BVwG W228 2253370-1

BVwGW228 2253370-114.9.2022

AlVG §24
AlVG §38
AlVG §49
B-VG Art133 Abs4

European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2022:W228.2253370.1.00

 

Spruch:

W228 2253370-1/9E

 

IM NAMEN DER REPUBLIK!

 

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Harald WÖGERBAUER als Vorsitzenden und die fachkundigen Laienrichter Mag. Dr. Kurt SCHEBESTA sowie Philipp KUHLMANN als Beisitzer in der Beschwerdesache von XXXX , SV XXXX , in nicht öffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

A)

Der Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 1 und 2 VwGVG stattgegeben und die Beschwerdevorentscheidung vom 11.03.2022 wird aufgehoben. Die Notstandshilfe ist über das vormalige Einstellungsdatum 28.10.2021 hinaus im gesetzlichen Ausmaß, das sind € 23,27 täglich, weiter zu gewähren.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

 

Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Mit Bescheid des Arbeitsmarkservice Krems (im Folgenden: AMS) vom 09.12.2021 wurde gemäß § 38 in Verbindung mit den §§ 24 Abs. 1 und 49 AlVG die Notstandhilfe wegen Nichteinhaltung eines Kontrollmeldetermins ab 28.10.2021 eingestellt. Begründend wurde ausgeführt, dass die Beschwerdeführerin und ihr Erwachsenenvertreter nachweislich die Vorschreibung des Kontrollmeldetermins am 28.10.2021 erhalten haben, dieser wurde jedoch trotz Rechtsmittelbelehrung [gemeint: Rechtsfolgenbelehrung] von der Beschwerdeführerin nicht eingehalten.

Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 10.01.2022, vertreten durch ihren Erwachsenenvertreter, fristgerecht Beschwerde. Begründend wurde zusammengefasst ausgeführt, dass die Beschwerdeführerin an einer schon früher objektivierten sozialen Phobie und Panikstörung leide und daher schaffe es die BF nicht, für eigene Erledigungen wie Behördengänge, Arztbesuche etc. ihre Wohnung zu verlassen.

Im Verfahren über die Beschwerde erließ das AMS als belangte Behörde gemäß § 14 VwGVG iVm § 56 AlVG eine mit 11.03.2022 datierte Beschwerdevorentscheidung, mit der die Beschwerde abgewiesen wurde. Begründend wurde zusammengefasst zu den Ausführungen im Ausgangsbescheid ergänzt, dass der Kontrollmeldetermin der Überprüfung der Verfügbarkeit gem. § 7 AlVG, insbesondere Arbeitsfähigkeit gem. § 8 AlVG, dienen sollte. Die Notstandshilfe sei daher ab 28.10.2021 einzustellen gewesen.

Mit Schreiben vom 24.03.2022 stellte die Beschwerdeführerin, vertreten durch ihren Erwachsenenvertreter, fristgerecht einen Antrag auf Vorlage.

Der Vorlageantrag und die Beschwerde wurden gemäß § 15 Abs. 2 letzter Satz VwGVG unter Anschluss der Akten des Verfahrens am 29.03.2022 dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vorgelegt.

Das Bundesverwaltungsgericht hat mit Beschluss vom 13.05.2022 Herrn Dr. XXXX zum Gutachter im gegenständlichen Verfahren bestellt.

Das Gutachten vom 15.08.2022 langte am selben Tag beim Bundesverwaltungsgericht ein und ergab, auf das Wesentliche zusammengefasst, dass keine wesentlichen Änderungen zum Vorgutachten vom 19.11.2020 eingetreten seien, dass die Beschwerdeführerin in der Lage gewesen sei, das Wesen eines Kontrolltermins am 28.10.2021 bzw. einen Monat davor zu verstehen, allerdings die Beschwerdeführerin am 28.10.2021 nicht in der Lage gewesen sei, dieser Einsicht gemäß zu handeln.

Das Bundesverwaltungsgericht hat mit Schreiben vom 18.08.2022 dem AMS Parteiengehör zum Gutachten gewährt.

