www.bundestag.de/resource/blob/583050/d1d0447428ece2f1e5f7dedf87cfc7ae/WD-7-223-18-PE-6148-18-pdf-data.pdf ).
5. Frage der Begründung subjektiver Rechte Einzelner durch die Lastenteilungsverordnung
Ausgehend von den Feststellungen zu Punkt 3 kann unmittelbar aus Art. 288 AEUV nichts zur Frage der von den Beschwerdeführern geltend gemachten subjektiven Rechte abgeleitet werden. Eine derartige Rechtsposition könnte daher nur aus dem Regelungsinhalt der genannten Verordnung selbst abgeleitet werden. Diese lässt aber von ihrer Textierung keine Rückschlüsse auf eine Absicht des Normsetzers zu, den Bürgern der EU subjektive Rechte auf die Setzung der dort vorgesehenen Maßnahmen einzuräumen.
So haben sich die Beschwerdeführer zur Begründung dieser Rechtsposition auch nicht auf eine ausdrückliche Regelung in der Verordnung bezogen, sondern – wie die Bezugnahme auf die oben zu Punkt 1 zitierte Rechtsprechung erkennen lässt – auf eine ihrer Ansicht nach offenbar allgemein aus dem Umweltrecht der EU erschließbare Absicht, die Bürger der EU mit subjektiven Rechten auf die Erlassung von im Unionsrecht vorgesehenen Maßnahmen durch die Mitgliedsstaaten auszustatten. Ein solcher, dem Umweltrecht der Europäischen Union allgemein innewohnender Grundsatz, wonach mit dessen Erlassung gleichsam „automatisch“ Individualrechte mit innerstaatlicher Durchsetzbarkeit verbunden wären, ist jedoch nicht nachweisbar. Ein solcher Grundsatz stünde im Übrigen auch im Widerspruch zur Entscheidungsfreiheit der rechtssetzenden Organe der EU, Rechtsakte zu erlassen, die ausschließlich Rechte und Pflichten der Mitgliedsstaaten selbst begründen.
Das von den Beschwerdeführern geltend gemachte subjektive Recht zur Durchsetzung innerstaatlicher Verordnungen mit dem Ziel der Vollziehung der in der Beschwerde thematisierten Inhalte der Lastenteilungs-VO (EU) 2018/842 kann daher (auch im Hinblick auf die Ausführungen zu Punkt 3) nicht auf den Wortlaut der Verordnung gestützt werden.
Auch die Vorläuferregelung zur Lastenteilungsverordnung, die Entscheidung Nr. 406/2009/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. April 2009 über die Anstrengungen der Mitgliedstaaten zur Reduktion ihrer Treibhausgasemissionen mit Blick auf die Erfüllung der Verpflichtungen der Gemeinschaft zur Reduktion der Treibhausgasemissionen bis 2020, entfaltete ausschließlich zwischen den Mitgliedsstaaten rechtliche Wirkungen.
Wenn die Beschwerdeführer dagegen zur Begründung des geltend gemachten subjektiven Rechts auf die im Rechtsmittel zitierte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes verweisen, ist dem entgegen zu halten, dass sich diese nicht auf die Verordnung (EU) 2018/842 bezog. Gegenstand des damaligen Erkenntnisses war die Umsetzung der Ziele der Luftqualitäts-RL, weshalb sie aus der Sicht des Verwaltungsgerichts zur Lösung der hier gegenständlichen Frage nicht heranzuziehen ist.
6. Frage der Begründung subjektiver Rechte auf Erlassung von Verordnungen durch Verfassungsrecht
Soweit die Beschwerdeführer ins Treffen führen, subjektive Rechte auf Erlassung der beantragten Verordnung würden sich auch aus dem Verfassungsrecht ergeben, konkret aus verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten, ist zunächst auf den Beschluss des Verfassungsgerichtshofs vom 26.4.2010, G 28/10, zu verweisen, in dem das Höchstgericht (für den Bereich der Gesetzgebung) ausgesprochen hat, dass „die (gänzliche) Untätigkeit des Gesetzgebers nicht über einen Antrag gemäß Art. 140 Abs. 1 B-VG releviert werden kann, weil weder Art. 140 B-VG noch eine andere Bestimmung der Bundesverfassung den Verfassungsgerichtshof ermächtigt, den Gesetzgeber zu einem Gesetzgebungsakt zu verpflichten.“ Gleiches muss (mit Ausnahme ausdrücklich anders lautender Regelungen im positiven Recht) auch für einen generell-abstrakten Akt der Verwaltung, hier konkret eine Verordnung, gelten.
Ungeachtet der sich aus dem Unionsrecht ergebenden Lösungsmöglichkeiten für Fälle der Untätigkeit staatlicher Rechtssetzungsorgane trotz Vorhandenseins von subjektiv Berechtigten mit einem unionsrechtlichen Anspruch auf Erlassung von innerstaatlichen Umsetzungsakten besteht für Verwaltungsgerichte allein aufgrund innerstaatlichen Rechts – abgesehen von den in der Rechtsprechung des VwGH demonstrativ angeführten Fällen, in denen ihre Befassung mit Verfahren zur Frage nicht erfüllter Verpflichtungen von Behörden zur Erlassung von Verordnungen möglich ist – keine gesetzliche Zuständigkeit, Behörden zur Erlassung von Verordnungen zu verpflichten. Auch fehlt eine ausdrückliche Ermächtigung, eine solche Verpflichtung mit einem feststellenden Erkenntnis auszusprechen.
