AsylG 2005 §12a Abs2 Z1
AsylG 2005 §12a Abs2 Z2
AsylG 2005 §22 Abs10
AVG §68 Abs1
BFA-VG §22
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art2
EMRK Art3
EMRK Art8
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §31 Abs1
European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2024:I406.2292796.1.00
Spruch:
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht fasst durch den Richter Mag. Gerhard KNITEL als Einzelrichter in dem Verfahren über die durch den mündlich verkündeten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 29.05.2024, Zl. XXXX , erfolgte Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes betreffend XXXX , geb. XXXX , StA. Marokko, den Beschluss:
A)
Die Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes ist gemäß § 12a Abs. 2 AsylG rechtmäßig.
B)
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer stellte in Österreich erstmals am 09.07.2023 einen Antrag auf internationalen Schutz, den er damit begründete, dass es in Marokko keine Zukunft gäbe und er dort auch keine Arbeit gehabt habe.
Mit Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 08.08.2023 wurde der Asylantrag des Beschwerdeführers abgewiesen und gegen ihn eine Rückkehrentscheidung erlassen.
Nach Abschluss des Asylverfahrens hielt sich der Beschwerdeführer in anderen Staaten des europäischen Wirtschaftsraums auf.
2. Am 07.05.2024 stellte der Beschwerdeführer in Österreich einen Folgeantrag auf Asyl, nachdem er von Deutschland ins Bundesgebiet rücküberstellt worden war. In der Erstbefragung gab er zu seinen Gründen für die neuerliche Asylantragstellung an, dass es keine neuen Fluchtgründe gäbe. Es seien dieselben, die er damals gehabt habe.
3. Am 16.05.2024 und am 29.05.2024 wurde der Beschwerdeführer vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl niederschriftlich einvernommen.
Auf die in der Einvernahme am 16.05.2024 gestellte Frage, warum er einen neuerlichen Asylantrag stellt, antwortete er, in Deutschland gewesen zu sein, dort angehalten und nach Österreich zurückgeschickt worden zu sein; daher habe er einen neuen Asylantrag gestellt. Überdies bestätigter er in der Einvernahme ausdrücklich, dass die Fluchtgründe für das gegenständliche Verfahren dieselben Gründe seien, welcher er bereits im ersten Asylverfahren angegeben habe. Neue Fluchtgründe gäbe es keine.
An anderer Stelle in der Einvernahme erklärte er, an Epilepsie zu leiden und während der epileptischen Anfälle aggressiv zu sein. So habe er auch ein Auto zerstört und auch einige Sachen im Haus. Deswegen habe es Probleme mit seinem Vater gegeben, der ihn nicht habe haben wollen.
Im Rahmen der niederschriftlichen Einvernahme am 29.05.2024 sprach das Bundesamt mit dem mündlich verkündeten Bescheid vom 29.05.2024 aus, dass der faktische Abschiebeschutz gemäß § 12a Abs 2 AsylG aufgehoben wird.
4. Mit Schriftsatz vom 29.05.2024, beim Bundesverwaltungsgericht eingelangt am 31.05.2024, legte das Bundesamt sodann dem Bundesverwaltungsgericht den mündlich verkündeten Bescheid samt Verwaltungsakt zur Überprüfung der Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes vor.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:
Der volljährige Beschwerdeführer ist ledig, Staatsangehöriger von Marokko und bekennt sich zum islamischen Glauben. Er gehört der Volksgruppe der Araber an. Seine Identität steht nicht fest.
Seit dem Jahr 2016 leidet er an Epilepsie, derzeit nimmt er die Arzneimittel SOLIAN 200 mg und ATARAX 25 mg ein. Abgesehen von Epilepsie leidet er an keinen schwerwiegenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen und ist arbeitsfähig.
Der Beschwerdeführer stammt aus der Stadt XXXX . In Marokko besuchte er eine Grundschule und arbeitete als Landwirt und als Mechaniker. Kurz vor seiner Ausreise lebte er bei seinen Eltern und bei seiner Großmutter.
Seine Eltern, die ein großes Eigentumshaus und eine Landwirtschaft haben und ihm während seines Aufenthalts im europäischen Wirtschaftsraum Geld aus Marokko geschickt haben, sein Bruder und seine Schwester leben nach wie vor in Marokko. Mit seiner jüngeren Schwester steht er in Kontakt.
1.2. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:
Im Mai 2023 reiste der Beschwerdeführer legal mit gültigem Reisepass auf dem Luftweg aus Marokko in die Türkei aus. Über Bulgarien, Serbien und Ungarn gelangte er nach Österreich, wo er am 09.07.2023 einen Antrag auf internationalen Schutz stellte, den er mit wirtschaftlichen Gründen begründete.
Mit Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 08.08.2023 wurde der Asylantrag des Beschwerdeführers vom 09.07.2023 abgewiesen und gegen ihn eine Rückkehrentscheidung erlassen.
Nach Abschluss des Asylverfahrens hielt sich der Beschwerdeführer in anderen Staaten des europäischen Wirtschaftsraums auf, unter anderem in Deutschland.
Am 07.05.2024 stellte der Beschwerdeführer in Österreich einen Folgeantrag auf Asyl, nachdem er von Deutschland ins Bundesgebiet rücküberstellt worden war.
Im Verfahren über den Folgeantrag auf Asyl machte der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt keine neuen entscheidungswesentlichen Fluchtgründe, welche nach dem negativen Abschluss des ersten Asylverfahrens entstanden sind, geltend.
Vielmehr bestätigter er in der Einvernahme ausdrücklich, dass die Fluchtgründe für das gegenständliche Verfahren dieselben Gründe seien, welcher er bereits im ersten Asylverfahren angegeben habe, neue Fluchtgründe gäbe es keine.
Auch in Bezug auf die Situation/Lage in Marokko ist seit der Entscheidung vom 08.08.2023 keine wesentliche Änderung eingetreten. Ebenso wenig liegt eine Änderung in Bezug auf den Gesundheitszustand, die Arbeitsfähigkeit und die Person des Beschwerdeführers und der Rechtslage vor.
Der Beschwerdeführer weist in Österreich keine maßgeblichen Integrationsmerkmale in sprachlicher, beruflicher und kultureller Hinsicht auf und hat im Bundesgebiet keine Verwandten und keine maßgeblichen privaten und familiären Beziehungen. Er ging zu keinem Zeitpunkt in Österreich einer legalen und der Pflichtversicherung unterliegenden Erwerbstätigkeit nach.
Der Beschwerdeführer ist in Österreich nicht vorbestraft.
1.3. Zur (auszugsweise wiedergegebenen) Lage im Herkunftsstaat (mit Angabe der Quellen), soweit sie für den vorliegenden Beschwerdefall von Relevanz sind:
Sicherheitslage
Letzte Änderung 2023-08-11 12:14
Marokko kann grundsätzlich als stabiles Land betrachtet werden (EDA 9.5.2023). Das französische Außenministerium rät bis auf einige Regionen zu normaler Aufmerksamkeit im Land. In den Grenzregionen zu Algerien wird zu erhöhter Aufmerksamkeit geraten (FD 6.6.2023). Die Grenze zu Algerien ist seit 1994 geschlossen (AA 8.6.2023; vgl. BMEIA 5.6.2023). Für die Grenzregionen zu Mauretanien in der Westsahara besteht eine Reisewarnung (AA 8.6.2023; vgl. FD 6.6.2023, BMEIA 5.6.2023); zudem besteht eine Bedrohung durch Minen und nicht-detonierte Kampfmittel (AA 8.6.2023; vgl. BMEIA 5.6.2023). Die Grenzregion zu Mauretanien ist zum Großteil vermint. Der einzig offene Grenzübergang nach Mauretanien Guerguarat/ Nouadhibou (Grenzposten PK 55) führt über eine Sandpiste durch vermintes Gebiet. Die Durchfahrt des Bereichs zwischen den beiden Grenzposten wird immer wieder durch wegelagernde Personen erschwert (Anhaltungen, Geldforderungen). Weder die marokkanischen noch mauretanischen Behörden verfügen dort über Exekutivrechte. Aufgrund der Aktivitäten durch die Terrororganisation Al Qaida in der benachbarten Sahelregion und in Westafrika besteht auch in Marokko ein gewisses Risiko (BMEIA 5.6.2023).
In der Region Tanger-Tetouan-Al Hoceima – vor allem im Rif-Gebirge – herrscht aufgrund sozialer Konflikte eine angespanntere Situation als im Rest des Landes. Die Kriminalitätsrate ist infolge des Rauschgifthandels sehr hoch. Es besteht ein erhöhtes Sicherheitsrisiko (BMEIA 5.6.2023; vgl. AA 8.6.2023).
Marokko kann als sicheres Land angesehen werden, nicht nur in Bezug auf Terrorismus. Ausnahme bildet nur die Westsahara, wo es immer wieder zu Zusammenstößen zwischen marokkanischen Truppen und der POLISARIO (Frente Popular para la Liberación de Saguía el Hamra y Río de Oro - Volksfront zur Befreiung von Saguía el Hamra und Río de Oro) kommt. Der letzte größere Terroranschlag fand im Jahr 2011 statt. 2018 gab es bei Morden mit mutmaßlich terroristischem Hintergrund zwei, im Jänner 2022 ein weiteres Todesopfer und einen Verletzten, im Dezember 2022 nochmals einen Toten. Die Bedrohung durch den Extremismus ist jedenfalls gegeben; es ist vor allem der Effektivität der Exekutive im Bereich der Terrorismusbekämpfung zu danken, dass terroristische Gruppen kaum aktiv werden können. Die Behörden, hier vor allem das Bureau central d‘investigation judiciaire (BCIJ), sind effektiv beim Erkennen und Verhindern potenzieller terroristischer Bedrohungen durch rechtzeitiges Ausheben von Terrorzellen. Es kommt zu zahlreichen Verhaftungen von Terrorverdächtigen. Im Jahresvergleich 2021 zu 2022 kann eine weitere Verbesserung festgestellt werden, trotz kleinerer Vorfälle – dies zeigt auch die Auswertung des Global Terrorism Index der entsprechenden Jahre (STDOK 11.4.2023).