Am 09.09.2022 langte eine Stellungnahme des AMS, datierend auf den selben Tag, beim Bundesverwaltungsgericht ein. Darin wurde ausgeführt, dass die Einvernahme der Beschwerdeführerin beantragt werde und zwar zum Beweisthema, dass sich das Bundesverwaltungsgericht einen persönlichen Eindruck verschaffen möge, ob sich die Beschwerdeführerin zur Aufnahme und Ausübung einer auf dem Arbeitsmarkt üblicherweise angebotenen, den gesetzlichen und kollektivvertraglichen Vorschriften entsprechenden zumutbaren versicherungspflichtigen Beschäftigung bereithalte.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Die Beschwerdeführerin stand zuletzt vom 26.03.2020 bis 27.10.2021 im Notstandshilfebezug.

Im psychiatrischem Gutachten vom 19.11.2020 wurde in der Zusammenfassung folgendes ausgeführt:

„Bei der heutigen Untersuchung von Frau XXXX stehen die Symptome einer sozialen Phobie (F40.l nach ICD-IO) im Vordergrund. Darüber hinaus liegen eine Panikstörung (F41.0 nach ICD-IO) sowie Auffälligkeiten im Persönlichkeitsbereich im Sinne einer kombinierten Persönlichkeitsstörung mit selbstunsicheren und dependenten Anteilen (F61 nach ICD- 10) vor.

Während es sich bei den angeführten Persönlichkeitsmerkmalen um andauernde Veränderungen mit Beginn im Jugendalter handelt, hat sich die Angstsymptomatik bei der Betroffenen nach dem Tod des Vaters vor acht Jahren entwickelt und dazu geführt, dass Frau XXXX nicht mehr in der Lage war, ihre materielle Existenz zu sichern, da sie über Jahre hinweg das Haus nicht mehr verlassen hat. Die Betroffene war von 2012 bis März 2020 ohne Bezüge und ohne Krankenversicherung. Ob eine solche aktuell vorhanden ist, kann im Rahmen der heutigen Begutachtung nicht geklärt werden.

Frau XXXX kann aufgrund ihrer ausgeprägten Ängste weder Termine einhalten noch Amtswege erledigen. Es besteht ein ausgeprägtes Vermeidungsverhalten, wobei im sozialen Umfeld der Betroffenen keine ausreichenden Unterstützungsmöglichkeiten vorhanden sind. Frau XXXX ist nicht in der Lage, aus eigener Kraft eine Veränderung ihrer äußerst prekären Lebenssituation herbeizuführen, da sie Entscheidungen anderen überlässt und eine passive Grundhaltung zeigt.

Die Betroffene verfügt zwar aktuell über ein geringes Einkommen. hat aber kein eigenes Konto und kann keine Angaben zur Höhe ihrer finanziellen Verbindlichkeiten machen. Eine Schuldenregulierung ist bis dato nicht erfolgt.

Frau XXXX lebt in einem Haus ohne Strom und ohne suffiziente Heizmöglichkeit, wobei aufgrund des bevorstehenden Winters und der damit verbundenen Gesundheitsgefährdung dringender Handlungsbedarf gegeben scheint.

Aus nervenärztlicher Sicht ist Frau XXXX in Anbetracht ihrer psychiatrischen Multimorbidität keinesfalls in der Lage, ihre Angelegenheiten ohne Gefahr eines Nachteils für sich selbst zu besorgen.

Die Bestellung eines gerichtlichen Erwachsenenvertreters für die Verwaltung von Einkommen, Vermögen und Verbindlichkeiten sowie für die Vertretung vor Ämtern, Behörden, Sozialversicherungsträgern und bei Rechtsgeschäften, die über Geschäfte des täglichen Lebens hinausgehen, wird daher empfohlen.

Die Betroffene wäre ohne Einschränkung in der Lage einer mündlichen Verhandlung zu folgen. Das persönliche Erscheinen bei Gericht ist Frau XXXX jedoch in Anbetracht der ausgeprägten Angstsymptomatik nicht zumutbar.“

Mit Beschluss des Bezirksgerichtes Krems an der Donau vom 23.02.2021 wurde Mag. XXXX , Rechtsanwalt in 3500 Krems, zum gerichtlichen Erwachsenenvertreter gemäß § 271 ABGB bestellt. Die gerichtliche Erwachsenenvertretung umfasst die Verwaltung von Einkommen, Vermögen und Verbindlichkeiten, die Vertretung bei Gerichten, Verwaltungsbehörden, Sozialversicherungsträgern, sowie die Vertretung bei Rechtsgeschäften, die über die Geschäfte des täglichen Lebens hinausgehen.

