BVwG W217 2288486-1

BVwGW217 2288486-128.3.2024

BBG §40
BBG §41
BBG §45
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §28 Abs3 Satz2

European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2024:W217.2288486.1.00

 

Spruch:

 

 

W217 2288486-1/4E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Julia STIEFELMEYER als Vorsitzende und die Richterin Dr. Margit MÖSLINGER-GEHMAYR sowie die fachkundige Laienrichterin Verena KNOGLER, MA, BA als Beisitzerinnen über die Beschwerde von XXXX , geb. am XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen, Landesstelle XXXX , vom 31.01.2024, OB: XXXX , betreffend die Ausstellung eines Behindertenpasses, beschlossen:

A)

Der angefochtene Bescheid vom 31.01.2024 wird behoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen, Landesstelle XXXX , zurückverwiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

 

 

Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Frau XXXX (in der Folge Beschwerdeführerin), beantragte am 18.07.2023 beim Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (Sozialministeriumservice, in der Folge belangte Behörde) die Ausstellung eines Behindertenpasses. Als Gesundheitsschädigung gab sie Rückenschmerzen und psychische Erkrankungen an. Dem Antrag legte sie ein Konvolut an medizinischen Befunden bei.

2. Zur Überprüfung des Antrags holte die belangte Behörde ein Sachverständigengutachten von Dr. XXXX , Arzt für Allgemeinmedizin, ein.

2.1. Dieser führt in seinem Sachverständigengutachten vom 21.12.2023 basierend auf einer persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin am 24.11.2023 im Wesentlichen Folgendes aus:

„Anamnese:

Letzte hierortige Einstufung 2018-7 mit 20% (degenerative und posttraumatische Gelenksveränderungen 20, Linsentrübungen 0)

keine Operationen

seit ca. 15 Jahren Depressionen, bisher keine stat. Aufenthalte, Reha wegen Wirbelsäule in XXXX , Medikamente stabilisieren, Psychotherapie monatlich in der XXXX .

Derzeitige Beschwerden:

Die Antragswerberin klagt ‚über Schmerzen in den Bandscheiben lumbal mit Ausstrahlung in die Hüften, im Bauch und Brustbereich mit Herzklopfen, Ängste, sie sei ein paar mal in der Straßenbahn zusammengebrochen ohne amb. Behandlung, sie sei jetzt schon ein paar Jahre nicht mehr öffentlich gefahren.‘

Keine spezifizierte Allergie bekannt

Anderwärtige schwere Krankheiten, Operationen oder Spitalsaufenthalte werden negiert.

Behandlung(en) / Medikamente / Hilfsmittel:

Olanzapin, Pregabalin, Wellbutrin

Sozialanamnese:

seit ca. 2010 in einem Kindergarten der XXXX als Assistentin beschäftigt, seit Feb. 2023 wegen Mobbing im Krankenstand , verwitwet seit ca. 2001, 2 erw. Kinder,

wohnt alleine in einer Genossenschaftswohnung im 2. Stock mit Lift, einige Stufen sind zu überwinden.

Kein Pflegegeld

Zusammenfassung relevanter Befunde (inkl. Datumsangabe):

2023-10 mitgebrachter Befund, Psychiatrie XXXX Dr. XXXX : Rezidivierende majore Depression ohne psychotische Symptome,

WS-Beschwerden

Hochgradige Neuroforamenstenosen C5- C7

Omartrhalgie rechts,Piriformissyndrom Hüfte rechts

2023-7 Psychiatrie XXXX Dr. XXXX : Rezidivierende majore Depression ohne psychotische Symptome,

WS-Beschwerden

2023-7 Dr. XXXX , Orthopädie: Hochgradige Neuroforamenstenosen C5- C7 (siehe MRT Befund) Chronische Cervikobrachialgien Bursitis subacromialis re Omarthralgie dext, Acromioclaviculararthropathie dext, Piriformissyndrom Hüfte re – konserv. Therapie

2023-5 Psychiatrie XXXX Dr. XXXX : Rezidivierende majore Depression ohne psychotische Symptome,

WS-Beschwerden

2022-12 XXXX : Kreuzschmerz

Mittelgradige depressive Episode

Anpassungsstörungen Gelenkschmerz, Osteochondrose der Wirbelsäule, Spondylopathie

Radikulopathie: L3/L4, L4/L5 COVID-19 11/2021, chronisches Schmerzsyndrom

Patient wird in gutem Allgemeinzustand entlassen., Besserung

2022-10 Dr. XXXX Facharzt für Neurologie: Anpassungsstörung, Cervicalsyndrom

Untersuchungsbefund:

Allgemeinzustand:

56 jährige AW in gutem AZ kommt alleine zur Untersuchung, Rechtshänderin,

Ernährungszustand:

GUT

Größe: 167,00 cm Gewicht: 60,00 kg Blutdruck: 130/80

Klinischer Status – Fachstatus:

Haut: und sichtbare Schleimhäute gut durchblutet, kein Ikterus, keine periphere oder zentrale Zyanose

Caput: HNAP frei, kein Meningismus, sichtbare Schleimhäute: unauffällig Zunge feucht, wird gerade hervorgestreckt, normal

Brillenträgerin

PR unauffällig, Rachen: bland,

Gebiß: prothetisch, Hörvermögen ohne Hörgerät unauffällig

Collum: Halsorgane unauffällig, keine Einflußstauung, keine Stenosegeräusche

Thorax: symmetrisch,

Cor: HT rhythmisch, mittellaut, normfrequent Puls: 72 / min

Pulmo: sonorer KS, Vesikuläratmen, Basen atemverschieblich, keine Dyspnoe in Ruhe und beim Gang im Zimmer

Abdomen: Bauchdecken IM Thoraxniveau, Hepar nicht vergrößert, Lien nicht palpabel, keine pathologischen Resistenzen tastbar, indolent,

NL bds. frei

Extremitäten:

OE: Tonus, Trophik und grobe Kraft altersentsprechend unauffällig.

Nacken und Schürzengriff gut möglich,

endlagige Bewegungsschmerzen rechte Schulter, sonst in den Gelenken altersentsprechend frei beweglich, Faustschluß beidseits unauffällig

eine Sensibilitätsstörung wird nicht angegeben

Feinmotorik und Fingerfertigkeit ungestört.

UE: Tonus, Trophik und grobe Kraft altersentsprechend unauffällig. Bewegungsschmerzen beide Hüften, sonst in den Gelenken altersentsprechend frei beweglich, Bandstabilität,

keine Sensibilitätsausfälle, selbständige Hebung beider Beine von der Unterlage möglich, Grobe Kraft an beiden Beinen seitengleich normal.

Fußpulse tastbar, verstärkte Venenzeichnung keine Ödeme PSR: seitengleich unauffällig, Nervenstämme: frei, Lasegue: neg.

Wirbelsäule: In der Aufsicht gerade, weitgehend im Lot, in der Seitenansicht gering verstärkte Brustkyphose, trägt verstärktes Stoffmieder, FBA: nicht durchgeführt, Aufrichten frei,

kein Klopfschmerz, Schober: , Ott: unauffällig,

altersentsprechend freie Seitneigung und Seitdrehung der LWS, altersentsprechend freie Beweglichkeit der HWS, Kinn-Brustabstand: 1 cm,

Hartspann der paravertebralen Muskulatur,

Gesamtmobilität – Gangbild:

kommt mit Konfektionsschuhen frei gehend weitgehend unauffällig, Zehenballen- und Fersengang sowie Einbeinstand beidseits möglich. Die tiefe Hocke wird ohne Anhalten nahezu vollständig durchgeführt. Vermag sich selbständig aus- und wieder anzuziehen

Status Psychicus:

Bewußtsein klar.

gut kontaktfähig, Allseits orientiert, Gedanken in Form und Inhalt geordnet, psychomotorisch ausgeglichen, Merk- und Konzentrationsfähigkeit erhalten; keine produktive oder psychotische Symptomatik,

Antrieb unauffällig, Affekt: dysthym

Ergebnis der durchgeführten Begutachtung:

Lfd. Nr.

Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktions-einschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden:

Begründung der Positionsnummer und des Rahmensatzes:

Pos.Nr.

Gdb %

1

Degenerative und posttraumatische Veränderungen des Stütz- und

Bewegungsapparates

Oberer Rahmensatz, da Beschwerden im Bereich der

Lendenwirbelsäule, Hüften, rechten Schulter und im linken Handgelenk bei jeweils geringgradigen funktionellen Einschränkungen.

02.02.02

20

2

rezidivierende Depression

Heranziehung dieser Position mit 1 Stufe über dem unteren Rahmensatz, da durch regelmäßige Medikamenteneinnahme stabilisierbar.

