BVwG W205 2121638-1

BVwGW205 2121638-14.8.2016

AsylG 2005 §10 Abs1 Z1
AsylG 2005 §4a
AsylG 2005 §57
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §61
AsylG 2005 §10 Abs1 Z1
AsylG 2005 §4a
AsylG 2005 §57
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §61

European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2016:W205.2121638.1.00

 

Spruch:

W205 2121638-1/6E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr. SCHNIZER-BLASCHKA über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Somalia, vertreten durch Benjamin Lesacher BA, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , Zl. XXXX , zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird gemäß § 4a, § 10 Abs. 1 Z 1, § 57 AsylG 2005, § 9 BFA-VG und § 61 FPG als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Somalia, gelangte illegal in das österreichische Bundesgebiet und suchte in Österreich am 17.07.2015 um die Gewährung internationalen Schutzes an.

Den vorliegenden EURODAC-Treffermeldungen zufolge suchte er bereits zuvor am 04.06.2011 in Italien und am 07.02.2013 in Schweden um Asyl an.

Im Verlauf seiner Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes vom 18.07.2015 brachte der Beschwerdeführer vor, an keinerlei Krankheiten oder gesundheitlichen Beschwerden zu leiden und in Österreich seine Ehefrau (im folgenden: "F") zu haben.

2010 habe er Somalia mit einem PKW verlassen, sei über mehrere afrikanische Länder nach Libyen gereist und habe von dort aus mittels Boot das Meer Richtung Italien überquert. Er habe in Italien zwar einen Asylantrag gestellt, sei jedoch 2012 nach Schweden weitergereist, um dort einen Asylantrag zu stellen. Nachdem in Schweden über seinen Antrag negativ entschieden worden sei, habe er sich freiwillig nach Italien zurückbegeben. 2015 sei er mit dem Zug nach Österreich weitergereist, da seine Frau, mit der er traditionell verheiratet sei, im österreichischen Bundesgebiet bereits einen Asylantrag gestellt habe.

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: "BFA") richtete am 21.07.2015 ein auf Art. 18 Abs. 1 lit. b der Verordnung (EU) 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.06.2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (im Folgenden: "Dublin III-VO") gestütztes Wiederaufnahmeersuchen an Italien sowie ein auf Art. 34 Dublin III-VO gestütztes Informationsersuchen an Schweden.

Mit Schreiben vom 05.08.2015, beim BFA am selben Tag eingelangt, lehnten die italienischen Behörden eine Rückübernahme des Beschwerdeführers nach der Dublin-VO mit dem Hinweis auf dessen in Italien erhaltenen Status eines subsidiär Schutzberechtigten ab. Dem Beschwerdeführer sei bis 18.05.2019 eine Aufenthaltserlaubnis in Italien aufgrund dieser Zuerkennung des subsidiären Schutzes erteilt worden.

Die schwedische Dublin-Behörde teilte mit Schreiben vom 19.08.2015 mit, dass aufgrund seines in Schweden gestellten Asylantrages beabsichtigt gewesen sei, den Beschwerdeführer am 16.05.2013 auf Grundlage der Dublin III-VO nach Italien zu überstellen, der Beschwerdeführer sei aber untergetaucht. Am 19.08.2015 sei die Information aus Italien eingetroffen, dass dem Beschwerdeführer dort bereits subsidiärer Schutz gewährt worden sei und ihm eine Aufenthaltsberechtigung bis 18.05.2019 zukomme.

Am 17.09.2015 erfolgte die niederschriftliche Einvernahme des Beschwerdeführers vor dem BFA im Beisein einer Rechtsberaterin nach durchgeführter Rechtsberatung. Hierbei gab der Antragsteller zu Protokoll, gesund zu sein und dass im österreichischen Bundesgebiet seine Ehefrau wohnhaft sei. Mit dieser sei er seit ca. 5,5 Jahren verheiratet, die Ehe sei traditionell geschlossen worden, Kinder würden sie keine haben und seit fünfeinhalb Jahren bestehe keine Haushaltsgemeinschaft unter den Eheleuten.

Über Vorhalt der Zuständigkeit Italiens gab er an, er wolle lieber mit seiner Frau in Österreich bleiben. Wenn er in Italien ein Leben gehabt hätte, hätte er sogar seine Frau zu sich geholt, aber er sei in Italien auf der Straße gewesen. Er könne mit seiner Frau nicht auf der Straße leben, er habe sich dann entschieden, nach Österreich zu reisen.

2. Die als Ehefrau bezeichnete F stellte in Österreich am 19.03.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Ihr wurde mit Bescheid des BFA vom XXXX , Zl. XXXX , subsidiärer Schutz sowie eine befristete Aufenthaltsberechtigung für subsidiär Schutzberechtigte zuerkannt. Gegen die Abweisung des Antrags hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten legte F Beschwerde ein, das diesbezügliche Beschwerdeverfahren wurde mit hg. Beschluss vom XXXX , XXXX , wegen unbekannten Aufenthalts der Beschwerdeführerin zu diesem Zeitpunkt gemäß § 24 Abs. 2 AsylG 2005 eingestellt. Der Beschwerdeführer und F waren in Österreich zu keinem Zeitpunkt an derselben Adresse gemeldet (ZMR und GVS-Auszug vom 28.07.2016 sowie 04.08.2016 betreffend den Beschwerdeführer und F).

3. Mit dem angefochtenen Bescheid wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß § 4a AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass sich die beschwerdeführende Partei nach Italien zurückzubegeben habe (Spruchpunkt I.). Gleichzeitig wurde dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt sowie gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG die Außerlandesbringung nach § 61 Abs. 1 Z 1 FPG angeordnet und festgestellt, dass demzufolge eine Abschiebung nach Italien gemäß § 61 Abs. 2 FPG zulässig sei (Spruchpunkt II.).

Die Sachverhaltsfeststellungen zur Lage in Italien wurden im angefochtenen Bescheid im Wesentlichen folgendermaßen zusammengefasst (unkorrigiert):

2. Allgemeines zum Asylverfahren

(...)

Kürzlich vorgenommene Änderungen im italienischen Asylsystem betreffen die Übernahme der Neufassung der EU-QualifikationsRL (2011/95/EU) in nationales Recht. Dadurch wurden mehr Schutzvorkehrungen für UMA getroffen, die Aufenthaltsgenehmigung für subsidiär Schutzberechtigte wurde jener von Flüchtlingen angeglichen und auf 5 Jahre erhöht und Subschutzberechtigte erhielten mehr Rechte, speziell im Bereich Familienzusammenführung. Außerdem wurden mit Gesetzesdekret 119/2014 die Territorialkommissionen, welche die Asylverfahren führen, von 10 auf 20 aufgestockt, mit einer Option auf 30 weitere Subkommissionen. Ebenso umgesetzt wurden die Neufassungen der EU-AufnahmeRL und der VerfahrensRL (AIDA 1.2015; vgl. UNHRC 1.5.2015).

Es gibt in Italien nur ein ordentliches Verfahren, keine Schnell-Grenz-, Zulassungs- oder ähnliche Verfahren. Asylanträge sollen binnen 8 Tagen eingebracht werden, eine "verspätete" Antragsstellung hat aber keine negativen Auswirkungen auf das Verfahren. Asylanträge können bei der Grenzpolizei, die den AW dann zum zuständigen lokalen Polizeipräsidium (Questura) weiterleitet, oder gleich bei der Questura gestellt werden. Für Reisekosten von der Grenze zur zuständigen Questura kommt der Staat nicht auf, aber NGOs helfen oft aus. Bei der Questura erfolgt die formale Registrierung des Antrags (Verbalizzazione) und erkennungsdienstliche Behandlung (Fotografieren, Fingerabdrücke nehmen; sogenanntes Fotosegnalamento). Normalerweise erfolgen Fotosegnalamento und Verbalizzazione gleichzeitig. In großen Städten können jedoch einige Wochen zwischen diesen beiden Formalakten vergehen. Das kann zu Schwierigkeiten für die betroffenen AW führen, die in dieser Zeit keinen Zugang zum Unterbringungs- und Gesundheitssystem haben (außer zu medizinischer Notversorgung). Es gab zuletzt aber Bemühungen etwas gegen diese Verzögerung zu unternehmen (AIDA 1.2015). In Rom etwa ist es nicht mehr notwendig, die Verbalizzazione abzuwarten, um Zugang zu Unterbringung zu erhalten. Bei Antragstellung wird der Bedarf nach einer Unterkunft abgefragt. Der AW erhält dann einen offiziellen Brief der Polizei, mit dem er sich bei der Gemeinde Rom auf die Warteliste für die Unterbringung in einem ihrer Zentren setzen lassen kann. Die Wartezeit auf einen Platz in einem Zentrum der Gemeinde ist viel kürzer geworden und beträgt aktuell ca. 1 Monat. Während dieser Zeit kann es angeblich nach wie vor zu Lücken bei der Unterbringung kommen (SFH 23.4.2015).

In der Questura wird auch abgeklärt, ob Italien gemäß Dublin-VO für das Asylverfahren zuständig ist. Für das inhaltliche Verfahren zuständig sind die über das ganze Land verteilten Territorialkommissionen (Commissioni Territoriali per il Riconoscimento della Protezione Internazionale) und Subkommissionen, welche dem Innenministerium unterstehen. Vor der zuständigen Kommission hat binnen 30 Tagen ein inhaltliches Interview zu erfolgen und binnen weiterer 3 Tage sollte eine Entscheidung fallen. In der Praxis dauert das Verfahren aber normalerweise einige Monate. Unter bestimmten Bedingungen können Anträge prioritär behandelt werden und sind dann kürzer. Dies betrifft offensichtlich begründete Anträge; vulnerable Antragsteller; Anträge aus Abschiebezentren (CIE) heraus; Anträge aus CARA (außer die Unterbringung dient der Identitätsfeststellung); usw. Dann muss die Befragung innerhalb von 7 Tagen durchgeführt werden und die Entscheidung hat binnen max. 2 Tagen zu erfolgen. Meistens wird das prioritäre Verfahren bei Personen in CIE angewendet (AIDA 1.2015).