Mit Bescheid der PVA vom 26.04.2021 wurde der Antrag auf Invaliditätspension vom 23.04.2021 abgelehnt, weil die Wartezeit nicht erfüllt ist.

Mit Schreiben der Regionalen Geschäftsstelle Krems vom 30.09.2021 wurde sowohl der BF per RSa-Brief und dem Erwachsenenvertreter per RSb-Brief der 28.10.2021 als Kontrollmeldetermin vorgeschrieben. Auf die Rechtsfolgen der Nichteinhaltung wurde hingewiesen. Dieses Schreiben wurde am 06.10.2021 von der BF persönlich und am selben Tag vom Bevollmächtigten für RSb-Briefe des Erwachsenenvertreters übernommen.

Der Spruch des Bescheids des AMS vom 09.12.2021 lautete: „Gemäß § 38 iVm § 24 Abs 1 und § 49 AlVG wird der Bezug der Notstandshilfe ab dem 28.10.2021 eingestellt.“

Ein Gutachten, ob sich bei der Beschwerdeführerin Änderungen zum Vorgutachten vom 19.11.2020 ergeben haben, ob die Beschwerdeführerin in der Lage war, das Wesen eines Kontrolltermins am 28.10.2021 bzw. einen Monat davor zu verstehen und ob die Beschwerdeführerin am 28.10.2021 in der Lage war, dieser Einsicht gemäß zu handeln, wurde seitens des AMS weder vor Vorschreibung des Kontrollmeldetermins noch im Rahmen des Beschwerde(vorentscheidungs)verfahrens eingeholt.

Im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht wurde dieses Gutachten nachgeholt. Das Gutachten von Dr. XXXX vom 15.08.2022 kommt zu folgender Zusammenfassung und Beurteilung: „Im Rahmen der aktuellen Untersuchung vom 29 Juni 2022 stehen nach wie vor die im Vorgutachten der Fachärztin für Psychiatrie vom 19. Nov. 2020 festgestellten Symptome der sozialen Phobie im Vordergrund. Als unverändert ist auch die Panikstörung sowie die kombinierte Persönlichkeitsstörung ausgeprägt.

Als einzigen pos. Aspekt kann die Angabe der Betroffenen gewertet werden gemeinsam mit der Halbschwester zu versuchen sich schrittweise an die Fähigkeit heranzutasten zumindest den Lebensmitteleinkauf alleinig und ohne Hilfe bewerkstelligen zu können.

Aufgrund der Anamnese, der klinischen Beurteilung und des zeitlichen Verlaufes ist bei Fr XXXX zumindest seit dem 19. November 2020 (Untersuchung durch Fachärztin für Psychiatrie) keine Änderung der Krankheitsbildes und der daraus resultierenden Symptomatik, in deren Vordergrund die Angst vor dem Verlassen des Hauses/Wohnung steht, zu erkennen.

Die dahinterliegenden psychiatrischen Störungen wurden von der Fachärztin im Vorgutachten schlüssig und nachvollziehbar für den Amtsarzt dargelegt und liegen unverändert vor.

Aufgrund der beiden Untersuchungen (Psychiatrisches GA vom Nov. 2020 und Amtsärztlicher Begutachtung vom Juni 2022) mit einem zeitlichen Abstand von grob etwa 1 ½ Jahren und in Summe gleichlautenden Ergebnissen ist Fr. XXXX unverändert und in Anbetracht Ihrer psychiatrischen Mehrfacherkrankung nach wie vor nicht in der Lage verlässlich Termine einzuhalten, Amtswege zu erledigen oder Vorladungen von Ämtern bzw. Institutionen zu folgen auch wenn sich dadurch vorhersehbar negative Konsequenzen für dieselbe ergeben. Simpel ausgedrückt ist die Angst das Haus zu verlassen und sich in Folge der Situation zu stellen wesentlich dominanter und übermächtiger als die Angst vor den Konsequenzen. Die seit einigen Wochen bestehenden Versuche sich „vorzutasten“ bekunden zwar allenfalls den guten Willen, ändern an der Gesamtsituation derzeit aber nichts.