03.06.01

20

3

Beginnende Linsentrübungen, Weitsichtigkeit und Astigmatismus

beidseits mit normalem Sehvermögen beidseits

Tabelle Kolonne1 Zeile1

11.02.01

0

    

Gesamtgrad der Behinderung 20 v. H.

Begründung für den Gesamtgrad der Behinderung:

Leiden 2 erhöht nicht weiter, da keine maßgebliche ungünstige wechselseitige Leidensbeeinflussung besteht.

Leiden 3 erhöht nicht, da von zu geringer funktioneller Relevanz

Folgende beantragten bzw. in den zugrunde gelegten Unterlagen diagnostizierten Gesundheitsschädigungen erreichen keinen Grad der Behinderung:

Stellungnahme zu gesundheitlichen Änderungen im Vergleich zum Vorgutachten:

ERstmalige Berücksichtigung von Leiden 2

Änderung des Gesamtgrades der Behinderung im Vergleich zu Vorgutachten:

Keine Änderung.

X Dauerzustand

(…)“

2.2. Das von der belangten Behörde eingeholte Sachverständigengutachten wurde dem Parteiengehör unterzogen. Die Beschwerdeführerin gab unter Vorlage weiterer Befunde bekannt, sie sei seit 27. Februar 2023 im Krankenstand mit der Diagnose „rezidivierende Majore Depression F33.2“, welche u.a. auch zu Folgen wie Anpassungsstörung führe. Am 09.07.2013 sei von Dr. XXXX ein Cervicalsyndrom festgestellt worden. Des Weiteren sei aus psychiatrischer Sicht eine Arbeitsfähigkeit derzeit nicht gegeben. Im Schreiben vom Sozialministerium werde festgehalten, dass sich ihre Krankheit mit Medikamenten, die sie zu sich nehme, deutlich verbessert habe, allerdings sei sie diesbezüglich nie untersucht worden.

3. Daraufhin holte die belangte Behörde eine Stellungnahme des bereits befassten Arztes für Allgemeinmedizin ein. Dieser führt in der Stellungnahme vom 30.01.2024 aus:

„Antwort(en):

Die Antragswerberin gab im Rahmen des Parteiengehörs vom 23.1.2024 an, daß sie mit dem Ergebnis des Ermittlungsverfahrens nicht einverstanden sei, da ihre Leiden zu gering eingeschätzt worden seien.

Beigelegt wurden neue Befunde von Dr. XXXX , Psychiatrie XXXX - zuletzt von 1/2024 mit den unverändert beschriebenen Diagnosen: Rezidivierende majore Depression ohne psychotische Symptome, WS-Beschwerden Hochgradige Neuroforamenstenosen C5- C7 Omartrhalgie rechts, Piriformissyndrom Hüfte rechts – wobei die Befürwortung der Berufsunfähigkeitspension empfohlen wird und dem bereits vorliegenden Befund, von Dr. XXXX von 10/2022, der damals eine Anpassungsstörung und Cervikalsyndrom beschreibt.

Sowie ein Befund von Dr. XXXX , Arzt für Allgemeinmedizin vom 5/2017, der einen Discusprolaps L3/4 U.L4/5, M. Raynaud, sek. neurogen aggraviert (LWS), chron. venöse Insuffizienz bds. klin. St.l, rechtskonvexe Skoliose LWS und larv.Depressio feststellt.

Ein weiterer Befund wurde bis jetzt noch nicht vorgelegt -

Die vom Antragsteller beim Antrag und bei der Untersuchung vorgebrachten Leiden wurden von allgemeinmedizinischer Seite unter Beachtung der vom Antragsteller zur Verfügung gestellten Befunde zur Kenntnis genommen und insbesondere das Augenleiden, die Veränderungen des Stützapparates und das psychiatrische Leiden einer Einschätzung gemäß der geltenden EVO unterzogen.

Die neu vorgelegten Befunde zeigen keine Veränderungen auf, die einen höheren Behinderungsgrad bewirken müßten.

Eine einschätzungsrelevanter Morbus Raynaud oder chron. venöse Insuffizienz konnte bei der hierortigen Untersuchung nicht objektiviert werden.

Insgesamt beinhalten die nachgereichten Einwendungen daher keine ausreichend relevanten Sachverhalte, welche eine Änderung des Gutachtens bewirken würden, sodaß daran festgehalten wird.

