AsylG 2005 §3 Abs1
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2
European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2022:W129.2243004.1.00
Spruch:
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter DDr. Markus GERHOLD über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. SYRIEN, vertreten durch Dr. Bernhard Steinbüchler, Mag. Harald Mühlleitner, Mag. Georg Wageneder, Dr. Martin Steinbüchler und Mag. Hubert Weidinger, Rechtsanwälte in 4490 St. Florian/Linz, Leopold-Kotzmann-Straße 10, gegen den Spruchpunkt I. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, vom 03.05.2021, Zahl: 1272747710-201304825, betreffend eine Angelegenheit nach dem AsylG 2005, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:
A)
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer (in Folge: BF), ein syrischer Staatsangehöriger, stellte am 24.12.2020 einen Antrag auf internationalen Schutz. Bei der Erstbefragung am folgenden Tag durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab der BF im Wesentlichen an, dass er sein Heimatland wegen des Krieges verlassen habe. Bei einer Rückkehr habe er Angst, zum Militär einrücken und mitkämpfen zu müssen, da er im wehrfähigen Alter sei.
2. Am 09.04.2021 erfolgte die niederschriftliche Einvernahme des BF vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in Folge: Bundesamt), bei der er zunächst angab, dass er bisher keinen Militärdienst geleistet habe. Er habe diesen als Student immer für eine lange Zeit aufschieben können. Er habe mit seinem letzten Aufschub gerade in den Libanon reisen können. Danach hätte er sich in Syrien nicht mehr frei bewegen können. Er hätte keinen Aufschub mehr beantragen können. Zu seinem Fluchtgrund brachte er im Wesentlichen vor, dass er nach seinem Studienabschluss als Volksschullehrer gearbeitet habe und immer wieder von Ort zu Ort flüchten habe müssen, weil die Schulen attackiert und die Schüler bzw. Lehrer getötet worden seien. Es sei immer schwerer geworden, seine Schüler zu unterrichten. Kurz vor Ablauf seines Aufschubes habe er gewusst, dass er nicht mehr in Syrien bleiben kann bzw. dass ihn die Militärbehörde einberufen wird. Anschließend erklärte er die Formalitäten seiner legalen Ausreise in den Libanon, wo er sich dann fünf Jahre mit seiner Familie aufgehalten habe. Befragt, wie er zu seinem Einberufungsbefehl gekommen sei, erklärte er, dass man dieses Schreiben mit jedem Aufschub bekommen würde. Auf Nachfrage bestätigte er, dass dieses Schreiben bei einem weiteren Aufschub hinfällig wird. Da es sich aber um seinen letzten Aufschub gehandelt habe und er nicht mehr verlängern hätte können, sei der Einberufungsbefehl wirksam geworden. Bei einer Rückkehr müsste er mit einer Strafe rechnen. Wenn er nicht die Todesstrafe bekommt, dann würden sie ihn in den Krieg schicken.
3. Mit dem angefochtenen Bescheid wies das Bundesamt den Antrag des BF auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ab (Spruchpunkte I.), erkannte ihm den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu und erteilte eine befristete Aufenthaltsberechtigung für ein Jahr (Spruchpunkte II. und III.).
4. Gegen Spruchpunkt I. dieses Bescheides erhob der BF am 28.05.2021 Beschwerde. Die Beschwerde wurde, samt bezugshabenden Verwaltungsakt, dem Bundesverwaltungsgericht (in Folge: BVwG) am 02.06.2021 vorgelegt.
5. Der BF stellte durch seinen rechtsfreundlichen Vertreter mit Schriftsatz vom 17.08.2022 einen Fristsetzungsantrag.
6. Mit verfahrensleitender Anordnung des Verwaltungsgerichtshofes vom 25.08.2022 wurde das Bundesverwaltungsgericht aufgefordert, binnen drei Monaten die Entscheidung zu erlassen oder anzugeben, warum eine Verletzung der Entscheidungspflicht nicht vorliegt.
7. Mit Beschwerdeergänzung vom 07.09.2022 wurde zusammenfassend im Wesentlichen mitgeteilt, dass das Vorbringen des BF, aus Gewissensgründen an keinen Kampfhandlungen teilnehmen zu wollen, von der Behörde nicht hinterfragt, sondern schlichtweg ignoriert und auch keiner Beweiswürdigung unterzogen worden sei. Die Entscheidung sei daher mit Willkür belastet, zumal sie zugleich eine Ungleichbehandlung von Fremden untereinander begründen würde. Weiters wurden zahlreiche Urkunden, zum Teil in Kopie, vorgelegt.
8. Am 05.09.2022 führte das BVwG eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, bei der der BF unter Zuhilfenahme eines Dolmetschers für Arabisch ausführlich zu seinen Fluchtgründen befragt wurde.
9. Mit Schriftsatz vom 07.11.2022 legte der Beschwerdeführer insbesondere Fotos und Unterlagen zu seinem Studienabschluss vor.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Zur Person des BF:
Der BF führt den im Spruch genannten Namen und ist an dem oben genannten Datum geboren. Seine Identität steht fest. Er ist syrischer Staatsangehöriger, gehört der Volksgruppe der Araber an und bekennt sich zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islam. Die Muttersprache des BF ist Arabisch.
Der BF ist im Dorf XXXX , in der Provinz Homs geboren und hatte im Wesentlichen dort seinen Lebensmittelpunkt. Lediglich während seines Studiums hat er in Ägypten und nach der Ausreise aus seiner Heimat rund fünf Jahre im Libanon gelebt ( XXXX ). Er besuchte zwölf Jahre die Schule und nach der Matura vier Jahre die Universität, wobei er das Studium der arabischen Sprache abschloss. Anschließend hat er mit seinem Vater als Bauarbeiter sein Geld verdient. Danach hat er in seiner Heimat einige Jahre als Arabischlehrer gearbeitet. Dabei hat aufgrund der kriegerischen Auseinandersetzungen wiederholt der Ort seiner Unterrichtstätigkeit gewechselt. Im Libanon hat er dann als Tischler und Verkäufer bzw. Gemüsehändler seinen Lebensunterhalt bestritten.
Der BF ist verheiratet und hat drei Kinder, die mit der Mutter (wieder) in Syrien leben. Auch seine Eltern und ein Bruder sowie eine Schwester leben nach wie vor in der Heimat. Ein Bruder lebt im Libanon, zwei Tanten, eine Cousine und 10 Cousins leben in Deutschland. Der BF verfügt über einen syrischen Personalausweis (ID-Karte) und einen abgelaufenen Reisepass.
Der BF verließ seine Heimat im XXXX legal mit seinem syrischen Reisepass in Richtung Libanon (Beirut). Dort lebte er rund fünfeinhalb Jahre ( XXXX ) gemeinsam mit seiner Frau und seinen drei Kindern. Danach reiste er alleine in die Türkei und nach ungefähr zwei Monaten nach Griechenland weiter, von wo aus er schließlich über Serbien (eineinhalb Monate Aufenthalt) und Ungarn illegal ins Bundesgebiet einreiste und am 24.12.2020 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz stellte. Mit Bescheid vom 03.05.2021 wurde ihm der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt. Die Stellung des Antrags auf internationalen Schutz durch den BF in Österreich ist dem syrischen Regime bzw. den syrischen Behörden nicht bekannt geworden.
1.2. Zu den Fluchtgründen des BF:
Der BF hat das Land hauptsächlich wegen des herrschenden Krieges verlassen.
Der BF hat wegen seiner Ausbildung wiederholt Aufschub erhalten und somit bislang noch keinen Wehrdienst geleistet. Obwohl er seine universitäre Ausbildung schon abgeschlossen und bereits als Arabischlehrer gearbeitet hat, wurde seinem Ausreiseantrag von der zuständigen Behörde stattgegeben und war ihm letztlich eine legale Ausreise aus seiner Heimat möglich. Er hat damit offenkundig die gesetzlich vorgesehenen Ausreiseformalitäten für Männer im wehrfähigen Alter erfüllt. Es ist daher nicht davon auszugehen, dass eine unmittelbare Einziehung des BF zur syrischen Armee beabsichtigt war bzw. dass er als Wehrdienstverweigerer angesehen wird. Abgesehen davon befindet er sich aktuell zwar im XXXX Lebensjahr, somit grundsätzlich noch im wehrfähigen Alter, jedoch ziehen die syrischen Behörden laut Länderberichten vornehmlich Männer bis zu einem Alter von 27 Jahren ein, während Ältere sich eher auf Ausnahmen berufen können. Es konnte auch weder das Vorliegen eines (regulären) Einberufungsbefehls bzw. die Gefahr, als Soldat bzw. Wehrdienstleistender zur syrischen Armee eingezogen zu werden, festgestellt werden, noch haben sich ausreichende Hinweise oder Anhaltspunkte dafür ergeben, dass der BF wirklich in den Fokus der syrischen Militärbehörden geraten wäre und dass ihm tatsächlich die unmittelbare Gefahr droht, zur syrischen Armee eingezogen zu werden. Es kann daher nicht festgestellt werden, dass sich der BF in Syrien dem Militärdienst „entzogen“ hat. Folglich wird auch eine Gefahr, durch das syrische Regime wegen einer Wehr- oder Reservedienstverweigerung als oppositionell eingestuft zu werden, nicht festgestellt. Ebenso wird eine Gefährdung, im Fall einer Rückkehr nach Syrien durch andere Gruppierungen zwangsrekrutiert zu werden, nicht festgestellt (vgl. Beschwerde).
Ferner gibt es keinen stichhaltigen und belastbaren Hinweis darauf, dass der BF in exponierter Form an (exil)politischen gegen das syrische Regime gerichteten Aktivitäten, wie z.B. Demonstrationen innerhalb oder außerhalb seines Landes teilgenommen hat, sodass er dadurch mit entsprechender Wahrscheinlichkeit ins Blickfeld der syrischen Behörden geraten sein könnte, oder dass er auch nur eine derartige regimekritische Gesinnung haben bzw. öffentlich kundtun würde, sodass ihm bei einer Rückkehr auch aus diesem Grund keine Verfolgung durch das Regime oder durch sonstige Gruppen droht. Insbesondere konnte er nicht glaubhaft vermitteln, dass er tatsächlich in den Fokus der syrischen Behörden bzw. des Regimes geraten ist.
Das Herkunftsgebiet des BF ist mittlerweile in der Hand der syrischen Streitkräfte (vgl. https://syria.liveuamap.com/ ), dem BF droht daher weder mit hinreichender Wahrscheinlichkeit eine Zwangsrekrutierung durch oppositionelle Gruppierungen bzw. andere Kriegsparteien, noch eine Verfolgung durch das Regime, die syrische Armee oder andere Organe des Regimes.
Schließlich kann nicht festgestellt werden, dass der BF einer konkreten Verfolgung oder Bedrohung in Syrien aus anderen in der Genfer Flüchtlingskonvention enthaltenen Gründen ausgesetzt ist oder eine solche, im Falle seiner Rückkehr, zu befürchten hätte.
Letzten Endes ist in diesem Zusammenhang darauf hinzuweisen, dass es sich vor dem Hintergrund der Zuerkennung des subsidiären Schutzes an den BF dabei ohnehin lediglich um eine hypothetische Beurteilung der Rückkehrsituation handelt.
1.3. Zur maßgeblichen Situation im Herkunftsland:
Die syrischen Streitkräfte - Wehr- und Reservedienst
Letzte Änderung: 25.04.2022
Für männliche syrische Staatsbürger ist im Alter zwischen 18 bis 42 Jahren die Ableistung eines Wehrdienstes von zwei Jahren gesetzlich verpflichtend (ÖB 29.9.2020). Laut Gesetzesdekret Nr. 30 von 2007 Art. 4 lit b gilt dies vom 1. Januar des Jahres, in dem das Alter von 18 Jahren erreicht wird, bis zum Überschreiten des Alters von 42 Jahren (PAR 12.5.2007). Polizeidienst wird im Rahmen des Militärdienstes organisiert. Eingezogene Männer werden entweder dem Militär oder der Polizei zugeteilt (AA 29.11.2021).