Vorrangig besteht ein ausgeprägtes Vermeidungsverhalten, die Betroffene stützt sich auf Ihre Halbschwester und erkennt dabei völlig korrekt und den logischen Denkgesetzen entsprechend, dass diese Unterstützung - aus gesundheitlichen Gründen der Halbschwester - allenfalls endenwollend sein könnten – es kann aber aus dieser Erkenntnis nicht gefolgert werden, dass aus eigener Kraft und Vermögen heraus sich die Situation ändern wird, da das grundsätzliche Verhalten - bereits geringfügige Entscheidungen der Halbschwester zu überlassen und eine passive Grundhaltung einzunehmen - unverändert seit zumindest 12 Jahren besteht.

Beantwortung der Fragestellungen des Gerichts:

1.) Sind Änderungen zum Vorgutachten vom 19.11.2020 eingetreten und wie kennzeichnen sich diese?

Seit dem Vorgutachten vom 19. Nov. 2020 sind keine wesentlichen Änderungen eingetreten, es besteht nach wie vor ein ausgeprägtes Vermeidungsverhalten – die seit einigen Wochen angegebenen Übungen mit Hilfe der Halbschwester Stück um Stück sich voranzutasten um in Hinkunft zumindest den gelegentlichen Lebensmitteleinkauf zu bewerkstelligen ändern daran zur Zeit überhaupt nichts.

Diese als zaghaft zu bezeichnenden Versuche resultieren dem Gespräch nach zur Folge überwiegend aus der Angst, dass die Halbschwester aufgrund deren eigener gesundheitlicher „Einschränkung“ diese Einkäufe und alltägliche Besorgungen möglicherweise bzw. vorhersehbar nicht zeitlich unbegrenzt übernehmen wird können.

Fazit: Nein – keine wesentlichen Änderungen

2.) War die Beschwerdeführerin in der Lage das Wesen eines Kontrolltermins am 28.10.2021 bzw. einen Monat davor zu verstehen und warum?

Die kognitiven Fähigkeiten der Betroffenen sind unverändert intakt, Sie ist zweifellos in der Lage die Zusammenhänge zu begreifen und somit hat sich seit dem Vorgutachten vom 19. Nov 2020 in Bezug zum aktuellen Gutachten keine Änderung ergeben. […]

Fr. XXXX wäre in Ermangelung anderer zwischenzeitlich zusätzlich aufgetretener Erkrankungen - insbesondere solcher psychischer Natur - den logischen Denkgesetzen und der medizinischen Realität folgend auch am 28.10.2021 bzw. einen Monat zuvor in der Lage gewesen einer Verhandlung zu folgen und den Sinn bzw. den Inhalt und das Wesen des Kontrolltermins zu verstehen.

Fazit: Ja – es gibt keinen Anhaltspunkt welches dies ausschließen würde.

3.) War die Beschwerdeführerin am 28.10.2021 in der Lage, dieser Einsicht gemäß zu handeln und warum?

Aufgrund der ausgeprägten Symptomatik – mit der im Vordergrund stehenden Angst vor einem Verlassen des Hauses - war es der Betroffenen weder zum Zeitpunkt der Begutachtung durch die Fachärztin für Psychiatrie vom Nov 2020 noch zum Zeitpunkt des Amtsärztlichen Hausbesuches vom Juni 2022 möglich zu einer Verhandlung oder Vorladung persönlich zu erscheinen. In der Zeit dazwischen sind keine zusätzlichen Erkrankungen eruierbar, sohin ist in Anbetracht des mehrjährigen Zeitraums mit unverändertem klinischem Zustandsbild aufgrund einer psychiatrischen Mehrfacherkrankung diese Symptomatik und das Unvermögen des persönlichen Erscheinens schlüssig und den logischen Denkgesetzen sowie der medizinischen Realität folgend auch für den 28.10.2021 gültig.

Simpel ausgedrückt - die Angst vor dem Verlassen des Hauses (Wohnung) überlagert jede andere Überlegung der betroffenen Patientin, auch jene der möglichen bzw. vorhersehbaren negativen Konsequenzen bei weitem.