Beschwerdemöglichkeiten

Eine Beschwerde muss innerhalb von 30 Tagen ab Erhalt der negativen Entscheidung von einem Anwalt beim zuständigen Gericht eingebracht werden. Wenn der AW in einem CARA oder CIE untergebracht wurde, muss die Beschwerde binnen 15 Tagen eingebracht werden. Entscheidungen des Gerichts dauern in der Praxis 6 bis 18 Monate oder mehr. Die Beschwerde hat automatisch aufschiebende Wirkung, außer wenn die Außerlandesbringung bereits vor Asylantragstellung verfügt worden ist; bei Beschwerden gegen offensichtlich unbegründete oder unzulässige Anträge; bei Anträgen aus CIE heraus; wenn der AW in einem CARA untergebracht wurde weil er beim illegalen Grenzübertritt oder kurz danach betreten worden ist; wenn das CARA ohne rechtfertigenden Grund verlassen wurde. In diesen Fällen kann die aufschiebende Wirkung bei Gericht beantragt werden (AIDA 1.2015).

Wird die Beschwerde abgewiesen, ist dagegen gemäß Civil Procedure Code binnen 30 Tagen Beschwerde vor dem Appellationsgericht möglich. Eine letzte (kassatorische) Beschwerde ist vor dem höchsten Appellationsgericht binnen 60 Tagen möglich. Für AW in Haft liegt die Frist für diese beiden Beschwerdemöglichkeiten bei 15 Tagen, was NGOs als zu kurz kritisieren (AIDA 1.2015).

In der Beschwerdephase ist für AW ein Recht auf kostenfreie staatliche Rechtsbeihilfe (gratuito patrocinio) vorgesehen, wenn finanzielle Bedürftigkeit vorliegt. Diese kann durch eine Eigendeklaration nachgewiesen werden. Diesbezügliche Schwierigkeiten mit der Anwaltskammer in der Stadt Rom wurden juristisch gelöst, zur Umsetzung ist aber nicht bekannt. AW in großen Städten haben höhere Chancen einen guten Anwalt zu finden oder Hilfe durch NGOs zu erhalten (AIDA 1.2015).

Folgeanträge

Folgeanträge sind zulässig, wenn sie neue Elemente enthalten. Um festzustellen, ob das der Fall ist, nimmt die zuständige Territorialkommission eine entsprechende Bewertung vor, ohne die neuen Elemente inhaltlich zu prüfen. Wird der Folgeantrag nicht zugelassen, ist dagegen Beschwerde möglich. Diese hat keine aufschiebende Wirkung, es ist aber möglich sie zu beantragen (Entscheidung soll binnen 5 Tagen fallen). Ansonsten gelten für Folgeanträge dieselben Bestimmungen wie im ordentlichen Verfahren. Folgeantragsteller haben dieselben rechtlichen Garantien, können in CARA untergebracht werden wenn es freie Plätze gibt und haben im Beschwerdeverfahren die Möglichkeit auf kostenfreie Rechtshilfe (AIDA 1.2015).

Quellen:

3. Dublin-Rückkehrer

Die meisten Dublin-Rückkehrer landen am Flughafen Rom-Fiumicino, einige auch am Flughafen Mailand-Malpensa. Ihnen wird am Flughafen von der Polizei eine Einladung (verbale di invito) ausgehändigt, der zu entnehmen ist, welche Questura für ihr Asylverfahren zuständig ist. Die Situation von Dublin-Rückkehrern hängt vom Stand ihres Verfahrens in Italien ab.

1. Wenn ein Rückkehrer noch keinen Asylantrag in IT gestellt hat, kann er dies tun, wie jeder andere auch.

2. Ist das Verfahren des AW noch anhängig, wird es fortgesetzt und er hat dieselben Rechte wie jeder andere AW.

3. Hat er beim ersten Aufenthalt in Italien eine negative Entscheidung erhalten und dagegen keine Beschwerde eingelegt, kann er zur Außerlandesbringung in ein CIE gebracht werden.

4. Wurde das Verfahren des Rückkehrers negativ entschieden, dieser aber nicht informiert (weil er etwa schon weg war), kann er Beschwerde einlegen.

5. Hat der AW Italien vor seinem persönlichen Interview verlassen und erging folglich eine negative Entscheidung, kann der Rückkehrer ein neues Interview beantragen (AIDA 1.2015).

Eine 8-köpfige afghanische Familie betreffend, welche über Italien nach Österreich und weiter in die Schweiz gereist ist und welche im Rahmen der Dublin-Verordnung von der Schweiz nach Italien rückzuüberstellen war, hat der EGMR am 4.11.2014 festgestellt, dass eine Überstellung nach Italien das Verbot der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung (Art. 3 EMRK) verletzen würde, falls die Schweiz nicht vorab von Italien Einzelfallzusicherungen für eine altersgerechte Betreuung der Kinder und für die Wahrung der Einheit der Familie einholt (sogen. Tarakhel-Urteil) (EGMR 4.11.2014).

Das deutsche OVG für Nordrhein-Westfalen hat judiziert, es sei weiterhin davon auszugehen, dass hinsichtlich Italiens grundsätzlich keine systemischen Mängel vorliegen. Die gegenwärtig besonders hohe Zahl von Einwanderern nach Italien rechtfertige keine veränderte Beurteilung. Die Schwelle zur unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung würde erst dann überschritten, wenn Italien aufgrund des erhöhten Zustroms keine Maßnahmen zur Bewältigung dieses Problems ergriffe. Davon könne nicht ausgegangen werden (Urteil vom 24.04.2015 - 14 A 2356/12.A <5493144>) (BAMF 10.6.2015).

Quellen:

4. Unbegleitete minderjährige Asylwerber (UMA) / Vulnerable

Die italienischen Gesetze sehen keine eigene Vorgehensweise zur Identifizierung von Vulnerablen bzw. UMA vor. Wenn im Zuge des Interviews oder sonst im Verfahren ein Vertreter der Behörde den Verdacht hat, es mit einer vulnerablen Person zu tun zu haben, kann er den Betreffenden speziellen Diensten zuweisen. Die Identifizierung von Vulnerablen ist in jeder Phase des Asylverfahrens möglich und kann durch alle Beteiligten erfolgen. Der Schutz von Minderjährigen wurde mit Gesetzesdekret 18/2014 verstärkt, das die Verpflichtung enthält, Reifegrad und Entwicklung des Minderjährigen zu berücksichtigen. Auch das Prinzip des besten Interesses des Kindes wird darin bestärkt. Vulnerable Fälle werden im Verfahren prioritär behandelt. Bei Zweifeln über das Alter eines Antragstellers kann jederzeit eine medizinische Altersfeststellung durchgeführt werden, für die eine Zustimmung nötig ist. Eine Verweigerung derselben hat keine negativen Auswirkungen auf das Verfahren. Zu den Methoden der Altersfeststellung gibt es keine spezifischen Vorgaben, außer dass sie nicht-invasiv sein sollen und bevorzugt in öffentlichen Gesundheitseinrichtungen mit pädiatrischen Abteilungen durchzuführen sind. Angeblich werden Altersfeststellungen meist von nicht-spezialisierten Medizinern anhand von Röntgenbildern vorgenommen, was auf Kritik stößt. Im Zweifel ist die Minderjährigkeit anzunehmen (AIDA 1.2015).

Der UN-Sonderberichterstatter für die Menschenrechte von Migranten kommt zu dem Schluss, dass die derzeitige Konzentration auf Altersfeststellungen und das Günstigkeitsprinzip bei Personen, die unter 18 zu sein scheinen, als vorsichtiger Ansatz erscheinen, der den Schutz der Betroffenen über die Zweckmäßigkeit stellt. Es sei jedoch abzuwarten, ob dies auch langfristig umgesetzt werden könne (UNHRC 1.5.2015).

Stellt ein unbegleiteter Minderjähriger einen Asylantrag wird das Verfahren sofort suspendiert und das Jugendgericht (Tribunale per i minorenni) und der Vormundschaftsrichter (Giudice tutelare) informiert. Letzterer muss binnen 48 Stunden einen Vormund ernennen, welcher dann bei der Questura die Wiederaufnahme des Verfahrens bewirkt und die Maßnahmen zur Unterbringung und Versorgung des UMA überwacht. Die 48-Stunden-Regel wird kaum eingehalten, sondern es dauert eher Wochen (UNHCR berichtet von 2-11 Monaten (UNHCR 3.2015))

Der Vormund kümmert sich während des gesamten Verfahrens um den UMA, im Falle einer negativen Entscheidung auch darüber hinaus. Vor allem während des Interviews ist seine Anwesenheit unerlässlich. Beschwerden gegen negative Entscheidungen sind selten, weil entweder ein anderer Schutztitel oder eine Aufenthaltserlaubnis bis zum 18. Geburtstag gewährt wurde. Der Vormund ist für das Wohlergehen des Kindes verantwortlich. In der Praxis wird der Bürgermeister jener Gemeinde, in der der UMA untergebracht ist, zum Vormund ernannt und er delegiert die Vormundschaft an andere Personen innerhalb der Gemeinde, die meist viele Personen zu betreuen haben. Oft sehen Vormunde ihre Schützlinge nur bei der formalen Registrierung des Asylantrags und dann beim Interview, was gesetzlich unbedingt verlangt ist. Auch die Ernennung eines freiwilligen Vormunds ist möglich, wird aber nicht oft angewendet (AIDA 1.2015).

Laut italienischen Gesetzen ist bei der Unterbringung auf spezifische Bedürfnisse der AW Rücksicht zu nehmen, besonders bei Vulnerablen (Kinder, Alte, Behinderte, Schwangere, alleinstehende Eltern mit Kindern unter 18 Jahren, Opfer von Folter, Vergewaltigung oder anderen Formen physischer, psychischer oder sexueller Gewalt. Die Manager der Unterbringungszentren sollen in Zusammenarbeit mit lokalen öffentlichen Gesundheitszentren die angemessene psychologische Unterstützung Vulnerabler sicherstellen. In den SPRAR-Zentren wird bei Überstellung eines vulnerablen Antragstellers dessen genauer Bedarf festgestellt. Unbegleitete Minderjährige dürfen nicht in CARA untergebracht werden. Behauptet ein in einem CARA Untergebrachter, minderjährig zu sein, muss eine Altersfeststellung durchgeführt werden. Ist er tatsächlich minderjährig, muss er in eine SPRAR-Einrichtung überstellt werden. Ist dort kein Platz frei, ist Unterbringung in einem Kinderheim möglich. In der Praxis kann es aber passieren, dass ein Vulnerabler in einem CARA bleiben muss, weil die Kapazitäten im SPRAR fehlen, oder er wird in einem speziellen Zentrum für Kinder untergebracht (AIDA 1.2015).

