BVwG W183 2140453-1

BVwGW183 2140453-113.1.2017

B-VG Art.133 Abs4
GGG Art.1 §18 Abs2 Z2
GGG Art.1 §18 Abs2 Z2a
VwGVG §28 Abs5
B-VG Art.133 Abs4
GGG Art.1 §18 Abs2 Z2
GGG Art.1 §18 Abs2 Z2a
VwGVG §28 Abs5

European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2017:W183.2140453.1.00

 

Spruch:

W183 2140453-1/2E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin MMag. Dr. Erika PIELER als Einzelrichterin über die Beschwerde der XXXX, vertreten durch die Anwaltssocietät Sattlegger / Dorninger / Steiner & Partner, gegen den Bescheid des Präsidenten des Landesgerichtes Steyr vom 29.08.2016, Zl. Jv 673/16k-33, zu Recht erkannt:

A)

Der angefochtene Bescheid wird gem. § 28 Abs. 2 VwGVG ersatzlos behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig.

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Die Beschwerdeführerin (BF) als Klägerin schloss mit der beklagten Partei am 05.10.2011 einen Vergleich mit folgendem Wortlaut:

"1. Die beklagte Partei verpflichtet sich, der klagenden Partei den Betrag von [...] zu bezahlen.

2. Die beklagte Partei verpflichtet sich weiters, die [...] Wohnung [...] geräumt von ihren Fahrnissen bis längstens 20.11.2011 [...] zu übergeben.

3. Die beklagte Partei kann sich von der Verpflichtung laut Punkt 1. und 2. befreien, wenn sie bis längstens 15.11.2011 einen Betrag von EUR 500,-- sowie bis längstens 15.11.2011 einen Betrag von EUR 1.327,45 zuzüglich aufgelaufener Zinsen laut Punkt 1. sowie die Kosten von EUR 810,49 in monatlichen Raten á EUR 100,--, beginnend mit 15.11.2011, die Folgeraten jeweils am 15. der Folgemonate, zusätzlich zum laufenden Mietzins bezahlt. Terminsverlust tritt bereits bei Nichtbezahlung einer Rate oder eines Mietzinses ein."

Der Vergleich wurde wie folgt bewertet: Leistung 1.352,49 EUR und Räumung (750,-- EUR).

2. Aufgrund einer Beanstandung durch die Revisorin wurde der Zahlungsauftrag vom 31.03.2016 erlassen und der BF die Bezahlung von 1.167,00 EUR (Bemessungsgrundlage 59.467,05 EUR) sowie die Einhebungsgebühr von 8,00 EUR vorgeschrieben. Die BF erhob dagegen das Rechtsmittel der Vorstellung.

3. Mit dem angefochtenen Bescheid (der Rechtsvertreterin der BF am 14.09.2016 zugestellt) schrieb die belangte Behörde (nach der Gewährung von Parteiengehör) der BF die Einzahlung von Gerichtsgebühren i.d.H. von EUR 1.167,00 sowie die Einhebungsgebühr von 8,00 EUR vor. Begründend wurde auf § 18 Abs. 2 Z 2 GGG verwiesen und ausgeführt, dass Vergleichspunkt 3. eine Lösungsbefugnis vorsehe und mit der zehnfachen Jahresleistung zu bewerten sei. Es liege eine wiederkehrende Leistung von unbestimmter Dauer i.S.d. § 58 Abs. 1 JN vor.

4. Mit Schriftsatz vom 12.10.2016 erhob die BF durch ihre Rechtsvertreterin binnen offener Frist das Rechtsmittel der Beschwerde und brachte darin im Wesentlichen vor, dass sie im Vergleich keine Sicherung der wiederkehrenden Mieten erwirkt habe. Diese seien auch nicht exekutierbar. 5. Mit Schriftsatz vom 09.11.2016 legte die belangte Behörde die Beschwerde samt Bezug habenden Verwaltungsunterlagen dem Bundesverwaltungsgericht vor.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Punkt 3. des Vergleichs vom 05.10.2011 lautet: "Die beklagte Partei kann sich von der Verpflichtung laut Punkt 1. und 2. befreien, wenn sie bis längstens 15.11.2011 einen Betrag von EUR 500,-- sowie bis längstens 15.11.2011 einen Betrag von EUR 1.327,45 zuzüglich aufgelaufener Zinsen laut Punkt 1. sowie die Kosten von EUR 810,49 in monatlichen Raten á EUR 100,--, beginnend mit 15.11.2011, die Folgeraten jeweils am 15. der Folgemonate, zusätzlich zum laufenden Mietzins bezahlt. Terminsverlust tritt bereits bei Nichtbezahlung einer Rate oder eines Mietzinses ein."

2. Beweiswürdigung:

2.1. Die Feststellung ergibt sich aus den von der belangten Behörde vollständig vorgelegten, unstrittigen Verwaltungsunterlagen sowie den Aktenbestandteilen des gerichtlichen Grundverfahrens. Insbesondere relevant ist der Vergleich vom 05.10.2011.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1.1. Gemäß § 6 Bundesverwaltungsgerichtsgesetz, BGBl. I Nr. 10/2013 (BVwGG), entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Mangels materienspezifischer Sonderregelung besteht somit gegenständlich Einzelrichterzuständigkeit.

3.1.2. Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 33/2013 (VwGVG), geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Bundes-Verfassungsgesetz, BGBl. Nr. 1/1930 (B-VG), die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991, BGBl. Nr. 51/1991 (AVG), mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

3.1.3. Gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG, BGBl. Nr. 1/1930 idF BGBl. I Nr. 51/2012, erkennen die Verwaltungsgerichte über Beschwerden gegen den Bescheid einer Verwaltungsbehörde wegen Rechtswidrigkeit.

