BVwG W279 2247929-1

BVwGW279 2247929-112.11.2021

BVergG 2018 §327
BVergG 2018 §328 Abs1
BVergG 2018 §342 Abs1
BVergG 2018 §350 Abs1
BVergG 2018 §350 Abs2
BVergG 2018 §351 Abs1
BVergG 2018 §351 Abs3
BVergG 2018 §351 Abs4
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §31 Abs1

European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2021:W279.2247929.1.00

 

Spruch:

W279 2247929-1/2E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht fasst durch den Richter Mag. KOREN im Verfahren zur Erlassung einer einstweiligen Verfügung betreffend das Vergabeverfahren "Versorgung mit saugenden Inkontinenzartikeln – Abschluss einer Rahmenvereinbarung," der Auftraggeberin Sozialversicherungsanstalt der Selbständigen, Wiedner Hauptstraße 84-86, 1051 Wien, vertreten durch Haslinger/Nagele Rechtsanwälte GmbH, Mölker Bastei 5, 1010 Wien, aufgrund des Antrages der XXXX , vertreten durch Schramm Öhler Rechtsanwälte GmbH, vom 04.11.2021 das BVwG „möge der Auftraggeberin für die Dauer des Nachprüfungsverfahrens bei sonstiger Exekution untersagen, das Vergabeverfahren fortzusetzen; in eventu die Teilnahmeantragsfrist auszusetzen; in eventu, die Teilnahmeanträge zu öffnen;“ folgenden Beschluss:

 

A)

Der Auftraggeberin wird gemäß § 351 BVergG 2018 für die Dauer des Nachprüfungsverfahrens untersagt, im gegenständlichen Vergabeverfahren die Teilnahmeanträge zu öffnen. Die Anträge auf Untersagung der Fortführung des Vergabeverfahrens sowie auf Aussetzung der Teilnahmeantragsfrist werden als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gem. Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

 

 

 

Begründung:

I. Vorbringen der Parteien:

Mit Schreiben vom 04.11.2021, beim BVwG eingebracht am selben Tag, begehrte die Antragstellerin die Ausschreibung für nichtig zu erklären, in eventu die Bestimmungen in 2.12 Bewerbergemeinschaft, 2.14 Mehrfachbeteiligung, 2.15 Rügepflicht, Schadenersatz, 3.1.3 Berufliche Zuverlässigkeit, 3.1.4 Finanzielle und wirtschaftliche Leistungsfähigkeit (von Teil A –Allgemeine Teilnahmebedingungen - V1) für nichtig zu erklären, eine mündliche Verhandlung anzuberaumen sowie der Auftraggeberin aufzutragen, der Antragstellerin die entrichteten Pauschalgebühren für den Nachprüfungsantrag zu ersetzen.

Ferner stellte die Antragstellerin die gegenständlichen Anträge, das BVwG möge der Auftraggeberin für die Dauer des Nachprüfungsverfahrens untersagen, das Vergabeverfahren fortzusetzen, in eventu die Teilnahmeantragsfrist auszusetzen, in eventu die Öffnung der Teilnahmeanträge zu untersagen sowie der Auftraggeberin auftragen, der Antragstellerin die entrichtete Pauschalgebühr für den Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung zu ersetzen.

Die Antragstellerin sieht in der Ausschreibung mehrere Rechtswidrigkeiten und erachtet dadurch kleine und mittlere Unternehmen als diskriminiert.

Die Auftraggeberin übermittelte am 09.11.2021 die allgemeine Auskunftserteilung, die die Angaben der Antragstellerin hinsichtlich des Ausschreibungsgegenstandes bestätigen, sowie eine Stellungnahme zur hier gegenständlichen einstweiligen Verfügung.

Die Auftraggeberin beantragte den aus ihrer Sicht überschießenden Hauptantrag der Antragstellerin auf Untersagung der Fortsetzung des Vergabeverfahrens abzuweisen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Sachverhalt (schlüssiges Beweismittel)

Die Auftraggeberin führt ein Vergabeverfahren nach dem BVergG 2018 zum Abschluss einer Rahmenvereinbarung betreffend die Lieferung von saugenden Inkontinenzartikel. Die Bekanntmachung des Vergabeverfahrens erfolgte am 15.10.2021 im Supplement des Amtsblattes der Europäischen Union zu 2021/S 201-522312. Es handelt sich um ein Verhandlungsverfahren mit vorheriger Bekanntmachung im Oberschwellenbereich. (Vergabeakt).