Die Europäische Kommission hat am 10.7.2014 mit einer formal notice wegen der Situation unbegleiteter Minderjähriger Asylwerber die erste Stufe eines Vertragsverletzungsverfahrens gegen Italien in Kraft gesetzt. Nähere Informationen dazu liegen nicht vor (EK 16.7.2015).

Mit Gesetz 190/2014 vom 1.1.2015 gingen die Agenden betreffend unbegleiteter Minderjähriger vom italienischen Arbeits- und Sozialministerium auf das Innenministerium über, unter gleichzeitiger Bereitstellung neuer Mittel in Höhe von EUR 32,5 Mio. pro Jahr für die Versorgung von UM (UNHRC 1.5.2015).

Quellen:

5. Non-Refoulement

Grundsätzlich bietet Italien Schutz gegen Abschiebung oder Rückkehr von Flüchtlingen in Länder, in denen ihr Leben oder ihre Freiheit aufgrund Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe oder politischer Gesinnung bedroht wäre (USDOS 25.6.2015).

Es gibt Berichte, dass Ägypter und Tunesier in einigen Fällen Schwierigkeiten beim Zugang zum Asylverfahren hatten und im Rahmen bilateraler Rückübernahmeabkommen zurückgeschickt worden seien. Hier gab es aber angeblich Verbesserungen (AIDA 1.2015; vgl. UNHCR 3.2015).

Von ähnlichen Problemen wird auch von den Adriahäfen Ancona, Bari, Brindisi und Venedig (sogen. "offizielle Grenzpunkte") berichtet, wo im Rahmen bilateraler Abkommen direkte und informelle Rückschiebungen von Italien nach Griechenland stattfinden, welche die Betroffenen angeblich einem Refoulement-Risiko aussetzen können. Für diese Praxis wurde Italien am 21.10.2014 vom EGMR verurteilt (Sharifi and Others v. Italy and Greece). Die NGO CIR hat während ihrer Beratungstätigkeit in den Häfen im letzten Jahr keine Fälle beobachten können, in denen potentiellen Asylwerbern die Möglichkeit zur Antragstellung oder die Einreise verwehrt worden wäre. Allerdings war CIR nicht rund um die Uhr vor Ort (AIDA 1.2015; vgl. UNHCR 3.2015).

Quellen:

6. Versorgung

6.1. Unterbringung

Aufgrund der starken Fragmentierung des italienischen Unterbringungssystems ist es nicht möglich, einen Gesamtüberblick über sämtliche vorhandene Plätze zu geben, insbesondere auf Gemeindeebene. Da zudem die Bedingungen und Leistungen regional sehr unterschiedlich sind, ist es auch nicht möglich, allgemeingültige Aussagen zu den Aufnahmebedingungen zu machen. Jedenfalls wurde die Anzahl der Unterbringungsplätze bedeutend erhöht. Das hat in erster Linie mit dem Anstieg bei der Anzahl der Bootsflüchtlinge zu tun. Während die SPRAR-Zentren über hohe Standards verfügen, handelt es sich bei den CARA um große Kollektivzentren. Die Bedingungen in den CAS variieren, einige wurden wegen der schlechten Zustände kritisiert (SFH 23.4.2015).

Kürzlich vorgenommene Änderungen im italienischen Asylsystem betreffen die Übernahme der Neufassung der EU-QualifikationsRL (2011/95/EU) in nationales Recht. Auch die Gründung einer Nationalen koordinierenden Arbeitsgruppe im Innenministerium zur Verbesserung des nationalen Unterbringungssystems und zur Ausarbeitung eines Integrationsplans für Schutzberechtigte wurde damit gesetzlich festgelegt. Für das nationale Unterbringungssystem SPRAR wurde eine Aufstockung der Kapazität auf bis zu 20.000 Plätze bis 2016 beschlossen. Momentan gibt es ca. 19.900 Unterbringungsplätze im SPRAR. Wegen des zunehmenden Migrantenstroms über das Mittelmeer koordinierte die Arbeitsgruppe ein Verteilsystem von Migranten auf Plätze in den italienischen Gemeinden nach einem bestimmten Schlüssel (CAS). Ende 2014 befanden sich 34.991 Personen in CAS-Unterbringung (AIDA 1.2015). Ende Februar 2015 waren es 37.028 Personen (SFH 23.4.2015).

AW mit mangelnden finanziellen Mitteln haben ab Antragstellung das Recht auf Unterbringung. Diese Bedürftigkeit bestätigen sie mittels Eigendeklaration, die nicht nachgeprüft wird. AW müssen die Unterkunft bei Asylantragstellung auf der Questura gleich mitbeantragen (ad hoc-Obdachlosigkeitserklärung). Die Questura leitet diesen Antrag an die Präfektur weiter, welche für die Verwaltung der lokalen Unterbringungsplätze verantwortlich ist. Obwohl die Berechtigung zur Unterbringung bereits mit dem Fotosegnalamento entsteht, kann es in der Praxis vorkommen, dass der tatsächliche Zugang erst mit der Verbalizzazione gegeben ist, also vor allem in den großen Städten mitunter Wochen oder Monate später. Aber hier kommt es stark auf die Region und die Antragszahlen an. In dieser Zeit sind die AW auf private Möglichkeiten angewiesen, also Freunde und Notunterkünfte, oder es droht ihnen Obdachlosigkeit. Zum Ausmaß dieses Phänomens gibt es allerdings keine statistischen Zahlen. Betroffen sind auch nur Personen, die ihren Antrag im Land stellen. Solche, die aus dem Mittelmeer gerettet werden, werden an Land unmittelbar untergebracht. Die für die Unterbringung zuständige Präfektur hat zwei Hauptmöglichkeiten AW unterzubringen: im CARA oder im SPRAR-System. Zuerst wird geprüft, ob im SPRAR Platz vorhanden ist. Wenn nicht, können AW auch in CARA untergebracht werden (AIDA 1.2015; vgl. UNHRC 1.5.2015). Es gab zuletzt aber Bemühungen etwas gegen die Verzögerung bei der Unterbringung zu unternehmen (AIDA 1.2015). In Rom etwa ist es nicht mehr notwendig, die Verbalizzazione abzuwarten, um Zugang zu Unterbringung zu erhalten. Bei Antragstellung wird der Bedarf nach einer Unterkunft abgefragt. Der AW erhält dann einen offiziellen Brief der Polizei, mit dem er sich bei der Gemeinde Rom auf die Warteliste für die Unterbringung in einem ihrer Zentren setzen lassen kann. Die Wartezeit für einen Platz in einem Zentrum der Gemeinde ist viel kürzer geworden und beträgt aktuell ca. 1 Monat. Während dieser Zeit kann es angeblich nach wie vor zu Lücken bei der Unterbringung kommen (SFH 23.4.2015).

Kritisiert wird die Zahl der Unterbringungsplätze in Italien. NGOs und der UN-Sonderberichterstatter für die Menschenrechte von Migranten betrachten sie als ungenügend. Die Aufstockung des SPRAR-Systems ist hier eine teilweise Antwort. In den großen Städten wie Rom ist mangelndes Wissen darüber, wie man eine Unterkunft beantragt, ein Problem. Andererseits können aufgrund des Personalmangels bei den Behörden nicht alle Anträge fristgerecht bearbeitet werden. Die Tatsache, dass viele in den Ballungszentren bleiben wollen, trägt zu der angespannten Unterbringungssituation dort bei (AIDA 1.2015; vgl. UNHRC 1.5.2015).

SPRAR

Das Sistema di protezione per richiedenti asilo e rifugiati (SPRAR) ist das staatlich finanzierte, lokal in kleinen Strukturen organisierte System der Zweitunterbringung von Asylwerbern und Schutzberechtigten in Italien. Neben Unterkunft werden auch Unterstützungs- und Integrationsmaßnahmen bereitgestellt. 76% der SPRAR-Unterbringungen sind Wohnungen. Die Dauer der Unterbringung liegt in der Regel bei 6 bis 12 Monaten. Das SPRAR-System verfügt aufgrund eines Aufstockungsprogramms für den Zeitraum 2014-2016 (20.000 Plätze vorgesehen) momentan über insgesamt rund 19.900 Plätze in 456 Aufnahmeprojekten, wovon 57 UMA vorbehalten und weitere 32 für geistig beeinträchtigte oder behinderte Personen reserviert sind. Wegen der vielen Anlandungen über das Mittelmeer wurden zusätzliche Gelder für das SPRAR-System freigemacht. SPRAR-Zentren bieten laut Gesetz Übersetzung und sprachlich-kulturelle Vermittlung, Rechtsberatung, Krankenversorgung, sozial-psychologische Unterstützung insbesondere schutzbedürftiger Personen, Integrationsberatung, Beratung zur freiwilligen Rückkehr und Informationen über Freizeitaktivitäten. Untergebrachte im SPRAR-System erhalten ein Taschengeld, das regional unterschiedlich ausfällt (EUR 1,50-2,50/Tag) (AIDA 1.2015; vgl. UNHRC 1.5.2015).

CARA

Centri d'Accoglienza Richiedenti Asilo (CARA) sind Aufnahmezentren für Asylwerber. Die Unterbringung in CARA ist vorgesehen, wenn die Identität eines AW überprüft werden muss (max. 20 Tage Aufenthalt) bzw. bei Antragstellung bei Aufgriff nach (versuchter) illegaler Einreise oder illegalem Aufenthalt (max. 35 Tage Aufenthalt). Ist in den SPRAR kein Platz verfügbar, können aber alle AW in CARA untergebracht werden. Der tatsächliche Unterbringungszeitraum liegt in der Regel bei 8-10 Monaten, (im Falle einer Beschwerde auch mehr) da die Asylverfahren so lange dauern und auch in der Beschwerdephase ein Recht auf Unterbringung besteht. Eine Überstellung in SPRAR-Unterkünfte erfolgt nach vorhandener Kapazität und der Dringlichkeit bzw. Vulnerabilität der Fälle (AIDA 1.2015). Es gibt ca. 7.866 Plätze in den 10 CARA Italiens, die zurzeit regional unterschiedlich verteilt ca. 9.071 AW beherbergen sollen. CARA bieten grundlegende Versorgung mit Unterkunft, Nahrung, Kleidung, Basisinformationen inkl. rechtlicher Beratung und medizinische Notfallbehandlung. CARA befinden sich meist in entlegenen Gegenden und kämpfen oft mit Überbelegung. Jeder AW erhält EUR 2,50 Taschengeld pro Tag. Das Leistungsspektrum in CARA ist regional unterschiedlich und angeblich oft partiell ungenügend (z.B. betreffend rechtliche bzw. psychosoziale Beratung, Betreuung Vulnerabler, etc.) In CARA kann auch die Familieneinheit nicht immer gewahrt werden und Männer werden oft getrennt von Frau und Kindern untergebracht. (AIDA 1.2015; vgl. UNHRC 1.5.2015).