Ausnahmen von der Wehrpflicht bestehen für Studenten, Staatsangestellte, aus medizinischen Gründen und für Männer, die die einzigen Söhne einer Familie sind. Insbesondere die Ausnahmen für Studenten können immer schwieriger in Anspruch genommen werden. Fallweise wurden auch Studenten eingezogen. In letzter Zeit mehren sich auch Berichte über die Einziehung von Männern, die die einzigen Söhne einer Familie sind. Beobachtet wurde, dass die syrische Regierung Alawiten und Christen weniger stark in Anspruch nimmt. Die im März 2020 und Mai 2021 vom Präsidenten erlassenen Generalamnestien umfassten auch einen Straferlass für Vergehen gegen das Militärstrafgesetzbuch, darunter Fahnenflucht; die Verpflichtung zum Wehrdienst bleibt davon unberührt (ÖB 1.10.2021).
Auch Binnenvertriebene sind wie andere Syrer zur Ableistung des Wehrdienstes verpflichtet und werden rekrutiert (FIS 14.12.2018). Auch geflüchtete Syrer, die nach Syrien zurückkehren, müssen mit Zwangsrekrutierung rechnen. Laut Berichten und Studien verschiedener Menschenrechtsorganisationen ist für zahlreiche Geflüchtete die Gefahr der Zwangsrekrutierung neben anderen Faktoren eines der wesentlichen Rückkehrhindernisse (AA 29.11.2021).
Palästinensische Flüchtlinge mit dauerhaftem Aufenthalt in Syrien unterliegen ebenfalls der Wehrpflicht, dienen jedoch in der Regel in der Palästinensischen Befreiungsarmee (Palestinian Liberation Army - PLA) unter palästinensischen Offizieren. Diese ist jedoch de facto ein Teil der syrischen Armee (AA 13.11.2018; vgl. FIS 14.12.2018).
Zusätzlich gibt es die Möglichkeit eines freiwilligen Militärdienstes. Frauen können ebenfalls freiwillig Militärdienst leisten (CIA 17.8.2021; vgl. FIS 14.12.2018).
Die syrische Regierung arbeitet daran, Milizen zu demobilisieren oder sie in ihre regulären Streitkräfte zu integrieren, während sie gleichzeitig militärische Operationen durchführt (CIA 17.8.2021).
Die Umsetzung
Bei der Einberufung neuer Rekruten sendet die Regierung Wehrdienstbescheide mit der Aufforderung, sich zum Militärdienst anzumelden, an Männer, die das wehrfähige Alter erreicht haben. Die Namen der einberufenen Männer werden in einer zentralen Datenbank erfasst. Männer, die sich beispielsweise im Libanon aufhalten, können mittels Bezahlung von Bestechungsgeldern vor ihrer Rückkehr nach Syrien überprüfen, ob sich ihr Name in der Datenbank befindet (DIS 5.2020). Laut Gesetz sind in Syrien junge Männer im Alter von 17 Jahren dazu aufgerufen, sich ihr Wehrbuch abzuholen und sich einer medizinischen Untersuchung zu unterziehen. Im Alter von 18 Jahren wird man einberufen, um den Wehrdienst abzuleisten. Wenn bei der medizinischen Untersuchung ein gesundheitliches Problem festgestellt wird, wird man entweder vom Wehrdienst befreit oder muss diesen durch Tätigkeiten, die nicht mit einer Teilnahme an einer Kampfausbildung bzw. -einsätzen verbunden sind, ableisten. Wenn eine Person physisch tauglich ist, wird sie entsprechend ihrer schulischen bzw. beruflichen Ausbildung eingesetzt. Die Rekruten müssen eine 45-tägige militärische Grundausbildung absolvieren. Männer mit niedrigem Bildungsstand werden häufig in der Infanterie eingesetzt, während Männer mit einer höheren Bildung oft in prestigeträchtigeren Positionen eingesetzt werden. Gebildetere Personen kommen damit auch mit höherer Wahrscheinlichkeit in Positionen, in denen sie über andere Personen Bericht erstatten oder diese bestrafen müssen (STDOK 8.2017).
Rekrutierungskampagnen werden aus allen Gebieten unter Regimekontrolle gemeldet, besonders auch aus wiedereroberten Gebieten (EUAA 11.2021). Die Regierung hat in vormals unter der Kontrolle der Oppositionskräfte stehenden Gebieten, wie zum Beispiel Ost-Ghouta, Zweigstellen zur Rekrutierung geschaffen. Wehrdienstverweigerer und Deserteure können sich in diesen Rekrutierungszentren melden, um nicht länger von den Sicherheitskräften gesucht zu werden. In vormaligen Oppositionsgebieten werden Listen mit Namen von Personen, welche zur Rekrutierung gesucht werden, an lokale Behörden und Sicherheitskräfte an Checkpoints verteilt (DIS 5.2020).
Ein „Herausfiltern“ von Militärdienstpflichtigen im Rahmen von Straßenkontrollen oder an einem der zahlreichen Checkpoints ist weit verbreitet (FIS 14.12.2018). In Homs führt die Militärpolizei beispielsweise stichprobenartig unvorhersehbare Straßenkontrollen durch. Die intensiven Kontrollen erhöhen das Risiko für Militärdienstverweigerer, verhaftet zu werden (EB 3.6.2020). Rekrutierungen finden auch in Ämtern statt, beispielsweise wenn junge Männer Dokumente erneuern wollen, sowie an Universitäten, in Spitälern und an Grenzübergängen, wo die Beamten Zugang zur zentralen Datenbank mit den Namen der für den Wehrdienst gesuchten Männer haben. Nach Angaben einer Quelle fürchten auch Männer im wehrfähigen Alter, welche vom Militärdienst laut Gesetz ausgenommen sind oder von einer zeitweisen Amnestie vom Wehrdienst Gebrauch machen wollen, an der Grenze eingezogen zu werden (DIS 5.2020). Während manche Quellen davon ausgehen, dass insbesondere in vormaligen Oppositionsgebieten (z.B. dem Umland von Damaskus, Aleppo, Dara‘a und Homs) immer noch Rekrutierungen mittels Hausdurchsuchungen stattfinden (DIS 5.2020; vgl. EB 3.6.2020), berichten andere Quellen, dass die Regierung nun weitgehend davon absieht, um erneute Aufstände zu vermeiden(DIS 5.2020). Unbestätigten Berichten zufolge wird der Geheimdienst innerhalb kurzer Zeit informiert, wenn die Gründe für einen Aufschub nicht mehr gegeben sind, und diese werden auch digital überprüft. Früher mussten die Studenten den Status ihres Studiums selbst an das Militär melden, doch jetzt wird der Status der Studenten aktiv überwacht. Generell werden die Universitäten nun strenger überwacht und sind verpflichtet, das Militär über die An- oder Abwesenheit von Studenten zu informieren (STDOK 8.2017). Berichten zufolge wurden Studenten trotz einer Ausnahmegenehmigung gelegentlich an Kontrollpunkten rekrutiert (FIS 14.12.2018).
Reservedienst
Gemäß Artikel 15 des Gesetzesdekrets Nr. 30 von 2007 bleibt ein syrischer Mann nach Beendigung des Pflichtwehrdienstes, wenn er sich gegen einen Eintritt in den Militärdienst als Berufssoldat entscheidet, Reservist und kann bis zum Alter von 42 Jahren in den aktiven Dienst einberufen werden (TIMEP 22.8.2019; vgl. STDOK 8.2017). Es liegen einzelne Berichte vor, denen zufolge die Altersgrenze für den Reservedienst erhöht wird, wenn die betreffende Person besondere Qualifikationen hat (das gilt z.B. für Ärzte, Panzerfahrer, Luftwaffenpersonal, Artilleriespezialisten und Ingenieure für Kampfausrüstung). Die Behörden ziehen vornehmlich Männer bis zu einem Alter von 27 Jahren ein, während Ältere sich eher auf Ausnahmen berufen können. Dennoch wurden die Altersgrenzen fallweise angehoben und auch Männer bis zu einem Alter von 55 oder sogar 62 Jahren, abhängig vom Rang, eingezogen, bzw. konnten Männer nach Erreichen des 42. Lebensjahres die Armee nicht verlassen (ÖB 29.9.2020; vgl. FIS 14.12.2018, vgl. NMFA 5.2020). Die Altersgrenze hängt laut Experten eher von lokalen Entwicklungen und den Mobilisierungsbemühungen der Regierung ab als von allgemeinen Einberufungsregelungen. Generell hat sich das Maß der Willkür in Syrien im Zuge des Konfliktes erhöht (FIS 14.12.2018). Manche Quellen berichten, dass ihnen keine Fälle von Rekrutierungen über-42-Jähriger nach 2016 bzw. 2018 bekannt seien. Gemäß anderen Quellen soll es jedoch zu Einberufungen von über-42-jährigen Rückkehrern aus dem Libanon und Jordanien als Reservisten gekommen sein, wobei es sich nicht um Zwangsrekrutierungen handelte (DIS 5.2020).
Rekrutierungsbedarf und partielle Demobilisierung
Der Personalbedarf des syrischen Militärs bleibt aufgrund von Entlassungen langgedienter Wehrpflichtiger und zahlreicher Verluste durch Kampfhandlungen unverändert hoch (AA 29.11.2021). Die syrische Regierung hat das syrische Militärdienstgesetz während des Konflikts mehrfach geändert, um die Zahl der Rekruten zu erhöhen (DIS 10.2019). Glaubhaften Berichten zufolge gibt es Zwangsrekrutierungen junger Männer durch syrische Streitkräfte auch unmittelbar im Kampfgebiet (AA 4.12.2020).
Vor 2011 lag die Dauer der Wehrpflicht zwischen eineinhalb und zweieinhalb Jahren. Seit 2011 leisten die meisten Reservisten und Militärangehörigen ihren Dienst auf unbestimmte Zeit (NMFA 6.2021), nachdem die syrische Regierung die Abrüstung von Rekruten einstellte (DIS 5.2020; vgl. ÖB 7.2019). Nachdem die Regierung große Teile des Gebiets von bewaffneten Oppositionellen zurückerobert hatte, wurde mit der Entlassung der ältesten Rekrutenklassen begonnen, welche seit 2011 im Dienst waren (DIS 5.2020, vgl. NMFA 6.2021). Mitte Oktober 2018 berichteten regierungsnahe Medien, dass etwa 800.000 Männer nicht mehr für den Reservedienst benötigt werden. Eine Reihe Syrer kehrten daraufhin nach Syrien zurück, wobei manche über Beziehungen in der Heimat ihren Wehrdienststatus überprüfen ließen und sich versicherten, dass sie tatsächlich nicht mehr gesucht werden. Zumindest manche der Rückkehrer wurden wenige Wochen später eingezogen, nachdem das Verteidigungsministerium im Dezember 2018 neue Einberufungslisten für den Reservedienst veröffentlichte, und so die vorherige Entscheidung aufhob. Die Gründe für diese Verkettung von Ereignissen ist jedoch laut International Crisis Group schwer zu ermitteln (ICG 13.2.2020). Im November 2020 erließ die Armeeführung der syrischen Regierung zwei Verwaltungserlässe, mit denen der Militärdienst für bestimmte Kategorien von Offizieren und Ärzten, die bis Januar 2021 zwei, bzw. siebeneinhalb Jahre als Reservisten gedient haben, faktisch beendet wird (COAR 24.11.2020). Ende März 2020 beendeten zwei Erlässe mit 7. April 2020 den Militärdienst für bestimmte Kategorien von ehemals Wehrpflichtigen, welche nach dem Wehrdienst nicht abgerüstet worden waren, sowie von einberufenen Reservisten. Zwei weitere Erlässe - Berichten zufolge im November 2020 - beendeten den Einsatz und die Einberufung bestimmter Profile von Reservisten (EUAA 11.2021).
Zahlreiche Männer leisten ihren Wehrdienst jedoch weiterhin über den verpflichtenden Zeitraum hinaus ab (DIS 5.2020, vgl. NMFA 6.2021). Gleichzeitig werden Berichten aus dem Jahr 20201 zufolge weiterhin neue Rekruten und Reservisten eingezogen, und Rekrutierungskampagnen werden aus allen Gebieten unter Regimekontrolle gemeldet, besonders auch aus wiedereroberten Gebieten. Alle Eingezogenen können laut European Union Agency for Asylum (EUAA) potenziell an die Front abkommandiert werden. Ihr Einsatz hängt vom Bedarf der Armee für Truppen sowie von den individuellen Qualifikationen der Eingezogenen sowie ihrem Hintergrund oder ihrer Kampferfahrung ab. Eingezogene Männer aus "versöhnten" Gebieten werden disproportional oft kurz nach ihrer Einberufung mit minimaler Kampfausbildung als Bestrafung für ihre Disloyalität gegenüber dem Regime an die Front geschickt. Reservisten werden in (vergleichsweise) kleinerer Zahl an die Front geschickt (EUAA 11.2021). [Anm.: In welcher Relation die Zahl der Reservisten zu den Wehrpflichtigen steht, geht aus dem Bericht nicht hervor.]
