LVwG Steiermark LVwG 43.19-2464/2020

LVwG SteiermarkLVwG 43.19-2464/202011.3.2021

GewO 1994 §74
GewO 1994 §81
GewO 1994 §84a

European Case Law Identifier: ECLI:AT:LVWGST:2021:LVwG.43.19.2464.2020

 

 

 

IM NAMEN DER REPUBLIK

 

Das Landesverwaltungsgericht Steiermark hat durch die Richterin Mag. Schermann über die Beschwerde der A GmbH, C, S, vertreten durch B Anwälte GmbH, R, D, gegen den Bescheid des Bürgermeisters der Stadt Graz vom 31.08.2020, GZ: A17-EAV-078951/2017/0042,

 

z u R e c h t e r k a n n t:

 

I. Gemäß § 28 Abs 1 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (im Folgenden VwGVG), und §§ 74 Abs 2 sowie 81 Abs 1 Gewerbeordnung (im Folgenden GewO) wird der Beschwerde

 

Folge gegeben,

 

der bekämpfte Bescheid behoben und der Antrag der A GmbH vom 13.12.2017, bei der Behörde eingelangt am 14.12.2017, auf Änderung der Betriebsanlage in G, Sstraße,

 

zurückgewiesen.

 

II. Gegen dieses Erkenntnis ist gemäß § 25a Verwaltungsgerichtshofgesetz (im Folgenden VwGG) eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs 4 B-VG unzulässig.

 

 

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e

 

Sachverhalt:

 

Die A GmbH betreibt auf dem Standort G, Sstraße, eine mit

Bescheid des Bürgermeisters der Stadt Graz vom 17.05.1994, GZ: A4-K 67/b/1971/1, gewerbebehördlich genehmigte Betriebsanlage – Betrieb einer CO2-Abfüllanlage mit Gaslager, einer Luftzerlegeanlage sowie eines Bürohauses; mit Bescheid des Bürgermeisters der Stadt Graz vom 13.04.1999, GZ: A4-K 67/b/19712/5, wurde die Änderung dieser Anlage – Errichtung eines Flüssigstickstofftanks und zweier Pufferbehälter, Lagerung von Gasflaschen und Installation eines Feedgasverdichters in der Luftzerlegungsanlage – gemäß § 345 Abs 8 Z 8 GewO zur Kenntnis genommen. Die gegenständliche Betriebsanlage unterliegt dem Abschnitt 8a der Gewerbeordnung „Beherrschung der Gefahren schwerer Unfälle mit gefährlichen Stoffen“; aufgrund der Lagermenge stellt der Betrieb einen Betrieb der unteren Klasse gemäß § 84b Z 2 der GewO dar.

 

Am 13.12.2017, bei der Behörde eingelangt am 14.12.2017, stellte die A GmbH den Antrag auf Genehmigung der Änderung der Betriebsanlage durch Aufnahme der fernbedienten kontinuierlichen Betriebsweise der Luftzerlegungsanlage mit Bedienung und Überwachung von einer zentralen Leitstelle und Änderung der personellen Besetzung der Luftzerlegungsanlage.

 

Die belangte Behörde hat aufgrund dieses Ansuchens und der im Rahmen des anhängigen Verfahrens zahlreich vorgelegten Unterlagen den nunmehr bekämpften Bescheid vom 31.08.2020 erlassen und den Antrag der A GmbH abgewiesen. Begründend wurde ausgeführt, dass sich aus der Stellungnahme des brandschutz- als auch gewerbetechnischen Amtssachverständigen ergebe, dass wichtige Schutzinteressen der Gewerbeordnung aufgrund der geplanten Änderung des gegenständlichen, besonders gefährlichen Betriebes gemäß Abschnitt 8a GewO, trotz der technischen Sicherheitsmaßnahmen bei einer fernbedienten Betriebsweise nicht ausreichend geschützt würden. Aus behördlicher Sicht sei es erforderlich, dass bei einem Störfall beim gegenständlichen Betrieb mit unmittelbar danebenliegenden Gewerbebetrieben und Wohnnachbarn die ständige Anwesenheit eines mit der Steuerung der Betriebsanlage vertrauten Operators und die Überwachung und Kontrolle der Anlage durch unterwiesene MitarbeiterInnen gegeben sei, um die Sicherheit zu gewährleisten. Da es durch die Änderung der Betriebsanlage zu einer Gefährdung der Nachbarn komme, durch die Ersatzmaßnahmen nicht das gleiche Sicherheitsniveau wie bei der Anwesenheit eines Operators erreicht werden könne und aus anlagen-, brandschutz- und sicherheitstechnischer Sicht Bedenken gegen die Änderung bestünden, sei spruchgemäß zu entscheiden gewesen.