Wenn ein Asylverfahren nach sechs Monaten nicht abgeschlossen ist, haben AW das Recht zu arbeiten. Wenn sie tatsächlich arbeiten, müssen sie zu den Kosten ihrer Unterbringung beitragen (wurde nach NGO-Angaben in der Praxis noch nie angewendet). In einem etwaigen Beschwerdeverfahren haben AW mit Arbeitserlaubnis kein Recht mehr auf Unterbringung (AIDA 1.2015). Italien geht ab diesem Zeitpunkt davon aus, dass sie für sich selbst sorgen können. Angesichts der aktuellen Wirtschaftskrise sei es laut SFH aber fast unmöglich Arbeit zu finden, um eine Wohnung zu mieten und die Existenz zu sichern (SFH 10.2013; vgl. SFH 4.8.2014).

Ist in keiner der beiden Strukturen Platz für einen AW vorhanden, wäre für den Zeitraum in dem der AW nicht untergebracht wird, eigentlich ein Taggeld vorgesehen. In der Praxis wird dieses aber nicht ausbezahlt, sondern der AW trotzdem untergebracht und eine gewisse Überbelegung in Kauf genommen. Erhält ein AW aus irgendeinem Grund weder das eine, noch das andere, muss er seine Unterbringung selbst besorgen (AIDA 1.2015).

Es gibt Berichte über Fälle, in denen AW in den großen Städten in selbstorganisierten Behausungen leben. Diese sind von Überbelegung und schlechten Bedingungen gekennzeichnet. Als Beispiel wird der sogenannte "Salam-Palace" in Rom genannt, ein leerstehendes Gebäude, in dem angeblich ca. 800 Ostafrikaner leben (AIDA 1.2015; vgl. USDOS 25.6.2015). Angeblich ziehen manche Betroffene dies wegen der strengen Regeln in staatlichen oder kirchlichen Unterkünften und deren oft entlegener Lage, bewusst der offiziellen Unterbringung vor. Für die meisten sollen mangelnde Aussichten auf einen offiziellen Unterbringungspatz ausschlaggebend sein. In Mailand werden Hausbesetzungen angeblich weniger toleriert, doch soll es ein Areal von besetzten Bahnhofsgebäuden und ein besetztes Spitalsgebäude geben (SFH 10.2013).

AW können in CARA auf dem gesamten italienischen Territorium untergebracht werden. Oft aber weigern sich Betroffene abseits großer Städte untergebracht zu werden und bleiben lieber außerhalb des CARA-Systems (AIDA 1.2015).

CPSA / CDA

Außerdem gibt es noch Centri di primo soccorso e accoglienza (CPSA) und Centri di Accoglienza (CDA) (gesamt 742 Plätze), die zur temporären Aufnahme von Bootsflüchtlingen dienen und die nur in den Gegenden existieren, wo diese vermehrt anlanden (AIDA 1.2015; vgl. UNHRC 1.2015).

CAS

Die sogenannten Notfallzentren, Centri di accoglienza straordinaria (CAS), zur Aufnahme von Migranten (Bootssflüchtlingen) in Zeiten außerordentlicher Belastung sind Unterbringungskapazitäten von Gemeinden und beherbergten Ende Februar 2015 37.028 Personen (SFH 23.4.2015; vgl. AIDA 1.2015).

Gemeindeunterkünfte

Die Gemeinde Mailand betrieb 400 Unterbringungsplätze im Rahmen des sogenannten Morcone-Systems (Centri polifunzionali). Da es in Mailand keine CARA gibt, bildeten sie dort die Erstaufnahme (SFH 10.2013). Dieses Projekt lief jedoch mit 31.5.2015 aus und wurde nicht verlängert. Über Nachfolgeprojekte ist momentan noch nichts bekannt, derzeit gibt es in Mailand von staatlicher Seite nur das SPRAR-System (VB 23.7.2015).

NGOs

Kirchliche und andere NGOs bieten es laut einem SFH-Bericht von 2013 zusätzlich Notschlafstellen an. Zudem gibt es städtische Notschlafstellen für Obdachlose. Diese Angebote sind nicht spezifisch für Asylwerber und Schutzberechtigte vorgesehen, stehen ihnen aber offen. Aufgrund der starken Fragmentierung des Systems und fehlender Koordination zwischen den einzelnen Akteuren ist es unmöglich, einen Überblick über die gesamte Anzahl an Angeboten und Plätzen zu erhalten. Jedenfalls sind die Kapazitäten beschränkt. Es gibt am Hauptbahnhof Mailand eine Notschlafstelle, die in Zusammenarbeit der Gemeinde Mailand und einer NGO geführt wird. Während der Wintermonate führt die Gemeinde Mailand zusätzliche Notschlafstellen für sämtliche Obdachlose (Italiener und Ausländer). Im Winter 2011/2012 wurden dort 2.506 Personen aufgenommen, davon waren 31% AW oder Schutzberechtigte. Generell sind die staatlichen Notschlafstellen in Mailand für Männer vorgesehen, Frauen können eher in den kirchlichen Strukturen unterkommen. Für Mütter mit Kindern gibt es in Mailand drei Einrichtungen mit insgesamt circa 65 Plätzen. Da die Gemeindeunterkünfte für Männer in Mailand nur nachts geöffnet sind, bieten die NGOs Naga und Asnada tagsüber verschiedene Freizeitaktivitäten, Sprachkurse und Beratung an (SFH 10.2013).

Abgesehen von den staatlichen Unterbringungsmöglichkeiten existiert noch ein Netzwerk privater oder kirchlicher Unterbringungen. Zahlen oder Gesamtkapazitäten sind schwierig festzumachen. Sie erfüllen aber eine wichtige Funktion bei der Unterbringung von Notfällen oder Familien (AIDA 1.2015).

Außer diesen Unterbringungsmöglichkeiten sind noch die Schubhaftkapazitäten Italiens zu erwähnen:

CIE

In den Identifikations- und Abschiebezentren, Centri d'Identificazione ed Espulsione (CIE), werden in der Regel Fremde untergebracht, die außer Landes gebracht werden sollen Die maximale Aufenthaltsdauer liegt seit November 2014 bei 90 Tagen (zuvor: 18 Monate), durchschnittlich liegt sie laut italienischem Innenministerium bei 38 Tagen. 2013 waren gesamt 6.016 Migranten in CIE inhaftiert. AW dürfen in Italien nicht wegen Asylantragstellung inhaftiert werden. Ebenso dürfen Kinder nicht inhaftiert werden, es sei denn zusammen mit Familienangehörigen, was aber selten vorkommen soll. In Italien sind momentan 5 CIE mit einer Maximalkapazität von

1.791 Plätzen operativ (7 weitere sind temporär geschlossen). Mit Stand 18.10.2014 waren 373 Personen dort inhaftiert. In CIE ist Rechtsberatung und psychologische Unterstützung nicht systematisch vorhanden. Es gibt keine Standardvorgehensweise zur Früherkennung von und Hilfe für schutzbedürftige Personen. Die Standards in den CIE werden vor allem für Vulnerable als unzureichend und regional unterschiedlich beschrieben. Ein in einem CIE gestellter Asylantrag wird inhaltlich vollständig geprüft (AIDA 1.2015 vgl. UNHRC 1.5.2015).

Quellen:

6.2. Dublin-Rückkehrer

Als größtes Problem für Rückkehrer wird die Unterbringungssituation betrachtet. Dublin-Rückkehrer (AW oder Schutzberechtigte), die zuvor in Italien nicht untergebracht waren, haben bei Rückkehr Zugang zu Unterbringung. Eine Aussage darüber, wie lange es dauert bis auch tatsächlich ein Platz gefunden ist, ist nicht möglich. In den letzten Jahren wurden auf Basis temporärer (verlängerbarer) Projekte einige zeitlich begrenzte Unterbringungsmöglichkeiten für Dublin-Rückkehrer geschaffen, wo sie sich aufhalten können, bis ihr Status geklärt ist, oder - im Falle von Vulnerablen - eine alternative Unterbringung gefunden wird. Dennoch soll es vorkommen, dass Dublin-Rückkehrer nicht untergebracht werden können und sich selbst unterbringen müssen. Rückkehrer, die bereits untergebracht waren, haben zum Teil bereits abgeschlossene Verfahren in Italien, gelten somit bei Rückkehr nicht als AW und sind zur Unterbringung in CARA nicht mehr berechtigt. Sie können nur dann auf CARAs verteilt werden, wenn Plätze frei sind (AIDA 1.2015).

Gleichzeitig verliert ein AW, der dem Unterbringungszentrum ohne Genehmigung über eine bestimmte Frist fernbleibt, seinen Platz und kann danach nicht wieder in derselben Struktur untergebracht werden (AIDA 1.2015). Laut früheren Berichten, gilt dieses Verbot der erneuten Unterbringung für 6 Monate nach dem Verlassen der Unterbringung (SFH 5.2011).

Um die Unterbringungssituation von Dublin-Rückkehrern zu verbessern, wurden seit 2011 im Rahmen des Europäischen Flüchtlingsfonds (FER) Projekte nahe der Flughäfen finanziert, an denen diese am häufigsten ankommen. Sie bieten Unterkunft und richten sich entweder an alle AW-Gruppen, oder nur an Vulnerable. Zu nennen sind 3 Projekte (ARCO, ARCA, ASTRA) für die Unterbringung von Dublin-Fällen am Flughafen Rom-Fiumicino; 3 Projekte (STELLA, ALI, TERRA) für die Unterbringung von Dublin-Fällen am Flughafen Mailand-Malpensa; und weitere in Venedig, Bari und Bologna. In Rom gibt es noch andere Unterbringungsmöglichkeiten speziell für Dublin-Rückkehrer, wie etwa das Projekt Centro Dublino, das öffentlich finanziert und von Domus Caritatis betrieben wird (AIDA 1.2015). Die TERRA-Projekte sind inzwischen alle ausgelaufen. In Kürze soll es aber neue EU-finanzierte italienische Projekte geben, die an die abgelaufenen Projekte anknüpfen sollen. In der Zwischenzeit finden Neuankömmlinge weiterhin Aufnahme im Rahmen des SPRAR-Netzwerks der italienischen Gemeinden (VB 5.5.2015).