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (29.11.2021): Bericht über die Lage in der Arabischen Republik Syrien (Stand: November 2021), https://milo.bamf.de/OTCS/cs.exe?func=ll&objId=23477210&objAction=Open&nexturl=%2FOTCS%2Fcs%2Eexe%3Ffunc%3Dll%26objId%3D23521818%26objAction%3Dbrowse%26viewType%3D1 , Zugriff 3.3.2022.
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (4.12.2020): Bericht über die Lage in der Arabischen Republik Syrien, https://milo.bamf.de/milop/cs.exe/fetch/2000/702450/683266/683300/684459/684542/6038295/22065632/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt ,_Bericht_%C3%BCber_die_Lage_in_der_Arabischen_Republik_Syrien_(Stand_November_2020),_04.12.2020.pdf?nodeid=22479918&vernum=-2, Zugriff 18.1.2021.
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (13.11.2018): Bericht über die Lage in der Arabischen Republik Syrien, https://www.ecoi.net/en/file/local/1451486/4598_1542722823_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-lage-in-der-arabischen-republik-syrien-stand-november-2018-13-11-2018.pdf , Zugriff 18.8.2020.
CIA - Central Intelligence Agency [USA] (17.8.2021): The World Factbook: Syria - Military and Security, https://www.cia.gov/the-world-factbook/countries/syria/#military-and-security , Zugriff 23.8.2021.
COAR - Center for Operational Analysis and Research (24.11.2020): Changes to military service reflect Damascus’s unrealistic aims, growing socio-economic divide, https://coar-global.org/2020/11/24/changes-to-military-service-reflect-damascuss-unrealistic-aims-growing-socio-economic-divide/ , Zugriff 24.8.2021.
DIS - Danish Immigration Service [Dänemark] (5.2020): Syria - Military Service, Report based on a fact-finding mission to Istanbul and Beirut (17-25 February 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2031493/Report_Syria_Military_Service_may_2020.pdf , Zugriff 22.7.2020.
DIS - Danish Immigration Service [Dänemark] (10.2019): Syria - Issues Regarding Military Service, COI report based on written sources, https://www.ecoi.net/en/file/local/2018870/COI_syria_report_military_service_oct_2019.pdf , Zugriff 24.8.2020.
EB - Enab Baladi (3.6.2020): Fear of forced military conscription looms over northern rural Homs again, https://english.enabbaladi.net/archives/2020/03/fear-of-forced-military-conscription-looms-over-northern-rural-homs-again/ , Zugriff 24.8.2020.
EUAA – European Union Agency for Asylum (11.2021): Country Guidance: Syria; Common analysis and guidance note, November 2021, https://www.ecoi.net/en/file/local/2064844/Country_Guidance_Syria_2021.pdf , Zugriff 16.3.2022.
FIS - Finnish Immigration Service [Finnland] (14.12.2018): Syria: Fact-Finding Mission to Beirut and Damascus, April 2018, https://migri.fi/documents/5202425/5914056/Syria_Fact-finding+mission+to+Beirut+and+Damascus%2C+April+2018.pdf , Zugriff 22.7.2020.
ICG - International Crisis Group (13.2.2020): Easing Syrian Refugees‘ Plight in Lebanon, https://d2071andvip0wj.cloudfront.net/211-easing-syrian-refugees-plight-in-lebanon.pdf , Zugriff 24.8.2020.
NMFA - Netherlands Ministry of Foreign Affairs [Niederlande] (6.2021): Country of origin information report Syria, https://www.ecoi.net/en/file/local/2038451/2020_05_MinBZ_NLMFA_COI_Report_Syria_Algemeen_ambtsbericht_Syrie.pdf , Zugriff 30.8.2021.
NMFA - Netherlands Ministry of Foreign Affairs [Niederlande] (5.2020): Country of origin information report Syria, https://www.ecoi.net/en/file/local/2038451/2020_05_MinBZ_NLMFA_COI_Report_Syria_Algemeen_ambtsbericht_Syrie.pdf , Zugriff 17.8.2021.
ÖB - Österreichische Botschaft (10.2021): Asylländerbericht Syrien (Stand September 2021), https://www.ecoi.net/en/file/local/2066258/SYRI_%C3%96B-Bericht_2021_09.pdf , Zugriff 13.1.2022.
ÖB- Österreichische Botschaft Damaskus [Österreich] (29.9.2020): Asylländerbericht Syrien 2020, https://www.ecoi.net/en/file/local/2038328/Asyländerbericht+2020+(Stand+29092020)+.pdf , Zugriff 12.10.2020.
ÖB - Österreichische Botschaft Damaskus [Österreich] (7.2019): Asylländerbericht Syrien 2019, https://www.ecoi.net/en/file/local/2014213/SYRI_ÖB+Report_2019_07.pdf , Zugriff 17.8.2020.
PAR - Webseite des Parlaments [Syrien] (12.5.2007): المرسوم التشريعي 30 لعام 2007 قانون خدمة العلم [Legislativdekret Nr. 30 von 2007 Militärdienstgesetz], http://parliament.gov.sy/arabic/index.php?node=201&nid=4921& , Zugriff 24.8.2020.
STDOK - Staatendokumentation des BFA [Österreich] (8.2017): Fact Finding Mission Report Syrien - mit ausgewählten Beiträgen zu Jordanien, Libanon und Irak, https://www.ecoi.net/file_upload/5618_1507116516_ffm-bericht-syrien-mit-beitraegen-zu-jordanien-libanon-irak-2017-8-31-ke.pdf , Zugriff 24.7.2020.
TIMEP - The Tahrir Institute for Middle East Policy (22.8.2019): TIMEP Brief: Conscription Law, https://timep.org/reports-briefings/timep-brief-conscription-law/ , Zugriff 24.8.2020.
TIMEP - The Tahrir Institute for Middle East Policy (6.12.2018): TIMEP Brief: Legislative Decree No. 18: Military Service Amnesty, https://timep.org/wp-content/uploads/2018/12/LegislativeDecree18SyriaLawBrief2018-FINAL12-6-18a.pdf , Zugriff 24.8.2020.
Befreiung, Aufschub, Befreiungsgebühren, Strafen bei Erreichung des 43. Lebensjahrs ohne Ableistung des Wehrdiensts
Letzte Änderung: 09.08.2022
Siehe auch Kapitel "Länderspezifische Anmerkungen".
Das syrische Wehrdienstgesetz sieht vor, dass bestimmte Personengruppen, wie zum Beispiel der einzige Sohn einer Familie, aus medizinischen Gründen Untaugliche (DIS 5.2020; vgl. FIS 14.12.2018), manche Regierungsangestellte (FIS 14.12.2018) und Personen, welche eine Befreiungsgebühr bezahlen, vom Wehrdienst ausgenommen sind. Manche Studenten und Personen mit bestimmten Abschlüssen, wie auch Personen mit vorübergehenden Erkrankungen können den Wehrdienst aufschieben, wobei die Rückstellungen jedes Jahr erneuert werden müssen (DIS 5.2020). Diese Ausnahmen sind theoretisch immer noch als solche definiert, in der Praxis gibt es jedoch mittlerweile mehr Beschränkungen und es ist unklar, wie die entsprechenden Gesetze derzeit umgesetzt werden (FIS 14.12.2018). Es scheint, dass es schwieriger wird, einen Aufschub zu erlangen, je länger der Konflikt andauert (STDOK 8.2017; vgl. FIS 14.12.2018). Das Risiko der Willkür ist immer gegeben (STDOK 8.2017; vgl. DRC/DIS 8.2017).
Die Asylagentur der Europäischen Union (European Union Agency for Asylum, EUAA) kommt in ihrem Bericht vom April 2021 zu dem Schluss, dass aufgrund der unklaren Maßstäbe, die von den medizinischen Ausschüssen für die Bewertungen verwendet werden, die tatsächliche Handhabung der Tauglichkeitskriterien schwer eruierbar ist (EUAA 4.2021).
Seit einer Änderung des Wehrpflichtgesetzes im Juli 2019 ist die Aufschiebung des Militärdienstes jedenfalls nur bis zum Alter von 37 Jahren möglich und kann durch Befehl des Oberbefehlshabers beendet werden (ÖB 29.9.2020). Es gibt Beispiele, wo Männer sich durch die Bezahlung von Bestechungsgeldern vom Wehrdienst freigekauft haben, was jedoch keineswegs als einheitliche Praxis betrachtet werden kann. So war es vor dem Konflikt gängige Praxis, sich vom Wehrdienst freizukaufen, was einen aber nicht davor schützt – manchmal sogar Jahre danach – trotzdem eingezogen zu werden (STDOK 8.2017). Auch berichtet eine Quelle, dass Grenzbeamte von Rückkehrern trotz entrichteter Befreiungsgebühr Bestechungsgelder verlangen könnten (DIS 5.2020).
Befreiungsgebühr für Syrer mit Wohnsitz im Ausland
Das syrische Militärdienstgesetz erlaubt es syrischen Männern und registrierten Palästinensern aus Syrien im Militärdienstalter (18-42 Jahre) und mit Wohnsitz im Ausland, eine Gebühr ("badal an-naqdi") zu entrichten, um von der Wehrpflicht befreit und nicht wieder einberufen zu werden. Bis 2020 konnten Männer, die sich mindestens vier aufeinanderfolgende Jahre außerhalb Syriens aufgehalten haben, einen Betrag von 8.000 US-Dollar zahlen, um vom Militärdienst befreit zu werden (NMFA 6.2021; vgl. DIS 5.2020, vgl. EB 9.2.2019), wobei noch weitere Konsulargebühren anfallen (EB 9.2.2019). Im November 2020 wurde die Dauer des erforderlichen Auslandaufenthalts auf ein Jahr reduziert, und die Gebühr auf 10.000 USD erhöht. Wer zwei, drei, vier oder mehr Jahre im Ausland wohnhaft ist, muss 9.000, 8.000 bzw. 7.000 USD bezahlen, um befreit zu werden. Wer außerhalb Syriens lebt und als Reservist einberufen wird, kann eine Befreiung erhalten, indem er 5.000 USD bezahlt (NMFA 6.2021). Für außerhalb Syriens geborene Syrer im wehrpflichtigen Alter, welche bis zum 19. Lebensjahr im Ausland lebten, gilt bis zum Alter von 25 Jahren eine Befreiungsgebühr von 2.500 USD (DIS 5.2020; vgl. AA 13.11.2018). Ein Besuch von bis zu drei Monaten in Syrien wird dabei nicht als Unterbrechung des Aufenthalts einer Person in dem fremden Land gewertet. Für jedes Jahr, in welchem ein Wehrpflichtiger weder eine Befreiungsgebühr bezahlt, noch den Wehrdienst aufschiebt oder sich zu diesem meldet, fallen zusätzliche Gebühren an. Eine Quelle berichtet, dass auch Männer, die Syrien illegal verlassen haben, durch die Zahlung der Gebühr von 8.000 USD vom Militärdienst befreit werden können (DIS 5.2020). Diese müssen ihren rechtlichen Status allerdings zuvor bei einer syrischen Auslandsvertretung bereinigen (DIS 10.2019). Das deutsche Auswärtige Amt berichtet dagegen, dass nicht bekannt sei, ob diese Regelung auch für syrische Männer gilt, die seit Beginn des Bürgerkriegs ins Ausland geflüchtet sind (AA 13.11.2018).