Demonstrationen und Protestaktionen sind jederzeit im ganzen Land möglich. Vereinzelte gewalttätige Auseinandersetzungen können dabei nicht ausgeschlossen werden (EDA 9.5.2023; vgl. BMEIA 5.6.2023). In den größeren Städten ist fallweise mit Demonstrationen und Ausschreitungen zu rechnen (BMEIA 5.6.2023; vgl. AA 8.6.2023). Proteste entzünden sich meist an wirtschaftlichen und sozialen Missständen (AA 8.6.2023). Es kann zu Taschendiebstählen und Raubüberfällen kommen (BMEIA 5.6.2023).
Partielle Reisewarnung (Sicherheitsstufe 5) für Reisen in das Landesinnere des völkerrechtlich umstrittenen Territoriums der Westsahara und in entlegene Saharazonen Südmarokkos. Insbesondere vor der unmittelbaren Grenzregion zu Algerien, wird gewarnt (BMEIA 5.6.2023; vgl. AA 8.6.2023). Von Reisen in das Gebiet der Westsahara wird dringend abgeraten (AA 28.6.2023; vgl. EDA 9.5.2023). Das völkerrechtlich umstrittene Gebiet der Westsahara erstreckt sich südlich der marokkanischen Stadt Tarfaya bis zur mauretanischen Grenze. Es wird sowohl von Marokko als auch von der Unabhängigkeitsbewegung Frente Polisario beansprucht. Die United Nations Mission for the Referendum in Western Sahara MINURSO überwacht den Waffenstillstand zwischen den beiden Parteien. Auf beiden Seiten der Demarkationslinie (Sandwall) sind diverse Minenfelder vorhanden. Seit November 2020 haben die Spannungen in der Westsahara zugenommen. In El Guerguerat an der Grenze zu Mauretanien und entlang der Demarkationslinie ist es wiederholt zu Scharmützeln zwischen marokkanischen Truppen und Einheiten der Frente Polisario gekommen, die manchmal zivile Opfer fordern. Mit weiteren Ereignissen dieser Art muss gerechnet werden (EDA 9.5.2023).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (8.6.2023): Marokko: Reise- und Sicherheitshinweise, https://www.auswaertiges-amt.de/de/ReiseUndSicherheit/marokkosicherheit/224080 , Zugriff 8.8.2023
BMEIA - Bundesministerium Europäische und internationale Angelegenheiten [Österreich] (5.6.2023): Reiseinformation Marokko (Königreich Marokko), https://www.bmeia.gv.at/reise-services/reiseinformation/land/marokko/ , Zugriff 8.8.2023
EDA - Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelenheiten [Schweiz] (9.5.2023): Reisehinweise für Marokko, https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/vertretungen-und-reisehinweise/marokko/reisehinweise-fuermarokko.html#eda0aa0c9 , Zugriff 8.8.2023
FD - France Diplomatie [Frankreich] (6.6.2023): Maroc, Entrée/Séjour, https://www.diplomatie.gouv.fr/fr/conseils-aux-voyageurs/conseils-par-pays-destination/maroc/#securite , Zugriff 8.8.2023
STDOK - Staatendokumentation des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl [Österreich] (11.4.2023): Themenbericht intern: Nordafrika - Terrorismus in Ägypten, Libyen, Marokko und Tunesien, Quelle liegt bei der Staatendokumentation auf
Allgemeine Menschenrechtslage
Letzte Änderung 2023-08-11 12:39
Der Grundrechtskatalog (Kapitel I und II) der Verfassung ist substanziell; wenn man noch die durch internationale Verpflichtungen übernommenen Grundrechte hinzuzählt, kann man von einem recht umfassenden Grundrechtsrechtsbestand ausgehen. Als eines der Kerngrundrechte fehlt die Glaubens- und Gewissensfreiheit. Die Verfassung selbst stellt allerdings den Rechtsbestand unter den Vorbehalt der traditionellen „roten Linien“ - Monarchie, islamischer Charakter von Staat und Gesellschaft, territoriale Integrität (i. e. Annexion der Westsahara) - quasi als „Baugesetze“ des Rechtsgebäudes. Der vorhandene Rechtsbestand, der mit der neuen Verfassungslage v.a. in Bereichen wie Familien- und Erbrecht, Medienrecht und Strafrecht teilweise nicht mehr konform ist, gilt weiterhin (ÖB 8.2021). In den Artikeln 19 bis 35 garantiert die Verfassung die universellen Menschenrechte. Im Mai 2017 stellte sich Marokko dem Universellen Staatenüberprüfungsverfahren (UPR) des UN-Menschenrechtsrats. Marokko akzeptierte 191 der 244 Empfehlungen. Die nächste Überprüfung im Rahmen der Universellen Staatenüberprüfung (UPR) erfolgte im November 2022 (AA 22.11.2022).
Systematische staatliche Repressionsmaßnahmen gegen bestimmte Personen oder Personengruppen wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung sind nicht festzustellen. Gewichtige Ausnahme: wer die Vorrangstellung der Religion des Islam infrage stellt, die Person des Königs antastet oder die Zugehörigkeit der Westsahara zu Marokko anzweifelt (AA 22.11.2022). Nichtregierungsorganisationen, darunter die marokkanische Vereinigung für Menschenrechte (AMDH), Amnesty International und saharauische Organisationen, behaupteten, die Regierung habe Personen wegen politischer Aktivitäten oder Überzeugungen inhaftiert, wobei sie vorgebliche Strafanzeigen wie Spionage oder sexuelle Übergriffe vorbrachte (USDOS 20.3.2023). Marokko verfolgt eine aktive Menschrechtspolitik und konnte in wichtigen Bereichen, u. a. Frauenrechte, deutliche Fortschritte erzielen. NGOs kritisieren jedoch zunehmende Einschränkungen von Meinungs-, Versammlungs- und Pressefreiheit sowie die strafrechtliche Verfolgung von einzelnen Journalisten (AA 28.6.2023).
Verfassung und Gesetz sehen allgemeine Meinungs- und Pressefreiheit vor. Nach wie vor ist die Medienfreiheit jedoch durch die „roten Linien“ der Staatsräson erheblich eingeschränkt (USDOS 20.3.2023; vgl. AA 22.11.2022).
Unabhängige Medien und Journalisten stehen unter erheblichem Druck, und das Recht auf Information wird von einer mächtigen Propaganda- und Desinformationsmaschine zerstört, die der politischen Agenda derer dient, die den Machthabern nahestehen. Unter Druck gaben die letzten unabhängigen Medien in Marokko, die Tageszeitung Akhbar Al Yawm, ihren Kampf auf, ihre letzte Veröffentlichung datiert vom April 2021. Die Hauptinformationsquelle für die Bevölkerung sind soziale Netzwerke und Online-Seiten (RSF 2023). Zu den wichtigsten Fernseh- und Radioeigentümern gehören die Königsfamilie und andere politisch einflussreiche Unternehmer (ROG 2023; vgl. AA 22.11.2022).
Immer wieder werden Journalisten wegen kritischer Berichte beruflich wie privat von staatlicher Seite unter Druck gesetzt, bis hin zu strafrechtlicher Verfolgung aufgrund anderer Delikte wie Unterschlagung oder Sexualstraftaten, obwohl die Beweise laut HRW teilweise dürftig oder zweifelhaft scheinen (AA 22.11.2022). Die Tendenz zur Selbstzensur ist auch bei unabhängigen Medien stark ausgeprägt und bleibt nach wie vor ernsthafte Hindernisse für die Entwicklung einer freien, unabhängigen und investigativen Presse (USDOS 20.3.2023). Für das Jahr 2023 wurde Marokko auf Platz 144 von 180 gelisteten Staaten runtergestuft (RSF 2023; vgl. ROG 2023). Kritik am König ist in Marokko verboten und wird als „Angriff auf die heiligen Werte der Nation“ mit Gefängnis bestraft. Tabuthemen sind auch politische Proteste, die Westsahara-Politik, Korruption hochrangiger Politiker und inzwischen die Massenmigration nach Europa. Immer wieder werden Journalisten wegen unliebsamer Berichte vor Gericht gebracht und zu Haftstrafen verurteilt oder Korrespondenten ausländischer Medien abgeschoben. Zum Einschüchterungsrepertoire des Staats gehören auch Anzeigenboykotte, Drohungen, untergeschobene Drogendelikte, Rufmord, Überfälle, Einbrüche und seit neuestem Anklagen wegen angeblicher Sexualdelikte. Manche Gerichtsprozesse gegen Medienschaffende werden über Jahre hinweg verschleppt (ROG 2023). Es kommt auch zu Einschränkungen des Rechts auf freie Meinungsäußerung, v.a. gegen Blogger, Aktivisten und Studenten (FH 2023; vgl. BS 23.2.2022).
Ferner verurteilt Reporter ohne Grenzen (RSF) die Zustimmung der marokkanischen Regierung zu einem Gesetzesvorschlag, der den Nationalen Presserat, ein Selbstregulierungsorgan, das den marokkanischen Medien eine gewisse Unabhängigkeit verliehen hat, ersetzen soll. Der Nationale Presserat, der gemäß der Verfassung von 2011 als beratendes Gremium unter der Ägide des Kommunikationsministeriums eingerichtet wurde, beendete die direkte staatliche Aufsicht über den Mediensektor, als sein Mandat im Oktober 2022 auslief. Sechs Monate später hat die Regierung von Premierminister Aziz Akhannouch den Gesetzentwurf verabschiedet. Beobachter werten diese unerklärliche Entscheidung als Zeichen eines klaren Willens der Regierung, die Kontrolle über die Medien wiederzuerlangen und jegliche Selbstregulierung zu beenden, da mit diesem Gesetz die Befugnisse des Rates auf ein temporäres Komitee überträgt. Der Gesetzentwurf der Regierung muss noch vom Parlament verabschiedet werden, allerdings ist noch nicht bekannt, wann das Parlament den Entwurf prüfen wird (RSF 14.4.2023).
