BVwG W189 2253914-1

BVwGW189 2253914-18.6.2022

AsylG 2005 §10 Abs1 Z4
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §58 Abs2
AsylG 2005 §58 Abs3
AsylG 2005 §7 Abs1 Z1
AsylG 2005 §7 Abs4
AsylG 2005 §8 Abs1 Z2
AVG §7
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art8
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z3
FPG §52 Abs9
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs3 Z1
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs1a
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3

European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2022:W189.2253914.1.00

 

Spruch:

 

W189 2253915-1/8EW189 2253921-1/8EW189 2253923-1/8EW189 2253917-1/8EW189 2253920-1/8EW189 2253914-1/2E

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Irene RIEPL als Einzelrichterin über die Beschwerde von 1.) XXXX , geb. XXXX und 2.) XXXX geb. XXXX , 3.) XXXX , geb. XXXX , 4.) XXXX , geb. XXXX 5.) XXXX , geb. XXXX , und 6.) XXXX , geb. XXXX , alle StA. Russische Föderation, vertreten durch Asyl in Not, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl 1.) vom XXXX , Zl. XXXX , 2.) vom XXXX Zl. XXXX 3.) vom XXXX , Zl. XXXX , 4.) vom XXXX , Zl. XXXX 5.) vom XXXX Zl. XXXX und 6.) vom XXXX Zl. XXXX , nach Durchführung einer Verhandlung am XXXX , zu Recht:

A)

I. Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

II. Der Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK gemäß § 55 AsylG 2005 wird als unzulässig zurückgewiesen.

III. Der Antrag auf Befangenheit des einvernehmenden Organwalters des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl gemäß § 7 AVG wird als unzulässig zurückgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

 

Entscheidungsgründe:

 

I. Verfahrensgang:

Der Erstbeschwerdeführer (in der Folge: der BF1) und die Zweitbeschwerdeführerin (in der Folge: die BF2) sind verheiratet. Die Drittbeschwerdeführerin (in der Folge: die BF3), der Viertbeschwerdeführer (in der Folge: der BF4), der Fünftbeschwerdeführer (in der Folge: der BF5) und der Sechstbeschwerdeführer (in der Folge: der BF6) sind die Kinder des BF1 und der BF2. Zusammen werden sie als die BF bezeichnet. Der BF1 und die BF2 sind außerdem die Eltern von den im gegenständlichen Verfahren nicht miteinbezogenen drei weiteren Kindern XXXX , geb. XXXX , XXXX geb. XXXX und XXXX , geb. XXXX

1. Der BF1, die BF2 und diese für die damals minderjährigen BF3, BF4 und BF5 stellten nach illegaler Einreise in das österreichische Bundesgebiet am XXXX einen Asylantrag. Im Zuge einer polizeilichen Befragung am selben Tag gab der BF1 zum Ausreisegrund zu Protokoll, dass er im ersten Tschetschenienkrieg gegen die Russen gekämpft habe. Anschließend habe er im antiterroristischen Zentrum gearbeitet. Als der zweite Tschetschenienkrieg ausgebrochen sei, habe er sich verstecken und aus Tschetschenien flüchten müssen, da er sowohl von den Russen als auch von den Tschetschenen wegen dieser Tätigkeit verfolgt werde. Die BF2 wiederum gab an, dass ihr Mann von den Tschetschenen und den Russen verfolgt werde. Auch sie selbst sei wegen ihres Mannes von Soldaten überfallen worden.

2. Mit Bescheiden des Bundesasylamtes vom XXXX wurde dem BF1, der BF2, der BF3, dem BF4 und dem BF5 Asyl gewährt und festgestellt, dass ihnen kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukomme.

3. Nach der Geburt des BF6 stellten seine Eltern für diesen im Familienverfahren am XXXX einen Antrag auf internationalen Schutz, welchem mit Bescheid des Bundesasylamtes vom XXXX stattgegeben wurde. Dem BF6 wurde der Status des Asylberechtigten gewährt und festgestellt, dass ihm kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukomme.

4. Aufgrund einer Kontrollmitteilung vom XXXX dokumentierte die Österreichische Botschaft in Moskau einen Aufenthalt der BF2 mit ihren drei nicht ins gegenständliche Verfahren miteinbezogenen Kindern in Russland, wobei zur Reisebewegung russische Auslandsreisepässe verwendet wurden.

5. Mit Aktenvermerk vom XXXX leitete das nunmehrige Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge: das BFA) ein Asylaberkennungsverfahren gegen die BF ein und verständigte die zuständige Niederlassungsbehörde über die erforderliche Erteilung von Aufenthaltstiteln „Daueraufenthalt – EU“ an die BF.

6. Am XXXX wurden der BF1, die BF2, die BF3, der BF4 und der BF5 durch das BFA hierzu niederschriftlich einvernommen, wobei ihnen im Wesentlichen vorgehalten wurde, dass aufgrund der veränderten Lage im Herkunftsstaat und des dortigen Aufenthaltes respektive der Ausstellung der russischen Reisepässe die Gründe für die Zuerkennung des Asylstatus weggefallen seien.

7. Mit den nunmehr angefochtenen Bescheiden des BFA wurde den BF der Status der Asylberechtigten gemäß § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 aberkannt und festgestellt, dass ihnen die Flüchtlingseigenschaft kraft Gesetzes nicht mehr zukomme (Spruchpunkt I.). Weiters wurde den BF der Status der subsidiär Schutzberechtigten nicht zuerkannt (Spruchpunkt II.) und ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt III.).

8. Aufgrund der Erhebung einer Beschwerde durch die BF führte das Bundesverwaltungsgericht am XXXX eine öffentliche, mündliche Beschwerdeverhandlung durch, an welcher der BF1, die BF2, die BF3, der BF4 und der BF5 sowie ihre Rechtsvertretung teilnahmen. Insbesondere der BF1 und die BF2 wurden ausführlich zu ihrer Person und ihren Rückkehrbefürchtungen befragt und ihnen Gelegenheit gegeben, zu den im Rahmen der Verhandlung in das Verfahren eingeführten und ihnen mit der Ladung zugestellten Länderberichten Stellung zu nehmen. Der BF1 legte im Rahmen der Verhandlung diverse Schreiben und Berichte über seine Situation bzw. jene von tschetschenischen Flüchtlingen sowie den russischen Krieg in der Ukraine vor (Beilagen ./1A bis ./2).

9. Mit Stellungnahme vom XXXX machten die BF Ausführungen zu einer drohenden Rekrutierung für den russischen Krieg in der Ukraine sowie zur Lage von Anhängern von Aslan Maschadow.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen (Sachverhalt)

1.1. Zur Person der BF

Die Identität der BF steht fest.

Die BF sind russische Staatsangehörige und gehören der Volksgruppe der Tschetschenen sowie der Religionsgemeinschaft der Muslime an.

Der BF1 und die BF2 sind miteinander verheiratet. Die BF3, der BF4, der BF5 und der BF6 sind ihre Kinder. Die BF3 ist nach muslimischem Ritus traditionell verheiratet. Der BF4, der BF5 und der BF6 sind ledig.

Die BF sprechen Tschetschenisch. Der BF1 und die BF2 sprechen zudem Russisch. Die BF3 beherrscht die russische Sprache ein wenig.

Der BF1 und die BF2 wurden in XXXX in der heutigen russischen Teilrepublik Tschetschenien geboren und sind dort aufgewachsen. Die BF3, der BF4 und der BF5 wurden in Tschetschenien geboren und sind im Wesentlichen in Österreich aufgewachsen. Der BF6 wurde in Österreich geboren und ist hier aufgewachsen.

Der BF1 und die BF2 haben in ihrer Heimat zehn Jahre die Grundschule besucht, der BF2 zudem drei Jahre lang eine Universität. Der BF2 hat unter anderem langjährige Berufserfahrung als LKW-Fahrer.

Die BF3 hat in Österreich zuletzt die Oberstufe eines Gymnasiums für Berufstätige besucht und hat seit XXXX etliche Berufe ausgeübt, zuletzt in einem Callcenter. Der BF3 hat ein Gymnasium mit Matura abgeschlossen. Der BF5 hat zuletzt die Oberstufe eines Gymnasiums besucht. Der BF6 besucht derzeit die Schule.

Die BF sind gesund, der BF2 leidet aber unter Kreuzschmerzen und steht deswegen in Behandlung.

Die Eltern des BF1 sind verstorben. Der Bruder und vier verheiratete Schwestern des BF1 leben in XXXX drei weitere verheiratete Schwestern in einem anderen Dorf in Tschetschenien. Sein Bruder ist stellvertretender Direktor der Dorfschule. Der BF1 hat mit allen seinen Angehörigen Kontakt. Die pensionierte, geschiedene Mutter und die beiden verheirateten Schwestern der BF2 leben in XXXX und die BF2 hat Kontakt zu ihnen. Ihre Mutter lebt in einem eigenen Haus. Ihr Vater und ihre drei Brüder leben in XXXX , es besteht aber kein Kontakt. Der BF1 und die BF2 haben zudem Onkeln, Tanten, Cousins und Cousinen im Herkunftsstaat, zu denen kein Kontakt besteht.

Den BF wurde der Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt – EU“ ausgestellt.

1.2. Zu den Fluchtgründen und Rückkehrbefürchtungen der BF

Der BF1, die BF2 und diese für die damals minderjährigen BF3, BF4 und BF5 stellten nach illegaler Einreise in das österreichische Bundesgebiet am XXXX einen Asylantrag.

Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom XXXX wurde dem BF1 Asyl gewährt, weil er im ersten Tschetschenienkrieg von 1994 bis 1996 gegen Russland gekämpft hat und anschließend von 1996 bis 1999 im Antiterrorzentrum der Tschetschenischen Republik Itschkeria gearbeitet hat, weshalb er nach Ausbruch des zweiten Tschetschenienkrieges von russischen Soldaten sowie Anhängern von Kadyrow verfolgt wurde.

Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom selben Tag wurde der BF2 Asyl gewährt, weil sie als Ehefrau des BF1 von russischen Soldaten wie auch Anhängern von Kadyrow verfolgt wurde.