Informationen über den Prozess der Kompensationszahlung können auf den Webseiten der syrischen Botschaften in Ländern wie Deutschland, Ägypten, Libanon und der Russischen Föderation aufgerufen werden. Bevor die Zahlung durchgeführt wird, kontaktiert die Botschaft das syrische Verteidigungsministerium, um eine Genehmigung zu erhalten. Dabei wird ermittelt, ob die antragstellende Person sich vom Wehrdienst freikaufen kann (NMFA 5.2020). Laut z.B. der syrischen Botschaft in Berlin müssen u.a. entweder ein Reisepass oder Personalausweis sowie eine Bestätigung des Ein- und Ausreise vorgelegt werden (SB Berlin o.D.). Offiziell ist dieser Prozess relativ einfach, jedoch dauert er in Wirklichkeit sehr lange, und es müssen viele zusätzliche Kosten aufgewendet werden, unter anderem Bestechungsgelder für die Bürokratie. Beispielsweise müssen junge Männer, die mit der Opposition in Verbindung standen, aber aus wohlhabenden Familien kommen, wahrscheinlich mehr bezahlen, um vorab ihre Akte zu bereinigen (Balanche 13.12.2021).
Strafen bei Erreichung des 43. Lebensjahrs ohne Ableistung des Wehrdiensts
Im November 2017 beschloss das syrische Parlament eine Gesetzesnovelle der Artikel 74 und 97 des Militärdienstgesetzes. Die Novelle besagt, dass jene, die das Höchstalter für die Ableistung des Militärdienstes überschritten und den Militärdienst nicht abgeleistet haben, aber auch nicht aus etwaigen gesetzlich vorgesehenen Gründen vom Wehrdienst befreit sind, eine Kompensationszahlung von 8.000 USD oder dem Äquivalent in Syrischen Pfund leisten müssen. Diese Zahlung muss innerhalb von drei Monaten nach Erreichen des Alterslimits geleistet werden. Wenn diese Zahlung nicht geleistet wird, ist die Folge eine einjährige Haftstrafe und die Zahlung von 200 USD für jedes Jahr, um welches sich die Zahlung verzögert, wobei der Betrag 2.000 USD oder das Äquivalent in Syrischen Pfund nicht übersteigen soll. Jedes begonnene Jahr der Verzögerung wird als ganzes Jahr gerechnet (SANA 8.11.2017; vgl. SLJ 10.11.2017, PAR 15.11.2017). Eine Änderung des syrischen Wehrpflichtgesetzes (Art. 97) ermöglicht es, das Vermögen von Männern zu beschlagnahmen, die sich bis zum Erreichen des 43. Lebensjahres (Altersgrenze zur Einberufung) der Wehrpflicht entzogen haben und sich weigern, ein Wehrersatzgeld in Höhe von 8.000 USD zu entrichten. Das Gesetz erlaubt die Beschlagnahme des Vermögens nicht nur von Männern, die nicht im Militär gedient haben, sondern auch von deren unmittelbaren Familienangehörigen, einschließlich Ehefrauen und Kindern. Im Februar 2021 veröffentlichte das Ministerium für Medien und Information ein Video des Chefs der Abteilung für die Befreiung vom Militärdienst der syrischen Armee, in dem dieser die sofortige Beschlagnahme von Vermögenswerten ohne vorherige Benachrichtigung ankündigte, sofern die Zahlung des Ersatzgeldes nicht bis spätestens drei Monate nach Vollendung des 43. Lebensjahres erfolge. Eine Möglichkeit, die Entscheidung anzufechten bzw. gerichtlich überprüfen zu lassen, fehlt laut Human Rights Watch. Außerdem wird dadurch ein zusätzliches Rückkehrhindernis geschaffen (AA 29.11.2021).
Geistliche und Angehörige von religiösen Minderheiten
Christliche und muslimische religiöse Führer sind weiterhin aus Gewissensgründen vom Militärdienst befreit, wobei muslimische Geistliche dafür eine Abgabe bezahlen müssen (USDOS 2.6.2022). Es gibt Berichte, dass in einigen ländlichen Gebieten Mitgliedern von religiösen Minderheiten die Möglichkeit geboten wurde, sich lokalen regierungsnahen Milizen anzuschließen, anstatt ihren Wehrdienst abzuleisten. In den Städten gab es diese Möglichkeit im Allgemeinen jedoch nicht und Mitglieder von Minderheiten wurden unabhängig von ihrem religiösen Hintergrund zum Militärdienst eingezogen (FIS 14.12.2018). Obwohl die Wehrpflicht laut Verfassung auch für die drusische Gemeinschaft gilt, wurde sie von der Regierung im Gegenzug für die Unterstützung durch die Gemeinschaft weitgehend ausgeklammert. Seit Mai 2020 waren die syrischen Sicherheitskräfte jedoch bestrebt, diejenigen zu verfolgen, die vor dem Militärdienst geflohen waren. Im Februar 2021 wurden in Sweida schätzungsweise 20.000 Personen zum Militärdienst gesucht, die unter dem Schutz bewaffneter Gruppierungen standen (COAR 24.11.2020).
Quellen:
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AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (13.11.2018): Bericht über die Lage in der Arabischen Republik Syrien, https://www.ecoi.net/en/file/local/1451486/4598_1542722823_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-lage-in-der-arabischen-republik-syrien-stand-november-2018-13-11-2018.pdf , Zugriff 18.8.2020.
Balanche, Fabrice - Universität Lyon 2, Washington Institute (13.12.2021): Interview, per Videotelefonie.
COAR - Center for Operational Analysis and Research (24.11.2020): Changes to military service reflect Damascus’s unrealistic aims, growing socio-economic divide, https://coar-global.org/2020/11/24/changes-to-military-service-reflect-damascuss-unrealistic-aims-growing-socio-economic-divide/ , Zugriff 24.8.2021.
DIS – Danish Immigration Service [Dänemark] (10.2019): Syria – Issues Regarding Military Service, COI report based on written sources, https://www.ecoi.net/en/file/local/2018870/COI_syria_report_military_service_oct_2019.pdf , Zugriff 24.8.2020.
DIS – Danish Immigration Service [Dänemark] (5.2020): Syria – Military Service, Report based on a fact-finding mission to Istanbul and Beirut (17-25 February 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2031493/Report_Syria_Military_Service_may_2020.pdf , Zugriff 22.7.2021.
DRC/DIS – Danish Refugee Council [Dänemark]/ The Danish Immigration Service (8.2017): Syria, Recruitment Practices in Government-controlled Areas and in Areas under Opposition Control, Involvement of Public Servants and Civilians in the Armed Conflict and Issues Related to Exiting Syria, https://www.nyidanmark.dk/-/media/Files/US/Landerapporter/SyrienFFMrapportaugust2017.pdf?la=da&hash=D5C8D2AB61039CB67C560C07AE47C7F02F16708D , Zugriff 25.8.2020.
EB – Enab Baladi (9.2.2019): Military Service Exemption Fee: Expensive Return Ticket To Homeland, https://english.enabbaladi.net/archives/2019/09/military-service-exemption-fee-expensive-return-ticket-to-homeland/ , Zugriff 25.8.2020.
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FIS – Finnish Immigration Service [Finnland] (14.12.2018): Syria: Fact-Finding Mission to Beirut and Damascus, April 2018, https://migri.fi/documents/5202425/5914056/Syria_Fact-finding+mission+to+Beirut+and+Damascus%2C+April+2018.pdf , Zugriff 22.7.2020.
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SANA – Syrian Arab News Agency (8.11.2017): مجلس الشعب يقر مشروع قانون يتعلق بمن تجاوز سن التكليف للخدمة ربط الإلزامية وآخر حول السجل العام للعاملين في الدولة بوزارة التنمية الإدارية [The People's Assembly passes a draft law related to those who have passed the age of mandatory service and another about linking the public registry of workers in the country to the Ministry of Administrative Development], http://www.sana.sy/?p=656572 , Zugriff 24.8.2020.
SB Berlin - Botschaft der Syrischen Arabischen Republik Berlin (o.D.): شؤون التجنيد http://mofaex.gov.sy/berlin-embassy/ar/pages738/%D8%B4%D8%A4%D9%88%D9%86-%D8%A7%D9%84%D8%AA%D8%AC%D9%86%D9%8A%D8%AF , Zugriff 16.3.2022.
SLJ – Syrian Law Journal [Twitter] (10.11.2017): Newsflash of 10.11.2017 08:37, https://twitter.com/syrian_law/status/929025146429624320 , Zugriff 24.8.2020.
STDOK – Staatendokumentation des BFA [Österreich] (8.2017): Fact Finding Mission Report Syrien – mit ausgewählten Beiträgen zu Jordanien, Libanon und Irak, https://www.ecoi.net/file_upload/5618_1507116516_ffm-bericht-syrien-mit-beitraegen-zu-jordanien-libanon-irak-2017-8-31-ke.pdf , Zugriff 24.7.2020.
USDOS - United States Department of State [USA] (2.6.2022): 2021 Report on International Religious Freedom: Syria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2073954.html , Zugriff 28.7.2022.Amnestien im Allgemeinen und im Zusammenhang mit folgendem Militärdienst
Letzte Änderung: 09.08.2022
- Rechtssicherheit
In Syrien vorherrschend und von langer Tradition, besteht in der Praxis eine Diskrepanz zwischen dem geschriebenen Recht und der Implementierung der Gesetze. Die in den letzten Jahren noch zugenommene und weitverbreitete Korruption hat diese Diskrepanz noch zusätzlich verstärkt. Die Rechtsstaatlichkeit ist schwach ausgeprägt, wenn nicht mittlerweile gänzlich durch eine Situation der Straffreiheit untergraben, in der Angehörige von Sicherheitsdiensten ohne strafrechtliche Konsequenzen und ohne jegliche zivile Kontrolle operieren können (ÖB 1.10.2021).
- Amnestien allgemein
Seit 2011 hat der syrische Präsident für Mitglieder bewaffneter oppositioneller Gruppen, Wehrdienstverweigerer und Deserteure eine Reihe von Amnestien erlassen, die Straffreiheit vorsahen, wenn sie sich innerhalb einer bestimmten Frist zum Militärdienst melden (STDOK 8.2017; vgl. TIMEP 6.12.2018, SHRC 24.1.2019, AA 4.12.2020, DIS 5.2020). Über die Umsetzung und den Umfang der Amnestien für Wehrdienstverweigerer und Deserteure ist nur sehr wenig bekannt (DIS 5.2020). Menschenrechtsorganisationen und Beobachter haben die Amnestien wiederholt als intransparent und unzureichend kritisiert (STDOK 8.2017; vgl. EB 3.4.2020), sowie als bisher wirkungslos (AA 4.12.2020; vgl. DIS 5.2020) und als ein Propagandainstrument der Regierung (DIS 5.2020; vgl. EB 3.4.2020). Das Regime verlautbarte seit 2011 [Anm.: bis 2021] 18 Amnestien, aber die Dekrete resultierten im Allgemeinen nur in der Entlassung einer begrenzten Anzahl von gewöhnlichen Kriminellen. Diese Amnestien schlossen Gefangene, die nicht eines Verbrechens angeklagt wurden, aus. Im Juli 2021 berichtete SNHR von der Freilassung von 81 Gefangenen in den letzten zwei Monaten als Folge der Mai-Amnestie, während im selben Zeitraum die willkürliche Festnahme von 176 anderen Personen erfolgte. Eine begrenzte Anzahl von Gefangenen kam im Zuge lokaler Beilegungsabkommen mit dem Regime frei. Während des Jahres 2021 verletzten Regimekräfte vorherige Amnestieabkommen durch Razzien und Verhaftungskampagnen gegen Zivilisten und frühere Mitglieder der bewaffneten Oppositionsgruppen in Gebieten mit unterzeichneten Beilegungsabkommen mit dem Regime (USDOS 12.4.2022).
Es gibt auch Hinweise darauf, dass die Namen von Personen, die sich im Rahmen einer Amnestie gemeldet haben, fast sofort auf Listen gesetzt werden, um zum Militärdienst einberufen zu werden (DIS 5.2020; vgl. NMFA 6.2021). Einer Quelle zufolge respektiere die syrische Regierung Amnestien nun eher als früher (DIS 5.2020). Das Narrativ der Amnestie oder der milden Behandlung ist höchst zweifelhaft: Es spielt nicht nur eine Rolle, ob zum Beispiel Familienmitglieder für die FSA (Freie Syrische Armee) oder unter den Rebellen gekämpft haben, sondern das Regime hegt auch ein tiefes Misstrauen bezüglich des Herkunftsgebiets. Es spielt eine große Rolle, woher man kommt, ob man aus Gebieten mit vielen Demonstrationen oder Rebellenaktivitäten geflohen ist, zum Beispiel Ost-Ghouta, Damaskus oder Homs (Üngör 15.12.2021). Auch wenn Assad allen gesagt hat, dass es eine Amnestie geben wird, kann er nicht kontrollieren, was vor Ort passiert und Vergeltung ist ein weitverbreitetes Phänomen (Balanche 13.12.2021).