Fazit: Nein – Ihre Ängste das Haus zu verlassen waren dominant vor allen anderen Überlegungen, auch vor jenen Ängsten der möglichen bzw. erwartbaren negativen Konsequenzen.

Da diese Symptomatik zumindest seit dem Tode Ihres Vaters (etwa 12 Jahre) medizinisch nachvollziehbar besteht – ist die Annahme dass es am 28.10.2021 genauso war der medizinischen Realität entsprechend folgerichtig anzunehmen, dagegen die alternative Annahme dass es just an diesem einen Tag eine andere Symptomatik vorlag als an allen vorhergehenden und folgenden – in Summe – etwa 4380 Tagen kann bei allem was wir heute über psychische Erkrankungen wissen in praxi ausgeschlossen werden und ist allenfalls als Gegenstand akademischer medizinisch-psychiatrischer Grundsatzbetrachtungen diskussionswürdig aber im psychiatrischen Alltag letztlich als wenig realitätsnah zu bewerten.“

2. Beweiswürdigung:

Der letzte Notstandshilfebezug ergibt sich aus dem Akteninhalt und ist unstrittig.

Der Inhalt des psychiatrischen Gutachtens vom 19.11.2020 ergibt sich aus demselbigen und wurde mit der Beschwerde vorgelegt. Dieses führte zur Bestellung des gerichtlichen Erwachsenenvertreters. Diese Sachverhaltselemente sind aktenkundig und unstrittig.

Die Ablehnung des Invaliditätspensionsantrages der PVA ergibt sich aus dem Akteninhalt und ist ebenso unstrittig.

Die Vorschreibung eines Kontrollmeldetermins ergibt sich aus dem im Akt befindlichen Schreiben und den Rückscheinen. Dies ist unstrittig.

Der Spruch des Ausgangsbescheides ergibt sich aus demselbigen im Akt und ist unstrittig.

Seitens des AMS wurde kein Gutachten zum Gesundheitszustand der Beschwerdeführerin eingeholt. Dies ergibt sich in Ermangelung eines solchen im Verfahrensakt und ist ebenso unstrittig.

Das Gutachten wurde vom Bundesverwaltungsgericht eingeholt und die Feststellungen dazu ergeben sich aus ebendiesem. Der Schlüssigkeit des Gutachtens wurde seitens des AMS nicht entgegengetreten und ist diese somit unstrittig gegeben. Somit ist die Beurteilung des Gutachtens, dass der Gesundheitszustand der BF sich nicht wesentlich verändert hat, den Feststellungen dieser Entscheidung zugrunde zu legen, genauso wie die Beurteilung, dass die Beschwerdeführerin am 28.10.2021 nicht in der Lage war, trotz Erkennen des Wesens eines Kontrollmeldetermins (und der Sanktionsfolge), dieser Einsicht gemäß zu handeln.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts:

Gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG erkennen die Verwaltungsgerichte über Beschwerden gegen den Bescheid einer Verwaltungsbehörde wegen Rechtswidrigkeit.

Gemäß § 9 Abs. 2 Z 1 VwGVG ist belangte Behörde in den Fällen des Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG jene Behörde, die den angefochtenen Bescheid erlassen hat – vorliegend sohin das AMS Krems.

§ 56 Abs. 2 AlVG normiert die Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts zur Entscheidung über Beschwerden gegen Bescheide einer Geschäftsstelle des AMS.

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Da in der maßgeblichen gesetzlichen Bestimmung des § 56 Abs. 2 AlVG normiert ist, dass über Beschwerden gegen Bescheide der Geschäftsstellen des Arbeitsmarktservices das Bundesverwaltungsgericht durch einen Senat, dem zwei fachkundige Laienrichter, je einer aus dem Kreis der Arbeitgeber und einer aus dem Kreis der Arbeitnehmer angehören, zu entscheiden ist, liegt im vorliegenden Fall Senatszuständigkeit mit Laienrichterbeteiligung vor.

Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht:

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG geregelt. Gemäß § 59 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist.