Der BF3, dem BF4 und dem BF5 wurden als Kinder des BF1 und der BF2 im Familienverfahren mit Bescheiden des Bundesasylamtes vom selben Tag Asyl gewährt.

Die BF1 und der BF2 stellten nach der Geburt des BF6 für diesen am XXXX einen Antrag auf internationalen Schutz und es wurde ihm mit Bescheid des Bundesasylamtes vom XXXX im Familienverfahren der Status des Asylberechtigten gewährt.

Die BF2 ließ sich am XXXX von der russischen Botschaft in Wien persönlich einen Auslandsreisepass ausstellen. Für die drei nicht verfahrensgegenständlichen, minderjährigen Kinder des BF1 und der BF2 ließ sie als gesetzliche Vertreterin am XXXX respektive am XXXX russische Auslandsreisepässe von der Botschaft ausstellen. Die Ausstellung der Reisepässe erfolgte nicht aufgrund einer Krankheit der Mutter der BF2. Die BF2 reiste mit diesen drei Kindern am XXXX über den Flughafen von XXXX nach Russland ein, wo sie ihre Angehörigen im Heimatdorf der BF2 besuchten. Sie versteckten sich in Tschetschenien nicht im Haus der Mutter der BF2. Am XXXX kehrten sie mit einem Flug von XXXX nach XXXX zurück.

Die Umstände, aufgrund derer den BF Asyl gewährt wurde, haben sich insofern geändert, als die Tschetschenienkriege zu Ende sind und den BF nunmehr bei einer Rückkehr nach Tschetschenien individuell und konkret weder Lebensgefahr noch ein Eingriff in ihre körperliche Integrität droht. Teilnehmer der beiden Tschetschenienkriege werden heute allein wegen ihrer Teilnahme nicht mehr bedroht. Die BF sind keine öffentlichen Kritiker von Kadyrow.

Der BF1 befindet sich weder im wehrpflichtigen Alter noch ist er Reservist der russischen Armee. Der BF4 und der BF5 befinden sich im wehrpflichtigen Alter. Es droht ihnen nach einer Rückkehr jedoch nicht, in den russischen Krieg in der Ukraine eingezogen und dort eingesetzt zu werden.

Die BF3 ist nicht aufgrund eines freiheitlichen Lebensstils in Tschetschenien bedroht.

1.3. Zu einer möglichen Rückkehr der BF in die Russische Föderation

Den BF ist die Rückkehr nach Tschetschenien, etwa in den Heimatort XXXX möglich. Im Falle einer Rückkehr würden sie in keine existenzgefährdende Notlage geraten bzw. es würde ihnen nicht die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen werden. Sie laufen nicht Gefahr, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose Situation zu geraten.

Im Falle einer Abschiebung in den Herkunftsstaat sind die BF nicht in ihrem Recht auf Leben gefährdet, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen oder von der Todesstrafe bedroht.

Außergewöhnliche Gründe, die eine Rückkehr ausschließen, konnten nicht festgestellt werden.

1.4. Zur maßgeblichen Situation in der Russischen Föderation

1.4.1. Allgemeine Menschenrechtslage und Sicherheitslage in Tschetschenien

NGOs beklagen regelmäßig schwere Menschenrechtsverletzungen durch tschetschenische Sicherheitsorgane, wie Folter, das Verschwindenlassen von Personen, Geiselnahmen, das rechtswidrige Festhalten von Gefangenen und die Fälschung von Straftatbeständen. Entsprechende Vorwürfe werden kaum untersucht, die Verantwortlichen genießen mitunter Straflosigkeit. Besonders gefährdet sind Menschenrechtsaktivisten bzw. Journalisten, aber auch Einzelpersonen, welche das Regime kritisieren. Regimeopfer müssen mitsamt ihren Familien aus Tschetschenien evakuiert werden. Das Republiksoberhaupt von Tschetschenien, Ramsan Kadyrow, äußert regelmäßig Drohungen gegen Oppositionspolitiker, Menschenrechtsaktivisten und Minderheiten.

Anfang November 2018 wurde im Rahmen der OSZE der sog. Moskauer Mechanismus zur Überprüfung behaupteter Menschenrechtsverletzungen in Tschetschenien aktiviert, der zu dem Schluss kam, dass in Tschetschenien das Recht de facto von den Machthabenden diktiert wird und die Rechtsstaatlichkeit nicht wirksam ist. Es scheint generell Straffreiheit für Menschenrechtsverletzungen durch Sicherheitsorgane zu herrschen.

In den vergangenen Jahren häufen sich Berichte über Personen, die bloß aufgrund einfacher Kritik an der sozio-ökonomischen Lage in der Republik unter Druck geraten.

Die Sicherheitslage hat sich deutlich verbessert und kann als stabil, wenn auch volatil, bezeichnet werden. Die Stabilisierung erfolgte jedoch um den Preis gravierender Menschenrechtsverletzungen, das heißt menschen- und rechtsstaatswidriges Vorgehen der Behörden gegen Extremismusverdächtige und äußerst engmaschige Kontrolle der Zivilgesellschaft. Regimekritiker und Menschenrechtler müssen mit Strafverfolgung aufgrund fingierter Straftaten und physischen Übergriffen bis hin zu Mord rechnen. Auch in diesen Fällen kann es zu Sippenhaft von Familienangehörigen kommen.

1.4.2. Dschihadistische Kämpfer und ihre Unterstützer, Kämpfer des ersten und zweiten Tschetschenienkrieges, Kritiker allgemein

Die tschetschenische Führung unterdrückt weiterhin rücksichtslos jede Form von Dissens. Gegen vermeintliche Extremisten und deren Angehörige, aber auch gegen Kritiker und Journalisten, wird rigoros vorgegangen. Ramsan Kadyrow versucht, dem Terrorismus und möglicher Rebellion in Tschetschenien unter anderem durch Methoden der Kollektivverantwortung zu begegnen. Die Bekämpfung von Extremisten geht mit rechtswidrigen Festnahmen, Sippenhaft, Kollektivstrafen, spurlosem Verschwinden, Folter zur Erlangung von Geständnissen, fingierten Straftaten, außergerichtlichen Tötungen und Geheimgefängnissen, in denen gefoltert wird, einher. Die strafrechtliche Verfolgung der Menschenrechtsverletzungen ist unzureichend. Auch Familienangehörige, Freunde und Bekannte oder andere mutmaßliche Unterstützer von Untergrundkämpfern können zur Verantwortung gezogen und bestraft werden. Verwandte von terroristischen Kämpfern stehen häufig unter dem Verdacht, diese zu unterstützen bzw. mit deren Ideologie zu sympathisieren, und sind daher von Grund auf eher der Gefahr öffentlicher Demütigung, Entführung, Misshandlung und Folter ausgesetzt (sog. Sippenhaft).

Angehörigen von Aufständischen bleiben laut Tanja Lokschina von Human Rights Watch in Russland nicht viele Möglichkeiten, um Kontrollen oder Druckausübung durch Behörden zu entkommen. Eine Möglichkeit ist es, die Republik Tschetschenien zu verlassen, was sich jedoch nicht jeder leisten kann, oder man sagt sich öffentlich vom aufständischen Familienmitglied los. Vertreibungen von Familien von Aufständischen kommen vor. Im Mai 2016 wandte sich Kadyrow in einem TV-Beitrag mit einer deutlichen Warnung vor Kritik an die in Europa lebende tschetschenische Diaspora: Diese werde für jedes ihrer Worte ihm gegenüber verantwortlich sein, man wisse, wer sie seien und wo sie lebten, sie alle seien in seinen Händen, so Kadyrow. Das tschetschenische Oberhaupt hat auch verlautbart, die Bande zu den tschetschenischen Gemeinschaften außerhalb der Teilrepublik aufrechterhalten zu wollen, wobei unabhängigen Medien zufolge auch Familienmitglieder in Tschetschenien für als ungebührlich empfundenes Verhalten Angehöriger im Ausland gemaßregelt bzw. unter Druck gesetzt werden. Vereinzelt sind Fälle gezielter Tötungen politischer Gegner im Ausland bekannt. Analysten weisen überdies auf den dynamischen Wandel des politischen Machtgefüges in Tschetschenien sowie gegenüber dem Kreml hin. Prominentes Beispiel dafür ist der Kadyrow-Clan selbst, der im Zuge der Tschetschenienkriege vom Rebellen- zum Vasallentum wechselte. Im September 2020 wurde Salman Tepsurkajew, Moderator des Kadyrow-kritischen Telegram-Kanals '1Adat', aus Gelendschik (Region Krasnodar) entführt und nach Tschetschenien gebracht, wo er gefoltert und öffentlich erniedrigt wurde.

Von einer Verfolgung von Kämpfern des ersten und zweiten Tschetschenienkrieges einzig und allein aufgrund ihrer Teilnahme an Kriegshandlungen ist heute im Allgemeinen nicht mehr auszugehen. Aktuelle Beispiele zeigen jedoch, dass Kadyrow gegen bekannte Kritiker, die manchmal auch der Republik Itschkeria zuzurechnen sind, auch im Ausland vorgeht. Beispielsweise wurde im August 2019 der ethnische Tschetschene Selimchan Changoschwili aus dem georgischen Pankisi-Tal in Berlin auf offener Straße ermordet. Er hat im zweiten Tschetschenienkrieg gegen Russland gekämpft und dürfte nicht, wie teilweise in den Medien kolportiert, Islamist gewesen sein, sondern ein Kämpfer in der Tradition der Republik Itschkeria. Auch soll er damals enge Verbindungen zu dem damaligen moderaten Präsidenten Aslan Maschadow gehabt haben. Der sehr prominente tschetschenische Separatistenpolitiker im Exil, Achmad Sakaew [Ministerpräsident der tschetschenischen Exilregierung und Vertreter von Itschkeria], gab 2020 eine Erklärung ab, in der er Folterungen in Tschetschenien verurteilte. Die tschetschenischen Behörden zwangen Sakaews Verwandte sofort, sich öffentlich von ihm loszusagen.