Am 2.5.2021 erließ Präsident Assad mit Gesetzesdekret Nr. 13/2021 erneut eine Generalamnestie, die für Verbrechen, die vor diesem Datum begangen wurden, gilt (SANA 2.5.2021a). Dabei handelt es sich bereits um die 18. Amnestie seit Ausbruch des syrischen Bürgerkriegs im Frühjahr 2011 (SD 10.5.2021). Sie wurde kurz vor den syrischen Präsidentschaftswahlen Ende Mai 2021 erlassen (SD 10.5.2021; vgl. Reuters 11.5.2021). Das Dekret betrifft unterschiedliche Straftaten, darunter Straftaten in Zusammenhang mit der Anti-Terrorismus-Gesetzgebung von 2012, aber nicht jene "terroristischen" Straftaten, die Tote zur Folge hatten (MEE 2.5.2021; vgl. SANA 2.5.2021b). "Terrorismus" ist ein Begriff, mit dem die Regierung die Aktivitäten von Rebellen und oppositionellen Aktivisten beschreibt (MEE 2.5.2021). Straftäter im Bereich Drogenhandel und Schmuggel sowie Steuerhinterziehung können ebenfalls von der Amnestie profitieren. Auch Deserteure können die Amnestie nutzen, wenn sie sich innerhalb von drei Monaten bei Aufenthalt in Syrien und innerhalb von sechs Monaten bei Aufenthalt im Ausland stellen (MEE 2.5.2021; vgl. SANA 2.5.2021b). Durch das Dekret werden Strafen gänzlich oder teilweise erlassen, oder auch Haftstrafen durch eine Strafzahlung ersetzt (SD 10.5.2021). [Anm: Wehrdienstverweigerung und Überlaufen zum Feind werden von dem Dekret nicht erfasst. Die Verpflichtung zum Wehrdienst wird durch das Dekret nicht aufgehoben.]
Nach Einschätzung von Human Rights Watch nutzt das Regime Schlupflöcher in den Amnestiedekreten aus, um Rückkehrer unmittelbar nach Einreise wieder auf Einberufungslisten zu setzen (AA 29.11.2021).
Am 10.10.2020 erließ die sog. „Selbstverwaltung“ in Nordost-Syrien eine „Generalamnestie“ für Strafgefangene. Bereits am 15.10.2020 sollen 631 Häftlinge auf Grundlage des Dekrets entlassen worden sein, darunter auch mutmaßliche IS-Sympathisanten. Strafen für bestimmte Vergehen sollen zudem halbiert werden (AA 4.12.2020).
Siehe auch Kaptiel "Länderspezifische Anmerkungen". Zu Amnestien der syrischen Regierung für Reservepflichtige siehe Unterkapitel "Die syrischen Streitkräfte - Wehr- und Reservedienst".
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (29.11.2021): Bericht über die Lage in der Arabischen Republik Syrien (Stand: November 2021), https://milo.bamf.de/OTCS/cs.exe?func=ll&objId=23477210&objAction=Open&nexturl=%2FOTCS%2Fcs%2Eexe%3Ffunc%3Dll%26objId%3D23521818%26objAction%3Dbrowse%26viewType%3D1 , Zugriff 3.3.2022.
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (4.12.2020): Bericht über die Lage in der Arabischen Republik Syrien,https://milo.bamf.de/milop/cs.exe/fetch/2000/702450/683266/683300/684459/684542/6038295/22065632/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt ,_Bericht_%C3%BCber_die_Lage_in_der_Arabischen_Republik_Syrien_(Stand_November_2020),_04.12.2020.pdf?nodeid=22479918&vernum=-2, Zugriff 18.1.2021.
Balanche, Fabrice - Universität Lyon 2, Washington Institute (13.12.2021): Interview per Videotelefonie.
DIS - Danish Immigration Service [Dänemark] (5.2020): Syria - Military Service, Report based on a fact-finding mission to Istanbul and Beirut (17-25 February 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2031493/Report_Syria_Military_Service_may_2020.pdf , Zugriff 22.7.2020.
EB - Enab Baladi (3.4.2020): Decrees for detainees .. without including them Syrian detainees off legislators’ table, https://english.enabbaladi.net/archives/2020/04/decrees-for-detainees-without-including-them-syrian-detainees-off-legislators-table/ , Zugriff 19.8.2020.
MEE - Middle East Eye (2.5.2021): Syria: Amnesty announced ahead of presidential elections, https://www.middleeasteye.net/news/syria-amnesty-offered-ahead-presidential-elections , Zugriff 21.5.2021.
NMFA - Netherlands Ministry of Foreign Affairs [Niederlande] (6.2021): Country of origin information report Syria, file:///tmp/EN-AAB-Syrie-juni-2021.pdf, Zugriff 30.8.2021.
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ÖB - Österreichische Botschaft Damaskus [Österreich] (1.10.2021): Asylländerbericht Syrien 2021 (Stand September 2021), https://www.ecoi.net/en/document/2066258.html , Zugriff 8.8.2022.
SANA - Syrian Arab News Agency (2.5.2021a): President al-Assad grants general amnesty for crimes committed before May 2nd, https://sana.sy/en/?p=231570 , Zugriff 20.5.2021.
SANA - Syrian Arab News Agency (2.5.2021b): الرئيس الأسد يصدر مرسوماً بمنح عفو عام عن الجرائم المرتكبة قبل تاريخ 2 أيار-فيديو [Präsident Assad erlässt ein Dekret zur Gewährung einer Amnestie für Verbrechen, die vor dem 2. Mai begangen wurden - Video], http://www.sana.sy/?p=1373048 , Zugriff 21.5.2021.
SD - Syria Direct (10.5.2021): Bashar al-Assad issues general amnesty excluding prisoners of conscience: Who benefits and why now?, https://syriadirect.org/bashar-al-assad-issues-general-amnesty-excluding-prisoners-of-conscience-who-benefits-and-why-now/ , Zugriff 20.5.2021.
SHRC - Syrian Human Rights Committee (24.1.2019): The 17th Annual Report on Human Rights in Syria 2018, http://www.shrc.org/en/wp-content/uploads/2019/01/English_Web.pdf , Zugriff 22.7.2020.
STDOK - Staatendokumentation des BFA [Österreich] (8.2017): Fact Finding Mission Report Syrien - mit ausgewählten Beiträgen zu Jordanien, Libanon und Irak, https://www.ecoi.net/file_upload/5618_1507116516_ffm-bericht-syrien-mit-beitraegen-zu-jordanien-libanon-irak-2017-8-31-ke.pdf , Zugriff 24.7.2020.
TIMEP - The Tahrir Institute for Middle East Policy (6.12.2018): TIMEP Brief: Legislative Decree No. 18: Military Service Amnesty, https://timep.org/wp-content/uploads/2018/12/LegislativeDecree18SyriaLawBrief2018-FINAL12-6-18a.pdf , Zugriff 24.8.2020.
Üngör, Uğur Ümit - Geschichtsprofessor, Universität Amsterdam und NIOD Institut (15.12.2021): Interview per Videotelefonie.
USDOS - United States Department of State [USA] (12.4.2022): Country Report on Human Rights Practices 2021 - Syria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071124.html , Zugriff 28.7.2022.Wehrdienstverweigerung / Desertion
Letzte Änderung: 25.04.2022
Als der syrische Bürgerkrieg 2011 begann, hatte die syrische Regierung Probleme, Truppen bereitzustellen, um bewaffneten Rebellengruppen entgegentreten zu können. Die Zahl der Männer, die den Wehr- oder Reservedienst verweigerten, nahm deutlich zu. Eine große Zahl von Männern im wehrfähigen Alter floh entweder aus dem Land, schloss sich der bewaffneten Opposition an, oder tauchte unter (DIS 5.2020). Zwischen der letzten Hälfte des Jahres 2011 bis zum Beginn des Jahres 2013 desertierten zehntausende Soldaten und Offiziere, flohen oder schlossen sich bewaffneten aufständischen Einheiten an. Seit der zweiten Hälfte des Jahres 2013 sind jedoch nur wenige Fälle von Desertion bekannt und relativ wenige werden derzeit deswegen verhaftet (Landinfo 3.1.2018).
In Syrien besteht keine Möglichkeit der legalen Wehrdienstverweigerung. Auch die Möglichkeit eines (zivilen) Ersatzdienstes gibt es nicht. Es gibt in Syrien keine reguläre oder gefahrlose Möglichkeit, sich dem Militärdienst durch Wegzug in andere Landesteile zu entziehen. Beim Versuch, sich dem Militärdienst durch Flucht in andere Landesteile, die nicht unter Kontrolle des Regimes stehen, zu entziehen, müssten Wehrpflichtige zahlreiche militärische und paramilitärische Kontrollstellen passieren, mit dem Risiko einer zwangsweisen Einziehung, entweder durch die syrischen Streitkräfte, Geheimdienste oder regimetreue Milizen. Männern im wehrpflichtigen Alter ist die Ausreise verboten. Der Reisepass wird ihnen vorenthalten und Ausnahmen werden nur mit Genehmigung des Rekrutierungsbüros, welches bescheinigt, dass der Wehrdienst geleistet wurde, gewährt (AA 29.11.2021).
Rückkehrüberlegungen syrischer Männer werden auch durch ihren Militärdienststatus beeinflusst (DIS/DRC 2.2019). Laut Berichten und Studien verschiedener Menschenrechtsorganisationen ist für zahlreiche Geflüchtete die Gefahr der Zwangsrekrutierung neben anderen Faktoren eines der wesentlichen Rückkehrhindernisse (AA 29.11.2021).
Haltung des Regimes gegenüber Wehrdienstverweigerern
In dieser Frage gehen die Meinungen zum Teil auseinander: Manche Experten gehen davon aus, dass Wehrdienstverweigerung vom Regime als Nähe zur Opposition gesehen wird. Bereits vor 2011 war es ein Verbrechen, den Wehrdienst zu verweigern. Nachdem sich im Zuge des Konflikts der Bedarf an Soldaten erhöht hat, wird Wehrdienstverweigerung im besten Fall als Feigheit betrachtet und im schlimmsten im Rahmen des Militärverratsgesetzes (qanun al-khiana al-wataniya) behandelt. In letzterem Fall kann es zur Verurteilung vor einem Feldgericht und Exekution kommen oder zur Inhaftierung in einem Militärgefängnis. Ob die Entrichtung einer "Befreiungsgebühr" wirklich dazu führt, dass man nicht eingezogen wird, hängt vom Profil der Person ab. Dabei sind junge, sunnitische Männer im wehrfähigen Alter am stärksten im Verdacht der Behörden, aber sogar aus Regimesicht untadelige Personen wurden oft verhaftet (Üngör 15.12.2021). Loyalität ist hier ein entscheidender Faktor: Wer sich dem Wehrdienst entzogen hat, hat sich als illoyal erwiesen (Khaddour 24.12.2021). Fabrice Balanche sieht die Haltung des Regimes Wehrdienstverweigerern gegenüber als zweischneidig, weil es einerseits mit potenziell illoyalen Soldaten, die die Armee schwächen, nichts anfangen kann, und sie daher besser außer Landes sehen will, andererseits werden sie inoffiziell als Verräter gesehen, da sie sich ins Ausland gerettet haben, statt "ihr Land zu verteidigen". Wehrdienstverweigerung wird aber nicht unbedingt als oppositionsnahe gesehen. Das syrische Regime ist sich der Tatsache bewusst, dass viele junge Männer nach dem Studium das Land verlassen haben, einfach um nicht zu sterben. Daher wurde die Möglichkeit geschaffen, sich frei zu kaufen, damit die Regierung zumindest Geld in dieser Situation einnehmen kann (Balanche 13.12.2021).