Sobald die Rückkehrer am Flughafen ankommen, werden sie von der NGO anhand der individuellen Situation (vulnerabel oder nicht) an ein Aufnahmezentrum verwiesen. Deren Kapazitäten werden aber nach wie vor als ungenügend beschrieben und die Unterbringung dort ist in der Regel auf 1 Jahr befristet (AIDA 1.2015).

Quellen:

6.3. Medizinische Versorgung

Asylwerber und Personen mit einem Schutzstatus in Italien müssen sich beim italienischen Nationalen Gesundheitsdienst registrieren und haben dann dieselben Rechte und Pflichten in Bezug auf medizinische Versorgung wie italienische Staatsbürger. AW haben dieses Recht ab Registrierung ihres Asylantrags. Das gilt sowohl für untergebrachte, wie für nicht untergebrachte AW und auch für solche, die kein Recht mehr auf Unterbringung haben. Die Anmeldung erfolgt in den Büros der lokalen Gesundheitsdienste (Aziende sanitaria locali, ASL). Wenn AW in einem Zentrum leben, wird diese Anmeldung von der Leitung für sie erledigt. Für die Anmeldung sind folgende Dokumente wichtig: Aufenthaltsgenehmigung, Registrierung im Personenstandsregister und Steuernummer (codice fiscale). Im Zuge der Registrierung wird eine Gesundheitskarte (tessera sanitaria) ausgestellt. Die Registrierung berechtigt zu folgenden Leistungen:

freie Wahl eines Hausarztes bzw. Kinderarztes (kostenlose Arztbesuche, Hausbesuche, Rezepte, usw.); Geburtshilfe und gynäkologische Betreuung bei der Familienberatung (consultorio familiare) ohne allgemeinärztliche Überweisung; kostenlose Aufenthalte in öffentlichen Krankenhäusern. In den ersten 6 Monaten ihres Aufenthalts in Italien (in denen AW nicht arbeiten dürfen) sind AW arbeitslosen Staatsbürgern gleichgestellt und müssen keine Praxisgebühr ("Ticket") bezahlen. Nach Ablauf der ersten 6 Monate müssen sich AW offiziell arbeitslos melden, um die Ticketbefreiung behalten zu können (AIDA 1.2015).

Die Wohnsitzmeldung (residenza) spielt eine zentrale Rolle, da sie unter anderem erforderlich ist für die Ausstellung eines Gesundheitsausweises (tessera sanitaria) oder einer Steuernummer (codice fiscale). Wer diese nicht hat, hat nur eingeschränkten Zugang zu medizinischer Versorgung (Notversorgung) und keinen legalen Zugang zum Arbeitsmarkt. Einzig in Rom ist die sogenannte "virtuelle Wohnsitznahme" möglich, bei der eine fiktive Meldeadresse (z.B. einer NGO) angegeben werden kann (SFH 4.8.2014).

AW und Schutzberechtigte mit psychischen Problemen, darunter Folteropfer usw. haben das Recht auf dieselbe Behandlung wie italienische Staatsbürger. In der Praxis können sie von spezialisierten Dienstleistungen im Rahmen des Nationalen Gesundheitsdienstes profitieren. Außerdem gibt es spezialisierte NGOs und Private. 2007 wurde von UNHCR u.a. das Italian Network for Asylum Seekers who Survived Torture (NIRAST) gegründet, das sich um Folteropfer und deren psychologische Betreuung kümmerte. Das Programm musste im März 2012 beendet werden. Die einzelnen Kliniken und Ambulatorien, die Mitglieder von NIRAST waren, arbeiten aber unter verschiedenen Finanzierungen weiter (AIDA 1.2015).

Sowohl in Rom als auch in Mailand gibt es laut SFH-Bericht von 2013 Projekte, die psychologische oder psychiatrische Behandlung anbieten: Das Projekt Ferite Invisibili der Caritas Rom richtet sich an Folteropfer. Zwei Psychiater und vier Psychologen behandeln ungefähr 20 Personen pro Woche. Seit Gründung des Projekts vor acht Jahren wurden insgesamt 215 Patienten behandelt. Die Wartezeit auf einen Termin beträgt ein paar Monate. Die behandelten Personen haben entweder einen Schlafplatz, oder Ferite Invisibili versucht einen zu finden. Eine Behandlung dauert ungefähr drei bis vier Monate (15 bis 20 Sitzungen). Das Projekt verfügt auch über Dolmetscher und interkulturelle Mediatoren. SaMiFo (Salute Migranti Forzati) ist ein gemeinsames Projekt von nationalem Gesundheitsdienst und Centro Astalli. Es bietet in einem Ambulatorium psychiatrische Behandlung, vor allem für Asylwerber. Voraussetzung ist, dass diese bereits im öffentlichen Gesundheitssystem angemeldet sind. In Mailand bieten Freiwillige der NGO Naga Gespräche und Aktivitäten für traumatisierte Personen an. Wenn jemand schwerere psychische Probleme hat, wird er an einen Psychologen des öffentlichen Gesundheitssystems verwiesen. Die ambulanten Angebote haben beschränkte Kapazitäten (SFH 10.2013).

Irreguläre Migranten haben das Recht auf medizinische Notversorgung und präventive Versorgung zum Schutz der individuellen und kollektiven Gesundheit. Damit haben sie dieselben Rechte wie italienische Staatsbürger (AIDA 1.2015). Illegal aufhältige Personen können von medizinischen Notdiensten usw. Gebrauch machen. Die Gesetze verbieten es dem medizinischen und Verwaltungspersonal die Polizei bezüglich illegaler Migranten zu informieren (UNHRC 21.7.2014).

Quellen:

6.4. Anerkannte Flüchtlinge / subsidiär Schutzberechtigte

Kürzlich vorgenommene Änderungen im italienischen Asylsystem betreffen die Übernahme der Neufassung der EU-QualifikationsRL (2011/95/EU) in nationales Recht durch Gesetzesdekret 18/2014. Dadurch wurde u.a. die Aufenthaltsgenehmigung für subsidiär Schutzberechtigte jener von Flüchtlingen angeglichen und auf 5 Jahre erhöht und Subschutzberechtigte erhielten mehr Rechte, speziell im Bereich Familienzusammenführung. Auch die Gründung einer Nationalen koordinierenden Arbeitsgruppe im Innenministerium zur Verbesserung des nationalen Unterbringungssystems und zur Ausarbeitung eines Integrationsplans für Schutzberechtigte wurde damit gesetzlich festgelegt (AIDA 1.2015; vgl. UNHRC 1.5.2015).

Schutzberechtigte, die im SPRAR-System untergebracht sind, erhalten generell Unterstützung beim Integrationsprozess durch individuelle Projekte wie Jobtraining und Praktika. Jobtraining und andere Integrationsmaßnahmen durch NGOs werden mit staatlichen und europäischen Mitteln gefördert. Auch Gemeinden können Jobtrainings und Praktika anbieten oder "Arbeitsstipendien" vergeben, die Italienern, AW und Schutzberechtigten gleichermaßen offen stehen (AIDA 1.2015).

Asylwerber und Personen mit einem Schutzstatus in Italien müssen sich beim italienischen Nationalen Gesundheitsdienst registrieren und haben dann dieselben Rechte und Pflichten in Bezug auf medizinische Versorgung wie italienische Staatsbürger Auch Schutzberechtigte haben Anspruch auf die Befreiung von der Praxisgebühr ("Ticket") bei Eigendeklaration der Bedürftigkeit (AIDA 1.2015).

Generell ist es für Schutzberechtigte, die nach Italien zurückgeschickt werden, schwierig, eine Unterkunft zu finden. Das italienische System geht davon aus, dass man ab Gewährung des Schutzstatus arbeiten und für sich selbst sorgen kann. Bezüglich Sozialhilfe sind anerkannte Flüchtlinge mit Italienern gleichgestellt. Das italienische Sozialhilfesystem ist jedoch schwach und kann kein Existenzminimum garantieren. Es beruht stark auf der Unterstützung durch die Familie (SFH 10.2013; vgl. SFH 4.8.2014).

Es gibt kein spezifisches Gesetz über die Integration von Flüchtlingen und die Kompetenzen des neuen Ministeriums für Integration sind noch nicht vollständig definiert. Die sozioökonomische Integration von Schutzberechtigten ist de facto an die Regionen delegiert. Die Regionen haben dabei weitreichende Kompetenzen zur Regelung sozialer Belange. Insgesamt ist das Niveau der Integration von Flüchtlingen zwischen einzelnen Regionen und Gemeinden sehr unterschiedlich und unklare Kompetenzverteilungen verkomplizieren die Abläufe. Aufgrund der Wirtschaftskrise gab es budgetäre Kürzungen mit unmittelbaren negativen Auswirkungen auf die Unterstützung Schutzberechtigter. Die Integrationsaussichten Schutzberechtigter in Italien sind damit begrenzt. Die Ausübung bestimmter Rechte bedingt angeblich das Vorhandensein von Dokumenten, welche viele Schutzberechtigte nicht haben und aus ihren Herkunftsstaaten auch nicht erhalten können. Flüchtlinge und Staatenlose profitieren dafür von günstigeren gesetzlichen Bestimmungen betreffend Einbürgerung, als andere Drittstaatsangehörige (UNHCR 3.2015).

Nicht-Italiener werden auf dem Arbeitsmarkt diskriminiert und gelegentlich Opfer von Ausbeutung. NGOs zufolge schmälert der Mangel an Beratung und Trainingsprogrammen die Chancen der Flüchtlinge auf eine Anstellung (USDOS 25.6.2015).