Ramsan Kadyrow droht öffentlich und ungestraft damit, Blogger wegen der Verbreitung von 'Zwietracht und Klatsch' einzuschüchtern, ins Gefängnis zu stecken und zu töten. Ein Beispiel hierfür ist der wohl populärste Kritiker Kadyrows. Der in Europa lebende Blogger Tumso Abdurachmanow wird häufig von hochrangigen Leuten aus Kadyrows Umfeld bedroht und angegriffen. Ein anderer Blogger wurde Anfang des Jahres 2020 mit 135 Stichwunden tot in einem Hotel im französischen Lille aufgefunden. Auf Youtube hatte der Tschetschene Ramsan Kadyrow und dessen Familie scharf kritisiert. Im Juli 2020 wurde in Gerasdorf bei Wien ein weiterer politischer Blogger getötet. Der Mann, der sich Anzor aus Wien nannte, hat auf Youtube mehrere Videos veröffentlicht, in denen er den tschetschenischen Machthaber Ramsan Kadyrow kritisierte. Die Angehörigen in Tschetschenien haben sich - vermutlich unter Druck - in einem Video von ihrem Verwandten distanziert. Gleichzeitig haben sie die Verantwortung für seine Tötung übernommen.

1.4.3. Lage von Anhängern von Aslan Maschadow und ihren Angehörigen

Es konnten keine Informationen zur behördlichen Verfolgung hochrangiger Anhänger von Aslan Maschadow und ihren Angehörigen gefunden werden. Kadyrow bemüht sich darum, Exil-Tschetschenen, vor allem Getreue des früheren Präsidenten Maschadow zur Rückkehr zu bewegen. In einem Artikel aus dem Jahr 2016 wurde thematisiert, dass Magomed Chanbijew, der frühere Verteidigungsminister der Republik Itschkeria, nach Russland zurückgekehrt sei; der in Ungnade gefallene Chirurg Chassan Baijew, der dafür bekannt sei, dass er dem früheren tschetschenischen Rebellenführer Schamil Bassajew ein Bein amputiert habe, Tschetschenien häufig besuche; und dem Chef der tschetschenischen Exilregierung, Akhmad Zakayev, angeboten worden sei, nach Tschetschenien zurückzukehren (gegen ihn sollen jedoch auch gescheiterte Attentate verübt worden sein). Kadyrow versucht damit zu beweisen, dass er der einzige Führer von Tschetschenien ist. In einer bis ins Jahr 2012 laufenden Kampagne haben hochrangige Beamte aus Tschetschenien versucht, in Europa Flüchtlinge zur Rückkehr zu überzeugen. Einige der Anführer der Separatisten haben einer Rückkehr zugestimmt, darunter der ehemalige Gesundheitsminister und Vertreter Maschadows in Europa, Umar Chanbijew, der ehemalige Mufti Baj-Ali Tewsijew, der ehemalige separatistische Kult-Sänger Timur Muzurajew, der ehemalige Innenminister Kasbek Machaschow sowie die ehemaligen Abgeordneten Wagap Tutakowow und Turpal Kaimow. 2009 hat Ansor Maschadow (der Sohn von Aslan Maschadow) erklärt, dass versucht werde, auch seine Familie zu einer Rückkehr zu bewegen, allerdings hätten die Maschadows weder den Wunsch noch das Vertrauen gehabt.

1.4.4. Wehrdienst und Rekrutierungen

Alle männlichen russischen Staatsangehörigen im Alter zwischen 18 und 27 Jahren werden zur Stellung für den Pflichtdienst in der russischen Armee einberufen. Die Pflichtdienstzeit beträgt ein Jahr. In der Regel liegt die Quote der eingezogenen Stellungspflichtigen bei etwa einem Drittel bzw. rund 300.000 Rekruten. Es gibt in Russland zweimal im Jahr eine Stellung – eine im Frühling, eine im Herbst.

Neben dem Grundwehrdienst gibt es auch die Möglichkeit, freiwillig auf Basis eines Vertrags in der Armee zu dienen. Nachdem vermehrt vertraglich verpflichtete Soldaten herangezogen werden, sinkt die Bedeutung der allgemeinen Wehrpflicht für die russischen Streitkräfte. 2019 dienen ca. 370.000 Kontraktniki (Vertragssoldaten) in den russischen Streitkräften, im Vergleich zu ca. 260.000 Wehrpflichtigen.

Bis ins Jahr 2014 wurden aus Tschetschenien überhaupt keine Wehrpflichtigen eingezogen. Aus Tschetschenien werden nunmehr jährlich ein paar hundert Rekruten einberufen.

1.4.5. Wehrersatzdienst

Ein alternativer Zivildienst kann abgeleistet werden, falls der Wehrdienst gegen die persönliche (politische, pazifistische) Überzeugung bzw. Glaubensvorschriften einer Person spricht. Die Zivildienstzeit beträgt 18 Monate als ziviles Personal bei den russischen Streitkräften, was in der Praxis kaum vorkommt, bzw. 21 Monate in anderen staatlichen Einrichtungen. Vereinzelt kommt es zu gerichtlichen Verfahren, etwa wenn die pazifistische Gesinnung eines Wehrpflichtigen in Zweifel steht.

1.4.6. Militärische Rekrutierungen für den Ukraine-Krieg

Russland setzt im Krieg in der Ukraine Berufssoldaten ein. Russland rekrutiert für den Krieg in der Ukraine außerdem syrische Kämpfer, Tschetschenen und russische Söldner („Russia […] has invited Syrian fighters, Chechens and Russian mercenaries to serve as reinforcements.“). In etwa 1.000 Söldner der russischen Sicherheitsfirma Wagner-Gruppe befinden sich auf Kampfeinsatz im Osten der Ukraine (in der Region Donbas). Die USA besitzen Hinweise, dass Russland mit der Mobilisierung einiger Reservisten begonnen hat.

Es ist vorgekommen, dass auch Grundwehrdiener in die Ukraine zum Kämpfen entsandt waren. Offenbar wurden diese wieder in die Russische Föderation zurückgeführt. Für das Frühjahr 2022 ordnete Putin im Rahmen der jährlichen Stellung die Einberufung von 134.500 Grundwehrdienern an. Gemäß dem Verteidigungsministerium steht diese Einberufung in keinem Zusammenhang mit dem Ukraine-Krieg.

Bislang hat Russland nicht das Kriegsrecht ausgerufen oder eine Generalmobilmachung verkündet, was eine Massenmobilisierung und die Einberufung von Reservisten vereinfachen würde.

1.4.7. Grundversorgung im Nordkaukasus

Die nordkaukasischen Republiken stechen unter den Föderationssubjekten Russlands durch einen überdurchschnittlichen Grad der Verarmung und der Abhängigkeit vom föderalen Haushalt hervor. Die Haushalte Dagestans, Inguschetiens und Tschetscheniens werden zu über 80% von Moskau finanziert. Die Arbeitslosigkeit im Nordkaukasus ist laut Experten unter den höchsten in Russland. Bei einer Sitzung zur Entwicklung des Nordkaukasus im Juni 2021 bezeichnete Ministerpräsident Mischustin die Situation als nicht einfach. Trotzdem ist zu sagen, dass sich die materiellen Lebensumstände für die Mehrheit der tschetschenischen Bevölkerung seit dem Ende des Tschetschenienkrieges dank großer Zuschüsse aus dem russischen föderalen Budget deutlich verbessert haben. Der monatliche Durchschnittslohn lag in Tschetschenien im September 2021 bei 24.876 Rubel [ca. 292 Euro].

1.4.8. Sozialbeihilfen

Die Russische Föderation hat ein reguläres Sozialversicherungs-, Wohlfahrts- und Pensionssystem. Dieses bietet bedürftigen Personen Hilfe an.

Es gibt eine monatliche Auszahlung in Höhe von 3.000 Rubel [ca. 33 Euro] an Kinder bis 18 Jahre, deren Eltern offiziell als arbeitslos gemeldet sind.

Familienbeihilfe: Monatliche Zahlungen im Falle von einem Kind liegen bei 3.142 Rubel [ca. 43 EUR].

Arbeitslosenunterstützung: Personen können sich bei den Arbeitsagenturen der Föderalen Behörde für Arbeit und Beschäftigung (Rostrud) arbeitslos melden und Arbeitslosenhilfe beantragen. Daraufhin bietet die Arbeitsagentur innerhalb von zehn Tagen einen Arbeitsplatz an. Sollte dies nicht möglich sein, wird der Person ein Arbeitlosenstatus zuerkannt. Mit diesem erhält die Person monatlich eine Unterstützung. Die Mindestarbeitslosenunterstützung pro Monat beträgt 1.500 Rubel (ca. 21 Euro) und die Maximalunterstützung 11.280 Rubel (ca. 141 Euro).

1.4.9. Medizinische Versorgung

Das Recht auf kostenlose medizinische Grundversorgung für alle Bürger der Russischen Föderation ist in der Verfassung verankert. Voraussetzung ist lediglich eine Registrierung des Wohnsitzes im Land.

1.4.10. COVID-19-Situation

Die medizinische COVID-Versorgung erfolgt für die Bevölkerung kostenlos. COVID-Impfungen sind für russische Staatsbürger kostenlos. Bei Verstößen gegen die Hygienevorschriften können hohe Geldstrafen verhängt werden.

In Tschetschenien herrscht Maskenpflicht. Im öffentlichen Verkehr sind Masken zu tragen. Es gilt eine Impfpflicht für Arbeitgeber und Führungskräfte sowie eine Impfpflicht im Dienstleistungssektor. Ungeimpften Personen wird seitens öffentlich Bediensteter mit Entlassung gedroht, mit Verweigerung medizinischer Hilfe etc.. Für das Erledigen von Einkäufen (z.B. in Apotheken), für den Besuch von Kaffeehäusern usw. ist ein Impfzertifikat erforderlich. Tschetschenien hat mit 65,64% eine der höchsten Impfquoten Russlands. 71,3% der über 60-Jährigen sind geimpft. 675.642 Personen sind vollimmunisiert.

Russische Inlandsflüge wurden während der ganzen Dauer der Pandemie aufrechterhalten.

1.4.11. Rückkehr

Zur allgemeinen Situation von Rückkehrern, insbesondere im Nordkaukasus, kann festgestellt werden, dass sie vor allem vor wirtschaftlichen und sozialen Herausforderungen stehen. Dies betrifft etwa bürokratische Schwierigkeiten bei der Beschaffung von Dokumenten, die oft nur mithilfe von Schmiergeldzahlungen überwunden werden können. Die wirtschaftlichen und sozialen Herausforderungen betreffen weite Teile der russischen Bevölkerung und können somit nicht als spezifisches Problem von Rückkehrern bezeichnet werden.