2. Zulässigkeit des Antrages auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung:

Im Wege einer Grobprüfung der Antragslegitimation des Antragstellers zur Stellung eines Antrages auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung ist gemäß § 350 Abs. 1 BVergG 2018 zu prüfen, ob dem Antragsteller die Antragsvoraussetzungen nach § 342 Abs. 1 BVergG 2018 nicht offensichtlich fehlen. Diese Grobprüfung ergibt, dass sich das Verfahren in einem Stadium vor Öffnung der Teilnahmeanträge befindet, dass die Rechtswidrigkeit einer gesondert anfechtbaren Entscheidung – nämlich der Ausschreibung – behauptet wurde, dass die Antragstellerin ein Interesse am Abschluss eines dem Anwendungsbereich des BVergG unterliegenden Vertrages behauptet hat, sowie dass der Antragstellerin durch die behauptete Rechtswidrigkeit ein Schaden drohen könnte. Ein offensichtliches Fehlen der Antragsvoraussetzungen nach § 342 Abs. 1 BVergG 2018 ist somit nicht gegeben.

Die Bekanntgabe der Ausschreibung erfolgte am 12.10.2021, die Teilnahmeantragsfrist wurde mit 12.11.2021 festgelegt. Der Antrag wurde am 04.11.2021 eingebracht und ist somit nach § 343 Abs. 3 BVergG 2018 rechtzeitig. Der Antrag erfüllt – soweit im Provisorialverfahren ersichtlich – auch die sonstigen Zulässigkeitsvoraussetzungen.

3. Zum Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung

Gemäß § 350 Abs. 1 BVergG 2018 hat das Bundesverwaltungsgericht auf Antrag eines Unternehmers, dem die Antragsvoraussetzungen nach § 342 Abs. 1 nicht offensichtlich fehlen, durch einstweilige Verfügung unverzüglich vorläufige Maßnahmen anzuordnen, die nötig und geeignet erscheinen, um eine durch die behauptete Rechtswidrigkeit einer gesondert anfechtbaren Entscheidung entstandene oder unmittelbar drohende Schädigung von Interessen des Antragstellers zu beseitigen oder zu verhindern.

Gemäß § 351 Abs. 1 BVergG 2018 hat das Bundesverwaltungsgericht vor der Erlassung einer einstweiligen Verfügung die voraussehbaren Folgen der zu treffenden Maßnahme für alle möglicherweise geschädigten Interessen des Antragstellers, der sonstigen Bewerber oder Bieter und des Auftraggebers sowie ein allfälliges besonderes öffentliches Interesse an der Fortführung des Vergabeverfahrens gegeneinander abzuwägen. Ergibt diese Abwägung ein Überwiegen der nachteiligen Folgen einer einstweiligen Verfügung, ist der Antrag auf Erlassung der einstweiligen Verfügung abzuweisen.

Gemäß § 351 Abs. 3 BVergG 2018 können mit einer einstweiligen Verfügung das gesamte Vergabeverfahren oder einzelne Entscheidungen des Auftraggebers bis zur Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts über eine allfällige Nichtigerklärung vorübergehend ausgesetzt oder sonstige geeignete Maßnahmen angeordnet werden. Dabei ist die jeweils gelindeste noch zum Ziel führende vorläufige Maßnahme zu verfügen.

Die Antragstellerin hat die Erlassung einer einstweiligen Verfügung, „das Bundesverwaltungsgericht möge der Auftraggeberin für die Dauer des Nachprüfungsverfahrens bei sonstiger Exekution untersagen, das Vergabeverfahren fortzusetzen; 2. in eventu, die Teilnahmeantragsfrist auszusetzen; 3. in eventu, die Teilnahmeanträge zu öffnen; 4. jedenfalls der Auftraggeberin auftragen, der Antragstellerin die entrichtete Pauschalgebühr für diesen Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung zu Handen ihrer ausgewiesenen Rechtsvertreter bei sonstiger Exekution zu ersetzen.“ beantragt.