Sofern die Beschwerdeführer hier auf eine aus dem Unionsrecht ableitbare Befugnis bzw Ermächtigung dazu verweisen sei – abgesehen davon, dass diese nach Ansicht des Verwaltungsgerichtes im vorliegenden Fall ohnehin nicht vorliegt - aus Gründen der Vollständigkeit angemerkt, dass selbst bei Erlassung eines feststellenden Erkenntnisses in Anwendung des unionsrechtlichen Effektivitätsgrundsatzes, dieses nicht vollstreckbar wäre (Giera, Individualrechte im europäischen Umweltrecht (2015) 238).
7. Frage der Begründung subjektiver Rechte auf Erlassung von Verordnungen durch die GRC
Die Beschwerdeführer führen weiters ins Treffen, dass die von Ihnen geltend gemachten subjektiven Rechte auch mit Art. 2 der Europäischen Grundrechte Charter (GRC) begründbar seien. Ein rechtlich fassbarer unmittelbarer Zusammenhang zwischen den von den Antragstellern dargestellten globalen klimatischen Veränderungen und einer aus Art 2 GRC ableitbaren Schutzpflicht des Staates zur Setzung konkreter Maßnahmen zum Schutz des Lebens lässt sich aber nicht nachweisen. So lässt sich (bei vergleichbarer Problematik) etwa in der Rechtsprechung zu dem in Art 2 MRK normierten Recht auf Leben zwar eine Schutzpflicht in Bezug auf die Abwendung von Naturkatastrophen und –gefahren ableiten (Mayer/Muzak, B-VG5, 697), was sich aber offenkundig nur auf örtlich begrenzte Gefahren dieser Art bezieht.
Lediglich Art. 47 GRC ist im gegebenen Fall auf Praxisrelevanz zu prüfen. Diese Bestimmung regelt, dass jede Person, die in ihren durch das Recht der Union garantierten Rechten oder Freiheiten verletzt worden ist, das Recht hat, nach Maßgabe der in diesem Artikel vorgesehenen Bedingungen bei einem Gericht einen wirksamen Rechtsbehelf einzulegen.
Für den gegenständlichen Fall bedeutet dies aber, dass Art 47 GRC zur Frage ob überhaupt ein garantiertes Recht, das vor Gericht durchgesetzt werden kann, vorhanden ist, auf das hier anzuwendende materielle Recht, somit auf die hier von den Antragstellern ins Treffen geführte Lastenteilungsverordnung, verweist. Dazu ist aber auf die obigen Ausführungen zu Punkt 4 zu verweisen, weshalb dem Beschwerdevorbringen auch in diesem Punkt nicht zu folgen ist.
8. Zur Begründung des bekämpften Bescheides:
Im Hinblick auf die obigen Ausführungen erübrigt sich daher ein Eingehen auf die Frage, ob die von den Antragstellern begehrte Verordnung auf das im Vorbringen angeführte Bundesgesetz gestützt werden könnte. Zu prüfen war daher, ob die den Antrag zurückweisende formale Entscheidung der belangten Behörde dennoch – wenn auch mit anderer Begründung – aufrechtzuerhalten war oder mangels Erledigung der gegenständlichen Anträge durch eine Sachentscheidung aufzuheben war.
Eine in der Sache abweisende Entscheidung hätte die belangte Behörde im gegenständlichen Fall nur dann erlassen müssen, wenn die Lastenteilungsverordnung subjektive Rechte oder unionale Individualrechte zwar grundsätzlich vorgesehen hätte, die Antragsteller aber im gegenständlichen Fall dennoch nicht als „Betroffene“ im Sinne der Rechtsprechung des EuGH zu beurteilen gewesen wären. Da jedoch ein subjektives Recht Einzelner aus der Lastenteilungsverordnung gar nicht in Betracht kam, war die Zurückweisung des Antrags rechtmäßig und war die angefochtene Formalentscheidung dennoch aufrechtzuerhalten.
9. Zum Entfall der mündlichen Verhandlung
Diese Entscheidung konnte gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG ohne Durchführung einer – im Übrigen von keiner Verfahrenspartei beantragten – öffentlichen mündlichen Verhandlung getroffen werden, weil einzig Rechtsfragen zu klären waren und der entscheidungserhebliche Sachverhalt unstrittig anhand der Aktenlage und des Beschwerdevorbringens festgestellt werden konnte. In einem solchen Fall ist von vornherein absehbar, dass die mündliche Erörterung nichts zur Ermittlung der materiellen Wahrheit beitragen kann (VwGH 16.11.2015, Ra 2015/12/0026).
10. Unzulässigkeit der ordentlichen Revision
Die ordentliche Revision ist unzulässig, da keine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung. Weiters ist die dazu vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Ebenfalls liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)