4. Mit Bescheid vom 31.01.2024 wies die belangte Behörde den Antrag der Beschwerdeführerin auf Ausstellung eines Behindertenpasses ab und legte ihren Grad der Behinderung mit 20 % fest. Die belangte Behörde stützte sich dabei auf das eingeholte Gutachten des beauftragten Sachverständigen Dr. XXXX vom 21.12.2023 und seine Stellungnahme vom 30.01.2024, welche einen Bestandteil der Begründung des Bescheides bilden würden.

5. Mit E-Mail vom 05.03.2024 erhob die Beschwerdeführerin fristgerecht Beschwerde gegen den Bescheid vom 31.01.2024. Darin wurde unter Beilage eines weiteren Befundberichtes einer FÄ f. Psychiatrie und Psychotherapeutische Medizin erneut ausgeführt, die Beschwerdeführerin leide unter einer therapieresistenten rezidivierenden Majore Depression ohne psychotische Symptome F33.2, weshalb sie nicht in der Lage sei, einer Arbeit nachzukommen. Ihr psychischer Zustand habe sich bis dato nicht gebessert, obwohl sie medikamentös behandelt werde. Begehrt wurde eine Einschätzung durch einen Facharzt für Psychiatrie.

6. Am 18.03.2024 wurde der Verwaltungsakt dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vorgelegt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Gemäß § 6 des Bundesgesetzes über die Organisation des Bundesverwaltungsgerichtes (Bundesverwaltungsgerichtsgesetz – BVwGG), BGBl. I Nr. 10/2013 idgF, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Gemäß § 45 Abs. 3 BBG hat in Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen. Gegenständlich liegt somit Senatszuständigkeit vor.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013, geregelt (§ 1 leg.cit .). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist. Gemäß § 31 Abs. 1 VwGVG erfolgen die Entscheidungen und Anordnungen durch Beschluss, soweit nicht ein Erkenntnis zu fällen ist.

Zu Spruchpunkt A:

Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden,

1. wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder

2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Liegen die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vor, hat gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

Das Modell der Aufhebung des Bescheides und Zurückverweisung der Angelegenheit an die Behörde folgt konzeptionell jenem des § 66 Abs. 2 AVG, allerdings mit dem Unterschied, dass die Notwendigkeit der Durchführung einer mündlichen Verhandlung nach § 28 Abs. 3 VwGVG nicht erforderlich ist. Voraussetzung für eine Aufhebung und Zurückverweisung ist allgemein (nur) das Fehlen behördlicher Ermittlungsschritte. Sonstige Mängel, abseits jener der Sachverhaltsfeststellung, legitimieren nicht zur Behebung auf Grundlage von § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG (Fister/Fuchs/Sachs, Verwaltungsgerichtsverfahren (2013), § 28 VwGVG, Anm. 11.). § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG bildet damit die Rechtsgrundlage für eine kassatorische Entscheidung des Verwaltungsgerichtes, wenn die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen hat. Ist die Voraussetzung des § 28 Abs. 2 Z 1 VwGVG erfüllt, hat das Verwaltungsgericht (sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist) "in der Sache selbst" zu entscheiden.

Der Verwaltungsgerichtshof geht in seiner Judikatur zur Entscheidungsbefugnis des Bundesverwaltungsgerichts gemäß § 28 VwGVG (vgl. VwGH vom 26.06.2014, Zl. Ro 2014/03/0063) grundsätzlich von einem prinzipiellen Vorrang einer meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte aus. Eine meritorische Entscheidungspflicht des Verwaltungsgerichtes liegt jedenfalls gemäß § 28 Abs. 2 Z 1 VwGVG vor, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht. Dies ist der Fall, wenn der entscheidungsrelevante Sachverhalt bereits im verwaltungsbehördlichen Verfahren geklärt wurde. Davon ist auszugehen, wenn sich aus der Zusammenschau der im verwaltungsbehördlichen Bescheid getroffenen Feststellungen (im Zusammenhalt mit den dem Bescheid zu Grunde liegenden Verwaltungsakten) mit dem Vorbringen in der gegen den Bescheid erhobenen Beschwerde kein gegenläufiger Anhaltspunkt ergibt.

Die verbleibenden Ausnahmen von der meritorischen Entscheidung in der Sache selbst sind strikt auf den ihnen gesetzlich zugewiesenen Raum beschränkt. Die in § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG verankerte Zurückverweisungsentscheidung stelle eine solche Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungsbefugnis der Verwaltungsgerichte dar. Normative Zielsetzung ist, bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken von der Möglichkeit der Zurückverweisung Gebrauch zu machen. Davon ist auszugehen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde etwa schwierige Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden. Wird das Treffen einer meritorischen Entscheidung verneint, hat das Verwaltungsgericht auch nachvollziehbar zu begründen, dass die Voraussetzungen der Z 1 und Z 2 des § 28 VwGVG nicht vorliegen.