Am 21.11.2022 wurde der Präsident der Anwaltskammer von Rabat und ehemaliger Minister für Menschenrechte, Mohamed Ziane, in seiner Kanzlei ohne richterlichen Beschluss festgenommen, nachdem 20 Sicherheitsbeamten sein Büro gestürmt hatten. Ziane war bereits vier Jahre lang Zielscheibe einer groß angelegten Diffamierungskampagne, die von staatlich gelenkten Online-Medien in einer konzertierten Aktion betrieben wurde, um sein Ansehen zu diskreditieren. Weiters wirft Ziane dem Regime vor, Dissidenten zu unterdrücken und mundtot zu machen. Ziane zufolge hat sich der Nationale Sicherheitsdienst in eine politische Polizei verwandelt, die Dissidenten überwacht und mit Diffamierungen überzieht, die von der Regierung nahestehenden Zeitungen und Websites verbreitet werden. Diese neuartigen Methoden der Unterdrückung, führen zu unfairen Gerichtsverfahren und Urteile gegen unabhängige Journalisten (Quatara.de 6.2.2023). Darüber hinaus werden derzeit laut Presseberichten vom 16.5.2023, neue Vorschriften für Online-Medien und die Nachrichtenberichterstattung erarbeitet. Da elektronische Medien und Nachrichtenagenturen manchmal ohne Lizenz betrieben werden, muss der rechtliche Rahmen definiert werden, um sicherzustellen, dass diese die gleichen Anforderungen erfüllen wie andere Medien. So verfügen digitale Mediendienste beispielsweise nicht über die erforderliche Infrastruktur oder zahlen keine Sozialversicherungsbeiträge für ihre Mitarbeiter. Das Gesetz über den Journalismus und das Verlagswesen stammt aus dem Jahr 2016 (BAMF 22.5.2023).
Ausländische Satellitensender und das Internet sind frei zugänglich (AA 22.11.2022). Gelegentlich unterbrechen die Behörden Webseiten und Internetplattformen (FH 2023). Die Arbeit der Presse wurde in der Covid-19-Krise zeitweise eingeschränkt (zeitweiliges Verbot des Drucks und Verkaufs von Zeitungen und Zeitschriften: Online-Berichterstattung zu COVID-19-Themen weitgehend über offizielle Kommuniqués, teilweise Einschränkung von Auskünften durch staatliche Stellen sowie auch journalistischer Arbeitsmöglichkeiten im Ausnahmezustand) (AA 22.11.2022). Die staatliche Überwachung von Online-Aktivitäten und persönlicher Kommunikation ist ein ernstes Problem. Der Einsatz von Spionageprogrammen und Überwachungstechnologien durch die Regierung ist weit verbreitet (FH 2023). Die – auch im öffentlichen Raum kaum kaschierten – Überwachungsmaßnahmen erstrecken sich auch auf die Überwachung des Internets und elektronischer Kommunikation, wobei Aktivisten, die für eine unabhängige Westsahara eintreten – vor allem im Gebiet der Westsahara selbst – besonders exponiert sind (ÖB 8.2021). Ein Gericht in Casablanca verurteilte einen Mann zu fünf Jahren Haft, weil er sich Ende 2020 auf Facebook kritisch zu den verbesserten diplomatischen Beziehungen zwischen Marokko und Israel äußerte. Ihm wird Kritik am König vorgeworfen, da dieser die Leitlinien der marokkanischen Außenpolitik bestimmt. Laut Artikel 267-5 des Strafgesetzbuches ist für die Untergrabung der Monarchie eine Gefängnisstrafe von bis zu zwei Jahren vorgesehen und kann auf fünf Jahre erhöht werden (BAMF 7.8.2023).
Es kommt vereinzelt zur Strafverfolgung von Journalisten. Staatliche Zensur ist nicht bekannt. Viele Medien sind jedoch wirtschaftlich von regierungsnahen Unternehmen abhängig (AA 22.11.2022), bzw. ist diese eng mit den Machtzentren verbunden (BS 23.2.2022; vgl. AA 22.11.2022), und wird durch die Selbstzensur der Medien im Bereich der oben genannten drei Tabuthemen ersetzt (AA 22.11.2022). Gesetzlich unter Strafe gestellt und aktiv verfolgt sind und werden kritische Äußerungen betreffend den Islam, die Institution der Monarchie und die offizielle Position der Regierung zur territorialen Integrität bzw. den Anspruch auf das Gebiet der Westsahara (USDOS 20.3.2023; vgl. HRW 12.1.2023, AA 22.11.2022, ÖB 8.2021). Dies gilt auch für Kritik an Staatsinstitutionen oder das Gutheißen von Terrorismus (ÖB 8.2021; vgl. HRW 12.1.2023). Solche Kritik kann nach dem Strafgesetzbuch strafrechtlich verfolgt werden, wobei die Strafen von Geldstrafen bis zu Freiheitsstrafen reichen können. Der Pressekodex, der auch die Meinungsfreiheit vorsieht, gilt nur für akkreditierte Journalisten. Die privaten Reden und Handlungen akkreditierter Journalisten bleiben laut Strafgesetzbuch strafbar. Lokale NGOs berichteten auch, dass die Behörden trotz der Pressekodizes, die die rechtswidrige Inhaftierung von Personen verhindern sollten, die von ihrem Recht auf freie Meinungsäußerung Gebrauch machten, Strafgesetze einsetzten, um Kommentatoren, Aktivisten und Journalisten zu bestrafen, die die Regierung kritisieren (USDOS 20.3.2023). Laut Reporter ohne Grenzen befinden sich aktuell 11 Journalisten und 3 Medienmitarbeiter in Haft (RSF 2023).
Internationale NGOs werfen dem marokkanischen Staat vor, allgemeine Straftatbestände (Sexualstrafrecht, Steuerrecht, Verleumdung) zu nutzen, um kritische journalistische Stimmen und oppositionelle Meinungen zu unterdrücken. Aktivisten, die wegen ihres Engagements für Umweltschutz oder soziale Fragen vor Gericht gestellt und zu Haftstrafen verurteilt werden (AA 22.11.2022). Kritiker werden in unfairen Gerichtsverfahren wegen schwerer Verbrechen wie Geldwäsche, Spionage, Vergewaltigung, sexueller Übergriffe und Menschenhandel angeklagt. Unter den Taktiken, um abweichende Meinungen mundtot zu machen, haben die Behörden auf unfaire Gerichtsverfahren, digitale und Kameraüberwachung, Belästigungskampagnen durch Medien in der Nähe des königlichen Hofes, bekannt als Makhzen, physische Überwachung, Aggression und Einschüchterung sowie gezielte Angriffe auf Angehörige von Aktivisten zurückgegriffen (HRW 12.1.2023). NGOs berichteten auch weiterhin über den Einsatz willkürlicher Überwachung von Menschenrechtsaktivisten und Journalisten, wobei Freedom House über den „weit verbreiteten“ Einsatz von Spyware und Überwachungstechnologien durch die Regierung berichtete. In einem Bericht vom Juli 2022 dokumentierte HRW die physische und elektronische Überwachung durch die Regierung, um unabhängige Journalisten und Menschenrechtsverteidiger zu schikanieren und ihre Rechte zu verletzen. Dem Bericht zufolge kamen mehrere Personen zu dem Schluss, dass einige der über sie in den Medien veröffentlichten Informationen detailliert genug waren, um nur durch staatliche Überwachung erlangt worden zu sein (USDOS 20.3.2023).
Die marokkanischen Behörden haben ihre Schikanen gegen Aktivisten und Kritiker verstärkt (HRW 12.1.2023) und verfolgten und inhaftierten 2022 mindestens sieben Journalisten und Aktivisten wegen Kritik an der Regierung sowie gegen Personen, die online über Religion sprachen oder sich mit Aktivisten solidarisierten (AI 27.3.2023). Zudem wird die Spyware Pegasus gegen Menschenrechtsaktivisten, Journalisten, Oppositionelle, Politiker und Diplomaten eingesetzt (HRW 12.1.2023).
Am 18.1.2023 forderte das EU Parlament Marokko schriftlich dazu auf, das Recht auf freie Meinungsäußerung und die Medienfreiheit zu achten, inhaftierten Journalisten ein faires Verfahren mit sämtlichen Garantien für ein ordnungsgemäßes Verfahren zu garantieren, ihre sofortige vorläufige Freilassung sicherzustellen und die Drangsalierung aller Journalisten, ihrer Anwälte und Familien einzustellen. Ferner fordert das EU Parlament die staatlichen Stellen nachdrücklich auf, ihren internationalen Verpflichtungen im Bereich der Menschenrechte im Einklang mit dem Assoziierungsabkommen zwischen der EU und Marokko nachzukommen und verurteilte aufs Schärfste den Missbrauch von Anschuldigungen sexueller Übergriffe, mit denen Journalisten davon abgehalten werden sollen, ihre Aufgaben wahrzunehmen; und vertritt die Ansicht, dass dieser Missbrauch die Rechte der Frau gefährdet. Zudem fordert das EU Parlament die staatlichen Stellen Marokkos nachdrücklich auf, ihre Überwachung von Journalisten, unter anderem über die Spionagesoftware Pegasus einzustellen und Rechtsvorschriften zum Schutz von Journalisten zu erlassen und umzusetzen (EP 18.1.2023).
Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit sind in der Verfassung von 2011 verfassungsrechtlich geschützt, werden aber durch die „roten Linien“ Glaube, König, Heimatland eingeschränkt (AA 22.11.2022; vgl. USDOS 20.3.2023). Versammlungen von mehr als drei Personen sind genehmigungspflichtig (USDOS 20.3.2023). Die Behörden gehen meist nicht gegen öffentliche Ansammlungen und die häufigen politischen Demonstrationen vor, selbst wenn diese nicht angemeldet sind (AA 22.11.2022; vgl. USDOS 20.3.2023). In Einzelfällen kommt es jedoch zur gewaltsamen Auflösung von Demonstrationen (AA 22.11.2022; vgl. FH 2023, USDOS 20.3.2023). Ein großer Rückschlag für die Meinungsfreiheit und die bürgerlichen Freiheiten waren auch die Verhaftungen von Journalisten, Künstlern und Menschenrechtsaktivisten aufgrund verschiedener Anschuldigungen, die ein Zeichen dafür sind, dass das Justizsystem weiterhin gegen Kritiker und unabhängige Akteure eingesetzt wird (BS 23.2.2022).