Zu A) Stattgabe der Beschwerde:

Der VwGH hat in seiner Entscheidung vom 22.02.2012, Zl. 2011/08/0078, wie folgt, ausgeführt: „[…] Ein Kontrolltermin iSd § 49 Abs. 1 AlVG dient in erster Linie der Betreuung des Arbeitslosen (vgl. zu diesem Aspekt das hg. Erkenntnis vom 20. Dezember 2006, Zl. 2005/08/0159), weshalb grundsätzlich dessen persönliches Erscheinen erforderlich ist. Die Wahrnehmung eines Kontrolltermins durch eine arbeitslose Person betrifft aber weder deren Geschäftsfähigkeit noch deren prozessuale Dispositionsfähigkeit und daher auch nicht den Wirkungskreis eines Sachwalters. Durch die Bestellung eines Sachwalters für einen bestimmten Aufgabenkreis wurde der Beschwerdeführer nur in seiner rechtlichen Dispositionsfähigkeit, jedoch nicht in seiner faktischen Handlungsfähigkeit beschränkt. Ihm war es zwar nicht möglich, ohne Zustimmung seines Sachwalters die im zuvor genannten Sachwalterbestellungsbeschluss beschriebenen Angelegenheiten zu regeln; in seine Fähigkeit, der persönlichen Kontrollmeldepflicht vor der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice wirksam nachzukommen, wird mit diesem Gerichtsbeschluss aber nicht eingegriffen. Die Nichteinhaltung einer im Bereich des Faktischen liegenden gesetzlichen Verpflichtung, wie der Wahrnehmung eines Kontrolltermins, steht daher nicht dem rechtsgeschäftlichen Handeln nahe, sondern kommt vielmehr dem deliktischen Handeln gleich. Die Bestellung eines Sachwalters im hier in Rede stehenden Umfang bedeutet in diesem Zusammenhang nur, dass die Vermutung des § 1297 erster Satz ABGB gegen den Beschwerdeführer nicht ins Treffen geführt werden kann. Es wäre daher unter Zuhilfenahme eines medizinischen Sachverständigen zu prüfen gewesen, ob der Beschwerdeführer "eines solchen Grades des Fleißes und der Aufmerksamkeit fähig sei, welcher bei gewöhnlichen Fällen angewendet werden kann", d.h. ob der Beschwerdeführer in der Lage war, das Wesen eines Kontrolltermins zu verstehen und ob er an diesem Tag in der Lage war, dieser Einsicht gemäß zu handeln. Obwohl er sogar in der Berufung auf die im Sachwalterschaftsverfahren aufgezeigten - zuvor angeführten - psychischen Defizite hingewiesen hat, hat die belangte Behörde Ermittlungen hinsichtlich des Gesundheitszustandes des Beschwerdeführers bzw. eines triftigen Grundes für das Nichterscheinen nicht für notwendig erachtet. Die belangte Behörde hätte die Frage, ob der Beschwerdeführer in der Lage war, eine Ladung zur Kontrollmeldung wirksam entgegenzunehmen bzw. die Bedeutung der Vorschreibung zu erfassen und sich dieser Einsicht gemäß zu verhalten, klären müssen, etwa durch Einholung eines Gutachtens eines medizinischen Sachverständigen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 9. August 2002, Zl. 2002/08/0039 mwN). […]“

Im gegenständlichen Fall ist die Zuhilfenahme eines medizinischen Sachverständigen seitens des AMS im Verwaltungsverfahren unterblieben, obwohl diese spätestens seit der Vorlage des Gutachtens vom 19.11.2020 im Sinne der eben zitierten VwGH Entscheidung indiziert war.

Das AMS hat ohne erkennbares Eingehen auf das Gutachten vom 19.11.2020, im Hinblick auf die Zulässigkeit der Vorschreibung eines Kontrolltermins, in der Beschwerdevorentscheidung die Ansicht des Ausgangsbescheides bestätigt, obwohl es in der Beurteilung des Sachverhaltes seinem Bescheid implizit zugrunde legte, dass sich eine Veränderung des Gesundheitszustandes bei der Beschwerdeführerin ereignet haben muss, ansonsten die Vorschreibung eines Kontrollmeldetermines ja unzulässig gewesen wäre.

Dieser Erhebungsmangel wurde durch die Einholung des Gutachtens vom 15.08.2022 von Dr. XXXX substantiell vervollständigt.