Nach einer aktuellen Auskunft eines Experten für den Kaukasus ist allein die Tatsache, dass im Ausland ein Asylantrag gestellt wurde, noch nicht mit Schwierigkeiten bei der Rückkehr verbunden. Eine erhöhte Gefährdung kann sich nach einem Asylantrag im Ausland bei Rückkehr nach Tschetschenien aber für jene ergeben, die schon vor der Ausreise Probleme mit den Sicherheitskräften hatten.

2. Beweiswürdigung

2.1. Zur Person der BF

Die Identität des BF steht aufgrund der bereits im Zuerkennungsverfahren vorgelegten, nach Einsichtnahme in das Zentrale Fremdenregister als authentisch klassifizierten Dokumente bzw. hinsichtlich des BF6 aufgrund der österreichischen Geburtsurkunde fest.

Die Feststellungen zur Staats-, Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit der BF, zu ihrer Herkunft sowie zum Schulbesuch des BF1 und der BF2 folgen ihren Angaben in der ersten niederschriftlichen Einvernahme durch das Bundesasylamt am XXXX Zwar gaben die BF bzw. ihre Vertretung im nunmehrigen Verfahren zum Teil an, dass sie staatenlos seien, doch widerspricht dies eindeutig und offensichtlich den im Zuerkennungsverfahren getätigten Angaben und den dort vorgelegten russischen Dokumenten der BF. Es ist kein Grund hervorgekommen, an der russischen Staatsangehörigkeit der BF zu zweifeln, zumal die BF selbst keinen nachvollziehbaren Grund angeben konnten, weshalb sie staatenlos wären.

Die Feststellungen zum Personenstand und den Sprachkenntnissen der BF, zum Schulbesuch der BF3, des BF4, des BF5 und des BF6 sowie zur Erwerbstätigkeit des BF1 und der BF3 beruhen wiederum auf ihren Angaben in der gegenständlichen Einvernahme durch das BFA am XXXX sowie der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht.

Der festgestellte Gesundheitszustand der BF folgt ihren Angaben in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht.

Die Feststellungen zu den Angehörigen und der Verwandtschaft des BF1 und der BF2 in ihrem Herkunftsstaat beruhen auf ihren Ausführungen in der gegenständlichen Einvernahme durch das BFA und der mündlichen Verhandlung.

Aus der in den Akten einliegenden Verständigung der zuständigen Niederlassungsbehörde sowie den Eintragungen im Zentralen Fremdenregister ist ersichtlich, dass den BF die Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt – EU“ ausgestellt wurde.

2.2. Zu den Fluchtgründen und Rückkehrbefürchtungen der BF

Die Stellung der Asylanträge (BF6: des Antrags auf internationalen Schutz) und die Gewährung von Asyl (BF6: des Status des Asylberechtigten) folgt aus den in den Akten einliegenden Bescheiden des Bundesasylamtes. Den Bescheiden des BF1 und der BF2 selbst lässt sich nicht ausdrücklich entnehmen, aus welchen Gründen ihnen Asyl gewährt wurde, sondern wird dort nur jeweils festgehalten, dass sie „einen unter § 7 AsylG zu subsumierenden Sachverhalt vorgebracht“ hätten. In einem den BF1 betreffenden begleitenden Aktenvermerk des Bundesasylamtes vom XXXX (AS 289 des BF1) wird aber hierzu – wenn auch etwas vage – ausgeführt, dass aufgrund der allgemeinen Lage in Tschetschenien das Vorbringen des BF1, bei einer Rückkehr von Anhängern von Kadyrow verfolgt zu werden, glaubhaft sei, zumal er im Antiterrorzentrum in Grozny gearbeitet habe. Daraus ist zu schließen, dass das Bundesasylamt davon ausging, dass die Fluchtgründe des BF1, aufgrund seiner Teilnahme am ersten Tschetschenienkrieg und seiner Arbeit im Antiterrorzentrum der Republik Itschkeria verfolgt zu werden, der Wahrheit entsprechen. In Bezug auf die BF2 wurde vom Bundesasylamt kein begleitender Aktenvermerk angefertigt, jedoch ist auch hier aufgrund der Formulierung im Bescheid davon auszugehen, dass die Behörde das Fluchtvorbringen der BF2, als Ehefrau des BF1 ebenso verfolgt worden zu sein, als glaubhaft betrachtete. In Bezug auf die BF3, den BF4, den BF5 und den BF6 ist aus der auf § 10 AsylG 1997 (BF6: § 34 AsylG 2005) verweisenden Begründung ihrer asylzuerkennenden Bescheide ersichtlich, dass ihnen von ihrem Vater abgeleitet Asyl zugesprochen wurde.

Die Feststellungen zur Ausstellung der russischen Reisepässe und der Reisebewegung der BF2 und der drei nicht verfahrensgegenständlichen Kinder beruhen auf der seitens der Österreichischen Botschaft in Moskau übermittelten Kontrollmitteilung (AS 185 ff im Akt der BF2) sowie den im Wesentlichen bestätigenden Ausführungen der BF2 in ihrer Einvernahme durch das BFA. Zwar gab die BF2 sowohl in dieser Einvernahme als auch in der mündlichen Verhandlung an, dass sie die Reisepässe lediglich ausstellen habe lassen, um ihre kranke Mutter besuchen zu können (AS 217 f im Akt der BF2; Verhandlungsprotokoll S. 6). Dieses Motiv ist aber angesichts der Tatsache, dass die BF2 zwei der vier Pässe bereits ein Jahr vor der Reise nach Russland anfertigen ließ, nicht glaubhaft. Zwar meinte die BF2 in der mündlichen Verhandlung hierzu, dass ihre Mutter schon länger krank gewesen sei und sie vorbereitet sein habe wollen, doch ist diesfalls wiederum nicht nachvollziehbar, weshalb die BF2 XXXX nicht auch schon für sich selbst einen Reisepass ausstellen hätte lassen, sondern nur für zwei Kinder, die alleine gar nicht verreisen hätten können. Unglaubhaft ist auch das Vorbringen der BF2 in der mündlichen Verhandlung, wonach sie sich in Tschetschenien im Haus ihrer Mutter versteckt gehalten habe (Verhandlungsprotokoll S. 7). Weder gab sie dies in der Einvernahme durch das BFA noch in der Beschwerde an. Es erscheint auch höchst unplausibel, dass die BF2 die legale, offizielle Ein- und Ausreise per Flugzeug mit einem neu ausgestellten russischen Reisepass wählen, den nicht geringen Zeitraum von einen Monat in Tschetschenien verbringen und zudem drei ihrer Kinder mitnehmen würde, wenn sie weiterhin eine Bedrohung in Tschetschenien gefürchtet hätte. Entsprechend gab die BF2 noch in der Einvernahme durch das BFA gegenteilig zu ihrem Vorbringen in der mündlichen Verhandlung an, dass sie nicht glaube, dass in der Heimat noch nach ihr gesucht werde (AS 217 und 218 der BF2). Soweit die BF2 in der mündlichen Verhandlung zudem angab, dass sie mit dem Auto nach Russland gereist sei (Verhandlungsprotokoll S. 7), kann dem angesichts der im Reisepass befindlichen Stempellage des Flughafens von XXXX nicht gefolgt werden, sondern war die BF2 hier offenkundig bemüht, ihre Aufenthaltsdauer in Tschetschenien als kürzer darzustellen, als es der Realität entspricht.

Aus den festgestellten Länderberichten geht hervor, dass ehemalige Kämpfer der Tschetschenienkriege alleine aufgrund ihrer Teilnahme an Kriegshandlungen heute im Allgemeinen nicht mehr verfolgt werden. Dies muss demnach auch für den BF1 gelten, der nur im Rahmen des ersten Tschetschenienkrieges an Kampfhandlungen teilnahm, sodann im Sicherheitsapparat der Republik Itschkeria tätig war, diesen jedoch mit Beginn des zweiten Tschetschenienkrieges verließ und an diesem nicht mehr teilnahm. Eine weiter bestehende Bedrohung des BF1 gerade durch Anhänger von Kadyrow ist insbesondere vor dem zusätzlichen Hintergrund, dass Ramzan Kadyrow und sein Vater selbst noch bis nach dem Ausbruch des zweiten Tschetschenienkrieges für die Republik Itschkeria kämpften und arbeiteten, unglaubhaft. Der BF1 konnte im Verfahren auch keine konkreten, ihn treffenden Drohungen darlegen. Der tschetschenische Sicherheitsapparat richtet sich nach den Länderberichten inzwischen vielmehr gegen öffentliche Kritiker von Kadyrow sowie Extremisten und aktive Aufständische, wobei auch Angehörige dieser nach dem Grundsatz der Sippenhaftung belangt werden. Die BF fallen aber nicht in diese Kategorien.