3.2. Zu A)

3.2.1. Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gem. Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

3.2.2. Im gegenständlichen Fall stellt sich die Frage, ob aufgrund von Punkt 3. des gegenständlichen Vergleichs eine Wertänderung i. S.d. § 18 Abs. 2 Z 2 und 2a Gerichtsgebührengesetz (GGG), BGBl. Nr. 501/1984, erfolgte und folglich die Vorschreibung einer restlichen Pauschalgebühr gerechtfertigt war.

§ 18 GGG lautet:

(1) Die Bemessungsgrundlage bleibt für das ganze Verfahren gleich.

(2) Hievon treten folgende Ausnahmen ein:

[...] 2. Wird der Wert des Streitgegenstandes infolge einer Erweiterung des Klagebegehrens geändert oder ist Gegenstand des Vergleiches eine Leistung, deren Wert das Klagebegehren übersteigt, so ist die Pauschalgebühr unter Zugrundelegung des höheren Streitwertes zu berechnen; die bereits entrichtete Pauschalgebühr ist einzurechnen.

2a. Ist Gegenstand des Vergleichs eine Räumungsverpflichtung, die auch der Sicherung einer Forderung auf wiederkehrende Leistungen dient (etwa wenn auf die Räumung verzichtet wird oder von dieser kein Gebrauch gemacht werden soll, solange die Leistungsverpflichtung fristgerecht erfüllt wird), so ist in die Bemessungsgrundlage des Vergleiches neben dem Streitwert für die Räumung auch der Streitwert für die wiederkehrenden Leistungen einzurechnen.

Aus der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ergibt sich, dass für den Fall, dass die im Vergleichstext genannten Beträge "zusätzlich zu den laufenden Mietzinsen" zu zahlen sind, eine Werterhöhung im Sinn des § 18 Abs. 2 Z 2 und 2a GGG vorliegt (vgl. VwGH 24.10.2013, 2013/16/0149; 18.03.2013, 2010/16/0066).

Die Judikatur des Verfassungsgerichtshofes hingegen besagt, dass über künftige Mietentgelte dann nicht disponiert werde, wenn diese im Vergleich lediglich "nebenher" ("als weitere Bedingung für den Verzicht auf die Räumung") erwähnt werden, ohne selbst zum Gegenstand der im Vergleich getroffenen Dispositionen zu werden (VfGH 05.06.2014, B 145/2014; 08.06.2010, B 5/10). Der VfGH spricht in diesem Zusammenhang auch von einer "bloß beiläufigen Erwähnung des laufenden Mietzinses" (VfGH 08.10.2003, B 459/02). Es entspricht der langjährigen, ständigen Judikatur des VfGH, dass in den so gelagerten Fällen keine Änderung der Bemessungsgrundlage vorliegt und § 18 Abs. 2 Z 2 GGG in denkunmöglicher Weise angewandt wurde (Verletzung des Eigentumsrechts). Die Entscheidung B 145/2014 erging zu einem Zeitpunkt, als die Bestimmung des § 18 Abs. 2 Z 2a GGG bereits in Geltung stand.

3.2.3. Vor diesem Hintergrund ergibt sich für den gegenständlichen Fall, dass aufgrund der verfassungsgerichtlichen Judikatur in der Formulierung des Vergleichspunktes 3. keine Wertänderung zu erblicken ist. Vergleicht man die Formulierungen der entsprechenden Vergleichstextpassagen, welche den zitierten VfGH-Erkenntnissen zugrunde lagen, mit dem gegenständlichen Vergleichspunkt 3., so ergibt sich für das Bundesverwaltungsgericht, dass ein gleichgelagerter Fall vorliegt. Die Bezahlung des laufenden Mietzinses wird bloß "nebenher" erwähnt, gleichsam als Selbstverständlichkeit. Eine Disposition über künftige Mietentgelte wird nicht vorgenommen. Die Vorschreibung einer restlichen Pauschalgebühr ist mangels Werterhöhung nicht gerechtfertigt.

Das Bundesverwaltungsgericht gelangt somit abschließend zu dem Ergebnis, dass der angefochtene Bescheid gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG ersatzlos zu beheben war.

3.2.4. Gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG kann das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteienantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 EMRK noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union entgegenstehen. Im vorliegenden Fall geht der Sachverhalt eindeutig aus den Akten hervor und lässt die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten. Die Notwendigkeit der Durchführung einer Verhandlung ist auch im Hinblick auf Art. 6 Abs. 1 EMRK und Art. 47 GRC nicht ersichtlich (vgl. dazu auch VwGH 26.06.2003, 2000/16/0305, wonach die Durchführung einer mündlichen Verhandlung im Verfahren zur Vorschreibung/Einbringung von Gerichtsgebühren nicht erforderlich ist, und VwGH 11.01.2016, Ra 2015/16/0132, wonach Angelegenheiten der Gerichtsgebühren nicht in den Anwendungsbereich des Art. 6 EMRK fallen).

3.3. Zu B) Zulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig, weil die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Im konkreten Fall wurde aufgrund der verfassungsgerichtlichen Judikatur (insbesondere VfGH 05.06.2014, B 145/2014) von der Judikatur des VwGH (VwGH 24.10.2013, 2013/16/0149) abgewichen.

Es war somit insgesamt spruchgemäß zu entscheiden.

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