Syrische Männer im wehrpflichtigen Alter können sich nach syrischem Recht durch Zahlung eines sogenannten Wehrersatzgeldes von der Wehrpflicht freikaufen. Diese Regelung findet jedoch nur auf Syrer Anwendung, die außerhalb Syriens leben. Das Wehrersatzgeld ist nach einer Änderung des Wehrpflichtgesetzes im November 2020 gestaffelt nach der Anzahl der Jahre des Auslandsaufenthalts und beträgt 10.000 USD (ein Jahr), 9.000 USD (zwei Jahre), 8.000 USD (drei Jahre) bzw. 7.000 USD (vier Jahre). Bei einem Aufenthalt ab fünf Jahren kommen pro Jahr weitere 200 USD Strafgebühr hinzu. Laut der Einschätzung verschiedener Organisationen dient die Möglichkeit der Zahlung des Wehrersatzgeldes für Auslandssyrer maßgeblich der Generierung ausländischer Devisen (AA 29.11.2021).
Für nähere Informationen siehe auch das Unterkapitel "Befreiung, Aufschub, Befreiungsgebühren, Strafen bei Erreichung des 43. Lebensjahrs ohne Ableistung des Wehrdiensts".
Im Dezember 2019 trat eine Bestimmung in Kraft, wonach wehrfähige Männer, welche den Wehrdienst bis zu einem Alter von 42 Jahren nicht abgeleistet haben, eine Befreiungsgebühr von 8.000 USD bezahlen müssen, um einer Beschlagnahmung ihres Vermögens, bzw. des Vermögens ihrer Ehefrauen oder Kinder zu entgehen (DIS 5.2020, vgl. AA 29.11.2021).
Gesetzliche Lage und aktuelle Handhabung
Wehrdienstentzug wird gemäß dem Militärstrafgesetzbuch bestraft. In Art. 98-99 ist festgehalten, dass mit einer Haftstrafe von einem bis sechs Monaten in Friedenszeiten und bis zu fünf Jahren in Kriegszeiten bestraft wird, wer sich der Einberufung entzieht (AA 29.11.2021). Während manche die Ergreifung eines Wehrdienstverweigerers mit garantierter Folter und Todesurteil gleichsetzen (Landinfo 3.1.2018), sagen andere, dass Betroffene sofort eingezogen würden (DIS 5.2020; vgl. Landinfo 3.1.2018). Quellen berichten jedoch auch, dass gefasste Wehrdienstverweigerer riskieren, von den syrischen Behörden vor der Einberufung inhaftiert zu werden (DIS 5.2020). Die Konsequenzen hängen offenbar vom Einzelfall ab (Landinfo 3.1.2018; vgl. DIS 5.2020). Berichten zufolge betrachtet die Regierung Wehrdienstverweigerung nicht nur als eine strafrechtlich zu verfolgende Handlung, sondern auch als Ausdruck von politischem Dissens und mangelnder Bereitschaft, das Vaterland gegen „terroristische“ Bedrohungen zu schützen (STDOK 8.2017).
Gemäß Art. 101 wird Desertion mit fünf Jahren Haft oder mit fünf bis zehn Jahren Haft bestraft, wenn der Deserteur das Land verlässt. Die Todesstrafe ist gemäß Art. 102 bei Überlaufen zum Feind und gemäß Art. 105 bei geplanter Desertion im Angesicht des Feindes vorgesehen (AA 29.11.2021). Eine Quelle berichtet, dass Deserteure zwar in früheren Phasen des Krieges exekutiert wurden, jedoch habe die syrische Regierung ihre Vorgehensweise in den vergangenen Jahren geändert und aufgrund des vorherrschenden Bedarfs an der Front festgenommene Deserteure zum Teil zu kurzen Haftstrafen verurteilt (DIS 5.2020). Repressalien gegenüber Familienmitgliedern können insbesondere bei Familien von "high profile"-Deserteuren der Fall sein, also z.B. solche Deserteure, die Soldaten oder Offiziere getötet oder sich der bewaffneten Opposition angeschlossen haben (Landinfo 3.1.2018; vgl. DIS 5.2020). Weitere Einflussfaktoren sind der Rang des Deserteurs, Wohnort der Familie, der für dieses Gebiet zuständige Geheimdienst und zuständige Offizier sowie die Religionszugehörigkeit der Familie (DIS 5.2020). In ehemals von der Opposition kontrollierten Gebieten landeten zudem viele Deserteure und Überläufer, denen durch die "Versöhnungsabkommen" Amnestie gewährt werden sollte, in Haftanstalten oder sie starben in der Haft (DIS 5.2020).
Neben anderen Personengruppen sind regelmäßig auch Deserteure (DIS 5.2020) und Wehrdienstverweigerer Ziel des umfassenden Anti-Terror-Gesetzes (Dekret Nr. 19/2012) der syrischen Regierung (AA 4.12.2020; vgl. DIS 5.2020). Dazu kommen Ressentiments der in Syrien verbliebenen Bevölkerung gegenüber Wehrdienstverweigerern, die das Land verlassen haben und sich damit "gerettet" haben, während die verbliebenen jungen Männer im Krieg ihr Leben riskiert bzw. verloren haben (Balanche 13.12.2021).
Bzgl. Konfiszierungsmöglichkeiten im Rahmen des Anti-Terror-Gesetzes siehe Kapitel "Grundversorgung und Wirtschaft".
Im Rahmen sog. lokaler „Versöhnungsabkommen“ in den vom Regime zurückeroberten Gebieten sowie im Kontext lokaler Rückkehrinitiativen aus dem Libanon hat das Regime Männern im wehrpflichtigen Alter eine sechsmonatige Schonfrist zugesichert. Diese wurde jedoch in zahlreichen Fällen, auch nach der Einnahme des Südwestens, nicht eingehalten. Ein Monitoring durch VN oder andere Akteure zur Situation der Rückkehrer ist nicht möglich, da vielerorts kein Zugang für sie besteht; viele möchten darüber hinaus nicht als Flüchtlinge identifiziert werden. Sowohl in Ost- Ghouta als auch in den südlichen Gouvernements Dara‘a und Quneitra soll der Militärgeheimdienst dem Violations Documentation Center zufolge zahlreiche Razzien zur Verhaftung und zum anschließenden Einzug ins Militär durchgeführt haben. Neue Rekruten aus ehemaligen Oppositionsbastionen sollen in der Vergangenheit an die vorderste Front geschickt worden sein (AA 29.11.2021) Zudem sind in den "versöhnten Gebieten" Männer im entsprechenden Alter auch mit der Rekrutierung durch regimetreue bewaffnete Gruppen konfrontiert. In manchen dieser Gebiete drohte die Regierung auch, dass die Bevölkerung keinen Zugang zu humanitärer Hilfe erhält, wenn diese nicht den Regierungseinheiten beitreten (FIS 14.12.2018).
Zu den "Versöhnungsabkommen" siehe auch Abschnitt "Versöhnungsabkommen" im Kapitel "Sicherheitslage".
Die Informationslage bezüglich wehrpflichtiger Rückkehrer ist widersprüchlich: Nach Einschätzung von Human Rights Watch nutze das Regime Schlupflöcher in den Amnestiedekreten aus, um Rückkehrer unmittelbar nach Einreise wieder auf Einberufungslisten zu setzen. Amnesty International dokumentierte Fälle von Rückkehrern, die aufgrund der Wehrpflicht zunächst festgenommen und nach Freilassung unmittelbar in den Militärdienst eingezogen wurden (AA 29.11.2021). Einem Experten sind hingegen keine Berichte von Wehrdienstverweigerern bekannt, die aus dem Ausland in Gebiete unter Regierungskontrolle zurückgekehrt sind. Ihm zufolge kann nicht mit Sicherheit gesagt werden, was in so einem Fall passieren würde. Laut einem Experten wäre es aber wahnsinnig, als Wehrdienstverweigerer aus Europa ohne Sicherheitsbestätigung und politische Kontakte zurückzukommen. Wenn keine "Befreiungsgebühr" bezahlt wurde, müssen zurückgekehrte Wehrdienstverweigerer ihren Wehrdienst ableisten. Wer die Befreiungsgebühr entrichtet hat und offiziell vom Wehrdienst befreit ist, wird nicht eingezogen. Es gibt verschiedene Meinungen darüber, ob Wehrdienstpflichtige zurzeit sofort eingezogen, oder zuerst inhaftiert und dann eingezogen werden: Laut Balanche ist der Bedarf an Soldaten weiterhin hoch genug, dass man wahrscheinlich nicht inhaftiert, sondern mit oder ohne mangelhaftem Training direkt an die Front geschickt wird (Balanche 13.12.2021). Die Strafe für das Sich-Entziehen vom Wehrdienst ist oft Haft und im Zuge dessen auch Folter. Während vor ein paar Jahren Wehrdienstverweigerer bei Checkpoints meist vor Ort verhaftet und zur Bestrafung direkt an die Front geschickt wurden (als "Kanonenfutter"), werden Wehrdienstverweigerer derzeit laut Uğur Üngör wahrscheinlich zuerst verhaftet. Seit die aktivsten Kampfgebiete sich beruhigt haben, kann das Regime es sich wieder leisten, Leute zu inhaftieren (Gefängnis bedeutet immer auch Folter, Wehrdienstverweigerer würden hier genauso behandelt wie andere Inhaftierte oder sogar schlechter). Selbst für privilegierte Leute mit guten Verbindungen zum Regime ist es nicht möglich, als Wehrdienstverweigerer nach Syrien zurückzukommen - es müsste erst jemand vom Geheimdienst seinen Namen von der Liste gesuchter Personen löschen. Auch nach der Einberufung ist davon auszugehen, dass Wehrdienstverweigerer in der Armee unmenschliche Behandlung erfahren werden (Üngör 15.12.2021). Laut Kheder Khaddour würde man als Wehrdienstverweigerer wahrscheinlich ein paar Wochen inhaftiert und danach in die Armee eingezogen (Khaddour 24.12.2021).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (29.11.2021): Bericht über die Lage in der Arabischen Republik Syrien (Stand: November 2021), https://milo.bamf.de/OTCS/cs.exe?func=ll&objId=23477210&objAction=Open&nexturl=%2FOTCS%2Fcs%2Eexe%3Ffunc%3Dll%26objId%3D23521818%26objAction%3Dbrowse%26viewType%3D1 , Zugriff 3.3.2022.
AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (4.12.2020): Bericht über die Lage in der Arabischen Republik Syrien, https://milo.bamf.de/milop/cs.exe/fetch/2000/702450/683266/683300/684459/684542/6038295/22065632/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt ,_Bericht_%C3%BCber_die_Lage_in_der_Arabischen_Republik_Syrien_(Stand_November_2020),_04.12.2020.pdf?nodeid=22479918&vernum=-2, Zugriff 18.1.2021.
Balanche, Fabrice - Universität Lyon 2, Washington Institute (13.12.2021): Interview, per Videotelefonie.
DIS – Danish Immigration Service [Dänemark] (5.2020): Syria – Military Service, Report based on a fact-finding mission to Istanbul and Beirut (17-25 February 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2031493/Report_Syria_Military_Service_may_2020.pdf , Zugriff 22.7.2020.
DIS/DRC - Danish Immigration Service [Denmark]/ Danish Refugee Council (2.2019): Security Situation in Damascus Province and Issues Regarding Return to Syria, https://nyidanmark.dk/-/media/Files/US/Landerapporter/Syrien_FFM_rapport_2019_Final_31012019.pdf?la=da&hash=A4D0089B4FB64FC6E812AF6240757FC0097849AC , Zugriff 8.9.2020.
FIS – Finnish Immigration Service [Finnland] (14.12.2018): Syria: Fact-Finding Mission to Beirut and Damascus, April 2018, https://migri.fi/documents/5202425/5914056/Syria_Fact-finding+mission+to+Beirut+and+Damascus%2C+April+2018.pdf , Zugriff 22.7.2020.
Khaddour, Kheder - Gast-Wissenschaftler am Malcolm H. Kerr Carnegie Middle East Center (24.12.2021): Interview, per Videotelefonie.
Landinfo [Norwegen] (3.1.2018): Syria: Reactions against deserters and draft evaders, https://www.ecoi.net/en/file/local/1441219/1226_1534943446_landinfo-report-syria-reactions-against-deserters-and-draft-evaders.pdf , Zugriff 7.9.2020.