Obwohl verfassungsmäßig Vereinigungsfreiheit gewährleistet ist, schränkt die Regierung dieses Recht manchmal ein (USDOS 20.3.2023). Organisationen wird die offizielle Registrierung verweigert (HRW 12.1.2023). Politischen Oppositionsgruppen und Organisationen, die den Islam als Staatsreligion, die Monarchie, oder die territoriale Integrität Marokkos infrage stellen, wird kein NGO-Status zuerkannt (USDOS 20.3.2023).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (28.6.2023): Marokko - Politisches Portrait, https://www.auswaertiges-amt.de/de/service/laender/marokko-node/politisches-portrait/224120 , Zugriff 8.8.2023
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (22.11.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Marokko (Stand: November 2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2082727/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Marokko_%28Stand_November_2022%29%2C_22.11.2022.pdf , Zugriff 20.7.2023
AI - Amnesty International (27.3.2023): Amnesty International Report 2022/23; The State of the World's Human Rights; Morocco And Western Sahara 2022, https://www.ecoi.net/en/document/2089568.html , Zugriff 11.4.2023
BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (7.8.2023): Briefing Notes, https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Behoerde/Informationszentrum/BriefingNotes/2023/briefingnotes-kw32-2023.html;jsessionid=9297CD92FE9742BDDEEF644C3BE30042.internet271 , Zugriff 8.8.2023
BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (22.5.2023): Briefing Notes, https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/EN/Behoerde/Informationszentrum/BriefingNotes/2023/briefingnotes-kw21-2023.pdf?__blob=publicationFile&v=3 , Zugriff 27.7.2023
BS - Bertelsmann Stiftung (23.2.2022): Country Report 2022 – Morocco, Güterloh: Bertelsmann Stiftung, https://www.ecoi.net/en/file/local/2069692/country_report_2022_MAR.pdf , Zugriff 8.8.2023
EP - Europäisches Parlament (18.1.2023): Gemeinsamer Entschliessungsantrag zur Lage von Journalisten in Marokko, insbesondere zum Fall Omar Radi, https://www.europarl.europa.eu/doceo/document/RC-9-2023-0057_DE.html , Zugriff 11.4.2023
FH - Freedom House (2023): Freedom in the World 2023 – Morocco, https://freedomhouse.org/country/morocco/freedom-world/2023 , Zugriff 16.5.2023
HRW - Human Rights Watch (12.1.2023): World Report 2023 – Morocco and Western Sahara, https://www.ecoi.net/en/document/2085478.html , Zugriff 11.4.2023
ÖB - Österreichische Botschaft Rabat [Österreich] (8.2021): Asylländerbericht Marokko, https://www.ecoi.net/en/file/local/2060711/MARO_%C3%96B_Bericht_2021_08.pdf , Zugriff 26.7.2023
Quatara.de (6.2.2023): Menschenrechtslage in Marokko, Rabats Verleumdungsmaschinerie, https://de.qantara.de/inhalt/menschenrechtslage-in-marokko-rabats-verleumdungsmaschinerie , Zugriff 21.4.2023
RSF - Reporters sans frontière (14.4.2023): Le projet de remplacer le Conseil national de la presse au Maroc menace un peu plus l’indépendance de la profession, https://rsf.org/fr/le-projet-de-remplacer-le-conseil-national-de-la-presse-au-maroc-menace-un-peu-plus-l-ind%C3%A9pendance , Zugriff 27.7.2023
RSF - Reporters sans frontière (2023): Maroc / Sahara occidental, https://rsf.org/fr/pays/maroc-sahara-occidental , Zugriff 22.5.2023
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USDOS - US Department of State [USA] (20.3.2023): 2022 Country Report on Human Rights Practices: Morocco, https://www.ecoi.net/en/document/2089139.html , Zugriff 20.4.2023
Grundversorgung
Letzte Änderung 2023-09-20 15:53
Die Grundversorgung der Bevölkerung ist gewährleistet, Brot, Zucker und Gas werden subventioniert (AA 22.11.2022). Der Zugang zu grundlegenden Dienstleistungen, Wasser, Strom und Abwasserentsorgung verbessert sich allmählich, aber es bestehen nach wie vor große infrastrukturelle Unterschiede zwischen städtischen und ländlichen Gebieten sowie innerhalb marginalisierter städtischer Viertel, in denen es immer noch an grundlegenden Dienstleistungen mangelt. Insgesamt sind 77 % der Haushalte an Abwassersysteme und 85 % an verbesserte Wasserquellen angeschlossen. Einigen Gemeinden fehlen noch immer die technischen und finanziellen Mittel für die Bereitstellung grundlegender Dienstleistungen, einschließlich öffentlicher Verkehrsmittel (BS 23.2.2022). Staatliche soziale Unterstützung ist begrenzt (vor allem private Organisationen oder die Fondation Mohammed VI), vielfach sind religiös-karitative Organisationen tätig. Die entscheidende Rolle bei der Betreuung Bedürftiger spielt nach wie vor die Familie (AA 22.11.2022).
Marokko hatte die Ausnahmesituationen, hervorgerufen durch die Pandemie und die Ukraine-Krise der vergangenen Jahre, bislang gut überstanden und hat sich dynamisch an die Herausforderungen angepasst. Die weltweit gestiegenen Energiepreise (Öl, Gas und Kohle), die Unterbrechung der Gaspipeline aus Algerien und anhaltender Wassermangel und damit einhergehender Probleme für die Landwirtschaft, haben die Preise für Getreide und Gemüse angeheizt und die Inflation 2022 auf 6,7 % steigen lassen. All dies gab dem aufkeimenden wirtschaftlichen Optimismus im Land zumindest 2022 einen ordentlichen Dämpfer (WKO 4.2023a). Ihren Höchststand erreichte die marokkanische Jahresinflation gegen Ende 2022 mit 8,3 % (WB 14.2.2023).
Allerdings konnte Marokko durch das international hohe Preisniveau von Phosphat im Export einiges auffangen. So konnte für 2022, trotz massiven Einbruch im Agrarbereich, ein Wirtschaftswachstum von 1 % erreicht werden. Für 2023 und die Periode bis ca. 2027 gehen Analysten von durchschnittlich 3 % jährlichem Wachstum aus. Aufgrund der starken Preiserhöhungen haben soziale Spannungen im Land zugenommen. Diese werden zwar anhalten, die generelle Stabilität des Landes wird aber dadurch nicht weiter beeinflusst (WKO 4.2023a).
Die trotz Regierungswechsel stabilen, politischen Verhältnisse und die zahlreichen Investitionspläne mit dem Ziel der Diversifizierung und Stärkung der marokkanischen Wirtschaft und einer Umstellung auf erneuerbare Energie, ziehen mittelfristig gute Geschäftschancen in den unterschiedlichsten Bereichen nach sich: Prozessoptimierung und Modernisierung der Industrie steht ganz oben auf der Agenda der marokkanischen Industrie. Hier ergeben sich für Automobilzulieferer, Industrieausstatter, Anlagenlieferanten und Dienstleister gute Marktchancen. Die Casablanca Finance City, wurde kürzlich wieder zum wichtigsten und besten Finanzzentrum auf dem Kontinent gekürt, bietet über Marokkos Grenzen hinaus Chancen im Bereich Dienstleistungen, Informationstechnologie, FinTec und Urban Development. Interessant sind auch die Bereiche erneuerbare Energie und Energieeffizienz, Wasserwirtschaft, Tourismus, Infrastrukturausbau, Chemie, maritime Wirtschaft, Umwelttechnologie sowie Entsorgungs- und Recyclingwirtschaft. Auch im Agrarbereich (landwirtschaftliche Maschinen) oder im Bereich Papier und Holz (Schnittholz) und nicht zuletzt in der Pharmabranche gibt es gute Absatzchancen (WKO 4.2023a).
Marokko ist ein agrarisch geprägtes Land: Die Landwirtschaft erwirtschaftet in Marokko ca. 20 % des BIP und ist damit der bedeutendste Wirtschaftszweig des Landes. Ca. zwei Drittel der Landesfläche wird landwirtschaftlich genutzt, davon 18 % als Ackerland. Da davon nur rund 15 % systematisch bewässert werden, ist die Wetterabhängigkeit sehr hoch. Der Sektor schafft 40 % der Arbeitsplätze und ist Einkommensquelle für drei Viertel der Landbevölkerung. Von den 1,5 Mio. landwirtschaftlichen Betrieben sind mehr als zwei Drittel Kleinstbetriebe, die über weniger als 3 Hektar Land verfügen, mit geringer Mechanisierung arbeiten und nur zu 4 % am Export beteiligt sind. Die modernen Landwirtschaftsbetriebe decken erst rund ein Achtel der kultivierbaren Gesamtfläche ab (WKO 12.5.2023).
Die Arbeitslosenquote liegt für 2023 bei 11 % [Prognose]. Die Arbeitslosenquote der Erwerbstätigen zwischen 15-64 lag 2022 bei 12,9 %, die Jugendarbeitslosenquote (15-24 Jahre) lag bei 24,9 % (WKO 4.2023b). Die Dunkelziffer liegt wesentlich höher - vor allem unter der Jugend. Der informelle Bereich der Wirtschaft wird statistisch nicht erfasst, entfaltet aber erhebliche Absorptionskraft für den Arbeitsmarkt. Fremdsprachenkenntnisse - wie sie z. B. Heimkehrer aufweisen - sind insbesondere in der Tourismusbranche und deren Umfeld nützlich. Arbeitssuchenden steht die Internet-Plattform des nationalen Arbeitsmarktservices ANAPEC zur Verfügung (www.anapec.org ), die neben aktueller Beschäftigungssuche auch Zugang zu Fortbildungsmöglichkeiten vermittelt. Unter 30-Jährige, die bestimmte Bildungsebenen erreicht haben, können mithilfe des OFPPT (www.ofppt.ma/ ) eine weiterführende Berufsausbildung einschlagen (ÖB 8.2021).
Die wirtschaftliche Erholung des Tourismus in Marokko nach COVID erhält nach der Fußball Weltmeisterschaft einen großen Schub. Marokkos Auftritt bei der Weltmeisterschaft war wie eine massive Marketingkampagne für das Land und somit für den Tourismus. Der Sektor ist die wichtigste Devisenquelle des Landes. Ende Oktober 2022 beliefen sich die Einnahmen aus dem Tourismus auf 6,1 Mrd. Euro, was einem deutlichen Anstieg von 148,9 % gegenüber dem Vorjahr entspricht. Das Land verzeichnete in den ersten neun Monaten des Jahres 2022 7,7 Mio. Touristenankünfte. Dieser massive Zustrom von Touristen ermöglichte es dem Sektor, sich nach mehr als zwei Jahren Stagnation und Einnahmenausfällen zu erholen (WKO 1.2023).