 

Die A GmbH hat, rechtsfreundlich vertreten, rechtzeitig Beschwerde gegen diese Entscheidung erhoben und begründend Unrichtigkeiten der gutachterlichen Stellungnahmen des gewerbetechnischen Amtssachverständigen und des brandschutztechnischen Amtssachverständigen vorgebracht. Aus den von der Genehmigungswerberin vorgelegten gutachterlichen Stellungnahmen des DI Dr. E F vom 18.12.2019, sowie DI G H vom 19.12.2019, ergebe sich, dass das beantragte Projekt genehmigungsfähig sei. Es wurde beantragt, eine mündliche Verhandlung durchzuführen und wurde das Landesverwaltungsgericht ersucht in der Sache selbst zu erkennen, der Beschwerde Folge zu geben, den angefochtenen Bescheid aufzuheben und die beantragte Bewilligung der Genehmigung der Änderung der Betriebsanlage zu erteilen, in eventu den angefochtenen Bescheid aufzuheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Stadt Graz zurückverweisen.

 

Am 29.01.2021 wurde eine öffentlich mündliche Verhandlung durchgeführt, unter Beiziehung der Amtssachverständigen für Maschinentechnik, Bau- und Brandschutztechnik. Die Genehmigungswerberin und deren rechtliche Vertretung haben daran teilgenommen, sowie von der Genehmigungswerberin beauftragte Sachverständige. Anlässlich dieser Verhandlung wurden die vom maschinentechnischen und der bau- und brandschutztechnischen Amtssachverständigen erstatteten gutachterlichen Stellungnahmen zum Beschwerdevorbringen, bezogen auf die vom Gericht gestellte Fragestellung hinsichtlich der Richtigkeit und Schlüssigkeit der gutachterlichen Ausführungen der von der belangten Behörde beigezogenen Amtssachverständigen vorgetragen und erörtert. Nach Durchführung der Verhandlung haben der maschinentechnische Amtssachverständige und die bau- und brandschutztechnische Amtssachverständige über Ersuchen des Gerichtes, nachfolgende fachliche Stellungnahmen abgegeben:

 

Maschinentechnik:

„Zur Frage, ob es durch die beantragte Betriebsanlagenänderung konkret vorhersehbare Auswirkungen auf die Nachbarn gibt:

Die bestehenden Bedenken in den bisher vorliegenden Gutachten zielen auf zusätzliche Gefährdungen ab, die im Falle eines gröberen Störfalls ("Industrieunfall") durch zu spätes Eingreifen oder nicht ausreichend fachgerechtes Eingreifen entstehen könnten. Ein solcher Störfall ist der Ausnahmefall, für den zwar vorzusorgen ist, der aber im Regelbetrieb nicht zu erwarten ist. Keinesfalls kann bei der verwendeten Technologie von einem regelmäßigen oder vorhersehbaren Auftreten gesprochen werden. Es wird daher durch die Betriebsanlagenänderung zu keinen konkret vorhersehbaren Auswirkungen auf die Nachbarn kommen können.

 

Zur Frage, ob durch die beantragte Änderung das Emissionsverhalten der Anlage nachteilig beeinflusst wird:

Durch die fehlende Anwesenheit des Operators (Hauptgegenstand der geplanten Änderung) kann es zu keinen zusätzlichen Emissionen kommen. Hinsichtlich der geplanten Schulungen der Mitarbeiter der Marienhütte sind zusätzliche Fahrbewegungen zur und von der Betriebsanlage grundsätzlich denkbar. Diese sind in ihrer Zahl aber so selten, dass sie in der statistischen Schwankungsbreite der Gesamtzahl der Fahrbewegungen untergehen. Es kann also nicht von zusätzlichen Emissionen ausgegangen werden. Eine wahrnehmbare oder messbare Änderung der Immissionen an der Grundstücksgrenze oder bei den nächstgelegenen Wohnobjekten kann ausgeschlossen werden. Aufgrund dieser Feststellungen ist davon auszugehen, dass das Emissionsverhalten der Betriebsanlage durch die geplante Änderung nicht nachteilig beeinflusst wird.“

 

Stellungnahme Bau- und Brandschutztechnik:

„1. Gibt es durch die beantragten Änderungen konkret vorhersehbare Auswirkungen auf die Nachbarn?