Der BF1 verwies zwar im Verfahren wiederholt darauf, dass öffentliche Kritiker von Kadyrow sowie deren Angehörige weiterhin einer Verfolgung durch Kadyrow unterliegen, erklärte aber weder in der Einvernahme durch das BFA noch in der Beschwerde, dass er selbst ein solcher öffentlicher Kritiker wäre. Auch in der mündlichen Beschwerdeverhandlung brachte er auf mehrmalige Nachfragen, aus welchen konkreten Gründen er nicht zurückkehren könne, zunächst nichts Derartiges vor. Erst auf konkrete Nachfrage der Rechtsvertretung zum Ende der mündlichen Verhandlung meinte der BF1 erstmals vage, dass er in Kontakt mit Regimekritikern stehen würde, nämlich konkret „Anzor“ (gemeint: der im Juli 2020 in Wien ermordete Mamikhan Umarov) ihn besucht habe und am Tag vor der Verhandlung „Zakajev“ (gemeint: der Ministerpräsident der itschkerischen Exilregierung Akhmed Zakayev) ihn telefonisch kontaktiert habe. Auf Ersuchen, den Kontakt zu Zakayev am Handy vorzuweisen, flüchtete der BF1 sich jedoch in die unplausible Behauptung, dass er diesen von einem anderen Telefon aus angerufen habe. Damit widersprach er sich aber sogleich in seiner kurz zuvor getätigten Behauptung, dass Zakayev ihn und nicht umgekehrt er Zakayev angerufen hätte (Verhandlungsprotokoll S. 15 f). Ein solcher (zumal hier behauptet nur privater) Kontakt zu Regimekritikern ist schon daher nicht glaubhaft. Auch die in diesem Zusammenhang vorgelegten itschkerischen bzw. tschetschenischen Schreiben (Beilagen ./1A, ./1B, ./1C und ./1D) betreffen, soweit sie überhaupt konkret auf den BF1 eingehen, lediglich dessen Teilnahme am ersten Tschetschenienkrieg und seine Tätigkeit in einem Antiterrorzentrum, deren Wahrheitsgehalt aber ohnedies nicht Gegenstand des nunmehrigen Verfahrens sind. Eine konkrete exilpolitische respektive öffentliche regimekritische Tätigkeit des BF1 wird auch in diesen Schreiben nicht dargetan. Das vom Beschwerdeführer in der Verhandlung sodann angebotene Video aus dem Jahr 1996, in welchem er, allerdings nicht erkennbar, mit Vertreten des itschkerischen Parlaments zu sehen sei, ist ebenso wenig geeignet, eine aktuelle öffentliche Regimekritik des BF1 zu beweisen. Vom Rechtsvertreter selbst aufgefordert, konkrete Angaben zu öffentlichkeitswirksamen Handlungen zu machen, meinte der BF1 sodann wiederum nur vage und einsilbig, dass „wir jetzt gerade am 09.Mai am Schwarzenbergplatz“ gewesen seien, womit der BF1 aber offenkundig lediglich auf eine ukrainische Demonstration im Zuge des Gedenkens an die Beendigung des Zweiten Weltkrieges verwies, die an jenem Tag dort stattfand (vgl.: Heute, Wiener Polizei muss Russen-Denkmal schützen, 09.05.2022, https://www.heute.at/s/wiener-polizei-muss-russen-denkmal-schuetzen-100205894 ). Der BF1 konnte somit weder in der Einvernahme noch in der Beschwerde noch in der Verhandlung konkret darlegen, an welchen öffentlichkeitswirksamen Handlungen er teilgenommen hätte und konnte insbesondere auch weder eine private noch überhaupt eine öffentlich einsehbare Foto- oder Videodokumentation zu regimekritischen Handlungen oder einem solchen Vorbringen vorlegen. Dass der BF1 an keinen derartigen Handlungen teilgenommen hat, erschließt sich auch daraus, dass die BF3, der BF4 und der BF5, d.h. seine volljährigen Kinder, in der mündlichen Verhandlung keinerlei Wahrnehmungen hierzu darlegen konnten (Verhandlungsprotokoll S. 17), was aber bei einer tatsächlichen regimekritischen Tätigkeit des BF1 kaum denkbar anzunehmen wäre. Ebenso wird im vom BF1 vorgelegten Schreiben des „Rats der Tschetschenen und Inguschen in Österreich“ (Beilage ./1D) keine derartige Tätigkeit des BF1 behauptet, sondern nur ausgeführt, dass sich der BF1 während seines Aufenthaltes in Österreich gesetzestreu verhalten habe. Soweit der (rechtlich vertretene) BF1 im Übrigen zum Schluss der mündlichen Verhandlung behauptete, dass Zeugen bestätigen könnten, dass er nicht nach Russland zurückkehren könnte und er kein russischer Bürger sei, handelt es sich hierbei um kein konkretes und taugliches Beweisthema, dass bezeugt werden könnte, zumal die russische Staatsangehörigkeit des BF1 außer Frage steht. Soweit diese Personen zudem bezeugen könnten, dass er und viele andere zur „Opposition“ gehören würden, respektive diese Personen „vermutlich“ bestätigen könnten, dass der BF1 „in der Community“ aktiv sei, respektive, dass er „überall wo es Versammlungen gibt“ gewesen sei, so wird damit – auch nach mehrmaligen Nachfragen – kein bestimmtes Beweisthema vorgebracht und geht insbesondere aus diesen Ausführungen nicht hervor, dass die Personen bezeugen könnten, dass der BF1 öffentlich regimekritisch aufgetreten wäre. Selbst wenn nämlich der BF1 an Veranstaltungen der tschetschenischen Diaspora in Österreich teilgenommen haben sollte, setzt ihn das für sich genommen noch keiner Gefährdung aus.

Eine regimekritische Tätigkeit der übrigen BF wurde nicht behauptet. Dass die BF im Übrigen Extremisten oder aktive Aufständische wären, ist im Verfahren nicht hervorgekommen.

Gegen eine (fortbestehende) Bedrohung der BF spricht nicht zuletzt auch, dass die BF2 sich sowie ihren drei nicht verfahrensgegenständlichen Kindern bei der russischen Botschaft in Wien Auslandsreisepässe ausstellen ließ, sie sodann auf legalem Wege per Flugzeug nach Russland einreisten, wobei sie die russischen Grenzkontrollen passieren mussten, anschließend einen Monat lang im Heimatdorf in Tschetschenien bei ihren Angehörigen verbrachten, und schließlich wiederum legal per Flugzeug aus Russland ausreisten, ohne dabei auf Probleme seitens der russischen oder tschetschenischen Behörden gestoßen zu sein. Wie schon erwähnt, gab die BF2 in der Einvernahme durch das BFA auch selbst zu, dass sie nicht glaube, dass noch nach ihr gesucht werde. Gegen eine Bedrohung der BF spricht ebenso, dass ihre zahlreichen Angehörigen und Verwandten ein gewöhnliches Leben in der Heimat führen können und der Bruder des BF1 sogar einen öffentlichen Posten als stellvertretender Schuldirektor bekleidet. Sie sind somit von keiner in Tschetschenien üblichen Sippenhaftung oder sonstiger Diskriminierung betroffen.

Aus den festgestellten Länderberichten folgt, dass sich der BF1 nicht im wehrpflichtigen Alter befindet. Da er offenkundig auch vor seiner Ausreise nie in die russische Armee einberufen wurde, ist er auch kein Reservist. Vor diesem Hintergrund droht ihm nach einer Rückkehr keine Teilnahme am russischen Krieg in der Ukraine. Der BF4 und der BF5 wiederum befinden sich zwar im wehrpflichtigen Alter, sodass es vor dem Hintergrund der Länderberichte grundsätzlich denkbar ist, dass sie nach einer Rückkehr – und zwar nächstmöglich im Herbst 2022 – einen Einberufungsbefehl erhalten. Allerdings betrifft dies zunächst jährlich nur rund ein Drittel der Personen, die das wehrtaugliche Alter erreichen und unterliegen Tschetschenen einer nochmals begrenzten Einberufung. Es steht schon vor diesem Hintergrund somit keineswegs fest, dass der BF4 und der BF5 überhaupt erst einen Einberufungsbefehl in die russische Armee erhalten. Desweiteren steht ihnen diesfalls nach den Länderberichten die Möglichkeit der Ableistung eines Wehrersatzdienstes aus Gewissensgründen offen. Dass diese Option aufgrund des derzeitigen Krieges nicht bestünde, ist weder den seitens des Gerichts noch den seitens der BF ins Verfahren eingeführten Länderberichten zu entnehmen. Letztlich ist allen bisherigen Berichten zu entnehmen, dass nicht russische Wehrpflichtige, sondern Vertragssoldaten für die Kriegsführung herangezogen werden. Zwar gibt es Berichte, dass insbesondere zu Kriegsbeginn auch einige Wehrpflichtige in den Krieg geschickt wurden, nach allen vorhandenen Informationen handelt es sich dabei aber nicht um ein systematisches Vorgehen. Vielmehr deuten auch die vonseiten der BF vorgelegten Berichte darauf hin, dass der russische Staat drauf bedacht ist, in der Kriegsführung mit Vertragssoldaten, Söldnern und ausländischen Kämpfern, zumal Personen mit entsprechender Ausbildung und Erfahrung, auszukommen. Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass der BF4 und der BF5 die russische Sprache nicht beherrschen, was ihre Einsetzung in der russischen Armee mangels Kenntnis der Befehlssprache umso unwahrscheinlicher macht. Berücksichtigt man nun all diese Umstände, ist nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit anzunehmen, dass dem BF4 und dem BF5 nach einer Rückkehr ein Einsatz im Krieg in der Ukraine droht. Soweit die BF in ihrer Stellungnahme vom XXXX hingegen ausführten, dass die Gefahr einer Rekrutierung „vor allem für junge Rückkehrer, deren Familien politisch aktiv waren und in den beiden Tschetschenienkriegen gekämpft haben“ besonders hoch sei, handelt es sich hierbei lediglich um eine spekulative Annahme über die inneren Beweggründe eines (vermeintlichen) Verfolgers, die sich nicht auf konkrete Berichte stützt.

Für die BF3 wurde (einzig) im Beschwerdeschriftsatz geltend gemacht, dass sie aufgrund eines „freiheitlichen Lebensstils“ (AS 677 des BF1) respektive der Führung einer „unehelichen Beziehung“ (AS 682 des BF1) in Tschetschenien bedroht sei. Letztere Ausführung entspricht jedoch nicht den Tatsachen, da die BF3 nach muslimischen Ritus traditionell verheiratet ist (Verhandlungsprotokoll S. 10), aus islamischer Sicht also gerade keine uneheliche Beziehung führt. Inwiefern die BF3 im Übrigen einen „freiheitlichen“ Lebensstil pflegt und dadurch bedroht wäre, wurde weder in der Einvernahme noch in der Beschwerde noch in der mündlichen Verhandlung konkret dargelegt, sodass diesem Vorbringen mangels konkreter Anhaltspunkte nicht gefolgt werden kann. Im Gegenteil ist darauf hinzuweisen, dass die BF3 auf dem im Akt einliegenden Foto ihres 2019 ausgestellten österreichischen Konventionsreisepasses mit dem in Tschetschenien üblichen Kopftuch abgebildet ist (AS 117 der BF3).