Armut ist weit verbreitet und wirtschaftliche Möglichkeiten sind für einen großen Teil der Bevölkerung knapp (FH 2023).
Umfragen deuten darauf hin, dass das subjektive Wohlbefinden der marokkanischen Haushalte in den letzten Monaten gesunken ist. Der umfragebasierte Haushalts-Vertrauensindex der Haushalte, der von HCP erstellt wurde, begann gegen Ende 2021 zu sinken und erreichte im dritten Quartal 2022 einen 14-Jahres-Tiefstand. Besorgniserregend ist, dass mehr als die Hälfte der befragten Haushalte der Ansicht ist, dass sich ihre finanzielle Situation im vergangenen Jahr verschlechtert hat, während 81 % der Ansicht sind, dass sich ihr Lebensstandard verschlechtert hat, und 87 % erwarten einen Anstieg der Arbeitslosigkeit in der Zukunft (WB 2022/23).
Es kam zu mehreren Demonstrationen gegen die steigenden Preise im Land. Am 4.12.2022 versammelten sich zwischen 1.200 und 3.000 Menschen in Rabat, um gegen die hohen Lebensmittelpreise, Korruption und staatliche Repressionen zu demonstrieren. Als Reaktion darauf hat die Regierung Maßnahmen ergriffen. Im Oktober hat die Regierung einen Fond mit 4,1 Mrd. EUR gestartet, um private Investitionen und die Wirtschaft des Landes zu unterstützen (BAMF 12.12.2022).
Um die Auswirkungen der Lebensmittel- und Energiepreise auf die Haushalte abzumildern, verabschiedete Marokko ein politisches Paket, das allgemeine Subventionen für Grundnahrungsmittel umfasste und die bereits bestehenden regulierten Preise beibehielt. Dieser Ansatz stabilisierte die Preise für Waren und Dienstleistungen, die fast ein Viertel der Ausgaben eines Durchschnittshaushalts ausmachen, und verhinderte so einen möglicherweise stärkeren Anstieg der Armut. Es erforderte die Mobilisierung zusätzlicher öffentlicher Ausgaben in Höhe von fast 2 % des BIP (WB 14.2.2023).
Ungeachtet dieser Maßnahmen litten bescheidene und gefährdete Haushalte immer noch am meisten unter den Auswirkungen der steigenden Lebensmittel- und sonstigen Preise aufgrund der Inflation. Dem Bericht zufolge war die jährliche Inflation für die ärmsten 10 % der Bevölkerung um fast ein Drittel höher als für die reichsten 10 % der Bevölkerung, was in erster Linie auf die Auswirkungen der Preissteigerungen bei Lebensmitteln zurückzuführen ist, die einen höheren Anteil an den Ausgaben der ärmeren Haushalte ausmachen. In dem Bericht heißt es ferner, dass die geplante umfassende Reform des sozialen Sicherheitsnetzes des Königreichs eine wirksame Ausrichtung der Subventionen auf die Unterstützung der Armen und Schwachen ermöglichen wird (WB 14.2.2023).
Die marokkanische Regierung führt Programme der Armutsbekämpfung (INDH) und des sozialen Wohnbaus. Eine staatlich garantierte Grundversorgung/arbeitsloses Basiseinkommen existiert allerdings nicht. Der Mindestlohn (SMIG) liegt bei 2.828 Dirham (ca. EUR 270). Ein Monatslohn von etwa dem Doppelten dieses Betrags gilt als bürgerliches Einkommen. Statistisch beträgt der durchschnittliche Monatslohn eines Gehaltsempfängers 4.060 Dirham, wobei allerdings die Hälfte der - zur Sozialversicherung angemeldeten - Lohnempfänger nur den Mindestlohn empfängt. Ein ungelernter Hilfsarbeiter erhält für einen Arbeitstag (10 Std.) ca. 100 Dirham, Illegale aus der Subsahara erhalten weniger (ÖB 8.2021).
Dennoch wird erwartet, dass sich das Wirtschaftswachstum Marokkos dank einer Erholung des Primärsektors im Jahr 2023 auf 3,1 % beschleunigen wird (WB 14.2.2023).
Ein Erdbeben der Stärke 7 mit Epizentrum in der Gemeinde Ighil in der Provinz Al Haouz, hat Marokko in der Nacht von Freitag, 8.9.2023, auf Samstag, 9.9.2023, erschüttert (Le matin.ma 8.9.2023; vgl. Le matin.ma 10.9.2023a). Das Erdbeben war gegen 23:11 Uhr in mehreren Städten Marokkos zu spüren. Das Beben trieb viele Menschen in Casablanca, Rabat, Marrakesch und Agadir auf die Straßen (Le matin.ma 8.9.2023). Laut Reuters-Zeugen flohen Menschen in Rabat, etwa 350 km nördlich von Ighil, dem Epizentrum des Bebens, und in der Küstenstadt Imsouane, etwa 180 km westlich, aus Angst vor einem stärkeren Beben aus ihren Häusern (ORF 9.9.2023). Die Telefonleitungen waren gestört. Nach Angaben des US-amerikanischen Instituts für Geologische Überwachung (USGS) wurde gegen 23:30 Uhr nordöstlich von Taroudant ein zweites Beben der Stärke 4,9 registriert (Le matin.ma 8.9.2023).
Nach Angaben des örtlichen Beamten seien in der schwer zugänglichen Bergregion auch die meisten Opfer zu beklagen. Einwohner der Stadt Marrakesch berichten von eingestürzten Gebäuden in der historischen Altstadt, die zum UNESCO-Weltkulturerbe gehört (tagesschau 9.9.2023).
Berichten zufolge leben 1,8 Millionen Menschen in den fünf betroffenen Provinzen, ein Drittel der marokkanischen Bevölkerung sind Kinder. Daher ist zu befürchten, dass unter den Opfern und Betroffenen auch sehr viele Kinder sind (Unicef.de 12.9.2023). Die meisten Opfer unter den Kindern gab es in den Provinzen Al Haouz, gefolgt von Chichaoua und Taroudant, berichtet die Tageszeitung Al Ahdath Al Maghribia. Seismologen sagen für die kommenden Tage und Wochen Nachbeben voraus (Magrhreb-Post.de 15.9.2023).
Die Schäden betreffen vor allem die Provinzen Chichaoua und Taroudant (Le matin 10.9.2023b).
Es war das stärkste Erdbeben, das jemals in der Geschichte Marokkos gemessen wurde und war so stark, dass es fast alle Bewohner des Königreichs spürten. Die Provinzen und Gemeinden Al Haouz, Marrakesch, Ouarzazate, Azilal, Chichaoua und Taroudant waren von dem starken Erdbeben besonders betroffen und verzeichneten fast alle Opfer und eingestürzten Gebäude. Auch in der Provinz Al Haouz wurden Nachbeben geringerer Intensität registriert (Le matin.ma 10.9.2023a). In Ausführung der Hohen Königlichen Weisungen wurde eine dreitägige Staatstrauer beschlossen (Le matin.ma 10.9.2023a; vgl. tagesschau 12.9.2023). Laut der Weltgesundheitsorganisation WHO sind mehr als 300.000 Menschen in Marrakesch und umliegenden Gebieten von dem Unglück betroffen (tagesschau 12.9.2023; vgl. Unicef.de 12.9.2023).