Bei der eingereichten Betriebsanlagenänderung ist der Ersatz des vor Ort befindlichen „Operators“ mittels eines ROC-Centers in den Nachtstunden und am Wochenende, bei gleichzeitiger Erhöhung der technischen Sicherheitsausstattung, vorgesehen. Aus brandschutztechnischer Fachsicht bedeutet dies keine Änderung des Normalbetriebs und daher ist mit keinen voraussehbaren regelmäßigen Störfällen zu rechnen. Aus Sicht des Brandschutzes sind im Normalbetrieb keine konkret vorhersehbaren Änderungen für die Nachbarn zu erwarten.

In diversen vorangegangenen Gutachten zur Anlagenänderung wurden die Bedenken der Sachverständigen hinsichtlich eines zu späten oder eines nicht ausreichend fachgerechten Eingreifens bei einem gröberen Störfall („Ausnahmefall“) - für welchen Vorkehrungen zu treffen sind – aufgezeigt.

 

2. Wird durch die beantragte Änderung das Emissionsverhalten der Anlage nachteilig beeinflusst?

Die beantragte Anlagenänderung bedeutet keine Änderung des Normalbetriebes und daher kommt es im Bereich des Brandschutzes im Regelbetrieb zu keiner Veränderung des Emissionsverhaltens. Hinsichtlich prozessbedingter Emissionen siehe Befund und Gutachten Fachbereich Maschinentechnik.“

 

Diese Stellungnahmen wurden im Sinne der Wahrung des Parteiengehörs zur Kenntnis gebracht, Stellungnahmen sind nicht eingelangt.

 

Der festgestellte Sachverhalt ergibt sich aus den von der belangten Behörde vorgelegten Verfahrensakt sowie dem Gerichtsakt.

 

Für die Beurteilung sind folgende Rechtsvorschriften maßgebend:

 

§ 81 Abs 1 Gewerbeordnung 1994 (GewO), BGBl 194/1994 idF BGBl I 96/2017:

„Wenn es zur Wahrung der im § 74 Abs. 2 umschriebenen Interessen erforderlich ist, bedarf auch die Änderung einer genehmigten Betriebsanlage einer Genehmigung im Sinne der vorstehenden Bestimmungen. Diese Genehmigung hat auch die bereits genehmigte Anlage so weit zu umfassen, als es wegen der Änderung zur Wahrung der im § 74 Abs. 2 umschriebenen Interessen gegenüber der bereits genehmigten Anlage erforderlich ist.“

 

§ 74 Abs 2 Gewerbeordnung 1994 (GewO) idgF:

„Gewerbliche Betriebsanlagen dürfen nur mit Genehmigung der Behörde errichtet oder betrieben werden, wenn sie wegen der Verwendung von Maschinen und Geräten, wegen ihrer Betriebsweise, wegen ihrer Ausstattung oder sonst geeignet sind,

1. das Leben oder die Gesundheit des Gewerbetreibenden, der nicht den Bestimmungen des ArbeitnehmerInnenschutzgesetzes, BGBl. Nr. 450/1994, in der jeweils geltenden Fassung, unterliegenden mittätigen Familienangehörigen oder des nicht den Bestimmungen des ArbeitnehmerInnenschutzgesetzes, BGBl. Nr. 450/1994, in der jeweils geltenden Fassung, unterliegenden mittätigen eingetragenen Partners, der Nachbarn oder der Kunden, die die Betriebsanlage der Art des Betriebes gemäß aufsuchen, oder das Eigentum oder sonstige dingliche Rechte der Nachbarn zu gefährden; als dingliche Rechte im Sinne dieses Bundesgesetzes gelten auch die im § 2 Abs. 1 Z 4 lit. g angeführten Nutzungsrechte,

2. die Nachbarn durch Geruch, Lärm, Rauch, Staub, Erschütterung oder in anderer Weise zu belästigen,

3. die Religionsausübung in Kirchen, den Unterricht in Schulen, den Betrieb von Kranken- und Kuranstalten oder die Verwendung oder den Betrieb anderer öffentlichen Interessen dienender benachbarter Anlagen oder Einrichtungen zu beeinträchtigen,

4. die Sicherheit, Leichtigkeit und Flüssigkeit des Verkehrs an oder auf Straßen mit öffentlichem Verkehr wesentlich zu beeinträchtigen oder

5. eine nachteilige Einwirkung auf die Beschaffenheit der Gewässer herbeizuführen, sofern nicht ohnedies eine Bewilligung auf Grund wasserrechtlicher Vorschriften vorgeschrieben ist.“

 

„8a. Abschnitt

Beherrschung der Gefahren schwerer Unfälle mit gefährlichen Stoffen

Ziel und Anwendungsbereich

§ 84a GewO:

(1) Ziel dieses Abschnitts ist es, schwere Unfälle mit gefährlichen Stoffen zu verhüten und ihre Folgen zu begrenzen.