Das im § 28 VwGVG insgesamt normierte System, in dem insbesondere die normative Zielsetzung der Verfahrensbeschleunigung bzw. der Berücksichtigung einer angemessenen Verfahrensdauer ihren Ausdruck findet, verlangt, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht wird.

Der angefochtene Bescheid erweist sich in Bezug auf den zu ermittelnden Sachverhalt aus folgenden Gründen als mangelhaft:

Bereits aus den vorgelegten medizinischen Unterlagen, die die Beschwerdeführerin ihrem Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses beilegte, geht hervor, dass sie unter anderem an Erkrankungen leidet, die eindeutig der psychiatrischen Fachrichtung zuzuordnen sind.

Dazu wird auf folgende medizinische Befunde verwiesen, die von der Beschwerdeführerin vorgelegt wurden:

 Befundbericht eines Facharztes für Neurologie vom 25.10.2022 „Diagnosen: Anpassungsstörung, Cervicalsyndrom

 Ärztlicher Entlassungsbericht Lebens.Resort XXXX vom 18.12.2022 („… Psychologisch: Empfehlung: - Beginn einer psychotherapeutischen Behandlung. – regelmäßige fachärztliche Konsultation ….“)

 Sanatorium XXXX vom 02.05.2023 Bestätigung psychotherapeutische Gespräche

 Befundberichte vom 22.03.2023, 08.05.2023, 13.06.2023, 06.07.2023, 23.08.2023, 02.10.2023, 08.11.2023, 06.12.2023, 09.01.2024 und 21.02.2024 „Diagnose: rezidivierende majore Depression ohne psychotische Symptome, F33.2 …..“, einer FÄ f. Psychiatrie und Psychotherapeutische Medizin. Im Bericht vom 21.02.2024 wird der Psych-Status mit „Stimmung gedrückt, affektarm, negativ affizierbar, negative Gedanken, Antrieb stark red., planlos, Lebensüberdruss“ festgehalten und aus psychiatrischer Sicht eine Arbeitsfähigkeit als derzeit nicht gegeben und die Befürwortung der Berufsunfähigkeitspension empfohlen.

Die belangte Behörde hat dessen ungeachtet zur Überprüfung der Leiden ein Gutachten vom 21.12.2023 und eine Stellungnahme vom 30.01.2024 aus dem Bereich der Allgemeinmedizin eingeholt. Der Sachverständige für Allgemeinmedizin Dr. XXXX hat eine rezidivierende Depression in seinem Gutachten festgestellt und diese unter der Positionsnummer 03.06.01, eine Stufe über dem unteren Rahmensatz, sohin als depressive Störung leichten Grades, mit einem Grad der Behinderung von 20 % eingestuft. Begründend führte er aus, dass der Zustand durch eine regelmäßige Medikamenteneinnahme stabilisierbar sei, und hielt zum psychopathologischen Status fest, dass bei der Beschwerdeführerin keine produktive oder psychotische Symptomatik vorliege, ihr Antrieb unauffällig und der Affekt dysthym sei. In der Stellungnahme vom 30.01.2024 hielt der Sachverständige lediglich fest, dass weitere Befunde nicht vorgelegt wurden. Diese Feststellungen sind jedoch nicht ausreichend zur Beurteilung der beantragten Ausstellung eines Behindertenpasses. Dies auch dahingehend, als die Beschwerdeführerin vorbrachte, dass sie durch die Depression nicht in der Lage sei, einer Arbeit nachzukommen und die sie behandelnde FÄ f. Psychiatrie und psychotherapeutische Medizin sogar die Befürwortung einer Berufsunfähigkeitspension empfiehlt.

Mangels Fachkenntnissen des begutachtenden Mediziners aus dem genannten Bereich ist zu den psychischen Erkrankungen weder eine ausreichende Auseinandersetzung mit den vorgelegten Befunden und medizinischen Unterlagen noch eine qualifizierte Beurteilung erfolgt. So ist eine schlüssige und nachvollziehbare Auseinandersetzung mit den dazu vorgelegten Befunden im vorliegenden Gutachten und in der Stellungnahme nicht im ausreichenden Maße zu entnehmen. Es ergibt sich aus den vorgelegten medizinischen Unterlagen eindeutig, dass die Beschwerdeführerin an einer psychischen Erkrankung leidet.