Da bei Zutreffen der Behauptungen der Antragstellerin, die Ausschreibung rechtswidrig sein könnte und nicht ausgeschlossen werden kann, dass die Antragstellerin für den Vertragsabschluss in Betracht kommen könnte, droht der Antragstellerin durch die behaupteten Rechtswidrigkeiten möglicherweise der Entgang des Auftrages sowie ein Schaden, der nur durch die Verhinderung des Abschlusses des Vertrages abgewendet werden kann, da der möglicherweise bestehende Anspruch auf Zuschlagserteilung und Abschluss der Vertrages nur wirksam gesichert werden kann, wenn das Verfahren bis zur Entscheidung in der Hauptsache durch das Bundesverwaltungsgericht in einem Stand gehalten wird, der eine allfällige spätere Zuschlagserteilung an die Antragstellerin und einen Abschluss des Vertrages mit der Antragstellerin ermöglicht.

Die Auftraggeberin hat sich in ihrer Stellungnahme zum Vorbringen betreffend die Erlassung einer einstweiligen Verfügung im Schreiben vom 04.11.2021 nicht gegen die Untersagung der Öffnung der Teilnahmeanträge gerichtet.

Bei Abwägung aller möglicherweise geschädigten Interessen der Antragstellerin, der sonstigen Bieter und der Auftraggeberin, eines allfälligen besonderen öffentlichen Interesses an der Fortführung des Vergabeverfahrens sowie des öffentlichen Interesses an der Sicherstellung einer Auftragserteilung an den tatsächlichen Bestbieter (VfGH 15.10.2001, B 1369/01) erscheint ein Überwiegen der nachteiligen Folgen der einstweiligen Verfügung für die bewilligte Dauer nicht gegeben. Im Übrigen hat nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes ein Auftraggeber zumindest ein Nachprüfungsverfahren sowie die damit einhergehende Verzögerung des Vergabeverfahrens einzukalkulieren.

Durch die Begrenzung der einstweiligen Verfügung mit der Dauer des abzusichernden Nachprüfungsverfahrens wird die Dauer der einstweiligen Verfügung bestimmbar gemacht (Kodek in Angst, Kommentar zur Exekutionsordnung² [2008], § 391 Rz 2). Die Zeit bemisst sich nach der Dauer des Nachprüfungsverfahrens. § 351 Abs 4 BVergG 2018 verlangt lediglich die Festsetzung einer Zeit, legt im Gegensatz zu den Vorgängergesetzen keine Höchstfrist fest. Aus dem Zweck der einstweiligen Verfügung, der Absicherung eines effektiven Nachprüfungsverfahrens, ergibt sich, dass die einstweilige Verfügung für die gesamte Dauer des Nachprüfungsverfahrens erlassen werden soll und mit dieser Dauer durch das Gesetz überdies begrenzt ist. Die Auftraggeberin ist durch eine derartige Bestimmung der Zeit nicht belastet, da die Entscheidungsfrist des Bundesverwaltungsgerichtes davon nicht verlängert wird, sie jederzeit bei Wegfall der Voraussetzungen für die Erlassung der einstweiligen Verfügung deren Aufhebung beantragen kann und die einstweilige Verfügung mit der Entscheidung über den Nachprüfungsantrag außer Kraft tritt. Von der Bestimmung einer nach einem bestimmten Datum fest gesetzten Frist konnte daher abgesehen werden (vgl BVA 24.6.2010, N/0051-BVA/10/2010-EV13 mit weiteren Nachweisen).

Die Untersagung der Öffnung der Teilnahmeanträge erscheint in der hg. Abwägung als ausreichend und ein Aussetzen der Abgabefrist als überschießend. Ob das Vergabeverfahren fortgeführt werden kann, ist Sache des in die hg. Senatszuständigkeit fallenden Hauptverfahrens, der dahingehend gerichtete Antrag auf einstweilige Verfügung erscheint daher ebenfalls als überschießend.

Über den Antrag auf Gebührenersatz wird gesondert entschieden werden.

B) Revision:

Gemäß § 25a Abs 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art 133 Abs 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. dazu VwGH 6. 11. 2002, 2002/04/0138; 30. 6. 2004, 2004/04/0028; 1. 2. 2005, 2005/04/0004; 29. 6. 2005, 2005/04/0024; 1. 3. 2007, 2005/04/0239; 27. 6. 2007, 2005/04/0254; 29. 2. 2008, 2008/04/0019; 14. 1. 2009, 2008/04/0143; 14. 4. 2011, 2008/04/0065; 29. 9. 2011, 2011/04/0153) ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

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