Die humanitäre Situation verschlechtert sich zunehmend. Die Familien benötigen nun am dringendsten Wasser, Nahrung, Hygieneartikel, Gesundheitsversorgung und eine sichere Unterkunft (Care.at 11.9.2023; vgl. tagesschau 12.9.2023). Der Präsident des Repräsentantenhaus geht davon aus, dass der Wiederaufbau mehrere Jahre benötigen kann (Magrhreb-Post.de 18.9.2023a). Auch Präsident Biden drückte seine Unterstützung in einem Telefonat mit König Mohammed VI. zum Ausdruck (Magrhreb-Post.de 18.9.2023b).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (22.11.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Marokko (Stand: November 2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2082727/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Marokko_%28Stand_November_2022%29%2C_22.11.2022.pdf , Zugriff 20.3.2023
BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (12.12.2022): Briefing Notes, https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Behoerde/Informationszentrum/BriefingNotes/2022/briefingnotes-kw50-2022 .pdf ?__blob=publicationFile&v=6, Zugriff 12.4.2023
BS - Bertelsmann Stiftung (23.2.2022): Country Report 2022 - Morocco, Güterloh: Bertelsmann Stiftung, https://www.ecoi.net/en/file/local/2069692/country_report_2022_MAR.pdf , Zugriff 8.8.2023
Care.at (11.9.2023): Erdbeben in Marokko: CARE leistet Nothilfe, https://care.at/erdbeben-in-marokko-care-bereitet-soforthilfemassnahmen-vor/ , Zugriff 18.9.2023
FH - Freedom House (2023): Freedom in the World 2023 – Morocco, https://freedomhouse.org/country/morocco/freedom-world/2023 , Zugriff 16.5.2023
Le matin.ma (18.9.2023): Séisme d'Al Haouz: reprise des études dans la commune d’Amizmiz, https://lematin.ma/express/2023/seisme-al-haouz-reprise-etudes-commune-damizmiz/394323.html , Zugriff 19.9.2023
Le matin.ma (17.9.2023): Séisme: environ 6.000 collégiens et lycéens des zones sinistrées transférés vers d'autres établissements, https://lematin.ma/express/2023/seisme-6000-collegiens-lyceens-zones-sinistrees-transferes/394279.html , Zugriff 19.9.2023
Le matin.ma (10.9.2023a): Séisme au Maroc: retour sur une catastrophe naturelle sans précédent, https://lematin.ma/express/2023/seisme-maroc-retour-catastrophe-naturelle-precedent/394000.html ?, Zugriff 19.9.2023
Le matin.ma (10.9.2023b): Séisme au Maroc: le ministère de l’éducation suspend les cours dans 42 communes et douars, https://lematin.ma/express/2023/seisme-maroc-cours-suspendus-42-communes-douars/394008.html , Zugriff 19.9.2023
Le matin.ma (8.9.2023): Un séisme de magnitude 7 ressenti dans plusieurs villes du Maroc, https://lematin.ma/express/2023/seisme-magnitude-7-ressenti-plusieurs-villes-maroc/393919.html , Zugriff 18.9.2023
Magrhreb-Post.de (18.9.2023a): Marokko – König bedankt sich bei ausländischen Rettungskräften, https://www.maghreb-post.de/marokko-koenig-bedankt-sich-bei-auslaendischen-rettungskraeften/ , Zugriff 19.9.2023
Magrhreb-Post.de (18.9.2023b): Marokko – USA bekräftigen Unterstützung nach dem schweren Erdbeben in Al Haouz, https://www.maghreb-post.de/marokko-usa-bekraeftigen-unterstuetzung-nach-dem-schweren-erdbeben-in-al-haouz/ , Zugriff 19.9.2023
Magrhreb-Post.de (15.9.2023): Marokko – Erdbeben könnte bis zu 100.000 Kinder betroffen haben, https://www.maghreb-post.de/marokko-erdbeben-koennte-bis-zu-100-000-kinder-betroffen-haben/ , Zugriff 18.9.2023
ÖB - Österreichische Botschaft in Rabat [Österreich] (8.2021): Asylländerbericht Marokko, https://www.ecoi.net/en/file/local/2060711/MARO_%C3%96B_Bericht_2021_08.pdf , Zugriff 30.9.2022
ORF - Österreichischer Rundfunk (9.9.2023): Verheerendes Erdbeben in Marokko: 296 Tote, https://orf.at/stories/3330521/ , Zugriff 18.9.2023
tagesschau (12.9.2023): Der Überlebenskampf geht weiter, https://www.tagesschau.de/ausland/afrika/marokko-erdbeben-ausnahmezustand-104.html , Zugriff 18.9.2023
tagesschau (9.9.2023): Hunderte Tote bei schwerem Erdbeben in Marokko, https://www.tagesschau.de/ausland/afrika/erdbeben-marokko-100.html , Zugriff 18.9.2023
Unicef.de (12.9.2023): Erdbeben in Marokko: Mindestens 100.000 Kinder betroffen, https://www.unicef.de/informieren/aktuelles/presse/-/erdbeben-in-marokko-helfen/338922 , Zugriff 18.9.2023
WB - The World Bank (14.2.2023): Morocco’s Economy Has Come Under Pressure from Supply Shocks, https://www.worldbank.org/en/news/press-release/2023/02/14/morocco-s-economy-has-come-under-pressure-from-supply-shocks , Zugriff 20.4.2023
WB - The World Bank (2022/23): Middle East - North Africa: Economic Monitor – Morocco Economic Update, Responding to Supply Shocks, https://documents1.worldbank.org/curated/en/099332002132325417/pdf/IDU0e3742c55010a3044730a80a0ad6062acd9db.pdf , Zugriff 20.4.2023
WKO - Wirtschaftskammer Österreich (1.2023): Aussenwirtschaft Nordafrika Newsletter, Ägypten, Algerien Marokko, Libyen, Tunesien, Sudan, https://www.wko.at/service/aussenwirtschaft/nordafrika-newsletter-2023-1.pdf , 20.4.2023
WKO - Wirtschaftskammer Österreich (4.2023a) : Aussenwirtschaft, Wirtschaftsbericht Marokko, https://www.wko.at/service/aussenwirtschaft/marokko-wirtschaftsbericht.pdf , Zugriff 19.5.2023
WKO - Wirtschaftskammer Österreich (4.2023b) : Länderprofil Marokko, https://wko.at/statistik/laenderprofile/lp-marokko.pdf , Zugriff 19.5.2023
Medizinische Versorgung
Letzte Änderung 2023-08-11 12:53
Die medizinische Versorgung durch Ärzte und Krankenhäuser in Marokko ist im Vergleich zur Weltbevölkerung unterdurchschnittlich (LI o.D.). Die medizinische Grundversorgung ist vor allem im städtischen Raum weitgehend gesichert, aber kostenpflichtig und bei privaten Anbietern auch teuer (AA 22.11.2022). Pro 1000 Einwohner stehen im Land 1,0 Krankenhausbetten zur Verfügung. Der weltweite Mittelwert liegt hier bei 2,9 Betten. Innerhalb der EU stehen 4,6 Betten für jeweils 1000 Einwohner zur Verfügung (LI o.D.). Es gibt einen großen qualitativen Unterschied zwischen öffentlicher und (teurer) privater Krankenversorgung. Selbst modern und gut ausgestattete medizinische Einrichtungen garantieren keine europäischen Standards (AA 22.11.2022). In Rabat und Casablanca finden sich allerdings gute Privatkliniken von hohem Standard (AA 8.6.2023; vgl. BMEIA 5.6.2023). Der öffentliche Gesundheitssektor ist in seiner Ausstattung und Qualität sowie bei der Hygiene überwiegend nicht mit europäischen Standards zu vergleichen. Lange Wartezeiten und Mangel an medizinischen Versorgungsgütern und Arzneien sind zu beobachten (ÖB 8.2021). Insbesondere das Hilfspersonal ist oft unzureichend ausgebildet, Krankenwagen sind in der Regel ungenügend ausgestattet. Die Notfallversorgung ist wegen Überlastung der Notaufnahmen in den Städten nicht immer gewährleistet, auf dem Land ist sie insbesondere in den abgelegenen Bergregionen unzureichend (AA 22.11.2022). Mit rund 27.200 ausgebildeten Ärzten in Marokko stehen pro 1000 Einwohner rund 0,73 Ärzte zur Verfügung (LI o.D.). Es kommt zu einem ungleichen Zugang zur Gesundheitsversorgung in den verschiedenen Regionen. Etwa 52 % der Ärzte befinden sich in den beiden Regionen Rabat-Salé-Kénitra und Casablanca-Settat, obwohl dort nur 34 % der Bevölkerung leben (Gesundheitsministerium, 2016). So hat nur 30 % der Landbevölkerung Zugang zu Gesundheitseinrichtungen (BS 23.2.2022).
Private Spitäler, Ambulanzen und Ordinationen bieten medizinische Leistungen in ähnlicher Qualität wie in Europa an, wenn auch nicht in allen fachmedizinischen Bereichen gleich und örtlich auf die Städte beschränkt (Casablanca, Rabat, Tanger und andere größere Städte). Diese Dienstleistungen sind freilich mit entsprechenden Honoraren verbunden. Eine Konsultation beim Wahlarzt (Allgemeinmedizin) kostet ab 150 Dirham (13 Euro), beim Facharzt ab 200 (17 Euro) Dirham bis 500 (45 Euro) Dirham und mehr bei Spezialisten (zum Vergleich der Mindestlohn: 2.570 Dirham/234 Euro) (ÖB 8.2021).
Chronische und psychiatrische Krankheiten oder auch AIDS-Dauerbehandlungen lassen sich in Marokko vorzugsweise in privaten Krankenhäusern behandeln. Bei teuren Spezialmedikamenten soll es in der öffentlichen Gesundheitsversorgung bisweilen zu Engpässen kommen. Bei entsprechender Finanzkraft ist fast jedes lokalproduzierte oder importierte Medikament erhältlich (AA 22.11.2022). Allerdings kann durch die medizinische Versorgung in Marokko die Sterblichkeit wesentlicher, bekannter Krankheiten weitestgehend reduziert werden. So sterben nach aktuellem Stand etwa 24 % aller Menschen, die an Krebs, Diabetes, Herzkreislauferkrankungen oder der Chylomikronen-Retentions-Krankheit (CRD) leiden (LI o.D.).
Auf 1.775 Einwohner entfällt ein Arzt. 152 öffentliche Krankenhäuser führen etwas mehr als 25.440 Betten (ein Spitalsbett auf ca. 1.381 Einwohner); daneben bestehen 2.408 Einrichtungen der medizinischen Grundversorgung. Inhaber der Carte RAMED können bei diesen Einrichtungen medizinische Leistungen kostenfrei erhalten. Wer weder unter das RAMED-System fällt, noch aus einem Anstellungsverhältnis pflichtversichert ist, muss für medizinische Leistungen aus Eigenem aufkommen (ÖB 8.2021). Nach anderen Angaben sind medizinische Dienste kostenpflichtig und werden bei bestehender gesetzlicher Krankenversicherung von dieser erstattet. Es gibt ein an die Beschäftigung geknüpftes Kranken- und Rentenversicherungssystem (CNSS). Seit 2015 können sich unter bestimmten Umständen auch Studierende und legal im Land aufhaltende Ausländer versichern lassen. Mittellose Personen können auf Antrag bei der Präfektur eine Carte RAMED zur kostenfreien Behandlung erhalten (AA 22.11.2022).
Im Mai 2021 streikten die Ärzte im öffentlichen Dienst 48-Stunden, um gegen die Untätigkeit der Behörden zu protestieren, und forderten eine bessere Ausstattung der öffentlichen Krankenhäuser, wie auch bessere Gehalts- und Arbeitsbedingungen (AI 29.3.2022). Nach Demonstrationen gegen hohe Lebensmittelpreise und politische Repressionen in Rabat am 4.12.2022, ergriff die Regierung auch weitere Maßnahmen und führte die medizinische Versorgung für alle Bürger ein, von welchen bereits 10 Mio. Menschen profitiert haben (BAMF 12.12.2022).
Die Pandemie hat auch die Anfälligkeit der Gesundheitsinfrastrukturen deutlich gemacht. Marokko verdoppelte seine Kapazität an Krankenhausbetten, es wurden Testzentren eingerichtet und im Jänner 2021 startete landesweit eine massive Impfkampagne (BS 23.2.2022). Allerdings produzierte Marokko während der Coronapandemie mehr Medizintechnik lokal, wie z.B. Verbrauchsgüter wie Masken, Desinfektionsmittel aber auch Beatmungsgeräte oder Notfallbetten. Der Großteil der Hightech-Produkte wird weiterhin durch Importe gedeckt. Marokko baut zudem Kapazitäten auf, um in einigen Jahren selbst Impfstoffe produzieren und entwickeln zu können (ABG 2.2023). Im Laufe des Jahres 2022 starben 1.445 Menschen an Covid-19. Bis Ende 2022 hatten 66,8 % der Bevölkerung mindestens eine Dosis des Covid-19-Impfstoffs erhalten (AI 27.3.2023). Seit Beginn der Pandemie bis zum 25.7.2023 wurden in Marokko 1.275.224 Infizierte und 16.297 Todesfälle gemeldet (LI o.D.).