Im gegenständlichen Fall wäre zur schlüssigen und umfassenden Einschätzung ihrer psychischen Erkrankung die Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens der Fachrichtung Psychiatrie und Neurologie erforderlich gewesen, dies vor allem vor dem Hintergrund der von der Beschwerdeführerin vorgelegten Beweismittel, die dieser Fachrichtung eindeutig zuzuordnen sind.

Das der angefochtenen Entscheidung zu Grunde gelegte allgemeinmedizinische Sachverständigengutachten vom 21.12.2023 und die Stellungnahme vom 30.01.2024 sind daher hinsichtlich der psychischen Leiden der Beschwerdeführerin und somit bezüglich der Beurteilung ihres Gesamtleidenszustandes nicht nachvollziehbar und können keine taugliche Grundlage zur Feststellung des Gesamtgrades der Behinderung bilden.

Ein Gutachten bzw. eine medizinische Stellungnahme, die Ausführungen darüber vermissen lässt, aus welchen Gründen der ärztliche Sachverständige zu einer Beurteilung gelangt ist, stellt keine taugliche Grundlage für die von der belangten Behörde zu treffenden Entscheidung dar (VwGH 20.03.2011, 2000/11/0321).

Die seitens des Bundesverwaltungsgerichtes erforderliche Überprüfung im Rahmen der freien Beweiswürdigung ist auf dieser Grundlage daher nicht möglich. Aufgrund der vorliegenden Unterlagen ist nicht nachvollziehbar, warum die belangte Behörde darauf verzichtet hat, ein Gutachten aus dem Bereich der Psychiatrie und Neurologie einzuholen. Im gegenständlichen Fall wäre zur schlüssigen und umfassenden Einschätzung der vorliegenden Gesundheitsschädigung der Beschwerdeführerin jedenfalls auch die Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens der genannten Fachrichtung erforderlich gewesen.

Aus den dargelegten Gründen ist davon auszugehen, dass die belangte Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhaltes unterlassen hat. Der vorliegende Sachverhalt erweist sich zur Beurteilung des Vorliegens der Voraussetzungen für die beantragte Ausstellung eines Behindertenpasses als so mangelhaft, dass weitere Ermittlungen bzw. konkretere Sachverhaltsfeststellungen erforderlich sind.

Eine Nachholung des durchzuführenden Ermittlungsverfahrens durch das Bundesverwaltungsgericht kann im Lichte der oben zitierten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu § 28 VwGVG nicht im Sinne des Gesetzes liegen. Dass eine unmittelbare weitere Beweisaufnahme durch das Bundesverwaltungsgericht „im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden“ wäre, ist – angesichts des mit dem bundesverwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren als Mehrparteienverfahren verbundenen erhöhten Aufwandes – nicht ersichtlich. Die Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 VwGVG sind somit im gegenständlichen Beschwerdefall nicht gegeben. Da der maßgebliche Sachverhalt im Fall des Beschwerdeführers noch nicht feststeht und vom Bundesverwaltungsgericht auch nicht rascher und kostengünstiger festgestellt werden kann, war in Gesamtbeurteilung der dargestellten Erwägungen der angefochtene Bescheid gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG zu beheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die belangte Behörde zurückzuverweisen.

Im fortgesetzten Verfahren wird die belangte Behörde ein medizinisches Sachverständigengutachten der Fachrichtung Psychiatrie und Neurologie basierend auf einer persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin zur Beurteilung ihrer psychischen Erkrankung einzuholen und bei der Entscheidungsfindung zur Ermittlung des Gesamtgrades der Behinderung in Zusammenhang mit den anderen Leiden der Beschwerdeführerin zu berücksichtigen haben. Von den Ergebnissen des weiteren Ermittlungsverfahrens wird die Beschwerdeführerin mit der Möglichkeit zur Abgabe einer Stellungnahme unter Wahrung des Parteiengehörs in Kenntnis zu setzen sein.

Zu Spruchpunkt B (Revision):

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

In den rechtlichen Ausführungen zu Spruchteil A wurde ausführlich unter Bezugnahme auf die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. u.a. Erkenntnis vom 26.06.2014, Ro 2014/03/0063) ausgeführt, dass im verwaltungsbehördlichen Verfahren notwendige Ermittlungen unterlassen wurden, weshalb die Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung dieser Ermittlungen geboten war.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

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