Trotz der formalen Gleichstellung von Schutzberechtigten mit italienischen Bürgern besteht, laut SFH unter Berufung auf NGO-Angaben aus den Jahren 2011 und 2012, de facto nicht der gleiche Zugang zu sozialen Leistungen. Ein zentrales Problem sei dabei die Trennung von Aufenthaltsbewilligung und Wohnsitz. Für AW ist die Gemeinde verantwortlich, in der sie zuerst ihren Asylantrag gestellt haben. Das gilt auch nach Abschluss des Verfahrens. Der Betreffende hat zwar formal Freizügigkeit in Italien. Will er sich aber in einer anderen Gemeinde wohnsitzmelden, muss er dort über eine offizielle Wohnmöglichkeit verfügen, was amtlich überprüft wird. Das schränkt für viele die Freizügigkeit faktisch ein. Auch das Sozialsystem richtet sich nur an Wohnsitzgemeldete. Mittellosen Schutzberechtigten, die sich ummelden wollen, wird angeblich die Registrierung in anderen Gemeinden systematisch verweigert. Mittellose bzw. obdachlose Flüchtlinge haben demnach angeblich keine Chance sich umzumelden. Die Wohnsitzmeldung (residenza) spielt jedoch eine zentrale Rolle, da sie unter anderem erforderlich ist für die Ausstellung eines Gesundheitsausweises (tessera sanitaria) oder einer Steuernummer (codice fiscale). Wer diese nicht hat, hat nur eingeschränkten Zugang zu medizinischer Versorgung und keinen legalen Zugang zum Arbeitsmarkt. Einzig in Rom ist die sogenannte "virtuelle Wohnsitznahme" möglich, bei der eine fiktive Meldeadresse (z.B. einer NGO) angegeben werden kann. Viele Schutzberechtigte gehen angeblich nicht zuletzt deswegen nach Rom. Bezüglich des Zugangs zu Unterstützung für mittellose Schutzberechtigte in Süditalien, äußert sich SFH, auf verschiedene, teils ältere Berichte referenzierend, äußerst kritisch und kommt zu dem Schluss, dass diese in einem existenzsichernden Ausmaß dort eher unwahrscheinlich sei. Betroffenen bleibe kaum eine andere Möglichkeit als nach Rom zu gehen und sich etwa auf die Warteliste einer von der Gemeinde geführten Unterkunft setzen zu lassen. Die Wartelisten seien aber sehr lang und die Gefahr der Obdachlosigkeit entsprechend groß (SFH 4.8.2014).

FER (vom Europäischen Flüchtlingsfonds finanzierte Unterkünfte für Dublin-Rückkehrer)

Personen mit Schutzstatus haben bei Rückkehr grundsätzlich keinen Zugang zu den FER-Unterkünften, da dort in der Regel nur Dublin-Rückkehrer untergebracht werden, die AW sind. Dies trifft auch auf vulnerable Rückkehrer mit Schutzstatus zu. Mit Einzelfallbewilligung des Innenministeriums können ausnahmsweise auch subsidiär Schutzberechtigte aufgenommen werden, nicht aber anerkannte Flüchtlinge (SFH 10.2013; vgl. AIDA 1.2015).

CARA

Rückkehrer mit Schutzstatus in Italien, die zuvor bereits in einem CARA untergebracht waren, haben bei Rückkehr kein Recht mehr auf Unterbringung in einem solchen (AIDA 1.2015).

SPRAR

Zugang zum SPRAR haben Asylwerber und Schutzberechtigte. Neben Unterkunft werden auch Unterstützungs- und Integrationsmaßnahmen bereitgestellt. Für Schutzberechtigte, die aus anderen Staaten nach Italien zurückgeschickt werden, existiert die Möglichkeit in einem SPRAR-Zentrum untergebracht zu werden. Jedoch nur, wenn sie nicht zuvor bereits im SPRAR untergebracht waren. Außerdem ist die Zahl der Plätze begrenzt. Die Integration im SPRAR umfasst u.a. Jobtrainings und -praktika. Andere Integrationsprogramme können mit europäischen (ERF) und nationalen Mitteln von NGOs bereitgestellt werden. Die vom ERF geförderten Projekte sind aber in Dauer und Teilnehmerzahl sehr eingeschränkt. Auch die Gemeinden können Jobtrainings und -praktika finanzieren, sowie mit Arbeitsstipendien (borse lavoro), die Italienern und Fremden gleichermaßen zur Verfügung stehen. Die Integrationsmaßnahmen sind nicht überall gleich ausgeprägt (AIDA 1.2015).

Gemeindeunterkünfte

In Rom können sich laut SFH-Bericht von 2013 Asylwerber und Schutzberechtigte für eine Gemeindeunterkunft anmelden und auf die Warteliste setzen lassen. Auch wenn man zuvor bereits dort untergebracht war, angeblich jedoch nur, wenn seit dem letzten Aufenthalt mindestens ein Jahr vergangen ist. Es handle sich dabei um eine informelle Regelung. Über 60% der Gemeindeplätze werden von Asylwerbern in Anspruch genommen. Die Aufenthaltsdauer in den Gemeindezentren beträgt 6-12 Monate, für Vulnerable bis zu 2 Jahre. Viele der Zentren sind nur nachts geöffnet (SFH 10.2013).

Die Gemeinde Mailand betrieb 400 Unterbringungsplätze im Rahmen des sogenannten Morcone-Systems (Centri polifunzionali), die auch Schutzberechtigten unter bestimmten Bedingungen offenstanden (SFH 10.2013). Dieses Projekt lief jedoch mit 31.5.2015 aus und wurde nicht verlängert. Über Nachfolgeprojekte ist momentan noch nichts bekannt, derzeit gibt es in Mailand von staatlicher Seite nur das SPRAR-System (VB 23.7.2015).

NGOs

Kirchliche und andere NGOs bieten zusätzlich Notschlafstellen an. Zudem gibt es städtische Notschlafstellen für Obdachlose. Diese Angebote sind nicht spezifisch für Asylwerber und Schutzberechtigte vorgesehen, stehen ihnen aber offen (SFH 10.2013).

Quellen:

In rechtlicher Hinsicht verweist der Bescheid auf die Bestimmungen der § 4a, § 10 Abs. 1 Z 1, § 57 AsylG 2005 und § 61 Abs. 1 Z 1 FPG. Ein Antrag auf internationalen Schutz sei gemäß § 4a AsylG 2005 als unzulässig zurückzuweisen, wenn dem Fremden in einem anderen EWR-Staat oder der Schweiz der Status eines Asylberechtigten zuerkannt worden sei und er dort Schutz vor Verfolgung gefunden habe. Der Beschwerdeführer sei in Italien schutzberechtigt. Es bestehe kein Grund, daran zu zweifeln, dass Italien seine sich aus der Genfer Flüchtlingskonvention und der Statusrichtlinie ergebenden Verpflichtungen nicht erfülle. Es sei sohin davon auszugehen, dass der Antragsteller in Italien Schutz vor Verfolgung gefunden habe. Er habe im österreichischen Bundesgebiet zwar eine Ehefrau, jedoch besitze der Beschwerdeführer keine weiteren familiären Anknüpfungspunkte oder sonstige schützenswerten privaten Bindungen in Österreich, weshalb die Außerlandesbringung keinen ungerechtfertigten Eingriff in das Grundrecht nach Art. 8 EMRK darstelle.

Der Bescheid wurde dem Antragsteller nachweislich am 05.02.2016 durch persönliche Ausfolgung zugestellt.

4. Gegen den Bescheid richtet sich die rechtzeitig durch einen bevollmächtigten Rechtsvertreter eingebrachte Beschwerde, in welcher der Beschwerdeführer im Wesentlichen geltend machte, die behördliche Entscheidung vollinhaltlich anzufechten. Eine Überstellung nach Italien würde seine durch Art. 8 EMRK gewährleisteten Rechte verletzen, da sich die Ehefrau des BF in Österreich als subsidiär Schutzberechtigte befinde und er ihr bei Behördenwegen und anderen Erledigungen eine wesentliche Stütze sei. Der Beschwerdeführer sei zum Zeitpunkt der Einvernahme erst einen Monat in Österreich gewesen, nunmehr habe sich eine maßgebliche Intensivierung des Privat-und Familienlebens des Beschwerdeführers ergeben. Beantragt würden die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung und die Einvernahme der Ehefrau des BF. Für Schutzberechtigte sei es in Italien schwierig, eine Unterkunft zu finden und soziale Hilfe zu erhalten. Asylwerber und subsidiär Schutzberechtige seien oftmals mittellos und von Obdachlosigkeit bedroht. Der BF habe nach der Abschiebung aus Schweden durch den italienischen Staat weder finanzielle Unterstützung, einen Wohnplatz noch eine Krankenversicherung erhalten. Die Situation in Italien habe sich im letzten Jahr aufgrund der hohen Anzahl an Flüchtlingen enorm verschlechtert und die Mängel im Versorgungssystem würden eine Verletzung der in Art. 3 EMRK garantierten Rechte zur Folge haben. In der Beschwerde wird auf ein Urteil des VG Düsseldorf und zwei Entscheidungen des belgischen Verwaltungsgerichts verwiesen und ausgeführt, dass in Italien aufgrund der schlechten Aufnahmebedingungen unmenschliche Behandlung drohen würde. Im gegenständlichen Fall sei keine individuelle Zusicherung eingeholt worden, ob der Beschwerdeführer in Italien adäquat versorgt werde. Das Interesse des BF an der Aufrechterhaltung des Familienlebens überwiege, sodass eine Anordnung zur Außerlandesbringung nicht zulässig sei. Beantragt wurde zudem, der Beschwerde aufschiebende Wirkung zuzuerkennen sowie die Durchführung einer mündlichen Verhandlung.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der Antragsteller suchte erstmals am 04.06.2011 in Italien - nach illegaler Einreise - um Asyl an, wobei ihm in Italien der Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und eine bis 18.05.2019 gültige Aufenthaltserlaubnis erteilt wurde.

Einen weiteren Asylantrag stellte der Beschwerdeführer am 07.02.2013 in Schweden, von welchem Staat aus er nach Italien rücküberstellt hätten werden sollen, dort aber vor der Abschiebung untertauchte. Dann reiste er nach Österreich weiter und stellte am 17.07.2015 den verfahrensgegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

Das Bundesverwaltungsgericht schließt sich den oben wiedergegebenen Feststellungen des angefochtenen Bescheides zur Allgemeinsituation im Mitgliedstaat Italien an.

Konkrete, in der Person der beschwerdeführenden Partei gelegene Gründe, welche für die reale Gefahr des fehlenden Schutzes vor Verfolgung im Zielstaat sprechen, liegen nicht vor.

Der Antragsteller leidet an keinen gesundheitlichen Beeinträchtigungen.

In Österreich lebt die als Ehegattin bezeichnete F., der aufgrund ihres in Österreich am 19.03.2015 gestellten Antrages auf internationalen Schutz mit Bescheid des BFA vom XXXX , Zl. XXXX , subsidiärer Schutz sowie eine befristete Aufenthaltsberechtigung für subsidiär Schutzberechtigte zuerkannt wurde. Derzeit ist hinsichtlich F kein Verfahren über diesen Antrag anhängig, da das Beschwerdeverfahren hinsichtlich der Abweisung des Antrags hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten wegen - vorübergehend - unbekannten Aufenthalts der Beschwerdeführerin gemäß § 24 Abs. 2 AsylG 2005 eingestellt wurde. Der Beschwerdeführer und F waren in Österreich zu keinem Zeitpunkt an derselben Adresse gemeldet, zwischen den Betroffenen besteht seit über fünfeinhalb Jahren kein gemeinsames Familienleben.