Im Bereich der Basis-Gesundheitsversorgung wurde 2012 das Programm RAMED eingeführt und erstreckt sich auf 8,5 Mio. Einwohner der untersten Einkommensschichten bzw. auf vulnerable Personen, die bisher keinen Krankenversicherungsschutz genossen. Im Oktober 2012 waren bereits 1,2 Mio. Personen im RAMED erfasst (knapp 3 % der Haushalte). RAMED wird vom Sozialversicherungsträger ANAM administriert, der auch die Pflichtkrankenversicherung AMO der unselbstständig Beschäftigten verwaltet. Zugang haben Haushaltsvorstände und deren Haushaltsangehörige, die keiner anderen Pflicht-Krankenversicherung unterliegen. Die Teilnahme an RAMED ist gratis (Carte RAMED), lediglich vulnerable Personen zahlen einen geringen Beitrag (11 Euro pro Jahr pro Person). Ansprechbar sind die Leistungen im staatlichen Gesundheitssystem (Einrichtungen der medizinischen Grundversorgung und Vorsorge sowie Krankenhäuser) im Bereich der Allgemein- und Fachmedizin, stationärer Behandlung, Röntgendiagnostik etc. Die Dichte und Bestückung der medizinischen Versorgung ist auf einer Website des Gesundheitsministeriums einsehbar (ÖB 8.2021).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (8.6.2023): Marokko: Reise- und Sicherheitshinweise, https://www.auswaertiges-amt.de/de/ReiseUndSicherheit/marokkosicherheit/224080#content ₅, Zugriff 8.8.2023
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (22.11.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Marokko (Stand: November 2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2082727/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Marokko_%28Stand_November_2022%29%2C_22.11.2022.pdf , Zugriff 20.3.2023
ABG Africa Business Guide (2.2.2023): iMOVE Marktstudie Marokko, https://www.africa-business-guide.de/resource/blob/955164/019a4e7d034e6e87d9adf302ccb32f34/imove-marktstudie-marokko-data.pdf , Zugriff 25.7.2023
AI - Amnesty International (27.3.2023): Amnesty International Report 2022/23; The State of the World's Human Rights; Morocco And Western Sahara 2022, https://www.ecoi.net/en/document/2089568.html , Zugriff 11.4.2023
AI - Amnesty International (29.3.2022): Amnesty International Report 2021/22; The State of the World’s Human Rights; Morocco and Western Sahara 2021, https://www.ecoi.net/de/dokument/2070307.html , Zugriff am 31.3.2022
BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (12.12.2022): Briefing Notes, https://www.bamf.de/Sharehttps://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Behoerde/Informationszentrum/BriefingNotes/2022/briefingnotes-kw50-2022 .pdf ?__blob=publicationFile&v=6, Zugriff 12.4.2023
BMEIA - Bundesministerium Europäische und internationale Angelegenheiten [Österreich] (5.6.2023): Reiseinformation Marokko (Königreich Marokko), https://www.bmeia.gv.at/reise-services/reiseinformation/land/marokko/ , Zugriff 8.8.2023
BS - Bertelsmann Stiftung (23.2.2022): Country Report 2022 – Morocco, Güterloh: Bertelsmann Stiftung, https://www.ecoi.net/en/file/local/2069692/country_report_2022_MAR.pdf , Zugriff 8.8.2023
LI - Länderdaten.info (o.D.): Gesundheitswesen in Marokko, https://www.laenderdaten.info/Afrika/Marokko/gesundheit.php , Zugriff 26.7.2023
ÖB - Österreichische Botschaft in Rabat [Österreich] (8.2021): Asylländerbericht Marokko, https://www.ecoi.net/en/file/local/2060711/MARO_%C3%96B_Bericht_2021_08.pdf , Zugriff 26.7.2023
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Letzte Änderung 2023-08-11 12:55
Das Stellen eines Asylantrags im Ausland ist nicht strafbar und wird nach Erkenntnissen des Auswärtigen Amts von den Behörden nicht als Ausdruck oppositioneller Gesinnung gewertet (AA 22.11.2022).
Migrantinnen und Migranten können bei der freiwilligen Rückkehr aus Österreich nach Marokko durch die BBU (Rückkehrberatung und Organisation der Reise), bzw. IOM (Organisation der Reise im Falle von vulnerablen Personen oder Personen mit legalem Aufenthaltstitel in Österreich), nach Bestätigung der Kostenübernahme durch das BFA, unterstützt werden. Freiwillige Rückkehrer/innen aus Österreich nach Marokko haben zudem die Möglichkeit, nach Bestätigung der Projektaufnahme durch das BFA und Erfüllung der Teilnahmekriterien, am Reintegrationsprojekt Frontex JRS teilzunehmen (IOM 27.7.2023).
Das Reintegrationsprogramm „Frontex − Joint Reintegration Services“ (FX JRS) bietet Rückkehren, in Kooperation mit einer lokalen Partnerorganisation Unterstützung bei Ihrer Reintegration in Ihr Heimatland an. Das Post-arrival Paket im Wert von € 615 dient der unmittelbaren Unterstützung nach der Ankunft in Marokko. Es beinhaltet folgende Sofortleistungen: Nach der Begrüßung am Flughafen durch einen Reintegrationspartner und des Airports Pick-up, wie auch Unterstützung bei der Weiterreise (Organisation und Kostenübernahme), erhalten Rückkehrer u.a. eine Pre-Paid SIM-Karte, Hygieneartikel (Zahnbürste, Zahnpasta, Seife, Shampoo, etc.), eine Flasche Wasser, ein warmes Essen (auch als Gutschein möglich), altersgerechtes Spielzeug für Kinder. Zudem wird eine temporäre Unterkunft für bis zu drei Tage nach der Ankunft bereitgestellt und nach Bedarf auch unmittelbare medizinische Unterstützung (BMI 2023).
Des Weiteren sollte die rückkehrende Person keine oder weniger Sofortleistungen benötigen, erhält sie den anteiligen Betrag der € 615 vom lokalen Partner in bar ausbezahlt (BMI 2023).
Zur längerfristige Reintegrationsunterstützung, erhalten Rückkehrer ein Post-return Paket in der Höhe von Euro 2.000. Davon Euro 200 als Bargeld und Euro 1.800 in Form von Sachleistungen auf Grundlage eines Reintegrationsplans, der mit Hilfe der lokalen Partnerorganisation in den ersten sechs Monaten nach der Rückkehr erstellt wird. Zu den angebotenen Sachleistungen des Post-return Pakets gehören unter anderem: Unterstützung bei der Gründung eines Kleinunternehmens, Bildungsmaßnahmen, Trainings, Unterstützung beim Eintritt in den Arbeitsmarkt, bei der Einschulung von Kindern, wie auch rechtliche und administrative Beratungsleistungen, Familienzusammenführung, Unterstützung im Zusammenhang mit Wohnen und Haushalt (Einrichtung) und medizinische und psychosoziale Unterstützung (BMI 2023).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (22.11.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Marokko (Stand: November 2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2082727/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Marokko_%28Stand_November_2022%29%2C_22.11.2022.pdf , Zugriff 20.3.2023
BMI - Bundesministerium für Inneres [Österreich] (2023): Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen (BBU GmbH) - Marokko - So funktioniert die Rückreise in Ihre Heimat, https://www.returnfromaustria.at/morocco/morocco_deutsch.html , Zugriff 31.7.2023.
IOM - International Organization for Migration (27.7.2023): Informationen zur freiwilligen Rückkehr nach Marokko, Auskunft von IOM via E-Mail, Quelle liegt in der Staatendokumentation auf
2. Beweiswürdigung:
2.1. Zum Sachverhalt:
Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgebenden Sachverhaltes wurden im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweise erhoben durch die Einsichtnahme in den Akt der belangten Behörde unter zentraler Berücksichtigung der niederschriftlichen Angaben des Beschwerdeführers, in den bekämpften Bescheid und in das aktuelle „Länderinformationsblatt der Staatendokumentation“ zu Marokko.
Ergänzend wurden Auszüge aus dem zentralen Melderegister, dem Strafregister, dem Betreuungsinformationssystem der Grundversorgung und der Sozialversicherungsdatenbank eingeholt.
Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes der belangten Behörde und dem vorliegenden Gerichtsakt des Bundesverwaltungsgerichtes.
2.2. Zur Person des Beschwerdeführers und zum Sachverhalt:
Die Feststellungen ergeben sich primär aus den Angaben des Beschwerdeführers im ersten Asylverfahren in der Erstbefragung am 09.07.2023, in der Erstbefragung am 07.05.2024 und in den niederschriftlichen Einvernahmen am 16.05.2024 und am 29.05.2024.
Da der Beschwerdeführer den österreichischen Behörden kein identitätsbezeugendes Dokument vorlegte, welches als hinreichender Identitätsnachweis angesehen werden könnte, steht seine Identität nicht fest.
Dass er keiner legalen und der Pflichtversicherung unterliegenden Erwerbstätigkeit nachging, ergibt sich aus dem eingeholten Sozialversicherungsdatenauszug.
Die Feststellung zur mangelnden Integration des Beschwerdeführers ergibt sich aus der kurzen Aufenthaltsdauer und dem Fehlen von maßgeblichen Integrationsschritten.
Die strafgerichtliche Unbescholtenheit des Beschwerdeführers ergibt sich aus dem Strafregister der Republik Österreich.
2.3. Zum Herkunftsstaat:
Die Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat beruhen auf den aktuellen Länderinformationen der Staatendokumentation für Marokko vom 20.09.2023 samt den dort publizierten Quellen und Nachweisen. Diese Länderinformationen stützen sich auf Berichte verschiedener ausländischer Behörden, etwa die allgemein anerkannten Berichte des Deutschen Auswärtigen Amtes, als auch jene von Nichtregierungsorganisationen, wie bspw. Open Doors, sowie Berichte von allgemein anerkannten unabhängigen Nachrichtenorganisationen.