2.3. Zu einer möglichen Rückkehr der BF in die Russische Föderation

Es sind im Verfahren keine Gründe dafür hervorgekommen, dass den BF eine Rückkehr in den Heimatort nicht möglich wäre.

Zwar verfügen die BF dort nicht über eine eigene, in ihrem Eigentum stehende Unterkunft. Doch haben sie mehrere Angehörige und Verwandte in ihrem Heimatort und anderen Teilen Tschetscheniens, bei denen sie zumindest für die erste Zeit nach ihrer Rückkehr unterkommen können – insbesondere etwa im Haus der Mutter der BF2, zu der Kontakt besteht und wo die BF2 mit drei ihrer Kinder bereits XXXX etwa einen Monat lang verbrachte. Auch wenn es sich bei den BF um eine relativ große Familie handelt, ist davon auszugehen, dass insgesamt genügend Platz im Haus besteht. Nötigenfalls könnte aber etwa auch ein Teil der Familie im Haus des Bruders des BF1 im selben Ort wohnen. Angesichts der Größe der Verwandtschaft der BF besteht jedenfalls genügend Wohnraum. Dass die Angehörigen der BF diese nicht aufnehmen und unterstützen würden, ist im Verfahren nicht hervorgekommen und kann angesichts des bestehenden Kontakts und der offenkundig nicht schlechten Beziehungen auch nicht angenommen werden.

Der BF1 und die BF2 sind in Tschetschenien aufgewachsen und sozialisiert worden und sprechen mit Tschetschenisch die Sprache ihrer Herkunftsregion, weshalb sie sich dort jedenfalls zurechtfinden können. Die BF3, der BF4, der BF5 und der BF6 sind von ihren tschetschenischen Eltern erzogen worden und sprechen ebenso Tschetschenisch, weshalb davon auszugehen ist, dass ihnen die tschetschenische Kultur nicht völlig fremd ist, zumal etwa die BF3 nach muslimischem Ritus traditionell verheiratet ist und sich auf dem im Akt einliegenden Foto ihres Konventionsreisepasses mit Kopftuch zeigt. Auch die Kinder des BF1 und der BF2 würden sich also – wenn auch sicherlich nach anfänglichen Schwierigkeiten – in Tschetschenien zurechtfinden können.

Der im Wesentlichen gesunde BF1 und die gesunde BF2 können aufgrund ihrer Herkunft, ihrer dort erfahrenen Schulbildung, ihrer Kenntnisse der tschetschenisch sowie zudem der russischen Sprache und mit Blick auf den BF1 zudem aufgrund seiner langjährigen Berufserfahrung dort eine Erwerbstätigkeit aufnehmen und so für den Unterhalt der Familie sorgen. Insbesondere die vom BF1 gesammelte Erfahrung als LKW-Fahrer ist auch in Tschetschenien verwertbar. Die BF2 verfügt zwar über keine Berufserfahrung, doch kann auch sie eine vielleicht auch nur einfache Arbeit aufnehmen. Desweiteren sind die BF3, der BF4 und der BF5 bereits volljährig und erwerbsfähig, ebenso gesund, und verfügen über eine zwar nicht in Russland erworbene, aber doch gute Schulbildung, wobei die BF3 zudem bereits mehrere Jahre gearbeitet hat. Es ist daher auch ihnen möglich, eine – wiederum anfangs vielleicht auch nur einfache – Erwerbstätigkeit aufzunehmen, um so zum Familienunterhalt beizutragen. Es ist ihnen in Betrachtung ihres jungen Alters auch möglich, zusätzlich die russische Sprache (besser) zu erlernen. Den BF wäre es daher möglich, mittelfristig aus eigener Kraftanstrengung für ihre Existenz aufzukommen, zudem auch auf dieser Grundlage für eine eigene (Miet-)Unterkunft – sei es auch in einer größeren tschetschenischen Stadt – zu sorgen. Daneben haben die BF gegebenenfalls Anspruch auf staatliche Sozialleistungen wie insbesondere Arbeitslosenunterstützung.

Es sind vor diesem Hintergrund keine Anhaltspunkte dafür hervorgekommen, dass die Existenz der BF nach einer Rückkehr nicht gesichert wäre.

Dass im Falle einer Abschiebung in den Herkunftsstaat die BF in ihrem Recht auf Leben gefährdet, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen oder von der Todesstrafe bedroht wären, ist anhand der Länderberichte nicht objektivierbar.

Sonstige außergewöhnliche Gründe, die einer Rückkehr entgegenstehen, haben die BF nicht angegeben und sind auch vor dem Hintergrund der zitierten Länderberichte nicht hervorgekommen.

2.4. Zur maßgeblichen Situation in der Russischen Föderation

Die Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat ergeben sich aus folgenden in den Akten einliegenden und den BF zum Parteiengehör vorgelegten Quellen:

- ad Punkte II.1.4.1., 1.4.2, 1.4.4., 1.4.5. und 1.4.7. bis 1.4.11.: Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Russische Föderation, Version 6 vom 10.03.2022

- ad Punkt II.1.4.6.: Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 14.04.2022, Russische Föderation, Militärische Rekrutierungen für den Ukraine-Krieg

- ad Punkt II.1.4.3.: Anfragebeantwortung von ACCORD vom 23.03.2020, Russische Föderation, Lage von Anhängern von Aslan Maschadow und ihren Angehörigen

Diese gründen sich auf den dort jeweils angeführten Berichten angesehener staatlicher und nichtstaatlicher Einrichtungen. Angesichts der Seriosität der Quellen und der Plausibilität ihrer Aussagen besteht für das Bundesverwaltungsgericht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln, zumal ihnen nicht substantiiert entgegengetreten wurde.

3. Rechtliche Beurteilung

Zum Spruchteil A)

3.1. Zur Beschwerde gegen Spruchpunkt I. der angefochtenen Bescheide

3.1.1. Gemäß § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 ist einem Fremden der Status des Asylberechtigten von Amts wegen mit Bescheid abzuerkennen, wenn einer der in Art. 1 Abschnitt C der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) angeführten Endigungsgründe eingetreten ist.

Gemäß § 7 Abs. 4 AsylG 2005 kann das Bundesamt einem Fremden, der nicht straffällig geworden ist (§ 2 Abs. 3), den Status eines Asylberechtigten gemäß Abs. 1 Z 2 nicht aberkennen, wenn die Aberkennung durch das Bundesamt – wenn auch nicht rechtskräftig – nicht innerhalb von fünf Jahren nach Zuerkennung erfolgt und der Fremde seinen Hauptwohnsitz im Bundesgebiet hat. Kann nach dem ersten Satz nicht aberkannt werden, hat das Bundesamt die nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) zuständige Aufenthaltsbehörde vom Sachverhalt zu verständigen. Teilt diese dem Bundesamt mit, dass sie dem Fremden einen Aufenthaltstitel rechtskräftig erteilt hat, kann auch einem solchen Fremden der Status eines Asylberechtigten gemäß Abs. 1 Z 2 aberkannt werden.

3.1.2. Gemäß Art. 1 Abschnitt C Z 1 der GFK wird dieses Abkommen auf eine Person (…) nicht mehr angewendet werden, wenn sie sich freiwillig wieder unter den Schutz ihres Herkunftsstaates gestellt hat.

In der Beendigungsklausel des Art. 1 Abschnitt C Z 1 der GFK wird von drei Voraussetzungen ausgegangen: a) Freiwilligkeit: der Flüchtling muss aus freien Stücken handeln; b) Absicht: der Flüchtling muss mit seinem Handeln beabsichtigen, sich erneut dem Schutz des Herkunftsstaates zu unterstellen; c) erneute Inanspruchnahme: der Flüchtling muss diesen Schutz auch tatsächlich erhalten. (…) Wenn ein Flüchtling einen Pass des Landes, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, beantragt und erhält, so lässt dies darauf schließen, dass er die Absicht hat, erneut den Schutz des Landes seiner Staatsangehörigkeit in Anspruch zu nehmen, es sei denn, er kann Beweise vorbringen, die diese Annahme widerlegen. (…) Fälle hingegen, in denen ein Flüchtling sein ehemaliges Heimatland nicht mit einem Pass dieses Landes, sondern z.B. mit einem Reiseausweis, der ihm von den Behörden seines Aufenthaltslandes ausgestellt wurde, besucht, sind nach den jeweiligen Umständen zu beurteilen. Der Besuch eines alten oder kranken Elternteils ist, was das Verhältnis des Flüchtlings zu seinem früheren Heimatland anbelangt, (diesfalls) etwas anderes als regelmäßige Ferienaufenthalte oder Besuche mit dem Ziel, Geschäftsverbindungen herzustellen (UNHCR Handbuch über Verfahren und Kriterien zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft, Absätze 119, 121 und 125).

Wie schon beweiswürdigend ausgeführt wurde, ließ sich fallgegenständlich die BF2 freiwillig einen russischen Auslandsreisepass ausstellen. Sie hat damit mangels gegenteiliger Beweise beabsichtigt, sich erneut dem Schutz ihres Herkunftsstaates zu unterstellen und diesen Schutz auch in Anspruch genommen. Das (vorgebliche) Motiv der nachfolgenden Reise, nämlich der Besuch der kranken Mutter, ist insoweit ohne Belang, zumal die BF2 ohnehin für zwei ihrer Kinder schon ein Jahr vor dieser Reise als gesetzliche Vertreterin russische Pässe ausstellen ließ, somit kein Kausalzusammenhang zwischen der Passausstellung und des Besuchs der kranken Mutter zu erkennen ist (vgl. hierzu VwGH 23.10.2019, Ra 2019/19/0046, Rn 27).

Der BF2 ist somit bereits aus dem Grunde des § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 iVm Art. 1 Abschnitt C Z 1 der GFK der Asylstatus abzuerkennen.

3.1.3. Gemäß Art. 1 Abschnitt C Z 5 der GFK wird dieses Abkommen auf eine Person (…) nicht mehr angewendet werden, (…) wenn die Umstände, auf Grund deren sie als Flüchtling anerkannt worden ist, nicht mehr bestehen und sie es daher nicht weiter ablehnen kann, sich unter den Schutz ihres Heimatlandes zu stellen. Die Bestimmungen der Ziffer 5 sind nicht auf (…) Flüchtlinge anzuwenden, wenn sie die Inanspruchnahme des Schutzes durch ihr Heimatland aus triftigen Gründen, die auf frühere Verfolgungen zurückgehen, ablehnen.