Hinweise auf das Vorliegen von Umständen, die für die Erteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen in Betracht kommen könnten, bestehen nicht.

2. Beweiswürdigung:

Die Asylantragstellung in Italien und Schweden ergibt sich aus diesbezüglichen EURODAC-Treffermeldungen iZm den mit diesen Staaten geführten Konsultationen, welche aktenkundig sind. Die Feststellung des Bestehens des Status eines subsidiär Schutzberechtigten samt Aufenthaltsberechtigung in Italien stützt sich auf das diesbezügliche Schreiben der italienischen Dublin-Behörde.

Die Gesamtsituation von subsidiär Schutzberechtigten und anerkannten Flüchtlingen in Italien resultiert aus den umfangreichen und durch ausreichend aktuelle Quellen belegten Länderfeststellungen des angefochtenen Bescheides, welche auf alle entscheidungsrelevanten Fragen eingehen. Das BFA hat in seiner Entscheidung neben Ausführungen zur Gesundheits- und Sozialversorgung auch Feststellungen zur Rechtslage bezüglich Unterbringung und Integrationsmaßnahmen (wie etwa Jobtraining und Praktika) von Personen mit Schutzstatus getroffen.

Die Feststellungen des Nichtvorliegens gesundheitlicher Beeinträchtigungen ergeben sich aus den eigenen Angaben des Beschwerdeführers. Der Verfahrensstand betreffend die als Ehefrau bezeichnete F ergibt sich aus der Einsichtnahme in den hg. Beschwerdeakt sowie die im Verfahrensgang dargestellten Datenauszügen. Eine darüberhinausgehende Einvernahme von F zur Intensität des Privat-und Familienlebens war - wie unten in der rechtlichen Beurteilung unter Punkt 3.3.2. ausgeführt wird-entbehrlich.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A) Abweisung der Beschwerde:

3.1. Das Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) ist im vorliegenden Fall in der Fassung nach dem Bundesgesetz BGBl. I Nr. 24/2016 anzuwenden.

Die maßgeblichen Bestimmungen lauten:

"§ 4a Ein Antrag auf internationalen Schutz ist als unzulässig zurückzuweisen, wenn dem Fremden in einem anderen EWR-Staat oder der Schweiz der Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde und er dort Schutz vor Verfolgung gefunden hat. Mit der Zurückweisungsentscheidung ist auch festzustellen, in welchen Staat sich der Fremde zurück zu begeben hat. § 4 Abs. 5 gilt sinngemäß.

...

§ 10 (1) Eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz ist mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn

1. der Antrag auf internationalen Schutz gemäß §§ 4 oder 4a zurückgewiesen wird,

2. der Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 5 zurückgewiesen wird,

...

und in den Fällen der Z 1 und 3 bis 5 von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 nicht erteilt wird sowie in den Fällen der Z 1 bis 5 kein Fall der §§ 8 Abs. 3a oder 9 Abs. 2 vorliegt.

...

§ 57 (1) Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" zu erteilen:

1. wenn der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen im Bundesgebiet gemäß § 46a Abs. 1 Z 1 oder Z 3 FPG seit mindestens einem Jahr geduldet ist und die Voraussetzungen dafür weiterhin vorliegen, es sei denn, der Drittstaatsangehörige stellt eine Gefahr für die Allgemeinheit oder Sicherheit der Republik Österreich dar oder wurde von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (§ 17 StGB) rechtskräftig verurteilt. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des § 73 StGB entspricht,

2. zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen, insbesondere an Zeugen oder Opfer von Menschenhandel oder grenzüberschreitendem Prostitutionshandel oder

3. wenn der Drittstaatsangehörige, der im Bundesgebiet nicht rechtmäßig aufhältig oder nicht niedergelassen ist, Opfer von Gewalt wurde, eine einstweilige Verfügung nach §§ 382b oder 382e EO, RGBl. Nr. 79/1896, erlassen wurde oder erlassen hätte werden können und der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, dass die Erteilung der "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" zum Schutz vor weiterer Gewalt erforderlich ist.

...

§ 58 (1) Das Bundesamt hat die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 von Amts wegen zu prüfen, wenn

1. der Antrag auf internationalen Schutz gemäß §§ 4 oder 4a zurückgewiesen wird,

..."

§ 9 Abs. 1 und 2 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) idF BGBl. I Nr. 24/2016 lautet:

"§ 9 (1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

4. der Grad der Integration,

5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist."

§ 61 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) idF BGBl. I Nr. 70/2015lautet:

"§ 61 (1) Das Bundesamt hat gegen einen Drittstaatsangehörigen eine Außerlandesbringung anzuordnen, wenn

1. dessen Antrag auf internationalen Schutz gemäß §§ 4a oder 5 AsylG 2005 zurückgewiesen wird oder nach jeder weiteren, einer zurückweisenden Entscheidung gemäß §§ 4a oder 5 AsylG 2005 folgenden, zurückweisenden Entscheidung gemäß § 68 Abs. 1 AVG oder

2. ...

(2) Eine Anordnung zur Außerlandesbringung hat zur Folge, dass eine Abschiebung des Drittstaatsangehörigen in den Zielstaat zulässig ist. Die Anordnung bleibt binnen 18 Monaten ab Ausreise des Drittstaatsangehörigen aufrecht.

(3) Wenn die Durchführung der Anordnung zur Außerlandesbringung aus Gründen, die in der Person des Drittstaatsangehörigen liegen, eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen würde und diese nicht von Dauer sind, ist die Durchführung für die notwendige Zeit aufzuschieben.

(4) Die Anordnung zur Außerlandesbringung tritt außer Kraft, wenn das Asylverfahren gemäß § 28 AsylG 2005 zugelassen wird."

3.2. Vor dem Hintergrund der getroffenen Feststellungen, wonach der Beschwerdeführer in Italien aufgrund einer dort erfolgten Asylantragsstellung bereits subsidiären Schutz zuerkannt bekommen und somit in Italien Schutz vor Verfolgung gefunden hat, ging das BFA zutreffend davon aus, dass sich sein nunmehr in Österreich gestellter Antrag auf internationalen Schutz im Lichte des § 4a AsylG wegen Unzuständigkeit Österreichs als unzulässig erweist.

3.3. Allerdings wäre die Wahrnehmung dieser Unzuständigkeit Österreichs dann unzulässig, wenn der Beschwerdeführer dadurch in seinen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt würde.

Dies trifft allerdings im vorliegenden Beschwerdefall nicht zu:

3.3.1. Mögliche Verletzung von Art. 4 GRC bzw. Art. 3 EMRK:

Gemäß Art. 4 GRC bzw. Art. 3 EMRK darf niemand Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden.

Nach ständiger Rechtsprechung des EGMR zu Art. 3 EMRK haben die Vertragsstaaten der EMRK aufgrund eines allgemein anerkannten völkerrechtlichen Grundsatzes - vorbehaltlich ihrer vertraglichen Verpflichtungen einschließlich der EMRK - das Recht, die Einreise, den Aufenthalt und die Ausweisung von Fremden zu regeln. Die Ausweisung eines Fremden durch einen Vertragsstaat kann jedoch ein Problem nach Art. 3 EMRK aufwerfen und damit die Verantwortlichkeit dieses Staates nach der EMRK auslösen, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme vorliegen, dass die betreffende Person im Fall ihrer Abschiebung mit einer realen Gefahr, im Zielstaat einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung unterworfen zu werden, rechnen muss. Unter diesen Umständen beinhaltet Art. 3 EMRK die Verpflichtung, die betreffende Person nicht in diesen Staat abzuschieben.

Es entspricht ebenfalls ständiger Judikatur des EGMR, dass die verbotene Behandlung ein Mindestmaß an Schwere erreichen muss, um in den Anwendungsbereich des Art. 3 EMRK zu fallen. Die Festsetzung dieses Mindestmaßes ist naturgemäß relativ. Es hängt von allen Umständen des Einzelfalles ab, wie etwa der Dauer der verbotenen Behandlung, ihren physischen oder psychischen Auswirkungen und in manchen Fällen vom Geschlecht, Alter und Gesundheitszustand des Opfers. Das Leid, das sich aus einer natürlich auftretenden Krankheit ergibt, kann von Art. 3 EMRK erfasst sein, wenn es durch eine Behandlung - seien es Haftbedingungen, eine Ausweisung oder sonstige Maßnahmen - verschlimmert wird, wofür die Behörden verantwortlich gemacht werden können (EGMR 27.05.2008 (GK), 26565/05, N./Vereinigtes Königreich Rz 29; 28.02.2008 (GK), 37201/06, Saadi/Italien Rz 134).

Der pauschale Einwand des Antragstellers, die Behörde habe keine individuelle Zusicherung Italiens eingeholt und es würde Obdachlosigkeit und menschenunwürdige Behandlung drohen, sind letztlich nicht geeignet, um eine Anordnung zur Außerlandesbringung als unzulässig erscheinen zu lassen. Auch das weitere Vorbringen, er habe in Italien weder finanzielle Unterstützung noch einen Wohnplatz erhalten, gestaltete sich ebenfalls als zu unsubstantiiert, als dass tatsächlich von einer Grundrechtsverletzung im Sinne des Art. 3 EMRK ausgegangen werden kann.

Wie im angefochtenen Bescheid ausführlich und unter Heranziehung ausreichend aktueller Quellen dargelegt wurde, ist in Italien insbesondere auch die soziale und medizinische Versorgung von subsidiär Schutzberechtigten, welche in dieser Hinsicht italienischen Staatsbürgern gleichgestellt sind, gewährleistet. Nach den Länderberichten kann letztlich nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit angenommen werden, dass ein Drittstaatsangehöriger im Falle einer Überstellung nach Italien konkret Gefahr laufen würde, dort einer gegen das Folterverbot des Art. 3 EMRK verstoßenden Behandlung unterworfen zu werden. Daran ändert auch eine allenfalls schwierige Situation, die dadurch entsteht, dass Arbeit und Wohnmöglichkeiten schwer zu finden sind, nichts, zumal davon auszugehen ist, das die Erwirtschaftung einer Existenzgrundlage - wenn möglicherweise auch nur auf geringem Niveau - grundsätzlich möglich ist.