Angesichts der Seriosität und Plausibilität der angeführten Erkenntnisquellen sowie dem Umstand, dass diese Berichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängigen Quellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wissentliche Widersprüche darbieten, besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A)
3.1. Zur Rechtmäßigkeit der Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes:
3.1.1. Rechtslage und rechtlich relevante Bestimmungen
§ 12a AsylG lautet auszugsweise:
Faktischer Abschiebeschutz bei Folgeanträgen
§ 12a (1) Hat der Fremde einen Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23) nach einer zurückweisenden Entscheidung gemäß §§ 4a oder 5 oder nach jeder weiteren, einer zurückweisenden Entscheidung gemäß §§ 4a oder 5 folgenden, zurückweisenden Entscheidung gemäß § 68 Abs. 1 AVG gestellt, kommt ihm ein faktischer Abschiebeschutz nicht zu, wenn
1. gegen ihn eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG oder eine Ausweisung gemäß § 66 FPG erlassen wurde,
2. kein Fall des § 19 Abs. 2 BFA-VG vorliegt,
3. im Fall des § 5 eine Zuständigkeit des anderen Staates weiterhin besteht oder dieser die Zuständigkeit weiterhin oder neuerlich anerkennt und sich seit der Entscheidung gemäß § 5 die Umstände im zuständigen anderen Staat im Hinblick auf Art. 3 EMRK nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit maßgeblich verschlechtert haben., und
4. eine Abschiebung unter Berücksichtigung des Art. 8 EMRK (§ 9 Abs. 1 bis 2 BFA-VG) weiterhin zulässig ist.
(2) Hat der Fremde einen Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23) gestellt und liegt kein Fall des Abs. 1 vor, kann das Bundesamt den faktischen Abschiebeschutz des Fremden aufheben, wenn
1. gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG besteht,
2. der Antrag voraussichtlich zurückzuweisen ist, weil keine entscheidungswesentliche Änderung des maßgeblichen Sachverhalts eingetreten ist, und
3. die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung keine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2, 3 oder 8 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten und für ihn als Zivilperson keine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.
(6) Rückkehrentscheidungen gemäß § 52 FPG bleiben 18 Monate ab der Ausreise des Fremden aufrecht, es sei denn es wurde ein darüber hinausgehender Zeitraum gemäß § 53 Abs. 2 und 3 FPG festgesetzt. Anordnungen zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, Ausweisungen gemäß § 66 FPG und Aufenthaltsverbote gemäß § 67 FPG bleiben 18 Monate ab der Ausreise des Fremden aufrecht. Dies gilt nicht für Aufenthaltsverbote gemäß § 67 FPG, die über einen darüber hinausgehenden Zeitraum festgesetzt wurden.
Zur Voraussetzung des § 12a Abs. 2 Z 2 AsylG 2005 im Detail:
Zur Tatbestandsvoraussetzung des § 12a Abs. 2 Z 2 AsylG 2005 ("wenn der Antrag voraussichtlich zurückzuweisen ist, weil keine entscheidungswesentliche Änderung des maßgeblichen Sachverhalts eingetreten ist") führen die Gesetzesmaterialien (RV 220 BlgNR 24. GP 13) aus, dass "eine Grobprüfung in Form einer Prognose über die Zulässigkeit des Antrags" zu treffen ist. Zieht man das vom Gesetz angestrebte Ziel in Betracht, den faktischen Abschiebeschutz nur für "klar missbräuchliche Anträge" beseitigen zu wollen, kann damit nur gemeint sein, dass schon bei einer Grobprüfung die (spätere) Zurückweisung des Folgeantrags auf der Hand liegt, weil sich der maßgebliche Sachverhalt nicht entscheidungswesentlich geändert hat. Nicht jeder Folgeantrag, bei dem eine (spätere) Zurückweisung wegen entschiedener Sache gemäß § 68 AVG in Betracht kommen könnte, berechtigt daher zur Aberkennung des faktischen Abschiebeschutzes nach § 12a Abs. 2 AsylG 2005. Es muss sich vielmehr um einen Fall handeln, in dem sich dieser Verfahrensausgang von vornherein deutlich abzeichnet. Nur dann kann auch angenommen werden, dass die Antragstellung in Wirklichkeit den Zweck verfolgt, die Durchsetzung einer vorangegangenen und mit einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme verbundenen (rechtskräftigen) Vorentscheidung zu verhindern. Auf einen solchen missbräuchlichen Zweck deutet - unter Bedachtnahme auf Art. 41 Abs. 1 lit. b der Richtlinie 2013/32/EU - etwa auch die mehrfache Folgeantragstellung hin, wenn dieser keine substanziell neuen und eine andere Beurteilung rechtfertigenden Sachverhaltselemente zugrunde liegen. Möglich sind aber auch andere Umstände, die den Schluss zulassen, dass der Fremde mit seinem Folgeantrag eine (bevorstehende) Abschiebung verhindern oder verzögern möchte (vgl. VwGH vom 07.02.2020, Ra 2019/18/0487, 26.03.2020, Ra 2019/14/0079).
§ 22 Abs 10 AsylG lautet:
(10) Entscheidungen des Bundesamtes über die Aufhebung des Abschiebeschutzes gemäß § 12a Abs. 2 ergehen mündlich in Bescheidform. Die Beurkundung gemäß § 62 Abs. 2 AVG gilt auch als schriftliche Ausfertigung gemäß § 62 Abs. 3 AVG. Die Verwaltungsakten sind dem Bundesverwaltungsgericht unverzüglich zur Überprüfung gemäß § 22 BFA-VG zu übermitteln. Diese gilt als Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht; dies ist in der Rechtsmittelbelehrung anzugeben. Über die Rechtmäßigkeit der Aufhebung des Abschiebeschutzes hat das Bundesverwaltungsgericht im Rahmen der Überprüfung gemäß § 22 BFA-VG mit Beschluss zu entscheiden.
§ 22 BFA-Verfahrensgesetz lautet:
Überprüfung der Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes
§ 22. (1) Eine Entscheidung des Bundesamtes, mit der der faktische Abschiebeschutz eines Fremden aufgehoben wurde (§ 12a Abs. 2 AsylG 2005), ist vom Bundesverwaltungsgericht unverzüglich einer Überprüfung zu unterziehen. Das Verfahren ist ohne Abhaltung einer mündlichen Verhandlung zu entscheiden. § 20 gilt sinngemäß. § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG ist nicht anzuwenden.
(2) Die Aufhebung des Abschiebeschutzes gemäß § 12a Abs. 2 AsylG 2005 und eine aufrechte Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG oder eine Ausweisung gemäß § 66 FPG sind mit der Erlassung der Entscheidung gemäß § 12a Abs. 2 AsylG 2005 durchsetzbar. Mit der Durchführung der die Rückkehrentscheidung oder Ausweisung umsetzenden Abschiebung gemäß § 46 FPG ist bis zum Ablauf des dritten Arbeitstages ab Einlangen der gemäß § 22 Abs. 10 AsylG 2005 zu übermittelnden Verwaltungsakten bei der zuständigen Gerichtsabteilung des Bundesverwaltungsgerichtes zuzuwarten. Das Bundesverwaltungsgericht hat das Bundesamt unverzüglich vom Einlangen der Verwaltungsakten bei der zuständigen Gerichtsabteilung und von der im Rahmen der Überprüfung gemäß Abs. 1 getroffenen Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Aufhebung des Abschiebeschutzes zu verständigen.
(3) Über die Rechtmäßigkeit der Aufhebung des Abschiebeschutzes im Rahmen der Überprüfung gemäß Abs. 1 hat das Bundesverwaltungsgericht binnen acht Wochen zu entscheiden.
3.1.2. Anwendung der Rechtslage auf den konkreten Fall
Am 07.05.2024 stellte der Beschwerdeführer einen Folgeantrag auf internationalen Schutz.
Mit Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 08.08.2023 wurde über seinen am 09.07.2023 gestellten Asylantrag negativ entschieden und gegen ihn eine Rückkehrentscheidung erlassen.
Die Voraussetzung des § 12a Abs 2 Z 1 AsylG ist somit gegeben.
Der Beschwerdeführer machte im Verfahren über den Folgeantrag auf internationalen Schutz vor dem Bundesamt keine neuen entscheidungswesentlichen Fluchtgründe geltend.
Vielmehr bestätigte er in der Einvernahme ausdrücklich, dass die Fluchtgründe für das gegenständliche Verfahren dieselben Gründe seien, welcher er bereits im ersten Asylverfahren angegeben habe, neue Fluchtgründe gäbe es keine, daher liegt ein klar missbräuchlicher Antrag vor.
Somit hat sich seit dem negativen Abschluss des ersten Asylverfahrens keine maßgebliche Sachverhaltsänderung ergeben und ist daher der Folgeantrag auf Asyl auch voraussichtlich (wegen entschiedener Sache) zurückzuweisen.
Des Weiteren besteht ganz allgemein in einem sicheren Herkunftsstaat wie Marokko (§ 1 Z 9 Herkunftsstaaten-Verordnung – HStV) derzeit keine solche Gefährdungslage, dass gleichsam jeder, der dorthin zurückkehrt, einer Gefährdung im Sinne des Art 2 und 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur EMRK (ZPEMRK) ausgesetzt wäre.
Im Verfahren sind auch keine Umstände bekannt geworden und ergeben sich auch nicht aus den aktuellen Länderinformationen für Marokko, die nahelegen würden, dass bezogen auf den Beschwerdeführer ein reales Risiko einer gegen Art 2 oder 3 EMRK verstoßenden Behandlung bzw der Todesstrafe besteht.
Außerdem besteht kein schützenswertes Familien- oder Privatleben des Beschwerdeführers in Österreich.
Insgesamt liegen somit die Voraussetzungen des § 12a Abs 2 AsylG vor und hat das Bundesamt mit dem mündlich verkündeten Bescheid vom 29.05.2024 zu Recht den faktischen Abschiebeschutz aufgehoben.
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.
4. Zum Unterbleiben einer Verhandlung:
Gemäß § 22 Abs 1 zweiter Satz BFA-VG ist im Verfahren zur Überprüfung der Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes ohne Abhaltung einer mündlichen Verhandlung zu entscheiden.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art 133 Abs 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt.
Weder fehlt es an einer Rechtsprechung betreffend die Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes noch weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen.
Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
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