(2) Dieser Abschnitt gilt für Betriebe im Sinne des § 84b Z 1.

(3) Die Anforderungen dieses Abschnitts müssen zusätzlich zu den Anforderungen nach anderen Bestimmungen dieses Bundesgesetzes erfüllt sein; sie sind keine Genehmigungsvoraussetzung im Sinne der §§ 77 und 77a und begründen keine Parteistellung im Sinne des § 356.“

 

Rechtliche Beurteilung:

 

Die A GmbH betreibt auf dem Standort G, Sstraße, eine Betriebsanlage die dem Abschnitt 8a „Beherrschung der Gefahren schwerer Unfälle mit gefährlichen Stoffen“ unterliegt. Gemäß § 84a Abs 3 GewO sind die in diesem Abschnitt angeführten Anforderungen, keine Genehmigungsvoraussetzungen im Sinne der § 77 und 77a GewO; dies ist auch zutreffend für Änderungsgenehmigungen nach § 81 GewO, da die Genehmigungsvoraussetzungen nach § 81 GewO keine anderen sind als jene, an die das Gesetz in § 77 GewO, die Errichtung einer Anlage knüpft. Die Prüfung des Vorliegens der Genehmigungsvoraussetzungen für die beantragte Änderung erfolgt daher gemäß § 81 Abs 1 erster Satz GewO nach den in § 74 Abs 2 GewO umschriebenen Interessen und zwar nach Maßgabe voraussehbarer Auswirkungen, nicht aber nach Maßgabe von Störfällen die nicht voraussehbar sind. Nach § 81 Abs 1 GewO bedarf nicht jede Änderung einer genehmigten Betriebsanlage einer Genehmigung, sondern nur eine solche Änderung, die geeignet ist, die in § 74 Abs 2 GewO umschriebene Interessen zu beeinträchtigen. Dabei ist die Genehmigungspflicht bereits dann gegeben, wenn die Änderung grundsätzlich geeignet ist, die bezeichneten Beeinträchtigungen hervorzurufen.

Wie sich aus den nachvollziehbaren und schlüssigen ergänzenden gutachterlichen Stellungnahmen des Amtssachverständigen von Maschinentechnik und der Amtssachverständigen für Bau- und Brandschutztechnik ergibt, wird es durch die beantragte Betriebsanlagenänderung zu keinen konkret vorhersehbaren Auswirkungen auf die Nachbarn kommen. In Ansehung dessen, dass der Gewerbetreibende eine juristische Person ist, sind auch Gefährdungen des Lebens und der Gesundheit der Gewerbetreibenden als zu berücksichtigende Schutzinteressen auszuschließen. Eine Genehmigungspflicht kann sich jedoch aus der (grundsätzlichen) Eignung einer Gefährdung des Lebens oder die Gesundheit der Tankwagenfahrer – soweit sie nicht Arbeitnehmer der Genehmigungswerberin und folglich nicht Schutzsubjekte nach § 74 Abs 2 GewO sind- als Kunden, die die Anlage der Art des Betriebes gemäß, durch das Verladen und Abholen von Flüssiggasprodukten, aufsuchen, ergeben.

§ 81 Abs 2 GewO sieht jedoch für Betriebsanlagen, die der Genehmigungspflicht gemäß Abs 1 unterfallen, für bestimmte Änderungen von genehmigten Betriebsanlagen die Genehmigungsfreiheit vor. So bedürfen Änderungen einer genehmigten gewerblichen Betriebsanlage, die das Emissionsverhalten der Anlage nicht nachteilig beeinflussen, keiner Genehmigung. Aus den ergänzenden gutachterlichen Stellungnahmen der Amtssachverständigen ergibt sich, dass die beantragte Anlagenänderung zu keinen zusätzlichen Emissionen führen wird, das heißt, dass das Emissionsverhalten der Betriebsanlage durch die geplante Änderung nicht nachteilig beeinflusst wird. Es bedarf daher die beantragte Änderung keiner gewerbebehördlichen Genehmigung, weshalb der Bescheid zu beheben und der diesbezügliche Antrag zurückzuweisen war.

 

Unzulässigkeit der ordentlichen Revision:

 

Die ordentliche Revision ist unzulässig, da keine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung. Weiters ist die dazu vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Ebenfalls liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

 

 

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