Die Bestimmung des Art. 1 Abschnitt C Z 5 verleiht dem Grundsatz Ausdruck, dass die Gewährung von internationalem Schutz lediglich der vorübergehenden Schutzgewährung, nicht aber der Begründung eines Aufenthaltstitels dienen soll. Bestehen nämlich die Umstände, aufgrund derer eine Person als Flüchtling anerkannt worden ist, nicht mehr und kann sie es daher nicht weiterhin ablehnen, sich unter den Schutz ihres Heimatlandes zu stellen, so stellt auch dies einen Grund dar, den gewährten Status wieder abzuerkennen (vgl. Filzwieser/Frank/Kloibmüller/Raschhofer, Asyl- und Fremdenrecht, § 7 AsylG, K8.).

Laut der Art. 1 Abschnitt C Z 5 betreffenden höchstgerichtlichen Judikatur setzt selbige Bestimmung in diesem Zusammenhang eine wesentliche nachhaltige Änderung der (für die Verfolgungsgefahr maßgeblichen) Umstände im Heimatstaat des Flüchtlings, einen Wegfall der Verfolgungsgefahr im Sinne der GFK und der Notwendigkeit der Schutzgewährung voraus.

In diesem Kontext erweist sich der reine Wegfall des subjektiven Furchtempfindens als nicht ausschlaggebend; Umstände im Sinne dieser Regelung müssen sich auf grundlegende in Art. 1 Abschnitt A Z 2 Konvention angeführte Fluchtgründe betreffende Veränderungen im Heimatstaat des Flüchtlings beziehen, aufgrund derer angenommen werden kann, dass der Anlass für die begründete Furcht vor Verfolgung nicht mehr länger besteht. Der Wegfall des subjektiven Furchtempfindens kann jedoch ein Indiz dafür sein, dass auch objektiv kein asylrechtlich relevanter Verfolgungsgrund mehr vorliegt (VwGH 25.06.1997, 95/01/0326; VwGH 29.01.1997, 95/01/0449).

Die Änderungen im Herkunftsstaat müssen zudem nachhaltig und nicht bloß von vorübergehender Natur sein (VwGH 22.04.1999, 98/20/0567, VwGH 25.03.1999 98/20/0475). Nach Einhaltung eines längeren Beobachtungszeitraums wird auch der bloße „Haltungswandel“ des bisherigen Verfolgers, ohne dass ein politischer Machtwechsel stattgefunden hat, eine asylrechtlich maßgebliche Änderung der Umstände ergeben und in Folge Art. 1 Abschnitt C Z 5 GFK zum Tragen kommen (VwGH 21.11.2002, 99/20/0171).

Der Wegfall der Verfolgungsgefahr ist maßgeblich für die Anwendung des Artikel 1 Abschnitt C Z 5 GFK. Ob die allgemeine wirtschaftliche Lage im Heimatland schlecht ist oder familiäre respektive emotionelle Bindungen zum Aufnahmestaat bestehen, ist für den Eintritt der in Rede stehenden Bestimmung grundsätzlich irrelevant.

Wie ebenso bereits beweiswürdigend ausgeführt, ist den Länderberichten zu entnehmen, dass Teilnehmern an den Tschetschenienkriegen heute keine Gefahr mehr droht, sofern es sich nicht um prominente bzw. öffentliche Kritiker von Kadyrow handelt. Die Lage im Herkunftsstaat hat sich für diese Personengruppe somit wesentlich und nachhaltig geändert. Der BF1 hat lediglich im ersten Tschetschenienkrieg gekämpft und anschließend bis 1999 im Antiterrorzentrum der Republik Itschkeria gearbeitet, als Kadyrow selbst noch auf der Seite dieser Republik stand. Am zweiten Tschetschenienkrieg hat der BF1 nicht mehr teilgenommen. Der BF1 konnte nun, rund 20 bis 25 Jahre nach diesen Ereignissen bzw. rund 13 Jahre nach offizieller Beendigung des zweiten Tschetschenienkrieges, den Fortbestand einer Verfolgungsgefahr im gegenständlichen Verfahren nicht glaubhaft machen und abseits allgemein gehaltener Schreiben tschetschenischer Interessengruppen keine konkreten, ihn betreffenden Belege vorlegen, die die Länderberichte entkräften hätten können. Ebenso wenig konnte der BF1 glaubhaft machen, dass er ein öffentlicher Kritiker von Kadyrow wäre, wobei er insoweit schon keine ihn konkret betreffende Bedrohung behauptete. Die seitens der BF mehrfach vorgebrachten allgemeinen Menschenrechtsverletzungen in Tschetschenien, wie sie sich aus den Länderberichten ergeben (insbesondere hinsichtlich öffentlichen Regimekritikern, Menschenrechtsverteidigern, Homosexuellen, gegenwärtigen Aufständischen oder Extremisten), werden dabei nicht bezweifelt, jedoch betreffen sie nicht konkret den BF1, da er in keine dieser Kategorien fällt.

Für den Wegfall einer Verfolgungsgefahr spricht zudem, dass die BF2 – die im Sinne einer Sippenhaftung vor ihrer Ausreise aus dem Herkunftsstaat als Angehörige des BF1 verfolgt wurde – unter Verwendung eines russischen Reisepasses auf offiziellem Wege Tschetschenien besuchen konnte und ihr dort keine Gefahr drohte (wie sie dies auch selbst zugab). Dies betrifft konkret direkt zwar zunächst die BF2, spricht aber aufgrund der weiterhin gängigen Sippenhaftung auch gegen den Fortbestand einer den BF1 treffenden Verfolgungsgefahr. Ebenso lässt sich dies daraus erschließen, dass die Verwandtschaft des BF1 (wie auch der BF2) ein normales Leben in Tschetschenien führen kann, ohne einer Gefährdung aufgrund ihrer Angehörigeneigenschaft zu unterliegen, wobei der Bruder des BF1 sogar ein öffentliches Amt bekleidet.

Vor diesem Hintergrund sind die Umstände, aufgrund derer dem BF1 wie auch der BF2 Asyl gewährt wurden, nicht nur vorübergehend weggefallen. In weiterer Folge schlägt dies auch auf die BF3, den BF4, den BF5 und den BF6, denen der Asylstatus vom BF1 abgeleitet zukommt, durch.

Andere individuelle Gründe, die zur Zuerkennung bzw. Beibehaltung des Status der Asylberechtigten geführt hätten, wurden hinsichtlich der BF2 und des BF6 nicht behauptet. Die Gefahr eines Einsatzes des BF1, des BF4 und des BF5 im russischen Krieg in der Ukraine, wurde ebenso wie eine Gefährdung der BF3 aufgrund ihres behaupteten Lebensstils nicht glaubhaft gemacht.

3.1.4. Den unbescholtenen BF wurde aufgrund des ihnen bereits vor mehr als fünf Jahren zuerkannten Asylstatus gemäß § 7 Abs. 3 AsylG 2005 nach Verständigung durch das BFA von der zuständigen Niederlassungsbehörde der Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt – EU“ erteilt.

Die Aberkennung des Status der Asylberechtigten der BF durch die belangte Behörde aus dem Grund des § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 erfolgte somit zu Recht.

Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. der angefochtenen Bescheide war daher abzuweisen.

3.2. Zur Beschwerde gegen Spruchpunkt II. der angefochtenen Bescheide

3.2.1. Gemäß § 8 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 ist einem Fremden, dem der Status des Asylberechtigten aberkannt worden ist, der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

Gemäß § 8 Abs. 2 AsylG 2005 ist die Entscheidung über die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach Abs. 1 mit der Aberkennung des Status des Asylberechtigten nach § 7 zu verbinden.

Gemäß Art. 2 EMRK wird das Recht jedes Menschen auf das Leben gesetzlich geschützt. Gemäß Art. 3 EMRK darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden.

Unter realer Gefahr ist eine ausreichend echte, nicht nur auf Spekulationen gegründete Gefahr („a sufficiently real risk“) möglicher Konsequenzen für den Betroffenen im Zielstaat zu verstehen (vgl. VwGH vom 19.02.2004, 99/20/0573). Es müssen stichhaltige Gründe für die Annahme sprechen, dass eine Person einem realen Risiko einer unmenschlichen Behandlung ausgesetzt wäre. Weiters müssen konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass gerade die betroffene Person einer derartigen Gefahr ausgesetzt sein würde. Die bloße Möglichkeit eines realen Risikos oder Vermutungen, dass der Betroffene ein solches Schicksal erleiden könnte, reichen nicht aus.

Die Gefahr muss sich auf das gesamte Staatsgebiet beziehen, die drohende Maßnahme muss von einer bestimmten Intensität sein und ein Mindestmaß an Schwere erreichen, um in den Anwendungsbereich des Art. 3 EMRK zu gelangen.

Herrscht im Herkunftsstaat eines Asylwerbers eine prekäre allgemeine Sicherheitslage, in der die Bevölkerung durch Akte willkürlicher Gewalt betroffen ist, so liegen stichhaltige Gründe für die Annahme eines realen Risikos bzw. für die ernsthafte Bedrohung von Leben oder Unversehrtheit eines Asylwerbers bei Rückführung in diesen Staat dann vor, wenn diese Gewalt ein solches Ausmaß erreicht hat, dass es nicht bloß möglich, sondern geradezu wahrscheinlich erscheint, dass auch der betreffende Asylwerber tatsächlich Opfer eines solchen Gewaltaktes sein wird. Davon kann in einer Situation allgemeiner Gewalt nur in sehr extremen Fällen ausgegangen werden, wenn schon die bloße Anwesenheit einer Person in der betroffenen Region Derartiges erwarten lässt. Davon abgesehen können nur besondere in der persönlichen Situation der oder des Betroffenen begründete Umstände dazu führen, dass gerade bei ihr oder ihm ein - im Vergleich zur Bevölkerung des Herkunftsstaats im Allgemeinen - höheres Risiko besteht, einer dem Art. 2 oder 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu sein bzw. eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit befürchten zu müssen (VwGH 25.04.2017, Ra 2017/01/0016).