Soweit das AMS in der Stellungnahme vom 09.09.2022 ausführt, dass die Einvernahme der Beschwerdeführerin beantragt werde und zwar zum Beweisthema, dass sich das Bundesverwaltungsgericht einen persönlichen Eindruck verschaffen möge, ob sich die Beschwerdeführerin zur Aufnahme und Ausübung einer auf dem Arbeitsmarkt üblicherweise angebotenen, den gesetzlichen und kollektivvertraglichen Vorschriften entsprechenden zumutbaren versicherungspflichtigen Beschäftigung bereithalte, ist zuvorderst auf die Judikatur des VwGH in der Entscheidung 08.05.2018, Zl. Ro 2018/08/0011, zum Verfahrensgegenstand zu verweisen: „[…] Das Bundesverwaltungsgericht hat richtig erkannt, dass das AMS mit der Beschwerdevorentscheidung die so zu verstehende Sache des Verfahrens überschritten hat. Inhalt des Spruchs des Ausgangsbescheides war ein Anspruchsverlust gemäß § 38 iVm § 10 AlVG; mit der im Gegensatz dazu auf § 38 iVm § 7 AlVG gestützten Einstellung der Notstandhilfe blieb schon auf Grund der abweichenden, auf andere Voraussetzungen abstellenden Rechtsgrundlage die Identität der Sache nicht gewahrt. Es mögen zwar auf Grund eines Lebenssachverhalts zunächst - zu Beginn des Ermittlungsverfahrens - sowohl ein Anspruchsverlust gemäß § 10 AlVG als auch eine Einstellung der Leistung gemäß § 7 AlVG in Betracht kommen und zu prüfen sein (wie im vom AMS ins Treffen geführten Erkenntnis VwGH 19.9.2007, 2006/08/0324, zum Ausdruck gebracht wurde); wurde aber einmal - auf Grund der Bejahung der Voraussetzungen einer der beiden Normen - ein Bescheid erlassen, so kann im Rahmen des Beschwerdeverfahrens nicht mehr auf die andere Variante "umgestiegen" werden. […]“

Da im gegenständlichen Verfahren im Ausgangsbescheid die Einstellung des Bezuges auf dem Versäumnis des Kontrollmeldetermins basierte, war dies die Sache des Verfahrens. Dies ist deutlich aus dem Spruch des Ausgangsbescheids vom vom 09.12.2021 „und § 49 AlVG“ erkennbar. Insofern überschreitet die Stellungnahme des AMS und das dort genannte Beweisthema zur Prüfung der Anforderungen gem. § 7 Abs. 3 AlVG die Sache des Verfahrens und war schon aus diesem Grund dem Beweisantrag in Form einer Einvernahme der BF zum genannten Beweisthema der Erfolg zu versagen.

Aber selbst bei inhaltlicher Betrachtung der Stellungnahme des AMS vom 09.09.2022 erhellt nicht, wie die Argumentation das AMS zum Erfolg führen sollte. Im, derzeit hypothetischen, Falle, dass die Beschwerdeführerin nicht die Voraussetzung gem. § 7 AlVG erfüllte, berechtigt dies das AMS erst recht nicht zur Einstellung des Bezuges wegen Versäumung eines Kontrollmeldetermins gem. § 49 AlVG, da in diesem Fall keine Arbeitslosigkeit vorläge und somit die Vorschreibung eines Kontrollmeldetermins ohnehin rechtswidrig wäre (ähnlich VwGH vom 04.05.1999, Zl. 99/08/0002).

Die Einstellung der Notstandshilfe ab 28.10.2021 erfolgte sohin nicht zu Recht.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Der Ausspruch der Unzulässigkeit der Revision beruht auf dem Umstand, dass anhand der ständigen Rechtsprechung zur Sache des Verfahrens sowie zur Versäumung eines Kontrollmeldetermins Einzelfallfragen zu den Themen der Notwendigkeit der Zuhilfenahme eines medizinischen Sachverständigen zur Einschätzung der Veränderung des Gesundheitszustandes bei der BF und zur Abgrenzung des Verfahrens gem. § 49 AlVG zu jenem gem. §7 AlVG in Bezug auf klare gesetzliche Bestimmungen zu klären waren.

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