STDOK – Staatendokumentation des BFA [Österreich] (8.2017): Fact Finding Mission Report Syrien – mit ausgewählten Beiträgen zu Jordanien, Libanon und Irak, https://www.ecoi.net/file_upload/5618_1507116516_ffm-bericht-syrien-mit-beitraegen-zu-jordanien-libanon-irak-2017-8-31-ke.pdf , Zugriff 24.7.2020.
Üngör, Uğur Ümit - Professor für Geschichte, Universität Amsterdam und NIOD Institut (15.12.2021): Interview, per Videotelefonie.
2. Beweiswürdigung:
Beweis wurde erhoben durch Einsicht in den Verwaltungsakt, den Gerichtsakt, das Zentrale Melderegister, das Fremdeninformationssystem, und das Grundversorgungs-Informationssystem.
2.1. Zur Person des Beschwerdeführers:
Die Feststellungen zur Identität (Name und Geburtsdatum) des BF ergeben sich insbesondere aus dem vorgelegten syrischen Personalausweis (ID-Karte) und dem abgelaufenen Reisepass im Original.
Die Feststellungen zur Staats-, Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit, sowie zur Muttersprache des BF gründen auf den diesbezüglich glaubhaften und stets gleichbleibenden Angaben des BF. Auch seinen Lebenslauf (Aufenthaltsorte, Schuldbildung und Berufserfahrungen) und den Verbleib seiner Angehörigen konnte der BF im Verfahren glaubwürdig und widerspruchsfrei schildern, und sieht das Gericht keinen Anlass die Angaben des BF hierzu in Zweifel zu ziehen.
Der Zeitpunkt der Antragstellung und dass dem BF der Status des subsidiär Schutzberechtigten zukommt, ergibt sich aus der Aktenlage. Die Antragstellung ist den syrischen Behörden nicht bekannt geworden, da es den österreichischen Behörden verboten ist, solche Informationen mit ausländischen Behörden zu teilen und kein Anzeichen für einen Bruch dieser Norm zu sehen ist, sowie der BF nicht vorgebracht hat, dass er dieses Faktum den syrischen Behörden mitgeteilt hat.
2.2. Zu den Fluchtgründen des BF:
Der BF hat wegen seiner Schul-/Hochschulausbildung wiederholt Aufschub vom Militärdienst erhalten und bislang somit noch keinen Wehrdienst bei der syrischen Armee geleistet. Obwohl er seine universitäre Ausbildung abgeschlossen und bereits jahrelang als Arabischlehrer gearbeitet hat, wurde seinem Ausreiseantrag von der zuständigen Behörde offenbar stattgegeben und war ihm letztlich eine legale Ausreise aus seiner Heimat möglich. Er hat somit die gesetzlich vorgesehenen Ausreiseformalitäten für Männer im wehrfähigen Alter erfüllt und sich damit nicht dem Wehrdienst in seiner Heimat entzogen bzw. diesen verweigert (vgl. Verhandlung vom 31.10.2022: „Weil ich den Wehrdienst verweigert habe, bin ich ein Verweigerer.“). Es ist daher nicht davon auszugehen, dass eine unmittelbare Einziehung des BF zur syrischen Armee beabsichtigt war. Aufgrund seiner Schilderungen ist nämlich davon auszugehen, dass er die gesetzlichen Rahmenbedingungen des syrischen Wehrgesetzes stets erfüllt hat (vgl. Einvernahme vom 09.04.2021: „Ich bin auf legalem Weg in den Libanon, ich habe dafür Papiere bekommen. […] Im XXXX habe ich Syrien mit den nötigen Papieren für den Libanon verlassen.“, Verhandlung vom 31.10.2022: „Ich hatte auch mehrere Aufschübe bis XXXX . […] Nein, die erhaltenen Aufschübe sind rechtskonform erfolgt, das war keines Falls etwas illegales.“). Der BF hat zwar vorgebracht, dass er von den syrischen Militärbehörden gesucht worden sei und auch einen Einberufungsbefehl erhalten habe, diesem Vorbringen stehen jedoch die erteilte Ausreisebewilligung und die legale Ausreise aus seiner Heimat entgegen (vgl. Einvernahme vom 09.04.2021: „Ich musste im XXXX zur Behörde gehen, um dort meinen Militäraufschub verlängern zu lassen. Dieser war bis XXXX gültig und dann wurde ich vom Beamten der den Aufschub machte zur Grenze begleitet und an der Grenze bekam ich dann einen Stempel in meinen Reisepass für die legale Ausreise in den Libanon.“). Außerdem wäre mit hoher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass seine nach wie vor in Syrien lebende Familie über Besuche von Behördenvertretern oder Militärangehörigen auf der Suche nach dem BF berichtet hätte. Derartiges wurde von ihm jedoch nie behauptet. Schließlich hat der BF selbst zugegeben, dass es sich beim vorliegenden Einberufungsbefehl um ein Formschreiben handelt, welches jedem Aufschub beiliegt (vgl. Einvernahme vom 09.04.2021: „Als ich meinen Aufschub damals verlängern wollte, habe ich zugleich diesen Einberufungsbefehl bekommen. Das bekommt man mit jedem Aufschub und da steht, dann drauf, dass mit dem nächsten Aufschub dieses Schreiben hinfällig ist.“). Insoweit er im Rahmen der mündlichen Verhandlung von einer Bestechung des zuständigen Beamten bzw. von einem Vermittler gesprochen hat, der die behördlichen Wege für ihn durchgeführt hätte, finden diese Vorbringen in den Ausführungen vor der belangten Behörde keine Deckung bzw. bestand laut seinen bisherigen Aussagen gar kein Grund dafür (vgl. Einvernahme vom 09.04.2021: „Ich hätte mit diesem Aufschub genau in den Libanon ausreisen können, denn bis dahin hätte ich die Papiere für den legalen Aufenthalt im Libanon bekommen.“, Beschwerde vom 28.05.2021: „Die – ebenfalls nicht relevante – Tatsache, dass der BF bis zur Ausreise aus Syrien noch Kontakt zu syrischen Behörden (etwa bei der legalen Ausreise in den Libanon) hatte sowie noch keine (Militär-)Behörde Verfolgungshandlungen gegen ihn gesetzt hätte, überrascht bei Vorliegen eines chronologischen Verständnisses für die vom BF geschilderten Abläufe nicht.“, Verhandlung vom 31.10.2022: „Ich hatte auch mehrere Aufschübe bis XXXX . […] Den Aufschub brauchte ich, damit ich einen Antrag auf Ausreise stellen kann.“). Der BF konnte insgesamt daher weder eine drohende Einziehung zum Grundwehrdienst bei der syrischen Armee noch eine Wehrdienstentziehung bzw. Verweigerung glaubhaft machen. Jedenfalls befindet er sich aktuell schon im XXXX Lebensjahr, daher grundsätzlich noch im wehrfähigen Alter, jedoch ziehen die syrischen Behörden laut Länderberichten vornehmlich Männer bis zu einem Alter von 27 Jahren ein, während Ältere sich eher auf Ausnahmen berufen können. Auch der Umstand, dass er bislang keine militärische Ausbildung erhalten hat und nie an militärischen Einsätzen beteiligt war (vgl. Einvernahme vom 09.04.2021: „F: Haben Sie jemals selbst gekämpft bzw. an Kampfhandlungen teilgenommen? A: Nein, das habe ich nicht. Ich bin gegen Gewalt. F: Waren Sie jemals Mitglied einer bewaffneten Gruppierung? A: Nein, das war ich nicht.“), mindert letztlich seine soldatische Eignung bzw. Verwendbarkeit und damit ein allfälliges Interesse der syrischen Armee an seiner Person. Es ist daher nicht mit der erforderlichen Sicherheit anzunehmen, dass er bei einer Rückkehr von den syrischen Militärbehörden oder von anderen, oppositionellen Gruppierungen tatsächlich noch als Soldat herangezogen bzw. einer Wehrdienstverweigerung verdächtigt werden könnte. Es besteht zwar die bloße Möglichkeit, aber nicht die hinreichende Wahrscheinlichkeit bzw. das reale Risiko einer Einziehung des BF zum Militärdienst.
Insoweit der BF im Verfahren daher eine Einberufung als Soldat bzw. Wehrdienstleistender in den Raum gestellt hat, konnte er diesen Umstand letztlich nicht nachvollziehbar und glaubwürdig darlegen. Vielmehr konnte er seine Heimat problemlos legal verlassen, nachdem er sich gesetzeskonform um eine Ausreisegenehmigung bemüht hat (vgl. Einvernahme vom 09.04.2021: „Ich bin auf legalem Weg in den Libanon, ich habe dafür Papiere bekommen.“). Es kann daher nicht davon gesprochen werden, dass er vor einer Einziehung zum Militärdienst geflüchtet ist bzw. sich der bevorstehenden bzw. geplanten Rekrutierung durch die syrische Armee entzogen hat. Außerdem hat er während seiner Ausbildungszeit bzw. seines Studiums wiederholt Aufschub erhalten und somit den Anforderungen des syrischen Wehrgesetzes stets entsprochen. Dass er diese Aufschübe unrechtmäßig oder durch Bestechung erhalten hat, hat er selbst ausgeräumt (vgl. Verhandlung vom 31.10.2022: „Ich hatte auch mehrere Aufschübe bis XXXX . […] Nein, die erhaltenen Aufschübe sind rechtskonform erfolgt, das war keines Falls etwas illegales.“). Dies wird letztlich auch durch seine Schilderungen deutlich, welchen weder persönliche Kontaktaufnahmen durch Angehörige der syrischen Armee oder Ereignisse bzw. Erlebnisse zu entnehmen waren, die eine geplante Einziehung seiner Person zu den syrischen Streitkräften wirklich nahelegen würden. Jedenfalls wäre mit Sicherheit keine legale Ausreise möglich gewesen bzw. hätte der BF keine Bewilligung für seine Ausreise bekommen. Insbesondere im Hinblick auf den laut seinen Angaben zeitnah zur Ausreise abgelaufenen Aufschub.
Bei den von ihm geäußerten Befürchtungen handelt es sich zudem bloß um Vermutungen bzw. unbelegte Mutmaßungen (vgl. Einvernahme vom 09.04.2021: „Aber wenn ich zurückkehre, dann muss ich mit einer Strafe rechnen oder wenn ich nicht die Todesstrafe bekomme, dann werden sie mich in den Krieg schicken. F: Hätten Sie Probleme mit der Polizei oder anderen Behörden im Falle Ihrer Rückkehr? A: Ja, das hätte ich sicher. Mit dem gesamten Regime.“, Verhandlung vom 31.10.2022: „Falls sie mich erwischen, ist es wahrscheinlich, dass sie mich verhaften, foltern oder töten. […] Ich habe angst verhaftet, oder getötet zu werden. Weil ich den Wehrdienst verweigert habe, bin ich ein Verweigerer.“), welche er letztlich weder mit tatsächlichen Vorfällen oder Geschehnissen, noch mit konkreten Erfahrungen oder persönlichen Wahrnehmungen untermauern konnte. Er konnte eine derartige Gefährdung daher nicht glaubhaft machen. Schließlich handelt es sich, wie bereits ausgeführt, vor dem Hintergrund der Zuerkennung des subsidiären Schutzes an den BF dabei ohnehin nur um eine hypothetische Beurteilung der Rückkehrsituation.