Eine wie in der Entscheidung des EGMR vom 21.01.2011 in der Rechtssache M.S.S./Belgien und Griechenland in Bezug auf Griechenland beschriebene Situation systematischer Mängel kann in Italien im Hinblick auf die behördlichen Länderfeststellungen nicht erkannt werden.

Jedenfalls hätte die beschwerdeführende Partei die Möglichkeit, etwaige konkret drohende oder eingetretene Verletzungen ihrer Rechte, etwa durch eine unmenschliche Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK, bei den zuständigen Behörden in Italien und letztlich beim EGMR geltend zu machen.

3.3.2. Mögliche Verletzung von Art. 7 GRC bzw. Art. 8 EMRK:

Nach Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Der Eingriff einer öffentlichen Behörde in Ausübung dieses Rechts ist gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

Soweit sich der Beschwerdeführer in diesem Zusammenhang darauf beruft, mit seiner in Österreich aufhältigen, hier subsidiär schutzberechtigten F ein gemeinsames Familienleben führen zu wollen, so ist ihm folgendes zu entgegnen: Nach den getroffenen Feststellungen sind die Verfahren auf Zuerkennung von internationalem Schutz in Ansehung beider Betroffenen (in Österreich bzw. in Italien) abgeschlossen. Für die Führung eines gemeinsamen Verfahrens (etwa in Form eines Familienverfahrens) besteht daher im Beschwerdefall kein Raum. In der gegebenen Konstellation wird angesichts des Wunsches des Beschwerdeführers auf Zusammenführung mit F im Regelfall ein Aufenthaltstitel nach den fremdenrechtlichen Bestimmungen in Betracht kommen. Die Verfahren nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) stellen in Österreich den gesetzlich vorgesehenen Weg für einwanderungswillige Drittstaatsangehörige dar, um einen Aufenthaltstitel zu erlangen (so kann etwa subsidiär Schutzberechtigten nach fünf Jahren unter bestimmten Voraussetzungen gemäß § 45 Abs. 12 NAG ein Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt - EU" gewährt werden, danach kann eine Familienzusammenführung nach § 46 NAG erfolgen).

Gegen die Entscheidung der zuständigen Einwanderungsbehörde stehen letztlich entsprechende Rechtsbehelfe an ein Verwaltungsgericht sowie an den Verfassungsgerichtshof und den Verwaltungsgerichtshof offen. In einem Verfahren nach den Bestimmungen des NAG sind aber auch die öffentlichen Interessen, insbesondere am wirtschaftlichen Wohl des Landes, entsprechend in die Prüfung einzubeziehen (z. B. Einkünfte, Integrationsvereinbarung, Quotenplatz), wird doch das Grundrecht auf Achtung des Privat- und Familienlebens nach Art. 8 EMRK nicht absolut verbürgt, sondern nur unter Gesetzesvorbehalt. In diesem Zusammenhang sei auch erwähnt, dass der EuGH in seinem Urteil vom 21.04.2016, in der Rechtssache C-558/14 , betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV ausgesprochen hat, dass Art. 7 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2003/86/EG des Rates vom 22. September 2003 betreffend das Recht auf Familienzusammenführung dahin auszulegen sei, "dass er es den zuständigen Behörden eines Mitgliedstaats erlaubt, die Ablehnung eines Antrags auf Familienzusammenführung auf eine Prognose darüber zu stützen, ob es wahrscheinlich ist, dass die festen, regelmäßigen und ausreichenden Einkünfte, über die der Zusammenführende verfügen muss, um ohne Inanspruchnahme der Sozialhilfeleistungen des betreffenden Mitgliedstaats seinen eigenen Lebensunterhalt und den seiner Familienangehörigen zu decken, während des Jahres nach dem Zeitpunkt der Einreichung des Antrags weiterhin vorhanden sein werden, und dabei dieser Prognose die Entwicklung der Einkünfte des Zusammenführenden während der sechs Monate vor der Antragstellung zugrunde zu legen.". Diese Auslegung lässt jedenfalls erkennen, dass Aspekten des wirtschaftlichen Wohls eines Landes im Zusammenhang mit dem Familiennachzug im Rahmen der öffentlichen Interessen offenkundig ein hoher Stellenwert zukommen darf.

Der Beschwerdeführer hat im Übrigen aber auch nicht plausibel dargelegt, dass eine Fortführung des Privat- und Familienlebens - nach mehrjähriger Trennung von F - nicht auch in Italien möglich wäre, jedenfalls sind die ins Treffen geführten wirtschaftlichen Gründe nicht stichhaltig. Nach ständiger Rechtsprechung des EGMR wird durch die EMRK kein Recht eines Fremden, in ein bestimmtes Land einzureisen oder sich dort niederzulassen, als solches garantiert. Wo es um die Einwanderung geht, kann nicht angenommen werden, dass Art. 8 EMRK einem Staat eine allgemeine Verpflichtung auferlegt, die Wahl anzuerkennen, welche Ehepaare hinsichtlich eines Landes für ihre eheliche Niederlassung getroffen haben und die Zusammenführung einer Familie auf seinem Gebiet zu erlauben (z. B. EGMR 20.06.2002, 50963/99, Al-Nashif, Rn. 114).

Während seines Aufenthaltes im Bundesgebiet in der Dauer von nur wenigen Monaten kam dem Beschwerdeführer nicht einmal eine vorläufige Aufenthaltsberechtigung zu, sondern es bestand - da das Verfahren nicht zugelassen war - lediglich faktischer Abschiebeschutz. Zudem war der relativ kurze Zeitraum gemessen an der Judikatur des EGMR und der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechtes als kein ausreichend langer zu qualifizieren. Aus der Rechtsprechung des VwGH ergibt sich, dass etwa ab einem zehnjährigen (dort: vorläufig berechtigten) Aufenthalt im Regelfall die privaten Interessen am Verbleib im Bundesgebiet die öffentlichen Interessen überwiegen können (09.05.2003, 2002/18/0293). Gleiches gilt für einen siebenjährigen Aufenthalt, wenn eine berufliche und soziale Verfestigung vorliegt (05.07.2005, 2004/21/0124).

Die privaten und familiären Interessen des Beschwerdeführers an einem Verbleib im Bundesgebiet haben nur sehr geringes Gewicht und treten fallbezogen gegenüber dem öffentlichen Interesse an der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Bestimmungen aus Sicht des Schutzes der öffentlichen Ordnung, dem nach der Rechtsprechung des VwGH ein hoher Stellenwert zukommt, in den Hintergrund.

Der Beschwerdeführer ist strafgerichtlich unbescholten. Etwaige Schritte zur Integration in die österreichische Wirtschaft und Gesellschaft wurden nicht einmal behauptet.

Schwer ins Gewicht fällt die Missachtung der österreichischen Einreise- und Einwanderungsvorschriften durch den Beschwerdeführer. Gemäß Art. 3 Abs. 1 letzter Satz Dublin III-Verordnung wird jeder Antrag auf internationalen Schutz von einem einzigen Mitgliedstaat geprüft, der nach den Kriterien des Kapitels III als zuständiger Staat bestimmt wird. Daher stellt die rechtswidrige Weiterreise des Beschwerdeführers innerhalb der Union zwecks Einbringung eines weiteren Antrags auf internationalen Schutz in Österreich gerade jenes Verhalten dar, das durch die Rechtsvorschriften des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems verhindert werden soll, um eine zügige Bearbeitung der jährlich rund 625.000 Asylanträge in den 28 Mitgliedstaaten der Union zu ermöglichen.

3.3.3. Das Bundesverwaltungsgericht gelangt daher insgesamt zu dem Ergebnis, dass im vorliegenden Fall bei Wahrnehmung der Unzuständigkeit Österreichs keine Verletzung von Bestimmungen der GRC oder der EMRK zu befürchten ist. Daher hat das Bundesamt im Hinblick darauf, dass dem Beschwerdeführer bereits in Italien subsidiärer Schutz zuerkannt worden ist und er - vor dem Hintergrund der getroffenen Feststellungen zur aktuellen Lage für Schutzberechtigte in diesem Staat und unter Berücksichtigung der individuellen konkreten Situation des Beschwerdeführers - sohin in Italien Schutz vor Verfolgung gefunden hat, den nunmehr in Österreich gestellten weiteren Antrag auf internationalen Schutz zu Recht gemäß § 4a AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen und festgestellt, dass er sich nach Italien zurück zu begeben hat.

3.4. Der Beschwerdeführer befindet sich erst seit wenigen Monaten im Bundesgebiet und sein Aufenthalt ist nicht geduldet. Er ist nicht Zeuge oder Opfer von strafbaren Handlungen und auch kein Opfer von Gewalt. Die Voraussetzungen für die amtswegige Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG 2005 liegen daher nicht vor, wobei dies weder im Verfahren noch in der Beschwerde auch nur behauptet wurde.

Im vorliegenden Verfahren ist es nicht zur Anwendung von § 8 Abs. 3a AsylG 2005 gekommen und ist auch keine Aberkennung gemäß § 9 Abs. 2 AsylG 2005 ergangen, wie aus dem Verfahrensgang ersichtlich ist.

Gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG iVm § 61 Abs. 1 FPG ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz mit einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn der Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 4 a zurückgewiesen wird. Die Zulässigkeit der Abschiebung gemäß § 61 Abs. 2 FPG ist gegeben, da oben festgestellt wurde, dass dadurch keine Verletzung von Art. 3 EMRK bewirkt wird, und auch sonst keinerlei Hinweise auf eine Bedrohungssituation im Sinne des § 50 FPG vorliegen.

3.5. Nach § 21 Abs. 6a und 7 BFA-VG konnte eine mündliche Verhandlung unterbleiben.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen. Nach Art. 133 Abs. 4 Satz 1 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des VwGH abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des VwGH nicht einheitlich beantwortet wurde.

Im vorliegenden Fall ist die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung abhängt. Die tragenden Elemente der Entscheidung liegen allein in der Bewertung der Verfolgungssicherheit im Zielstaat, welche sich aus den umfassenden und aktuellen Länderberichten ergibt, weiters im Gesundheitszustand der beschwerdeführenden Partei sowie in der Bewertung der Intensität ihrer privaten und familiären Interessen und demgemäß in Tatbestandsfragen.

Hinsichtlich der Einordnung des Sachverhaltes konnte sich das Bundesverwaltungsgericht insbesondere auf die Rechtsprechung der Höchstgerichte und des EGMR bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den rechtlichen Erwägungen wiedergegeben.

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