Abgesehen von Abschiebungen in Staaten, in denen die allgemeine Situation so schwerwiegend ist, dass die Rückführung eines abgelehnten Asylwerbers dorthin eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen würde, obliegt es grundsätzlich der abschiebungsgefährdeten Person, mit geeigneten Beweisen gewichtige Gründe für die Annahme eines Risikos nachzuweisen, dass ihr im Falle der Durchführung einer Rückführungsmaßnahme eine dem Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung drohen würde (vgl. VwGH vom 23.02.2016, Ra 2015/01/0134 - mit Verweis auf EGMR vom 05.09.2013, I. vs. Schweden, Nr. 61204/09).

Es sind keine Umstände amtsbekannt, dass in Russland bzw. in Tschetschenien aktuell eine solche extreme Gefährdungslage bestünde, dass gleichsam jeder, der dorthin zurückkehrt, einer Gefährdung iSd Art. 2 und 3 EMRK ausgesetzt wäre. Die Situation im Herkunftsstaat ist auch nicht dergestalt, dass eine Rückkehr für die BF als Zivilpersonen eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts mit sich bringen würde. Geeignete Beweise eines individuellen Risikos wurden durch die BF nicht vorgelegt.

3.2.2. Bei außerhalb staatlicher Verantwortlichkeit liegenden Gegebenheiten im Herkunftsstaat kann nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) die Außerlandesschaffung eines Fremden nur dann eine Verletzung des Art. 3 EMRK darstellen, wenn im konkreten Fall außergewöhnliche Umstände („exceptional circumstances“) vorliegen (vgl. EGMR vom 06.02.2001, Nr. 44599/98, Bensaid v United Kingdom; VwGH vom 21.08.2001, 2000/01/0443). Außergewöhnlicher Umstände liegen vor, wenn ein lebensbedrohlich Erkrankter durch die Abschiebung einem realen Risiko ausgesetzt würde, unter qualvollen Umständen zu sterben. Sie liegen aber auch dann vor, wenn stichhaltige Gründe dargelegt werden, dass eine schwerkranke Person mit einem realen Risiko konfrontiert würde, wegen des Fehlens angemessener Behandlung im Zielstaat der Abschiebung oder des fehlenden Zugangs zu einer solchen Behandlung einer ernsten, raschen und unwiederbringlichen Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes ausgesetzt zu sein, die zu intensiven Leiden oder einer erheblichen Verkürzung der Lebenserwartung führt. Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat aber kein Fremder das Recht, in einem fremden Aufenthaltsstaat zu verbleiben, bloß um dort medizinisch behandelt zu werden, und zwar selbst dann nicht, wenn er an einer schweren Krankheit leidet. Dass die Behandlung im Zielland nicht gleichwertig, schwerer zugänglich oder kostenintensiver ist, ist unerheblich. Allerdings muss der Betroffene auch tatsächlich Zugang zur notwendigen Behandlung haben, wobei die Kosten der Behandlung und Medikamente, das Bestehen eines sozialen und familiären Netzwerks und die für den Zugang zur Versorgung zurückzulegende Entfernung zu berücksichtigen sind. (VwGH vom 23.3.2017, Ra 2017/20/0038- mit Verweis auf EGMR vom 13.12.2016, Paposhvili gg Belgien, Nr. 41738/10).

Im gegenständlichen Fall haben sich auch ausgehend von der Feststellung, dass die BF an keiner lebensbedrohlichen Erkrankung leiden, keine konkreten Anhaltspunkte dahingehend ergeben, wonach sie unmittelbar nach erfolgter Rückkehr allenfalls drohenden Gefahren nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht ausgesetzt wären. Sie brachten auch keinerlei Rückkehrbefürchtungen in Zusammenhang mit gesundheitlichen Beschwerden vor. Es kann folglich nicht davon ausgegangen werden, dass sich bei objektiver Gesamtbetrachtung für die BF mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit das reale Risiko einer derart extremen Gefahrenlage ergeben würde, die im Lichte der oben angeführten Rechtsprechung einen außergewöhnlichen Umstand im Sinne des Art. 3 EMRK darstellen und somit einer Rückführung in den Herkunftsstaat entgegenstehen würde. Die bloße Möglichkeit, dass sich eine Krankheit in der Zukunft ergeben könnte, ist nicht ausreichend.

Auch unter Berücksichtigung der COVID-19-Pandemie ergibt sich hierzu keine andere Beurteilung. Dass die BF aktuell an einer COVID-19-Infektion leiden würden, wurde nicht vorgebracht. In Russland stehen wirksame Impfstoffe zur Verfügung.

3.2.3. Den BF droht in Russland bzw. in Tschetschenien weder durch direkte Einwirkung, noch durch Folgen einer substantiell schlechten oder nicht vorhandenen Infrastruktur ein reales Risiko einer Verletzung der nach Art. 2 und 3 EMRK gewährleisteten Rechte. Auch sind keinerlei Anhaltspunkte dahingehend, dass eine Rückführung nach Russland bzw. Tschetschenien für die BF als Zivilpersonen eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde, hervorgekommen.

Die BF verfügen über Schulbildung, der BF1 und die BF3 zudem über Arbeitserfahrung. Der BF1, die BF2, die BF3, der BF4 und der BF5 sind arbeitsfähig. Die BF sprechen die Sprache ihrer Herkunftsregion, der BF1 und die BF2 zudem Russisch, und sie sind mit den Lebensgewohnheiten ihrer Heimatregion durch ihre Sozialisation im Wesentlichen vertraut. Weiters haben sie eine breite Verwandtschaft in ihrer Herkunftsregion, zu der im Wesentlichen Kontakt besteht. Es besteht kein Zweifel, dass diese die BF nach einer Rückkehr unterstützen und ihnen eine Unterkunft bereitstellen würden. Darüber hinaus können die BF gegebenenfalls staatliche Unterstützungsleistungen wie Arbeitslosenhilfe in Anspruch nehmen. Somit ist für eine Unterkunft und Unterstützung der BF im Falle einer Rückkehr gesorgt. Es ist dem BF1, der BF2, der BF3, dem BF4 und dem BF5 zudem möglich und zumutbar, in weiterer Folge durch eine eigene, wenn auch vielleicht nur einfache Erwerbstätigkeit soweit selbst für ihren Unterhalt zu sorgen, dass sie die Existenzgrundlage der BF eigenständig sichern können. Es spricht nichts dagegen, dass sich die BF in den dortigen Verhältnissen zurechtfinden können. Auch konnte nicht festgestellt werden, dass in Tschetschenien bzw. Russland eine dermaßen schlechte, wirtschaftliche oder allgemeine (politische) Situation herrschen würde, die für sich genommen bereits die Zulässigkeit der Abschiebung als unrechtmäßig erscheinen ließe. In Gesamtbetrachtung liegen keine Umstände vor, anhand derer davon auszugehen wäre, dass den BF im Falle einer Rückkehr in den Herkunftsstaat jegliche Existenzgrundlage fehlen würde und sie daher in Ansehung existenzieller Grundbedürfnisse mit entscheidungsmaßgeblicher Wahrscheinlichkeit in eine lebensbedrohliche bzw. die hohe Schwelle des Art. 3 EMRK überschreitende Notlage geraten würden.

Im vorliegenden Fall liegen im Ergebnis somit keine exzeptionellen Umstände vor, welche einer Außerlandesbringung gemäß den Vorgaben des § 8 Abs. 1 AsylG 2005 widersprechen würden, weshalb die Beschwerde auch gegen Spruchpunkt II. der angefochtenen Bescheide abzuweisen war.

3.3. Zur Beschwerde gegen Spruchpunkt III. der angefochtenen Bescheide

Gemäß § 58 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 hat das Bundesamt die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 von Amts wegen zu prüfen, wenn einem Fremden der Status des Asylberechtigten aberkannt wird, ohne dass es zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten kommt. Da keine der Voraussetzungen für die amtswegige Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG 2005 vorliegen, dies auch von den BF im Einzelnen nicht behauptet wurde, war die Beschwerde hinsichtlich Spruchpunkt III. der angefochtenen Bescheide abzuweisen.

3.4. Zum Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK gemäß § 55 AsylG 2005

Die BF stellten in ihrer Beschwerde einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK gemäß § 55 AsylG 2005. Da über eine derartige Erteilung nicht bescheidmäßig abgesprochen wurde, ist diese auch nicht Gegenstand des Beschwerdeverfahrens. Der Antrag ist daher als unzulässig zurückzuweisen.

3.5. Zum Antrag auf Befangenheit des einvernehmenden Organwalters des BFA gemäß § 7 AVG

Die BF stellten in ihrer Beschwerde zudem einen Antrag auf Befangenheit des einvernehmenden Organwalters des BFA aus dem Grunde des § 7 Abs. 1 Z 3 AVG. § 7 AVG räumt kein förmliches Antrags- oder Ablehnungsrecht ein, sondern haben Verwaltungsorgane ihre allfällige Befangenheit von Amts wegen wahrzunehmen (Hengstschläger/Leeb, AVG § 7, Rn 17). Der Antrag ist daher als unzulässig zurückzuweisen.

Im Übrigen kann aus den geltend gemachten Fragen zum Personenstand, zur Religion und zum Glauben der BF eine Befangenheit des einvernehmenden Organwalters respektive ein (zumal wesentlicher) Verfahrensmangel keineswegs erkannt werden. In diesem Zusammenhang ist auch darauf hinzuweisen, dass nach den Länderberichten „Extremisten“ in Tschetschenien der Verfolgung ausgesetzt sind, weshalb nähere Fragen zur Glaubenswelt der BF sogar im (potentiellen) Interesse der BF zu einem vollständigen Ermittlungsverfahren beizutragen vermögen.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Zum Spruchteil B) Unzulässigkeit der Revision

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Im vorliegenden Fall ist die ordentliche Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung abhängt, sondern ausschließlich tatsachenlastig ist. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu den einzelnen Spruchpunkten des angefochtenen Bescheides wiedergegeben. Zur Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung ist die zur asylrechtlichen Ausweisung ergangene zitierte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs übertragbar.

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