Vor diesem Hintergrund sind auch die im Verfahren vorgelegten Beweismittel (vor allem der Einberufungsbefehl) zu sehen. Von der Bestätigung des BF im Rahmen seiner Einvernahme abgesehen, dass es sich beim vorliegenden „Einberufungsbefehl“ eigentlich bloß um ein Formschreiben handelt, welches bei einem neuerlichen Aufschub gegenstandslos wird, ist auf den Umstand hinzuweisen, dass der BF nach dem Abschluss seines Studiums offenbar trotzdem noch mehrere Jahre einen Aufschub bekommen hat, im Rahmen der Verhandlung aber nicht dazu bereit oder fähig war, Angaben zu den näheren Hintergründen für die weiteren Aufschübe zu machen (vgl. Verhandlung vom 31.10.2022: „R: Der Aufschub funktionierte nur bis XXXX . […] BF: Ich hatte auch mehrere Aufschübe bis XXXX . […] R: Wieso gab es vier Jahre lang Aufschübe ohne, dass man nur ansatzweise versucht hat, Sie zu rekrutieren? BF: Wir haben in einem Ort gelebt, wo die Regierung nicht die Macht hatte. […] R: Dann verstehe ich die Aufschübe nicht. […] BF: Den Aufschub brauchte ich, damit ich einen Antrag auf Ausreise stellen kann. […] R: Mit anderen Worten: XXXX scheint es kein Interesse gegeben zu haben, dass Sie den Wehrdienst absolvieren? Obwohl man wusste, dass Sie ausreisen, gewährt man sowohl den Aufschub als auch die Ausreise? BF: Natürlich hatte man Interesse, aber ich hatte einen Aufschub.“). Es konnte daher weder geklärt werden, warum er noch rund fünf Jahre nach seinem Studium vom Militärdienst befreit wurde, noch konnte er plausibel und nachvollziehbar vermitteln, warum er bereits Jahre vor seiner Ausreise immer wieder einen Aufschub beantragt und damit auf sich aufmerksam gemacht hat bzw. warum es keinen weiteren Aufschub mehr für ihn gegeben hätte. In diesem Zusammenhang ist lediglich ergänzend darauf hinzuweisen, dass es laut Länderberichten vermehrt auch zur Einziehung von Personen kommt, die einen Aufschub oder eine Befreiung haben. Jedenfalls werden in Syrien bekanntlich zahlreiche Schreiben von Behörden mit unrichtigem Inhalt ausgestellt, sodass es vor dem Hintergrund des gesamten Sachverhalts letztlich auch nicht ausgeschlossen werden kann, dass es sich bloß um ein Gefälligkeitsschreiben gegen Entgelt handelt.
Schließlich gibt es keine stichhaltigen und belastbaren Hinweise auf (exil)politische gegen das syrische Regime gerichtete Aktivitäten des BF, wie z.B. Demonstrationen innerhalb oder außerhalb seines Landes, welche ihn entsprechend exponiert hätten und damit geeignet wären, ihn tatsächlich in das Blickfeld der syrischen Behörden zu rücken oder dass er auch nur eine derartige regimekritische Gesinnung hat bzw. öffentlich kundtun würde, sodass sich seine Befürchtungen, vom Regime möglicherweise als Kritiker oder Gegner wahrgenommen zu werden, auch aus diesem Grund nicht rechtfertigen lassen (vgl. Verhandlung vom 31.10.2022: „Es war eine normale Demo. […] Das waren friedliche Demos. […] Es haben absolut alle Syrer demonstriert. R: Das glaube ich in dieser Allgemeinheit nicht. BF: Doch, es war so.“). Eine Gefährdung des BF durch die syrische Regierung kann daher auch aus diesem Grund nicht festgestellt werden.
Das Gericht verkennt nicht, dass die Schwelle, von Seiten des syrischen Regimes, als oppositionell betrachtet zu werden niedrig ist sowie, dass Personen aus unterschiedlichen Gründen und teilweise willkürlich als regierungsfeindlich angesehen werden. Es übersieht auch nicht, dass in ganz Syrien bestimmte Personen aufgrund ihrer tatsächlichen oder wahrgenommenen bzw. zugeschriebenen politischen Meinung oder Zugehörigkeit direkt angegriffen werden oder ihnen auf andere Weise Schaden zugefügt wird. Diese Zuschreibung basiert oft nur auf den familiären Verbindungen der Person, ihrem religiösen oder ethnischen Hintergrund oder einfach auf ihrer Präsenz in oder Herkunft aus einem bestimmten Gebiet, das als "regierungsfreundlich" oder "regierungsfeindlich" gilt. In Bezug auf den BF ergaben sich jedoch im Verfahren keine Hinweise darauf, dass diese allgemeinen Berichte und die darauf fußenden Möglichkeiten einer asylrelevanten Behandlung im gegenständlichen Falle auf die konkrete Situation des BF anzunehmen sind.
Er hat im gesamten Verfahren auch keine (wesentlichen) Probleme oder Schwierigkeiten aufgrund seiner Volksgruppenzugehörigkeit oder Konfession angegeben bzw. von öffentlich wahrnehmbaren politischen Aktivitäten gesprochen (vgl. Verhandlung vom 31.10.2022: „BFV: Ist er der Typ, der das für sich behalten kann, oder ist er der Typ der das öffentlich macht. BF: Ich will keine Probleme, ich behalte alles für mich. […] R: Wurden Sie aufgrund Ihrer Rasse, Nationalität bzw. Zugehörigkeit zu einer best. sozialen Gruppe verfolgt? BF: Nein. R: Wurden Sie aus religiösen Gründen verfolgt? BF: Nein. R: Wurden Sie aus religiösen Gründen verfolgt? BF: Nein.“). Auch aus den sonstigen in der GFK enthaltenen Gründen konnte keine für den BF bestehende (bzw. künftig drohende) Verfolgung in der Heimat abgeleitet werden.
2.3. Zur maßgeblichen Situation im Herkunftsland:
Die zur Situation in Syrien getroffenen Feststellungen beruhen auf dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, zu dem dem Beschwerdeführer und seiner Rechtsberatung im behördlichen Verfahren Parteiengehör gewährt wurde. Zu dem Bericht wurden auch in der Beschwerde keine substantiierten Zweifel vorgebracht. Das Bundesverwaltungsgericht hat von sich aus keinen Grund, an der Aktualität, Relevanz und Verlässlichkeit dieser Berichte zu zweifeln.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A)
Gemäß § 3 AsylG 2005 ist Asylwerbern auf Antrag der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft gemacht wurde, dass diesen im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art 1 Abschnitt A Z 2 GFK, droht und dem Fremden keine innerstaatliche Fluchtalternative gemäß § 11 AsylG offen steht und dieser auch keinen Asylausschlussgrund gemäß § 6 AsylG gesetzt hat.
Gemäß § 2 Abs 1 Z 17 AsylG ist unter Herkunftsstaat der Staat, dessen Staatsangehörigkeit der Fremde besitzt, oder – im Falle der Staatenlosigkeit – der Staat seines früheren gewöhnlichen Aufenthaltes zu verstehen. Der BF ist syrischer Staatsangehöriger und hatte seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Syrien. Syrien ist daher zweifellos sein Herkunftsstaat.
Es ist daher zu prüfen, ob dem BF in Syrien vor seiner Ausreise Verfolgung im Sinne des Art 1 Abschnitt A Z 2 GFK gedroht hat oder im Falle einer Rückkehr drohen würde, wobei auf Grund der rechtskräftigen Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten davon auszugehen ist, dass dem BF mangels hinreichender Sachverhaltsänderung eine innerstaatliche Fluchtalternative nicht zur Verfügung steht (vgl. VwGH 13.11.2014, Ra 2014/18/0011 bis 0016).
Verfolgung im Sinne des Art 1 Abschnitt A Z 2 GFK, droht einer Person, die sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb des Herkunftsstaates befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; ebenso droht entsprechende Verfolgung einer Person, die staatenlos ist und sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes ihres gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in den Herkunftsstaat zurückzukehren. Es ist auszuführen, dass § 3 Abs 1 AsylG auf den Flüchtlingsbegriff (drohende Verfolgung im Herkunftsstaat) im Sinne des Art 1 Abschnitt A Z 2 GFK verweist. Danach ist entscheidend, ob glaubhaft ist, dass den Fremden in ihrem Herkunftsstaat Verfolgung droht. Dies ist dann der Fall, wenn sich eine mit Vernunft begabte Person in der konkreten Situation der Asylwerber unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat fürchten würde (VwGH 24.06.2010, 2007/01/1199). Weiters setzt die Annahme einer begründeten Furcht vor Verfolgung nicht voraus, dass der Asylwerber vor seiner Ausreise eine individuell gegen ihn gerichtete Verfolgungshandlung bereits erlitten haben müsste oder ihm zumindest eine solche bereits konkret angedroht worden wäre; eine derartige Befürchtung ist auch dann gerechtfertigt, wenn die Verhältnisse im Heimatland des Asylwerbers dergestalt sind, dass die Angst vor der vorgebrachten, drohenden Verfolgung objektiv nachvollziehbar ist (siehe VwGH 25.01.1996, 95/19/0008, wenn auch zum AsylG 1991, jedoch unter Bezugnahme auf den Flüchtlingsbegriff der GFK).
Nicht glaubhaft gemacht worden ist das vorgebrachte Risiko aufgrund der unterstellten oppositionellen Gesinnung verfolgt zu werden.
Der BF brachte im Wesentlichen vor, dass er sein Heimatland wegen des Krieges verlassen habe, bzw. dass er Angst gehabt habe, bei einer Rückkehr zum Militär gehen und mitkämpfen zu müssen, bzw. dass er mit einer Strafe rechnen müsste oder wenn er nicht die Todesstrafe bekommt, dann würden sie ihn in den Krieg schicken, bzw. dass er Angst habe, verhaftet oder getötet zu werden, weil er den Wehrdienst verweigert habe. Sein diesbezügliches Vorbringen war jedoch äußerst oberflächlich, vage sowie unsubstantiiert und damit letztlich nicht glaubwürdig.
Alleine die Behauptungen, er müsste bei einer Rückkehr in seine Heimat mit einer Strafe bzw. damit rechnen, dass sie ihn in den Krieg schicken, wenn er nicht (überhaupt) die Todesstrafe bekommt, bzw. er hätte sicher Probleme mit dem gesamten Regime, lassen keinen Rückschluss auf eine für den BF tatsächlich bestehende Verfolgungsgefahr zu, zumal es sich zum einen lediglich um Vermutungen des BF handelt, für welche sich weder in seinem Vorbringen noch in den Länderberichten ausreichende Grundlagen finden lassen, zum anderen konnte er insgesamt keine Gründe glaubhaft machen, die tatsächlich geeignet wären, ihm eine regimekritische Einstellung zu unterstellen bzw. ihn als möglichen Regimekritiker oder „Hochverräter“ wirklich in den Fokus der syrischen Behörden zu rücken.
In Hinblick darauf, dass sich der BF regelmäßig um den Aufschub seines Militärdienstes gekümmert bzw. dass er sogar die Formalitäten für wehrfähige Männer eingehalten und vor seiner legalen Ausreise entsprechend angesucht hat, bzw. dass er sich bereits im 37. Lebensjahr, somit in einem Alter befindet, in dem eine Einziehung zum (erstmaligen) Wehrdienst wenig wahrscheinlich ist, und dass er auch keiner Partei nahe stand bzw. sich politisch nicht öffentlich wahrnehmbar engagierte sowie bislang keine konkreten Schwierigkeiten mit den syrischen Behörden hatte, bzw. aufgrund seiner Eigenschaften (keinerlei militärische Ausbildung bzw. relevante Berufstätigkeit) auch eine Einziehung zum Militärdienst bzw. damit eine mögliche Militärdienstverweigerung auszuschließen ist, fehlt es gemäß den relevanten Länderberichten der Annahme einer Verfolgungsgefahr durch das syrische Regime wegen einer dem BF auch nur unterstellten oppositionellen politischen Gesinnung an der nötigen Wahrscheinlichkeit.
Die gegenständliche Einschätzung soll keineswegs das Ausmaß an Willkür, Menschenrechtsverletzungen und die Gefahrenpotentiale, der bzw. denen vom syrischen Regime als oppositionell angesehene Personen ausgesetzt sein können, banalisieren. In Bezug auf das allgemeine Sicherheitsrisiko wurde dem BF auch zu Recht subsidiärer Schutz gewährt. Dennoch fehlt es in seinen persönlichen Umständen an Hinweisen auf eine individuelle, ihn persönlich betreffende maßgeblich wahrscheinliche Verfolgungsgefahr, weshalb der Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides nicht stattgegeben werden kann.
Wie festgestellt und in der Beweiswürdigung ausgeführt, droht dem BF im Falle der Rückkehr nach Syrien keine Verfolgung.
Die Beschwerde war daher abzuweisen.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzlichen Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen (siehe dazu insbesondere die unter A) zitierte Judikatur). Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden, noch im Verfahren vor dem erkennenden Gericht hervorgekommen, zumal im vorliegenden Fall vornehmlich die Klärung von Sachverhaltsfragen Grundlage für die zu treffende Entscheidung war.
Die oben in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des VwGH ist zwar zum Teil zu früheren Rechtslagen ergangen, sie ist jedoch nach Ansicht des erkennenden Gerichts auf die inhaltlich weitestgehend gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.
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